Leitsatz (amtlich)
Gegenstand einer Versicherung kann auch der Schutz des Gläubigers gegen Forderungsausfälle sein, die infolge Zahlungsunfähigkeit seiner Schuldner eintreten (Forderungsausfallversicherung). Das Versicherungsverhältnis kann zwischen einem Genossen und seiner Genossenschaft durch die Anzeige des Verkaufs einer Ware sowie das Angebot, den Forderungsausfall gegen Abführung eines bestimmten Vomhundertsatzes des Erlöses zu übernehmen, und die (stillschweigende) Annahme dieses Angebots durch die Genossenschaft zustande kommen.
Normenkette
VersStG 1959 § 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine eingetragene Genossenschaft. Sie betreibt den Großhandel mit Obst. Gegenstand des Unternehmens ist u. a. die Erfassung und der genossenschaftliche Absatz von Obst und Gemüse (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 der Satzung). Die Genossen haben satzungsgemäß 3 v. H. der Erlöse für Industrie-Obst an die Klägerin abzuführen, und zwar, "gleichgültig, ob das Industrie-Obst über die Genossenschaft vermarktet wird oder nicht", es sei denn, daß die Klägerin das Delkredere für die Erlöse nicht übernimmt.
Der Genosse meldet seine unmittelbaren Verkäufe der Klägerin. Die Klägerin prüft in jedem Einzelfall, ob sie das Delkredere übernimmt; einen Rechtsanspruch auf Übernahme des Delkredere durch die Genossenschaft hat der einzelne Genosse nicht. Hat die Klägerin das Delkredere übernommen und zahlt der Abnehmer des Obstes nicht rechtzeitig, muß der Genosse zunächst selbst alle erforderlichen Maßnahmen treffen (Mahnung usw.) und die Klägerin hierüber benachrichtigen. Zahlt der Abnehmer auch dann nicht und weist der Genosse der Klägerin nach, daß der Abnehmer kreditunwürdig geworden ist, schaltet sich die Klägerin ein. Sie verhandelt aufgrund Forderungsabtretung mit dem Abnehmer, prüft die Vollstreckungsmöglichkeiten und schreibt dem Genossen den Betrag gut, wenn ihre Bemühungen erfolglos bleiben.
Das FA setzte Versicherungsteuer fest und unterwarf dabei die Abführungen im Jahre 1969 von 3 v. H. der Erlöse als Versicherungsentgelt der Steuer.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
1. Der Versicherungsteuer unterliegt die Zahlung des Versicherungsentgelts aufgrund eines durch Vertrag oder auf sonstige Weise entstandenen Versicherungsverhältnisses, wenn hinsichtlich des Versicherungsnehmers oder des versicherten Gegenstandes die weiteren in § 1 des Versicherungsteuergesetzes (VersStG 1959) genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
Die Auffassung des FG ist zutreffend; der steuerbare Tatbestand ist erfüllt, und die Steuer ist vom beklagten FA zu Recht festgesetzt worden.
2. Zu Unrecht wendet die Klägerin ein, soweit die Abführung von 3 v. H. der Erlöse bei unmittelbaren Verkäufen der Genossen an Abnehmer als Zahlung von Versicherungsentgelt behandelt worden sei, habe zwischen ihr und ihren Genossen weder ein Versicherungsverhältnis bestanden, noch habe die Genossenschaft eine Gefahrengemeinschaft gebildet, noch sei die Abführung von 3 v. H. der Erlöse Versicherungsentgelt.
a) Das Versicherungsteuergesetz enthält keine Bestimmung des Begriffs "Versicherungsverhältnis". Sein Inhalt muß demzufolge aus dem allgemeinen Sprachgebrauch und, da dieser entscheidend vom Versicherungsrecht geprägt wird, aus dem allgemeinen Versicherungsrecht entnommen werden. Auch das Versicherungsvertragsgesetz und das Versicherungsaufsichtsgesetz geben keine Begriffsbestimmung.
Unter Versicherungsverhältnis ist das Verhältnis des einzelnen (Versicherungsnehmers) zum Versicherer und seine Wirkungen zu verstehen (vgl. auch Urteile des BFH vom 30. August 1961 II 234/58, BFHE 73, 628, BStBl II 1961, 494; vom 15. Juli 1964 II 147/61, StRK, Versicherungsteuergesetz, § 1, Rechtsspruch 8).
b) Gegenstand einer Versicherung kann auch der Schutz des Gläubigers gegen Forderungsausfälle sein, die infolge Zahlungsunfähigkeit seiner Schuldner eintreten (Kreditversicherung; Delkredereversicherung; Forderungsausfallversicherung).
Die Klägerin vertritt die Auffassung, daß die Genossen mit der Meldung des unmittelbaren Verkaufs von Obst an Abnehmer der Klägerin die Abtretung der Kaufpreisforderung anbieten; durch die Annahme eines solchen Angebots werde die Klägerin dritter Geschäftspartner, und deshalb bildeten die Genossen keine Gefahrengemeinschaft, weil nur noch die Klägerin die Gefahr des Forderungsausfalles trage. Es kann dahinstehen, ob in der Meldung des Genossen an die Klägerin, einen Obstverkauf mit einem Abnehmer getätigt zu haben, das Angebot der Abtretung der Kaufpreisforderung und in dem Folgeverhalten der Klägerin die Annahme eines solchen Angebots erblickt werden kann. Selbst wenn dies der Fall wäre, würde dies nicht dazu führen, daß das Merkmal des Bestehens einer Gefahrengemeinschaft verneint werden müßte. Dem einzelnen ein Wagnis (ganz oder teilweise) abzunehmen, ist gerade Sinn und Inhalt einer Versicherung. Die Übernahme der Gefahr des Forderungsausfalles ist auch im Streitfall der entscheidende Inhalt des hier begründeten Versicherungsverhältnisses.
c) Das Versicherungsverhältnis kam zwischen den Genossen und der Genossenschaft durch die Anzeige des Obsteinkaufs und das Angebot, den Forderungsausfall gegen Abführung eines Vom-Hundert-Satzes des Erlöses zu übernehmen, und die (stillschweigende) Annahme dieses Angebots durch die Genossenschaft zustande. Gemäß § 1 VersStG 1959 ist es gleichgültig, auf welche Weise ein Versicherungsverhältnis entsteht.
Nach dem eigenen Sachvortrag hatte die Klägerin ihren Genossen gegenüber, wenn diese (unmittelbare) Lieferungen an Abnehmer meldeten (Direktlieferungen) und die Klägerin die Übernahme des Ausfallwagnisses nicht ausdrücklich ablehnte, die Verpflichtung übernommen, daß sie, wenn der Abnehmer des Obstes den Kaufpreis nicht entrichtete, dem Genossen den Betrag aus eigenen Mitteln zahlte. Das aber bedeutet, daß dem Genossen (= insoweit Versicherungsnehmer) dessen eigenes Wagnis (nämlich der Ausfall seiner Kaufpreisforderung) von der Klägerin (= insoweit Versicherer) abgenommen wurde und somit ein Versicherungsverhältnis begründet worden ist...
d) Für Lieferungen von Obst - sei es durch die Klägerin selbst oder durch den Genossen - waren 3 v. H. des Erlöses an die Klägerin abzuführen; ausgenommen waren nur Erlöse, "für die die Genossenschaft das Delkredere nicht übernimmt". Der abzuführende Erlös stellt sich unter diesen Umständen als das Versicherungsentgelt dar (§ 3 Abs. 1 VersStG 1959).
Die Leistung der Klägerin wird auch nicht etwa unentgeltlich erbracht, was die Klägerin anscheinend mit ihrem Vortrag zum Ausdruck bringen wollte: Komme es nicht zum Einzug der Forderung, weil die Forderung uneinbringlich sei, dann falle auch "die Gebühr nach § 14 Ziff. 7 des Statuts nicht an". Fällt die Forderung aus, dann hat der Genosse nicht einen Anspruch auf Auszahlung des vollen Rechnungsbetrages, sondern nur auf Auszahlung des um 3 v. H. gekürzten Rechnungsbetrages. Ob der Genosse den vollen Rechnungsbetrag einzieht und 3 v. H. dieses Betrages an die Klägerin abführt, ob die Klägerin den vollen Betrag einzieht und ihn um 3 v. H. gekürzt an den Genossen weiterleitet oder ob die Klägerin bei Forderungsausfällen den um 3 v. H. gekürzten Betrag dem Genossen zahlt, ist im Ergebnis für den Genossen gleich; immer hat er 3 v. H. seines Zahlungsanspruches an den Abnehmer der Klägerin zugeführt. Das gilt im übrigen auch dann, wenn der Genosse - entsprechend dem Vortrag der Klägerin - einen Anspruch auf Auszahlung des vollen (also ungekürzten) Rechnungsbetrages haben sollte. Das Versicherungsverhältnis hätte dann die insoweit höhere Leistungspflicht der Klägerin zum Inhalt.
e) Zutreffend hat das FG dargelegt, daß die Steuerbarkeit nicht davon abhängig ist, ob der Klägerin der Abschluß von Versicherungen erlaubt oder untersagt ist (vgl Urteil des RFH vom 12. März 1929 II A 82/29, RStBl 1929, 235). Die Steuerbarkeit gemäß § 1 VersStG 1959 setzt nicht voraus, daß der "Versicherer" im versicherungsrechtlichen Sinne ein Unternehmen mit dem Ziel betreibt, "Versicherungsgeschäfte" (vgl § 2 Abs. 1 VersStG 1959) abzuschließen, wie die Klägerin möglicherweise annimmt. Unerheblich ist, ob die Klägerin das Wagnis des Forderungsausfalles durch Auswahl der Forderungen gering hält, und daß es daher praktisch noch nicht dazu gekommen sei, daß sie für Forderungsausfälle habe einstehen müssen. Denn entscheidend ist, wie das FG zu Recht ausgeführt hat, daß ein Forderungsausfall objektiv möglich ist.
f) Ohne steuerrechtliche Bedeutung ist das Vorbringen der Klägerin, eine Besteuerung des vorliegenden Sachverhalts "würde Folgemaßnahmen auslösen, die versicherungsaufsichtsrechtlich kaum durchführbar wären, und zu nicht akzeptablen Änderungen im gesellschaftsrechtlichen Bereich führen müßten". Gesichtspunkte dieser Art sind nicht Gegenstand des Besteuerungstatbestandes. Die Klägerin hat es in der Hand, die von ihr befürchteten Gefahren - sollten sie überhaupt bestehen - durch entsprechende Maßnahmen zu vermeiden.
3. Eine Leistung kann zwar auch dann, wenn sie für sich betrachtet die Merkmale einer Versicherung aufweist, als eine nicht als "Versicherung" zu beurteilende Leistung zu behandeln sein, dann nämlich, wenn die Wagnisübernahme unselbständiger Bestandteil eines anderen Vertrages ist, wie z. B. die Garantie- oder Instandhaltungszusage im Zusammenhang mit einem Kauf- oder Werkvertrag. Das ist hier jedoch nicht der Fall.
Die Ausführungen des FG, die Übernahme des Ausfallwagnisses durch die Klägerin bei Lieferungen ihrer Genossen an deren Abnehmer sei keine unselbständige Nebenleistung, enthalten keinen Rechtsirrtum. Die Übernahme des Forderungsausfallwagnisses ist die selbständige Hauptleistung der Klägerin. Sie ist mithin für sich allein zu würdigen, wie das FG zu Recht ausgeführt hat.
Auf das Motiv, das die Klägerin veranlaßt hat, unter bestimmten Voraussetzungen das Forderungsausfallwagnis zu übernehmen, kommt es nicht an, sondern nur darauf, ob sich die Übernahme des Forderungsausfallwagnisses als Hauptleistung oder unselbständige Nebenleistung darstellt.
4. Die Versicherungsteuerpflicht wird auch nicht etwa durch § 2 Abs. 2 VersStG 1959 ausgeschlossen. Die Vorschrift betrifft die Sachverhalte, in denen sich der Versicherer verpflichtet, Dritten gegenüber für den Versicherungsnehmer Bürgschaft oder sonstige Sicherheit zu leisten. Im Streitfall aber leistet die Klägerin, wie das FG richtig ausgeführt hat, "nicht gegenüber Dritten dafür Sicherheit, daß der Genosse seinen Verpflichtungen nachkommt", sondern sie sichert den Genossen dagegen ab, daß sein Zahlungsanspruch von dem Dritten nicht erfüllt wird, und "dieser Sachverhalt wird von § 2 Abs. 2 VersStG nicht erfaßt".
Fundstellen
Haufe-Index 72412 |
BStBl II 1977, 688 |
BFHE 1978, 352 |