Leitsatz (amtlich)
1. Ein Architekt erbringt bei der Planung und Bauleitung einer im Freihafen gelegenen Halle seine Leistung im umsatzsteuerlichen Ausland.
2. Das FA hat beim Antrag des Steuerpflichtigen auf Berichtigung eines unanfechtbaren Steuerbescheids kumulativ alle Berichtigungsmöglichkeiten zu prüfen. Es muß erwägen, ob die Anordnung einer Betriebsprüfung geboten ist, um die Grundlagen für eine Berichtigung zu schaffen.
2. Ein Steuererstattungsanspruch verjährt nicht, solange ein Rechtsmittelverfahren über die Zulässigkeit der Berichtigung des Steuerbescheids geführt wird.
Normenkette
AO §§ 204, 222; UStDB 1951 § 7 Abs. 2
Gründe
Aus den Gründen:
Die Rechtsbeschwerde des Steuerpflichtigen ist nach Einführung der FGO (1. Januar 1966) als Revision zu behandeln. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, der Einspruchsentscheidung und der Verfügung des FA vom 13. April 1964.
1. FA und FG haben sich auf die rechtliche Prüfung der Frage beschränkt, ob die Voraussetzungen des § 4 StAnpG erfüllt sind. Insoweit haben sie mit Recht eine Berichtigung wegen Fehlens der Voraussetzungen dieser Vorschrift abgelehnt. Es sind nämlich nachträglich weder den Leistungsort betreffende Bedingungen (z. Z. der Entstehung des Steueranspruchs ungewisse Ereignisse) hinzugekommen noch Merkmale (konkrete Sachverhaltsmerkmale, siehe Urteil des BFH V 215/62 vom 10. Dezember 1964, HFR 1965, 233; StRK, Reichsabgabenordnung, § 246, Rechtsspruch 38) weggefallen.
2. Gleichwohl waren die Vorentscheidungen aufzuheben, weil die ablehnende Entscheidung des FA rechtswidrig war und demgemäß das FG die Entscheidung des FA nicht bestätigen durfte. Zwar hat der Steuerpflichtige sein Begehren auf Berichtigung der Umsatzsteuerbescheide nur auf § 4 StAnpG gestützt. Das FA hätte sich aber nicht darauf beschränken dürfen, das Berichtigungsbegehren lediglich unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen und wegen Fehlens der Voraussetzungen abzulehnen. Die AO enthält mehrere Möglichkeiten, unanfechtbare Steuerbescheide zu berichtigen. Aus dem zwischen dem Steuerpflichtigen und dem FA bestehenden Steuerrechtsverhältnis entspringt die Verpflichtung des FA, auch andere Berichtigungsmöglichkeiten ins Auge zu fassen, insbesondere dann, wenn die vom Steuerpflichtigen bezeichnete Berichtigungsmöglichkeit unbegründet ist, er jedoch erkennbar jede Möglichkeit der Berichtigung des unanfechtbaren Steuerbescheides nutzen will und die Ablehnung der Berichtigung bei der gegebenen Sach- und Rechtslage zu einer ungleichmäßigen Besteuerung führen könnte. Denn die Berichtigungsmöglichkeiten haben keinen anderen Zweck, als der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu dienen. Das gilt vor allem bei Berichtigungen zuungunsten der Steuerpflichtigen. Da aber gerade in diesen Fällen die Berichtigung unanfechtbarer Bescheide die Rechtssicherheit beeinträchtigt, hat die Rechtsprechung den Grundsatz aufgestellt, daß bei Berichtigungen zuungunsten der Steuerpflichtigen die Behörde alle in Betracht kommenden Berichtigungsmöglichkeiten gleichzeitig auf ihre Anwendbarkeit sorgfältig zu prüfen hat (BFH-Entscheidung III 95/59 U vom 22. Juli 1960, BFH 71, 741, BStBl III 1960, 524, 526).
Dies muß in gleicher Weise auch gelten, wenn ein Steuerpflichtiger eine Berichtigung zu seinen Gunsten beantragt, unbeschadet des Grundsatzes, daß eine Berichtigung nicht als Ersatz für ein unterlassenes Rechtsmittelverfahren dienen kann. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob eine Berichtigung des Steuerbescheids unmittelbar möglich ist oder erst durch Handlungen der Behörden die Voraussetzungen dafür geschaffen werden müssen, z. B. durch eine Betriebsprüfung für eine Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Nr. 2 AO.
3. Im Streitfall hat der Steuerpflichtige Berichtigung begehrt mit der Behauptung, der Umsatzsteuerbescheid 1961 sei unrichtig. Bei dem von ihm vorgetragenen Sachverhalt ist dieser Auffassung zuzustimmen. Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 UStDB wird eine sonstige Leistung im Inland ausgeführt, wenn der Unternehmer ausschließlich oder zum wesentlichen Teil im Inland tätig wird. Gegenstand der Leistung ist im Streitfall die Planung und Bauleitung eines Gebäudes im Freihafen gewesen. Nach den Feststellungen des FG hat 1960 die Planung und 1961 der Bau selbst begonnen; er ist im Mai 1962 übergeben worden. Bis Juni 1962 hat der Steuerpflichtige ein Baubüro im Freihafen unterhalten. Bereits aus diesen Feststellungen läßt sich entnehmen, daß der Steuerpflichtige überwiegend im Ausland tätig geworden ist. Diese Schlußfolgerung wird bekräftigt, wenn man von dem nach der Gebührenordnung für Architekten ermittelten Wert der Gesamtleistung des Steuerpflichtigen ausgeht, wie er sich aus dem der finanzgerichtlichen Entscheidung offensichtlich zugrunde liegenden Inhalt der Akten darstellt. Wählt man diese Bezugsgröße als Ausgangspunkt, so ergibt sich gleichfalls, daß der Steuerpflichtige überwiegend im Ausland (Freihafen) tätig geworden ist. Darüber hat auch zwischen dem FA und dem Steuerpflichtigen Übereinstimmung bestanden. Unter diesen Umständen fehlt es für einen Teil der versteuerten Umsätze des Jahres 1961 an einer steuerbaren Leistung des Steuerpflichtigen.
4. Das FA hätte deshalb bei der Entscheidung über den Berichtigungsantrag des Steuerpflichtigen erwägen müssen, ob die Anordnung einer Betriebsprüfung geboten gewesen wäre, um die Grundlage für eine Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Nr. 2 AO zu schaffen. Hierzu hätte besonderer Anlaß bestanden, weil das FA im Zusammenhang mit einem Schriftwechsel kurz vor dem Antrag des Steuerpflichtigen auf Berichtigung seines Steuerbescheids nach § 4 Abs. 2 StAnpG in einem Schreiben an den Steuerpflichtigen vom 30. August 1963 anerkannt hatte, daß er den wesentlichen Teil seiner Leistungen im umsatzsteuerlichen Ausland ausgeführt habe und somit ein nicht steuerbarer Umsatz für das Gesamtentgelt vorliege. Das FA wies den Steuerpflichtigen in diesem Schreiben sogar darauf hin, es obliege ihm (dem Steuerpflichtigen), bei einer künftigen Betriebsprüfung die Ausführung seiner Leistungen im Freihafen glaubhaft zu machen.
Das FA wird bei der ihm obliegenden Ermessensentscheidung über die Anordnung einer Betriebsprüfung zu beachten haben, daß der Steueranspruch noch nicht verjährt ist, obwohl die 5jährige Frist (§ 144 Abs. 1 AO, Steuerfestsetzung am 23. November 1962) am 31. Dezember 1967 abgelaufen war. Nach dem BFH-Urteil V z 72/55 U vom 31. Oktober 1957 (BFH 65, 576, BStBl III 1957, 454) tritt die Verjährung nicht ein, solange ein Rechtsmittelverfahren über den Steueranspruch geführt wird. Der BFH schloß mit diesem Urteil eine Lücke in den bis zum 31. Dezember 1965 geltenden Verjährungsvorschriften der AO. Zwar wird im vorliegenden Fall weder über den Steueranspruch selbst noch über einen Erstattungsanspruch gestritten. Der Steueranspruch ist durch einen unanfechtbaren Steuerbescheid festgesetzt. Der Erstattungsanspruch entsteht erst – sofern sich eine unrichtige Besteuerung durch die Betriebsprüfung herausstellen sollte – mit der Bekanntgabe des Berichtigungsbescheids. Das Rechtsbehelfsverfahren gegen die Ablehnung des Berichtigungsantrages ist aber für den Steuerpflichtigen eine notwendige Voraussetzung für ein Erstattungsbegehren. Es würde Treu und Glauben widersprechen, Erstattungen nur daran scheitern zu lassen, daß der durch die lange Dauer eines Rechtsmittelverfahrens über die Berichtigungsmöglichkeit eingetretene Ablauf der Verjährungsfrist die vor der Steuererstattung notwendige Berichtigungsveranlagung nicht mehr zuläßt.
5. Das FA wird vor einer erneuten Entscheidung über den Berichtigungsantrag prüfen müssen, ob es eine Betriebsprüfung für das Jahr 1961 anordnen oder – wenn es die Voraussetzungen für gegeben hält – eine Fehleraufdeckung nach § 222 Abs. 1 Nr. 4 AO anregen will. Es besteht zwar nach ständiger Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und BFH kein allgemeiner Rechtsanspruch auf Vornahme einer Betriebsprüfung, um neue Tatsachen aufzudecken, die eine niedrigere Veranlagung rechtfertigen. Das FA hat vielmehr allein nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob es die Betriebsprüfung vornehmen will (BFH-Urteil I 229/60 vom 2. Oktober 1963, HFR 1964, 90, StRK, Reichsabgabenordnung, § 222, Rechtsspruch 173). Wenn sich das FA nicht zur Anordnung einer Betriebsprüfung entschließen sollte, müßte es in der Begründung seiner Ermessensentscheidung ausführen, warum es trotz seines Hinweises auf eine künftige Betriebsprüfung in dem Schreiben an den Steuerpflichtigen vom 30. August 1963 von einer Betriebsprüfung absieht. Der BFH kann die Vorentscheidung nur aufheben und nicht selbst eine Betriebsprüfung anordnen, weil diese Ermessensentscheidung allein den Verwaltungsbehörden zusteht.
Fundstellen
BStBl II 1968, 756 |
BFHE 1968, 206 |