Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufrechnung im Gesamtvollstreckungsverfahren
Leitsatz (NV)
Im Gesamtvollstreckungsverfahren kann der Gläubiger auch dann aufrechnen, wenn im Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens die Forderung des Gemeinschuldners, gegen die er aufrechnet (Hauptforderung), erst aufschiebend bedingt entstanden ist.
Normenkette
AO 1977 §§ 47, 226 Abs. 1; BGB § 387; GesO § 7 Abs. 5; KO § 54 Abs. 1; InsO § 95 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Über das Vermögen der X-GmbH (Gemeinschuldnerin) wurde am … Mai 1996 ein Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet und der Kläger und Revisionskläger (Kläger) zum Verwalter bestellt. Dieser machte mit Umsatzsteuererklärung vom 15. Februar 1999 einen Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch für das Jahr 1996 in Höhe von 68 552,29 DM geltend, der sich aus der Uneinbringlichkeit von vor Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens vereinbarten Entgelten für umsatzsteuerpflichtige Leistungen der Gemeinschuldnerin ergab. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) folgte den Angaben in der Erklärung und erließ einen entsprechenden Umsatzsteuerbescheid 1996.
Das Guthaben verrechnete das FA mit rückständigen Lohnsteuer- und Umsatzsteuerschulden der Gemeinschuldnerin und teilte dies dem Kläger durch Umbuchungsmitteilung mit. Der Kläger widersprach der Umbuchung. Das FA erließ daraufhin einen Abrechnungsbescheid zur Umsatzsteuer 1996, in dem es an der vorgenommenen Verrechnung festhielt. Der hiergegen erhobene Einspruch sowie die Klage hatten keinen Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 819 veröffentlicht.
Mit der Revision macht der Kläger die Verletzung von Bundesrecht geltend. Er trägt im Wesentlichen vor, die Aufrechnung des FA gegen den Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch sei gemäß § 7 Abs. 5 der Gesamtvollstreckungsordnung (GesO) nicht zulässig. Zum Zeitpunkt der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens habe eine Aufrechnungslage nicht bestanden. Einerseits sei ein Teil der Gegenforderung, nämlich die Umsatzsteueransprüche des FA für das Jahr 1994 sowie für Dezember 1995, erst nach Verfahrenseröffnung fällig geworden. Andererseits fehle es an einer erfüllbaren Hauptforderung. Der Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch der Gemeinschuldnerin stelle schon keine aufschiebend bedingte Forderung dar. Nach dem zivilrechtlichen Verständnis habe der Erwerber einer aufschiebend bedingten Forderung gleichzeitig ein Anwartschaftsrecht inne, das bei Wegfall der Bedingung zum Vollrecht erstarke. Eine Anwartschaft sei jedoch bei einem Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch im Zeitpunkt der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens nicht zu erkennen, wenn dieser erst im Laufe des Verfahrens durch die Korrektur der Umsatzsteuer entstehe. Selbst wenn von einer erfüllbaren Hauptforderung ausgegangen werden sollte, könne die Aufrechnungserklärung während des Gesamtvollstreckungsverfahrens nicht mehr wirksam abgegeben werden. Entgegen der Auffassung des FG könne § 54 der Konkursordnung (KO) nicht analog angewendet werden. Dem finanzgerichtlichen Urteil fehle es an einer Begründung, warum eine planwidrige Regelungslücke im Streitfall bestehe. Allein die Annahme des FG, der Gesetzgeber habe die Lückenhaftigkeit der GesO in Kauf genommen, reiche jedenfalls nicht aus. Vielmehr sei die Regelung des § 7 Abs. 5 GesO eindeutig, deren wortgetreue Anwendung zu keinem sinnwidrigen Ergebnis führe. Eine Auslegung gegen den Wortlaut des § 7 Abs. 5 GesO sei daher nicht denkbar, zumal das FG nicht einmal den Sinn der GesO ermittelt habe.
Selbst bei Annahme einer planwidrigen Regelungslücke ließe sich eine solche nicht durch eine entsprechende Anwendung des § 54 KO schließen. Der Abbau der in § 54 KO enthaltenen Vorzugsstellung gegenüber außerhalb des Konkurses nicht zur Aufrechnung Befugten sei gerade ein Ziel der Insolvenzreform gewesen. Schließlich halte eine analoge Anwendung des § 95 der Insolvenzordnung (InsO) rechtsdogmatischen Bedenken nicht stand.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und den Abrechnungsbescheid vom 28. Januar 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. Juli 2000 dahin zu ändern, dass ein Erstattungsbetrag in Höhe von 68 552,29 DM besteht.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen des FG an und führt ergänzend aus: Eine analoge Anwendung des § 54 KO auf die Vorschrift des § 7 Abs. 5 GesO stehe nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 11. Dezember 1997 IX ZR 341/95 (BGHZ 137, 267), in der eine entsprechende Anwendung der besagten konkursrechtlichen Regelung abgelehnt worden sei. Der Streitfall stelle sich anders dar, weil die Gegenforderung des FA im Zeitpunkt der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens wirksam und fällig, lediglich die von dem Kläger geltend gemachte Hauptforderung aufschiebend bedingt gewesen sei.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht erkannt, dass der angefochtene Abrechnungsbescheid des FA rechtmäßig ist (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
1. Der von dem Kläger als Verwalter über das Vermögen der Gemeinschuldnerin geltend gemachte Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch ist nach § 47 der Abgabenordnung (AO 1977) erloschen, da das FA gegen diesen wirksam aufgerechnet hat (§ 226 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--). Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) stand der Gemeinschuldnerin ein Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch für 1996 in Höhe von 68 552,29 DM zu, dem mindestens in gleicher Höhe fällige Lohnsteuer- und Umsatzsteuerforderungen des FA gegenüber standen. Ebenfalls festgestellt --und von den Beteiligten nicht bestritten-- ist, dass bei der Aufrechnung des FA während des Gesamtvollstreckungsverfahrens die allgemeinen Voraussetzungen der Aufrechnung (§ 226 AO 1977, §§ 387 ff. BGB) vorgelegen haben.
2. Die Aufrechnung ist entgegen der Auffassung der Revision nicht wegen § 7 Abs. 5 GesO unzulässig.
a) Nach dieser Vorschrift kann eine Aufrechnungserklärung eines Gläubigers auch noch im Verfahren der Gesamtvollstreckung abgegeben werden, wenn er zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung zur Aufrechnung berechtigt war, eine Aufrechnungslage im Eröffnungszeitpunkt also bereits bestanden hat. Davon ist nach § 387 BGB auszugehen, wenn sich eine voll wirksame und fällige Gegenforderung des Gläubigers und eine erfüllbare gleichartige Hauptforderung des Gemeinschuldners bei Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens gegenüber gestanden haben.
aa) Nach dem Urteil des FG sind die Lohnsteuer- und Umsatzsteuerforderungen, mit denen das FA die Aufrechnung erklärt hat, bereits vor Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens fällig geworden. Soweit der Kläger erstmals in seiner Revisionsbegründung vorträgt, die Steuerschulden seien zum Teil nach Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens fällig geworden (Umsatzsteuer für 1994 und Dezember 1995), kann dieses Vorbringen im Revisionsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden. Im Übrigen sind die Ausführungen des Klägers insoweit nicht nachvollziehbar, da in dem von ihm in diesem Zusammenhang erwähnten Kontoauszug des FA vom 14. Oktober 2000 --der Aufschluss über die Fälligkeit der einzelnen Steueransprüche des FA geben soll-- Angaben zur Umsatzsteuerschuld der Gemeinschuldnerin für 1994 und für Dezember 1995 nicht enthalten sind.
bb) Dieser Forderung des FA stand allerdings zum Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens keine erfüllbare Hauptforderung der Gemeinschuldnerin gegenüber. Der Erstattungsanspruch ist steuerrechtlich erst während des Gesamtvollstreckungsverfahrens dadurch erfüllbar geworden, dass umsatzsteuerpflichtige Forderungen der Gemeinschuldnerin nach Verfahrenseröffnung uneinbringlich geworden sind und der Steuerbetrag zu diesem Zeitpunkt entsprechend berichtigt worden ist (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes --UStG--).
Der Rechtsgrund des Erstattungsanspruchs ist aber bereits in der Zeit vor Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens gelegt worden, nämlich durch die Besteuerung der für die Leistungen vereinbarten Entgelte. Bereits dadurch hat die Gemeinschuldnerin einen aufschiebend bedingten Erstattungsanspruch erlangt, der im praktischen Ergebnis --nicht steuertechnisch-- auf eine Korrektur der ursprünglichen Umsatzsteuerschuld abzielt. Der erkennende Senat hält an dieser Rechtsauffassung, die bereits in dem Senatsurteil vom 4. August 1987 VII R 11/84 (BFH/NV 1987, 707, m.w.N.) vertreten wurde, fest (ähnliches Verständnis hinsichtlich der "Korrektur" der ursprünglichen Umsatzsteuerschuld: Senatsurteil vom 9. April 2002 VII R 108/00, BFHE 198, 294, BStBl II 2002, 562, im Falle der Rückgängigmachung einer steuerpflichtigen Leistung nach § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG).
Damit setzt sich der Senat nicht --wie die Revision meint-- in Widerspruch zu der Entscheidung des V. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. November 1986 V R 59/79 (BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226). In diesem Urteil hatte sich der V. Senat des BFH mit der Frage zu befassen, ob ein Vorsteuer-Rückforderungsanspruch des FA nach § 17 Abs. 2 Satz 1 UStG 1973 (entspricht nunmehr § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG) als Konkursforderung i.S. des § 3 Abs. 1 KO zu qualifizieren ist. Der V. Senat des BFH führte in diesem Zusammenhang aus, dass der Tatbestand, aus dem sich der Vorsteuer-Rückforderungsanspruch ergebe, nicht bereits mit dem Abzug der Vorsteuer durch den späteren Gemeinschuldner, sondern erst mit der Uneinbringlichkeit der dem Vorsteuerabzug zu Grunde liegenden Entgelte verwirklicht sei. Durch § 17 Abs. 2 UStG 1973 werde nicht lediglich die ursprüngliche Steuerberechnung berichtigt. Gleichwohl führt der hier aufgestellte Rechtssatz, dass in Fällen der Uneinbringlichkeit von Forderungen i.S. von § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG im Laufe eines Gesamtvollstreckungsverfahrens der Rechtsgrund des Erstattungsanspruchs bereits in der Zeit vor Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens gelegt wurde, wenn die für die Leistungen vereinbarten Entgelte vor diesem Zeitpunkt besteuert wurden, nicht zu einer Divergenz, weil die Rechtsauffassung des V. Senats des BFH in jenem Fall (in BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226) insoweit nicht entscheidungserheblich war (vgl. dazu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 11 Rz. 11, m.w.N.). Tragend für die Entscheidung des V. Senats des BFH, den Vorsteuer-Rückforderungsanspruch des FA als Konkursforderung zu behandeln, war vielmehr dessen Rechtsauffassung, dass im Zeitpunkt der Konkurseröffnung sämtliche Forderungen gegen den Gemeinschuldner uneinbringlich geworden seien, mithin zu diesem Zeitpunkt § 17 Abs. 2 Satz 1 UStG 1973 voll verwirklicht worden sei. Auf die Frage, ob schon vorher durch die Besteuerung der umsatzsteuerpflichtigen Leistungen, die an den Gemeinschuldner vor Konkurseröffnung erbracht wurden, ein Anspruch nach § 3 Abs. 1 KO begründet wurde, kam es letztlich in der Entscheidung in BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226 nicht an.
b) § 7 Abs. 5 GesO verlangt indes, dass bei Verfahrenseröffnung bereits die Aufrechnungslage besteht. Demnach wäre die Aufrechnung des FA nicht zulässig, da im Zeitpunkt der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens die Hauptforderung, wie ausgeführt, aufschiebend bedingt gewesen ist, mithin eine Aufrechnungslage (noch) nicht bestanden hat.
Gleichwohl ist die Aufrechnung des FA für zulässig zu erachten. Denn über den Wortlaut des § 7 Abs. 5 GesO hinaus ist eine Aufrechnung gegen eine im Zeitpunkt der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens (noch) aufschiebend bedingte Forderung während des besagten Verfahrens zulässig, sofern die Gegenforderung im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung voll wirksam und fällig ist. Für eine derartige Fallkonstellation weist § 7 Abs. 5 GesO eine planwidrige Regelungslücke auf, die durch eine --eingeschränkte-- entsprechende Anwendung des Regelungsgehalts des § 54 Abs. 1 KO, wonach die Aufrechnung nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens die aufzurechnenden Forderungen (oder eine von ihnen) noch betagt oder noch bedingt waren (bzw. war), geschlossen werden kann.
aa) Die GesO enthält keine vollständige Regelung aller insolvenzrechtlichen Fragen und beansprucht das auch nicht (vgl. Lübchen/Landfermann in Zeitschrift für Wirtschaftsrecht --ZIP-- 1990, 829, 830). Sie wurde für die neuen Bundesländer 1990 vor dem Hintergrund geschaffen, dass die in der Bundesrepublik geltende KO als reformbedürftig empfunden wurde und ihre Ersetzung durch eine neue InsO geplant war. Die als überholt angesehene KO sollte daher in den neuen Bundesländern nicht mehr in Kraft treten (vgl. amtliche Begründung der Bundesregierung zum Entwurf einer Insolvenzordnung --E-InsO--, BTDrucks 12/2443, 104 f.).
Die vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommene Lückenhaftigkeit der GesO zwingt allerdings dazu, bei der Entscheidung von Einzelfragen auf die detaillierten Bestimmungen der KO zurückzugreifen, jedoch mit der Maßgabe, dass deren schon seinerzeit als reformbedürftig empfundene Vorschriften nicht herangezogen werden können. Stattdessen kann in derartigen Fragen bereits die InsO mitberücksichtigt werden, insbesondere soweit deren Regelungen bereits in den im Jahre 1990, dem Zeitpunkt der Verabschiedung der GesO, vorliegenden Referentenentwurf zur InsO enthalten waren. Die Berücksichtigung solcher Bestimmungen ist schon deswegen zuzulassen, weil in der GesO auch sonst Gedanken der Insolvenzrechtsreform bewusst vorweggenommen wurden (amtliche Begründung der Bundesregierung zum E-InsO, a.a.O., S. 105).
Entsprechende Erwägungen finden sich bereits in der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte und in Teilen der Literatur, insbesondere in der ständigen Rechtsprechung des BGH, der sich der erkennende Senat anschließt (vgl. BGH-Urteile vom 27. Februar 1997 IX ZR 79/96, BGHZ 135, 39, ZIP 1997, 649, und in BGHZ 137, 267, jeweils m.w.N.; Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm vom 26. Mai 1994 21 U 176/92, ZIP 1994, 1198; vgl. auch Landfermann in Festschrift für Franz Merz S. 367, 384 f., Eckardt in ZIP 1995, 1146, 1148, m.w.N. aus dem Schrifttum).
Aus der grundsätzlichen Lückenhaftigkeit der GesO folgt zwar nicht zwingend die Ergänzungsbedürftigkeit jeder einzelnen Vorschrift. Vielmehr muss im Einzelfall festgestellt werden, ob die anzuwendende Bestimmung der GesO eine planwidrige Regelungslücke aufweist, die durch einen Analogieschluss beseitigt werden kann (so auch BFH-Urteil vom 8. Oktober 1997 XI R 25/97, BFHE 184, 208, BStBl II 1998, 69, zu § 17 Abs. 3 Nr. 3 GesO; vgl. auch Smid, Gesamtvollstreckungsordnung, Kommentar, 3. Aufl., Einleitung Rz. 48).
bb) Der Auffassung der Revision, dass es § 7 Abs. 5 GesO schon an einer planwidrigen Regelungslücke mangele und schon aus diesem Grund § 54 Abs. 1 KO nicht analog anzuwenden sei, ist nicht beizutreten.
Von einer Regelungslücke könnte dann nicht ausgegangen werden, wenn § 7 Abs. 5 GesO eine für alle Fallvarianten abschließende Regelung enthielte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die gesetzliche Formulierung des § 7 Abs. 5 GesO ist nicht notwendig als bestimmte und abschließende Festsetzung der Aufrechnungsvoraussetzungen in dem Sinne zu verstehen, dass eben nur bei vorkonkurslich bestehender Aufrechnungslage aufgerechnet werden könne (so aber Hess/Binz/Wienberg, Gesamtvollstreckungsordnung, Kommentar, 3. Aufl., § 7 Rn. 90). Nachdem die GesO von der Intention des Gesetzgebers her nur ein fragmentarisches, in vielen Punkten zu ergänzendes Gesetzeswerk darstellt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Aufrechnungsproblematik, die sowohl in der KO als auch in der InsO detaillierte Regelungen gefunden hat, in nur einem Absatz einer Vorschrift eine abschließende Regelung hat erfahren sollen. Der Normzweck des § 7 Abs. 5 GesO gebietet es vielmehr, die Vorschrift in bestimmten Fallkonstellationen über ihren Wortlaut hinaus erweiternd auszulegen und die Aufrechnung eines Gläubigers während eines Gesamtvollstreckungsverfahrens zuzulassen, obwohl im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung nicht sämtliche Voraussetzungen der §§ 387 ff. BGB erfüllt waren.
Mit § 7 Abs. 5 GesO soll primär das Ziel verfolgt werden, das berechtigte Vertrauen eines Gläubigers auf die vor Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens erworbene Aufrechnungsbefugnis zu schützen (vgl. Smid, a.a.O., § 7 Rz. 94; Eckardt in ZIP 1995, 1146, 1149). Führt nun eine wortgetreue Anwendung des § 7 Abs. 5 GesO dazu, dass der Gläubiger eine Aufrechnung nach Eröffnung des Verfahrens nicht mehr wirksam erklären kann und wird er dadurch in seinem berechtigten und deshalb schützenswerten Vertrauen enttäuscht, widerspricht eine solche Auslegung dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift; insoweit liegt nach Überzeugung des Senats eine planwidrige Regelungslücke vor. Eine solche ist folglich zumindest in den Fällen anzunehmen, in denen --so wie auch im Streitfall-- im Zeitpunkt der Eröffnung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens einer voll wirksamen und fälligen Gegenforderung eine lediglich aufschiebend bedingte Hauptforderung gegenüber steht, welche erst im Laufe des besagten Verfahrens unbedingt wird. Dann sind die Voraussetzungen, die zu einer Aufrechnung nach § 387 BGB berechtigen, bereits so weit erfüllt, dass der Gläubiger darauf vertrauen durfte, die Aufrechnung auch noch nach Verfahrenseröffnung wirksam erklären zu können. Dieses Vertrauen ist im Vergleich zu dem Vertrauen eines Gläubigers auf eine vor Verfahrenseröffnung erworbene Aufrechnungslage als gleichrangig einzustufen und deshalb in gleicher Weise schützenswert (vgl. Eckardt in ZIP 1995, 1146, 1149, der in diesem Zusammenhang von einer erworbenen "Anwartschaft" spricht). Es wäre nicht einsehbar, wenn in einem solchen Fall der Gläubiger voll leisten müsste, jedoch bezüglich seiner Forderung gegen den Gemeinschuldner auf die Quote angewiesen wäre. Vielmehr muss er darin geschützt werden, dass er hinsichtlich seiner fälligen Forderungen die Möglichkeit der Aufrechnung gegen künftige, jedoch bereits im Kern bestehende Forderungen des Gemeinschuldners behält (so auch Urteil des OLG Stuttgart vom 26. Juli 2000 20 U 18/00, Der Betrieb --DB-- 2000, 2009).
cc) Die insoweit bestehende planwidrige Regelungslücke in § 7 Abs. 5 GesO kann durch eine analoge Anwendung des § 54 Abs. 1 KO geschlossen werden.
Der BGH hat zwar die entsprechende Heranziehung von § 54 KO im Gesamtvollstreckungsverfahren mit der Begründung abgelehnt, dass diese Vorschrift in Abweichung von § 387 BGB eine erweiterte Zulassung der Aufrechnungsmöglichkeiten im Konkurs enthalte, durch die in systemwidrigem Widerstreit zum Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Konkursgläubiger Gläubiger bevorzugt würden, die außerhalb des Konkurses nicht zur Aufrechnung befugt seien. Die Vorschrift sei daher bei Verabschiedung der GesO reformbedürftig gewesen und im Gesamtvollstreckungsverfahren nicht übernahmefähig (s. BGH-Urteile in BGHZ 137, 267, unter II. 3., m.w.N. aus der Zivilrechtsprechung und der Literatur, und vom 14. Januar 1999 IX ZR 208/97, BGHZ 140, 270, unter 2. c aa; ihm folgend: Beschluss des FG des Landes Brandenburg vom 6. März 2003 5 V 131/03, EFG 2003, 752). Dem widerspricht jedoch die Rechtsauffassung des Senats nicht, da die oben zitierten Entscheidungen des BGH Sachverhalte betrafen, bei denen mit einer zum Zeitpunkt der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens noch nicht fälligen Gegenforderung des Gläubigers aufgerechnet werden sollte, währenddessen die Hauptforderung des Gemeinschuldners zu diesem Zeitpunkt bereits fällig war. Lediglich insoweit sah der BGH § 54 KO als reformbedürftig an.
Der Streitfall gestaltet sich aber anders. Hier steht im Zeitpunkt der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens einer voll wirksamen und fälligen Gegenforderung des FA eine aufschiebend bedingte Hauptforderung der Gemeinschuldnerin gegenüber. Für diesen Fall war § 54 Abs. 1 KO nicht als reformbedürftig und deshalb als analogiefähig anzusehen. Die vom BGH insbesondere in der Entscheidung in BGHZ 137, 267 insoweit geäußerten Bedenken greifen nicht Platz. Eine übermäßige, nicht hinnehmbare Bevorzugung des aufrechnenden Gläubigers zum Nachteil der übrigen ist weder von der Revision überzeugend dargelegt worden noch für den Senat erkennbar. Vielmehr wird dem Normzweck des § 7 Abs. 5 GesO gerade dadurch entsprochen, dass mit Hilfe einer sinngemäßen Heranziehung des § 54 Abs. 1 KO die Aufrechnung gegen eine im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung aufschiebend bedingte Hauptforderung zugelassen wird, soweit die Gegenforderung zu diesem Zeitpunkt bereits fällig ist (s.o. II. 2. b bb).
dd) Auch die Entstehungsgeschichte des § 95 Abs. 1 InsO und dessen Regelungsinhalt zeigen, dass § 54 KO in Fallgestaltungen, die dem Streitfall entsprechen, als nicht reformbedürftig zu werten war und deshalb insoweit bei der Auslegung des § 7 Abs. 5 GesO entsprechend herangezogen werden kann. Auf der einen Seite wurden im Zuge der Reform des Insolvenzrechts die Aufrechnungsmöglichkeiten, die einem Gläubiger durch § 54 KO eingeräumt worden waren, als zu weitgehend empfunden. Daher sollte der Regelungsinhalt des § 54 KO nicht im vollen Umfang in eine neue InsO übernommen werden. In den Gesetzesmaterialien zu § 107 E-InsO (entspricht dem späteren § 95 InsO) heißt es dazu: "Diese Regelung (gemeint ist § 54 KO) verstärkt in systemwidriger Weise die Rechtsstellung bestimmter Gläubiger zum Nachteil der übrigen. … Der Abbau derartiger Vorzugsstellungen ist ein Ziel der Reform" (BTDrucks 12/2443, 140 f.). Auf der anderen Seite sollte mit einer neu gestalteten, entsprechenden Regelung in der InsO auch weiterhin gewährleistet werden, dass der Gläubiger, der vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens darauf vertrauen durfte, dass die Durchsetzung seiner Forderung mit Rücksicht auf das Entstehen einer Aufrechnungslage keine Schwierigkeiten bereiten werde, in dieser Erwartung auch nicht im Insolvenzverfahren enttäuscht werde (BTDrucks 12/2443, 141). Daraus folgt, dass dem Gläubiger ein Aufrechnungsrecht auch noch während des Insolvenzverfahrens eingeräumt werden sollte, solange er --so wie im Streitfall-- darauf ein berechtigtes Vertrauen erworben hat. Vor diesem Hintergrund geht § 95 Abs. 1 InsO einen Mittelweg und gestattet nach Satz 1 die Aufrechnung gegen im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht fällige und aufschiebend bedingte Forderungen des Gemeinschuldners, wenn die Aufrechnungslage im Laufe dieses Verfahrens eintritt. § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO schließt die Aufrechnung lediglich aus, wenn die Hauptforderung des Gemeinschuldners vor der Gegenforderung des Insolvenzgläubigers aufrechenbar wird.
Die Aufrechnung des FA wäre folglich nach § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO zulässig. § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO stünde einer wirksamen Aufrechnung nicht entgegen, da die Gegenforderung des FA vor der Hauptforderung der Gemeinschuldnerin fällig geworden ist. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO kann ein Gläubiger gegen eine im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung aufschiebend bedingte Hauptforderung die Aufrechnung erklären, solange § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO nicht eingreift. Unerheblich ist dabei, aus welchen Gründen die Hauptforderung aufschiebend bedingt ist, so dass auch gegen einen im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufschiebend bedingten Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch im Laufe des besagten Verfahrens aufgerechnet werden könnte (vgl. Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 2001, § 95 Rz. 25 f.).
Wird also sowohl durch § 54 Abs. 1 KO als auch durch § 95 Abs. 1 InsO die Aufrechnung zugelassen, wenn im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung einer fälligen Gegenforderung eine aufschiebend bedingte Hauptforderung gegenüber steht, die erst im Laufe des Konkurs- bzw. Insolvenzverfahrens unbedingt wird, so ist für den Senat nicht nachvollziehbar, weshalb einem Gläubiger in einem entsprechenden Gesamtvollstreckungsverfahren die Aufrechnungsmöglichkeit versagt werden sollte. Vielmehr ist in einem solchen Fall im Hinblick auf das berechtigte Vertrauen des Gläubigers, seine Forderung noch im Laufe des Gesamtvollstreckungsverfahrens im Wege einer Aufrechnung durchsetzen zu können, diese auch im Rahmen des § 7 Abs. 5 GesO zuzulassen (so auch OLG Stuttgart in DB 2000, 2009; Eckardt in ZIP 1995, 1146, 1150; Huismanns in Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht 2001, 725).
c) Bezogen auf den Streitfall hat das FG zutreffend die Aufrechnung des FA für wirksam erachtet. Vor Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens hatte das FA voll wirksame, fällige Lohnsteuer- und Umsatzsteueransprüche gegen die Gemeinschuldnerin. Dieser Gegenforderung stand im Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens ein aufschiebend bedingter Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch der Gesamtschuldnerin gegenüber. Dieser Erstattungsanspruch wurde durch die von dem Kläger vorgenommen Berichtigungen der Umsatzsteuer-Voranmeldungen im Laufe des Verfahrens unbedingt. Über den Wortlaut des § 7 Abs. 5 GesO hinaus konnte daher das FA aufgrund einer entsprechenden Heranziehung des § 54 Abs. 1 KO die Aufrechnungserklärung im Laufe des Verfahrens wirksam gegenüber dem Kläger abgeben, mit der Folge, dass der Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch der Gemeinschuldnerin dadurch erloschen ist (§ 47 AO 1977).
Fundstellen
Haufe-Index 1252339 |
DStRE 2005, 58 |