Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Der Vermögenszuwachsrechnung (auch "Gesamt- Vermögensvergleich" oder "unbeschränkter Vermögensvergleich" genannt) liegt der Gedanke einer die betriebliche und private Sphäre umfassenden Gegenüberstellung der tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben zugrunde.
Eine Einkommensteuerschuld kann bei der Vermögenszuwachsrechnung nicht berücksichtigt werden.
Normenkette
EStG § 12/3; AO § 217
Tatbestand
Der im Jahre 1964 während des Revisionsverfahrens verstorbene ursprüngliche Revisionskläger (Steuerpflichtiger - Stpfl. -) war Steuerbevollmächtigter. Das Revisionsverfahren wurde von seiner Witwe fortgeführt. Nachdem festgestellt worden war, daß keine für die ordnungsmäßige überprüfung der Umsatz- und Gewinnermittlung geeigneten Unterlagen vorgelegt werden konnten, schätzte das Finanzamt (FA) die Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 1952 bis 1956 nach § 217 AO, indem es eine Vermögenszuwachsrechnung vornahm.
Bei Ermittlung des Endvermögens vom 31. Dezember 1956 zogen das FA und der Steuerausschuß einen Schuldposten von 5.479 DM nicht ab, weil es sich um persönliche Steuerschulden handele. Das Finanzgericht (FG) schloß sich dieser Ansicht an.
Mit der Revision erstrebt die Revisionsklägerin den Ansatz der Steuerschulden beim Endvermögen der Vermögenszuwachsrechnung. Sie meint, bei der Ermittlung des Vermögens müßten die Bestimmungen des BewG und des VStG, nicht dagegen die des EStG Anwendung finden. Die vorliegende Streitfrage beantworte sich daher nach § 53 a BewDV und Abschnitt 98 VStR - 1963 - VStR 1953 Abschnitt 90, persönliche Steuerschulden -. Die Abzugsfähigkeit der Steuerschulden sei in diesen Bestimmungen ausdrücklich festgelegt. Erst der (nach diesen Vorschriften festgestellte) Vermögenszuwachs sei Gegenstand der Einkommensbesteuerung. Für die Richtigkeit ihrer Ansicht spreche auch folgende überlegung. Bei Tilgung der Steuerschulden in dem von der Vermögenszuwachsrechnung erfaßten Zeitraum wäre dem Stpfl. nichts anderes übriggeblieben, als andere Aufwendungen zu kürzen oder entsprechende Beträge an anderer Stelle schuldig zu bleiben. Die hierdurch entstehenden Verpflichtungen hätten beim Endvermögen berücksichtigt werden müssen.
Entscheidungsgründe
Die Rbn. waren nach Inkrafttreten der FGO am 1. Januar 1966 als Revisionen zu behandeln. Sie sind unbegründet.
Das FG hat im Ergebnis zu Recht die Steuerschulden nicht berücksichtigt. Das läßt sich zwar nicht damit begründen, daß die Einkommensteuer ein Teil des zu versteuernden Einkommens sei, weil dieses ja erst durch die Vermögenszuwachsrechnung ermittelt werden soll. Es ergibt sich aber aus dem Wesen der Schätzung von Einkünften mittels einer Vermögenszuwachsrechnung.
Die Vermögenszuwachsrechnung ist ein Hilfsmittel zur überprüfung einer formell ordnungsmäßigen Buchführung. Sie rechtfertigt unter bestimmten Umständen die Annahme, ein ungeklärter überschuß der Vermögensbildung und des Verbrauchs über die hierfür nach den Feststellungen zur Verfügung stehenden Mittel hinaus stamme aus verschwiegenen steuerpflichtigen Einkünften (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH -, vgl. z. B. das Urteil IV 359/58 vom 10. November 1961, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 217, Rechtsspruch 45). Die gleiche Schlußfolgerung kann gezogen werden, wenn die Schätzung aus einem anderen Grund (z. B. nichtordnungsmäßige Buchführung) geboten ist und eine Vermögenszuwachsrechnung erstellt wird, um einen Anhalt für die Höhe der Schätzung zu finden.
Ein überschuß von Vermögensbildung und Verbrauch über die hierfür nach den Feststellungen zur Verfügung stehenden Mittel liegt sofort erkennbar vor, wenn in einem bestimmten Zeitraum die Ausgaben eines Steuerpflichtigen seine Einnahmen übersteigen und die Mittel für die übersteigenden Ausgaben nicht aus Verkäufen, Schenkungen, Schuldaufnahmen und dergleichen stammen. Auf diesem Grundgedanken beruht die Vermögenszuwachsrechnung. Er kommt klar zum Ausdruck, wenn sich die Prüfung auf Einnahme- und Ausgabevorgänge beschränken kann, etwa weil es an einer Vermögensbildung fehlt oder die mit ihr zusammenhängenden Ausgaben sowie ihre Finanzierung leicht überschaubar sind. Diese klar überschaubaren Verhältnisse wird jedoch ein Betriebsprüfer häufig nicht vorfinden. Die für den Verbrauch ausgegebenen Beträge wird er sogar in der Regel schätzen müssen (z. B. Lebenshaltungskosten). Die Vermögensbildung läßt sich oft nur über eine Bestandsaufnahme des Vermögens feststellen, weil die mit einer Vermögensbildung zusammenhängenden Ausgabe- und Einnahmevorgänge des Prüfungszeitraums sich nicht klar erkennen lassen. Dann muß als Teil der Gesamtrechnung das Endvermögen mit dem Anfangsvermögen verglichen werden. Aus diesem Vergleich läßt sich als Saldo der Vermögenszuwachs ermitteln. Dem Vermögenszuwachs müssen - sofern keine unentgeltlichen Erwerbsvorgänge vorliegen - Ausgaben gegenüberstehen, die zusammen mit den Ausgaben für den Verbrauch nur aus Einnahmen bestritten sein können. Diese in der Praxis häufig erforderliche Ermittlung des Vermögenszuwachses, die nur ein Teil der Gesamtrechnung ist, erklärt die Bezeichnung "Vermögenszuwachsrechnung", obwohl sie auf dem Grundgedanken des Vergleichs von Einnahmen und Ausgaben beruht.
Etwaige Zweifelsfragen, die sich beim Vermögensvergleich im Rahmen einer Vermögenszuwachsrechnung ergeben, müssen daher nach dem Grundgedanken der Vermögenszuwachsrechnung (Einnahme- Ausgaberechnung) gelöst werden. Zweifelsfragen können insbesondere bei der Behandlung von Forderungen und Schulden im Vermögensvergleich auftreten. Grundsätzlich sind Forderungen und Schulden beim Anfangs- wie beim Endvermögen des Vergleichszeitraums einzusetzen. Das gilt für das Anfangsvermögen ohne Ausnahme, denn Forderungen können im Vergleichszeitraum eingegangen, Schulden getilgt worden sein. Hierdurch ergeben sich für den Steuerpflichtigen Einnahmen bzw. Ausgaben. Beim Endvermögen sind alle Forderungen und Schulden anzusetzen, soweit sie bereits beim Anfangsvermögen angesetzt waren und noch bestehen. Diese Ansätze dienen zum Ausgleich der entsprechenden Ansätze beim Anfangsvermögen, die von den Zahlungsvorgängen des Vergleichszeitraums unberührt blieben und sich daher auf das Endergebnis der Vermögenszuwachsrechnung nicht auswirken dürfen. Weiter sind beim Endvermögen alle Forderungen und Schulden zu berücksichtigen, die im Zusammenhang mit einer Vermögensveräußerung bzw. mit einem Vermögenserwerb stehen, da in Höhe der Forderungen oder Schulden noch keine Zahlung (Einnahme oder Ausgabe) erfolgte. Dabei ist es unerheblich, ob man z. B. die Schulden direkt vom Wert des erworbenen Gegenstandes absetzt oder aber den Gegenstand mit dem Anschaffungspreis und die Schuld gesondert aufführt. Schließlich sind beim Endvermögen mit dem Verbrauch in Zusammenhang stehende Schulden zu berücksichtigen, da sie entweder die Herkunft der Mittel für den Verbrauch aufklären (Schuldaufnahmen bei Dritten) oder dem Verbrauch noch kein Zahlungsvorgang gegenübersteht (Käufe oder Inanspruchnahme von Dienstleistungen auf Kredit).
Nicht berücksichtigt werden können beim Endvermögen im Vergleichszeitraum entstandene Schulden, die weder mit der Vermögensbildung noch mit dem Verbrauch zusammenhängen. Ihre Berücksichtigung würde dem Grundgedanken der Vermögenszuwachsrechnung widersprechen, denn sie sind keine Korrektivposten zu den angesetzten Ausgaben oder dem Vermögenszuwachs, der eine Schlußfolgerung auf die Ausgaben des Vergleichszeitraums gestattet. Nicht berücksichtigt werden dürfen demnach bei den Schulden z. B. Haftpflicht- und Bürgschaftsverpflichtungen, gegebene Schenkungsversprechen und Personensteuerschulden. Zu den Personensteuerschulden gehören auch die Einkommensteuer- und Kirchensteuerschulden, deren Ansatz bei der Vermögenszuwachsrechnung im vorliegenden Fall begehrt wird.
Aus dem dargelegten Zweck der Vermögenszuwachsrechnung ergibt sich aber auch, daß die Einkommensteuerschulden nicht, wie der Stpfl. meint, wegen der bewertungsrechtlichen Vorschriften bei der Ermittlung des Vermögens im Rahmen einer Vermögenszuwachsrechnung angesetzt werden müssen. Die Wertermittlung nach dem BewG (Einheitsbewertung) soll die Grundlage für die sog. Stichtagssteuern bilden. Hierfür ist es erforderlich, den tatsächlichen Wert des zu besteuernden Vermögens für den Stichtag zu ermitteln. Es ist am Stichtag mit Einkommensteuerschulden belastet. Demgegenüber soll die Vermögenszuwachsrechnung eine Schlußfolgerung darüber ermöglichen, welche Einkünfte ein Steuerpflichtiger in einem bestimmten Zeitraum erzielte. Wie dargelegt, ist die Ermittlung des Anfangs- und Endvermögens hierfür ein Hilfsmittel. In das Endvermögen sind die Einkommensteuerschulden nicht aufzunehmen, weil sie nicht zur Finanzierung von Vermögensbildung oder Verbrauch im Vergleichszeitraum beigetragen haben können.
Auch die Tatsache, daß gezahlte Kirchensteuern zu den Sonderausgaben gehören, führt zu keiner anderen Entscheidung. Sonderausgaben sind als Kosten der Lebensführung in der Vermögenszuwachsrechnung zu erfassen und später bei der Veranlagung als Sonderausgaben nach § 10 EStG vom so ermittelten Gesamtbetrag der Einkünfte wieder abzuziehen (aber nur, wenn sie tatsächlich gezahlt wurden).
Fundstellen
Haufe-Index 412320 |
BStBl III 1967, 201 |
BFHE 87, 504 |