Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Einer Abänderung nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO unterliegen nicht nur Bescheide, mit denen erstmalig eine Steuer angefordert wird, sondern auch Bescheide, mit denen frühere Steuerbescheide berichtigt oder aufgehoben werden.
Ein Verhalten der Verwaltung, das einen Vertrauensschutz unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben fordert, kann nicht nur in einem nachhaltigen, d. h. sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Verhalten zu erblicken sein, sondern auch in jeder nachdrücklichen Willensäußerung der Verwaltung, die beim Steuerpflichtigen ein berechtigtes Vertrauen auf ein gleichbleibendes Verhalten der Verwaltung begründet.
Normenkette
AO § 94 Abs. 1 Nr. 1, §§ 212, 223
Tatbestand
I. -
Die Bgin. führte in den Jahren 1954 bis 1957 pharmazeutische Erzeugnisse ein. Die Eingangsabgaben für die einzelnen Sendungen wurden jeweils durch vorläufige Zollbescheide festgesetzt. Nach einer 1957 bei der Bgin. vorgenommenen Betriebsprüfung wurden mit Steuerbescheiden vom 6. und 13. Dezember 1957 Eingangsabgaben in Höhe von ... DM und ... DM nacherhoben. Im Verlauf der sich gegen diese Bescheide richtenden Einspruchsverfahren vertrat die zuständige Oberfinanzdirektion die Auffassung, daß Abgabenansprüche aus der Zeit vor dem 1. Januar 1956 verjährt seien. Als das Hauptzollamt dies der Bgin. mitgeteilt hatte, nahm diese ihre Einsprüche in vollem Umfange zurück. Daraufhin wurde mit änderungsbescheid vom 24. Mai 1960 der Steuerbescheid vom 13. Dezember 1957 dahin berichtigt, daß für Einfuhren vor dem 1. Januar 1956 Abgaben nicht mehr gefordert wurden und daher der nachgeforderte Betrag auf 22.371,85 DM herabgesetzt wurde. Später änderte die Oberfinanzdirektion unter Berufung auf die vom Bundesminister der Finanzen nicht beanstandete Auffassung einer anderen Oberfinanzdirektion, über deren Zollstellen die Bgin. ebenfalls pharmazeutische Erzeugnisse eingeführt hatte, ihre Ansicht, sah die vor dem 1. Januar 1956 entstandenen Abgabenforderungen nicht mehr als verjährt an und wies die Zollstelle an, das Weitere zu veranlassen. Diese änderte mit Berichtigungsbescheid vom 18. Oktober 1960 den änderungsbescheid vom 24. Mai 1960 dahin ab, daß nunmehr wiederum auch der sich auf Einfuhren in der Zeit vor dem 1. Januar 1956 beziehende Abgabenbetrag in Höhe von ... DM nachgefordert wurde.
Auf die Sprungberufung der Bgin. hob die Vorinstanz den Berichtigungsbescheid vom 18. Oktober 1960 auf. Sie hielt eine änderung des Bescheides vom 24. Mai 1960 nicht für zulässig und sah die erneute Nachforderung auch als gegen Treu und Glauben verstoßend an.
Der Vorsteher des Hauptzollamts begründet seine Rb. wie folgt: Der änderungsbescheid vom 24. Mai 1960 stelle selbst einen formlosen Steuerbescheid dar, der berichtigt werden könne. Die gegenteilige Auffassung der Vorinstanz sei zu eng und stehe zudem in Widerspruch mit dem Wortlaut des § 234 AO und zu der von Riewald, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Anm. 2 Abs. 3 zu § 212, vertretenen Auffassung. Die Vorinstanz habe offenbar diesem Bescheid das Wesen eines Steuerbescheides abgesprochen, es dem Bescheid vom 18. Oktober 1960 aber zuerkannt, da sie sonst nicht zur Entscheidung zuständig gewesen wäre. Die seinerzeit bei der Einführung des § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO gegebene Begründung treffe allerdings für Bescheide, die nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage erlassen seien, nicht zu, der Gesetzgeber habe aber keine Einschränkung gemacht und auch der Bundesfinanzhof habe Zoll- und Verbrauchsteuerbescheide stets als änderungsfähig angesehen. Die Rechtsprechung zu Treu und Glauben sei nicht einheitlich. Das Urteil des Bundesfinanzhofs II 260/58 U vom 19. Juli 1961 (BStBl 1961 III S. 438, Slg. Bd. 73 S. 471) habe einen dem Streitfall sehr nahekommenden Sachverhalt zum Gegenstand, doch sei es dort um eine Berichtigung nach § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO gegangen, wobei die Verwaltung stärker gebunden sei. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs III 326/58 U vom 26. Mai 1961 (BStBl 1961 III S. 380, Slg. Bd. 73 S. 312) könne der Grundsatz von Treu und Glauben nicht angewandt werden, wenn gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstoßen würde. Das Zollamt im anderen Oberfinanzdirektionsbezirk habe seinen Nachforderungsbescheid nicht geändert. Solange das nicht der Fall gewesen sei, habe die Bgin. nicht darauf vertrauen dürfen, daß der änderungsbescheid im Streitfalle zu Recht ergangen sei. Es liege auch nicht die Voraussetzung vor, daß die erneute Nachforderung zu einem vorangegangenen nachhaltigen Verhalten der Verwaltung in nicht vertretbarem Widerspruch stehe. Im übrigen sei eine Verjährung der nachgeforderten Abgaben nicht eingetreten, da nach § 225 AO der Anspruch des Steuergläubigers im Sinne der Verjährungsvorschriften erst dann als entstanden gelte, wenn die Ungewißheit, auf die sich die Vorläufigkeit des Zollbescheides gründe, beseitigt sei, und zwar sei darunter die objektive und subjektive Ungewißheit zu verstehen.
Der Bundesminister der Finanzen, der dem Verfahren beigetreten ist, macht folgendes geltend: Die Vorinstanz hätte sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob der Bescheid vom 24. Mai 1960, wenn er nicht nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO hätte geändert werden können, auf Grund des § 93 AO zu ändern gewesen sei. Die Vorinstanz habe überhaupt die Frage, was denn der Bescheid sei, wenn kein Steuerbescheid, nicht geprüft, sondern ihn offenbar allein seines Inhalts wegen für unabänderlich gehalten, ohne seinem Rechtscharakter Bedeutung beizumessen; § 212 AO, der die erstmalige Beanspruchung eines Betrages als Steuer zum Steuerbescheid erkläre, sei im Zusammenhang mit §§ 210, 211 AO zu lesen. Er schließe nicht aus, daß eine erstmalige Beanspruchung auch in einer nach zwischenzeitlicher Aufhebung oder Herabsetzung wiederhergestellten Steuerfestsetzung liegen könne. § 212 AO enthalte eine Definition dessen, was als Steuerbescheid gelte, aber keine Beschränkung der in § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO geschaffenen änderungsmöglichkeit. Wenn ein die Steuerfestsetzung herabsetzender änderungsbescheid nicht mehr zuungunsten des Steuerpflichtigen geändert werden könnte, müßte es in jedem Falle irrtümlicher Herabsetzung dabei bewenden, würde die Steuer also nicht in gesetzlicher Höhe erhoben werden können. Das könne nicht richtig sein. Noch weniger könne die Möglichkeit einer änderung unter dem Gesichtspunkt eines im Bescheid vom 24. Mai 1960 enthaltenen Verzichts verneint werden, da im Rahmen der Steuerfestsetzung auf Abgaben nicht verzichtet werden könne. Da der Bescheid vom 24. Mai 1960 als Steuerbescheid habe geändert werden können, sei der änderungsbescheid vom 18. Oktober 1960 auf seine sachliche Richtigkeit zu prüfen. Die Abgaben auf die Einfuhren in der Zeit vor dem 1. Januar 1956 seien nicht verjährt gewesen. Die Ungewißheit über die Bemessungsgrundlage sei erst durch die Feststellungsmitteilung des Zollamts X. vom 22. November 1957 beseitigt worden. Diese Mitteilung sei erst nach Auswertung des Berichts über die im Juli 1957 durchgeführte Betriebsprüfung möglich gewesen. Da die Abgaben gestundet gewesen seien bzw. nach Einlegung der Berufung die Vollziehung ausgesetzt worden sei, sei auch seither keine Verjährung eingetreten. In der Abgabennachforderung vom 18. Oktober 1960 liege kein Verstoß gegen Treu und Glauben. Keines der einschlägigen Urteile des Bundesfinanzhofs passe auf den im Streitfall zu beurteilenden Sachverhalt. Es handle sich nicht darum, daß der Steuerpflichtige sich auf bestimmte Vorentscheidungen, deren Bestand oder deren Wegfall für die spätere Steuerfestsetzung ursächlich gewesen sei, verlassen habe, und auch nicht darum, daß die Verwaltung durch längeres oder nachhaltiges Verhalten zur Entstehung des die Steuerschuld auslösenden Tatbestandes wesentlich beigetragen habe und deshalb die Abgaben nicht habe erheben dürfen. Es handle sich vielmehr darum, daß ein bei der Steuerfestsetzung selbst unterlaufener Fehler - Nichterhebung von Abgaben wegen vermeintlicher Verjährung - habe berichtigt werden müssen. Eine solche Berichtigung sei, zumal sie in der noch angemessenen Zeit von fünf Monaten erfolgt sei, kein treuwidriges Verhalten.
Die Bgin. führt demgegenüber aus, daß es nicht um die Frage gehe, in welchem Umfang ein Berichtigungsbescheid ein Steuerbescheid sein könne, sondern darum, daß derjenige Teil eines änderungsbescheides, der einen Verzicht auf einen Teil des mit einem vorhergehenden Steuerbescheid angeforderten Betrages enthalte, hinsichtlich dieses Betrages kein Erstbescheid sein könne. Sei aber der änderungsbescheid vom 24. Mai 1960 ein endgültiger Bescheid, so stelle der sogenannte Berichtigungsbescheid vom 18. Oktober 1960 einen neuen ersten, wenn auch unzulässigen Steuerbescheid dar. Aus der der Zollbehörde durch § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO eingeräumten Befugnis sei nicht zu entnehmen, daß der Gesetzgeber ihr unbeschränkte und unbegrenzte änderungsbefugnis habe zuerkennen wollen. Die Bestimmung sei wie jede Ausnahmebestimmung eng auszulegen. Eine änderung könne auch nicht auf § 93 AO gestützt werden, §§ 94 bis 96 AO seien, soweit es um die änderung von Steuerbescheiden gehe, lex specialis. § 94 aber gestatte nur eine einmalige Aufhebung bzw. änderung. Die Motive des Gesetzgebers seien zur Auslegung der Steuergesetze heranzuziehen, soweit das Gesetz nicht ausdrücklich eine klare Regelung des Sachverhalts vornehme. Schon der Grundsatz des Rechtsfriedens fordere, daß Bescheide, die verfahrensmäßig endgültig seien, nicht deswegen berichtigt würden, weil sie in unrichtiger Auslegung des Gesetzes ergangen seien. Die Tatsache, daß sich die Bgin. gegenüber dem Zollamt im anderen Bezirk auf die abweichende Ansicht des im Streitfalle zuständigen Zollamts berufen habe, beweise, daß sie auf die Richtigkeit des Bescheides vom 24. Mai 1960 voll vertraut habe, andernfalls hätte sie sich gehütet, die Aufmerksamkeit anderer Stellen auf einen unrichtigen Bescheid zu lenken. Hätte sie ihre Einsprüche durchgeführt, so hätte bei der damaligen Auffassung der Verwaltung der Einwand der Verjährung durchgegriffen und die Sache wäre erledigt gewesen. Wenn sie also auf die Zusicherung des Fiskus vertraut habe, könne man ihr das Recht nicht nachträglich wieder nehmen. Jahrelang hätten nur vorläufige Steuerbescheide bestanden. Auf Grund dieser habe die Bgin. ihre Waren verkauft. Nachdem die Verwaltung auf weitere Abgaben verzichtet habe, habe sie es sich wieder anders überlegt. Die Bgin. habe die verjährte Schuld auch ausgebucht. Es sei selbstverständlich, daß der Gesetzgeber beim Fortfall der Ungewißheit im Sinne des § 225 AO nur an den der objektiven Ungewißheit gedacht habe.
Entscheidungsgründe
II. -
Die Rb. hat keinen Erfolg. Die Vorinstanz hat, ohne Entstehung und etwaige Verjährung der mit dem angefochtenen Bescheid geltend gemachten Abgabenforderungen zu prüfen, den Bescheid aufgehoben, weil er eine nicht zulässige Berichtigung eines früheren Bescheides darstelle und die erneute Geltendmachung früher verneinter Abgabenforderungen gegen Treu und Glauben verstoße. Gegen das Unterlassen der Prüfung, ob die geltend gemachten Abgabenforderungen bestehen, ist dann nichts einzuwenden, wenn die von der Vorinstanz angeführten oder andere Gründe eine Geltendmachung etwaiger Ansprüche ausschließen.
Soweit die Vorinstanz die Zulässigkeit einer Berichtigung des vorangegangenen Bescheides vom 24. Mai 1960 schlechthin verneint, kann ihr nicht beigetreten werden.
Dieser Bescheid setzte die früher festgesetzten Steuerbeträge herab, indem er alle vor dem 1. Januar 1956 entstandenen Steueransprüche als verjährt ansah. Bei diesen Steuern handelte es sich um Zoll und Umsatzausgleichsteuer, für die die Vorschriften über Zölle gelten. Daher war nach § 86 des Zollgesetzes 1939, § 15 Abs. 2 der Ausgleichsteuerordnung ein förmlicher Steuerbescheid nicht zu erteilen, so daß nach § 212 AO als Steuerbescheid jede Willenskundgebung eines Finanzamts oder einer Hilfsstelle galt, mit der erstmalig ein bestimmter Betrag als Steuer von einer bestimmten Person sofort oder innerhalb einer gewissen Frist beansprucht wurde. Die von der Vorinstanz daraus gezogene Folgerung, daß die Herabsetzung eines festgesetzten Steuerbetrages keine erstmalige Beanspruchung von Steuern sei und daher ein derartiger Berichtigungsbescheid kein nach § 94 AO abänderbarer Steuerbescheid sei, vermag der Senat nicht als zutreffend anzuerkennen. § 212 AO legt für diejenigen Fälle, in denen ein förmlicher Steuerbescheid nicht zu erteilen ist, fest, was mindestens erforderlich ist, damit das Vorliegen eines Steuerbescheides angenommen werden kann, und läßt als solchen jede Willenskundgebung des Finanzamts mit einem bestimmten Inhalt gelten. Das heißt, daß schon und erst bei Erfüllung dieses Minimums an Voraussetzungen ein Steuerbescheid als vorliegend angesehen wird und der Steuerpflichtige von diesem Augenblick an mit den gegebenen Rechtsmitteln dagegen angehen kann und, wenn er die Steuerfestsetzung nicht rechtskräftig werden lassen will, auch muß. Das besagt aber nicht, daß nur eine erstmalige Anforderung von Steuern, nicht aber ein Bescheid, der einen Steuerbescheid berichtigt, als Steuerbescheid angesehen werden kann.
Soweit ein Berichtigungsbescheid einen früher festgesetzten Steuerbetrag erhöht, stellt er ohnehin eine erstmalige Anforderung von Steuern und damit einen Steuerbescheid dar. Soweit ein solcher Berichtigungsbescheid gleichzeitig oder ausschließlich die Herabsetzung einer Steuer zugunsten des Steuerpflichtigen enthält, kann nicht deswegen seine Rechtsnatur eine andere sein. Das kommt auch in § 234 AO zum Ausdruck, indem "bei Steuerbescheiden, die frühere Steuerbescheide ändern, zum Beispiel in den Fällen des § 92 Abs. 3 und der §§ 94, 222 und 225 der neue Bescheid selbständig anfechtbar ist, soweit die änderung reicht". Eine Anfechtung kann allerdings bei dem Steuerpflichtigen günstigen Berichtigungsbescheiden mangels einer Beschwer für diesen entfallen.
Auch wenn man den Berichtigungsbescheid, der die Entstehung einer Steuerschuld auf Grund eines bestimmten Tatbestandes verneint oder das Erlöschen eines auf Grund eines bestimmten Tatbestandes entstandenen Steueranspruches wegen Verjährung feststellt, als Freistellungsbescheid im Sinne des § 210 Abs. 3 AO ansieht, führt das zu keinem anderen Ergebnis. Denn ungeachtet des Wortlauts dieser Vorschrift ist der Freistellungsbescheid einem Steuerbescheid gleichzustellen (vgl. Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Anm. 14 zu § 210, und die dort angeführten Urteile des Bundesfinanzhofs, auch Kühn, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, 6. Aufl., Anm. 5 zu § 210). Wenn man aber einem zugunsten des Steuerpflichtigen ergehenden Berichtigungsbescheid die Natur eines Steuerbescheides schlechthin absprechen wollte, erhebt sich in der Tat die Frage, ob er dann nicht nach § 93 AO, der keine Beschränkungen zugunsten der Steuerpflichtigen enthält, abgeändert werden kann. Angesichts dieser Folge erscheint es jedoch nicht angängig, verbösernden und verbessernden Berichtigungsbescheiden eine verschiedene Rechtsnatur zuzuschreiben.
Der Senat vermag demnach aus dem Gesetz keinen Grund zu entnehmen, einem Bescheid, der einen früheren Steuerbescheid durch Herabsetzung des angeforderten Betrages berichtigt, die Natur eines Steuerbescheides abzusprechen und eine Berichtigung eines solchen Bescheides als schlechthin unzulässig anzusehen. Vielmehr ist die Möglichkeit der Berichtigung eines solchen Berichtigungsbescheides grundsätzlich anzuerkennen.
Eine Berichtigung von Berichtigungsbescheiden, die Zölle und Verbrauchsteuern betreffen, bei denen in § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO eine Berichtigung von Steuerbescheiden ohne besondere Beschränkung zugelassen ist, ist auch nicht etwa deswegen ausgeschlossen, weil für diese Sonderregelung der Beweggrund war, daß bei den Zöllen und Verbrauchsteuern eine eigentliche Veranlagung wie bei den direkten Steuern nicht in Frage kommt. Jedenfalls hat der Gesetzgeber davon abgesehen, auf Grund eines solchen Motivs irgendeine Beschränkung der änderungsbefugnis auf bestimmte Fälle vorzunehmen. Daher kann aus dem Gesetz nicht entnommen werden, daß etwa bei Bescheiden über Verbrauchsteuern, die nicht zusammen mit dem Zoll erhoben werden, oder bei Bescheiden, die vorläufige Zollbescheide zu endgültigen erklären oder Nachforderungen erheben, eine Berichtigung ausgeschlossen ist.
Im Streitfalle war daher trotz einer Herabsetzung der ursprünglich festgesetzten Steuern durch den Bescheid vom 24. Mai 1960 eine erneute Nachforderung durch den Bescheid vom 18. Oktober 1960 nicht schon als solche ausgeschlossen.
Der Vorinstanz ist dagegen darin beizutreten, daß eine erneute Geltendmachung der Abgabenansprüche - sofern solche entstanden und nicht verjährt waren - mit Treu und Glauben nicht vereinbar ist.
In seinem von der Vorinstanz angeführten Urteil VII 107/57 U vom 17. Dezember 1958 (BStBl 1959 III S. 146, Slg. Bd. 68 S. 378) hat der Senat zur Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Zollrecht - und das gleiche muß für das Verbrauchsteuerrecht gelten - ausgeführt, daß in besonders gelagerten Ausnahmefällen gegenüber einer sich aus § 223 AO ergebenden Steuernachforderung ein Anspruch des Zollbeteiligten auf Vertrauensschutz gegen eine Verhaltensänderung der Verwaltung gegeben sein könne. Er hat das in seinem Urteil VII 95/58 U vom 2. Dezember 1959 (BStBl 1960 III S. 127, Slg. Bd. 70 S. 341) bestätigt und ergänzend hinzugefügt, es müsse sich um Fälle handeln, die so außergewöhnlich gelagert seien, daß die Geltendmachung des gesetzlich entstandenen Abgabenanspruchs - weil mit dem vorausgehenden nachhaltigen Verhalten der Verwaltung in nicht vertretbarem Widerspruch stehend - mit dem allgemeinen Rechtsempfinden unvereinbar sei. Wenn in diesem Urteil, das die Gewährung eines Vertrauensschutzes unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben fordernde Verhalten der Verwaltung als ein nachhaltiges angesprochen wurde, so ergab sich das aus dem Umstand, daß in diesem Fall die nachdrückliche Willensäußerung der Verwaltung in der sich über einen längeren Zeitraum hin erstreckenden Verhaltensweise zu erblicken war. Eine solche Nachdrücklichkeit, die beim Steuerpflichtigen ein berechtigtes Vertrauen auf ein gleichbleibendes Verhalten der Verwaltung begründet, kann jedoch auch in anderen Umständen liegen.
Bei der Prüfung, ob im Streitfall der Grundsatz von Treu und Glauben im Sinne der vorstehenden Ausführungen der Geltendmachung der Abgabenansprüche entgegensteht, ist besonders zu berücksichtigen, daß es sich nicht um eine erstmalige Nachforderung handelt, sondern nach Rücknahme der Einsprüche gegen die ursprünglichen Nachforschungen diese ermäßigt worden sind, dann aber mit dem angefochtenen Bescheid nochmals dieselben Nachforderungen erhoben worden sind. Denn die nach den Ausführungen unter 1. durch § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO gegebene Möglichkeit mehrfacher änderung von Steuerbescheiden birgt die Gefahr einer Verletzung der rechtsstaatlichen Gebote der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens in sich und erfordert daher auch von seiten der Verwaltung eine besonders sorgfältige Beachtung der sich aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben ergebenden Grenzen.
In einem ähnlichen Fall hat der II. Senat in seinem Urteil II 260/58 U vom 19. Juli 1961 (BStBl 1961 III S. 438, Slg. Bd. 73 S. 471) entschieden, daß es, wenn das Finanzamt auf einen Einspruch gegen einen Gesellschaftsteuerbescheid nach Darlegung und Prüfung des Sachverhalts dem Einspruchsantrag durch einen gemäß § 94 AO erlassenen Abhilfebescheid entsprochen hat, gegen den bei Nachforderungen nach § 223 AO zu berücksichtigenden Grundsatz von Treu und Glauben verstößt, später bei unveränderter Sachlage auf Grund einer anderen rechtlichen Beurteilung die Gesellschaftsteuer nachzufordern. Der dortige Fall unterscheidet sich vom Streitfall allerdings insofern, als im Einspruchsverfahren ein Abhilfebescheid ergangen war und dieser bei der Gesellschaftsteuer nur nach Zustimmung des Steuerpflichtigen erlassen werden konnte; auch geschah die erneute Anforderung der Steuer nach fünf Jahren (innerhalb der für jene Steuerart geltenden Verjährungsfrist). Die für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkte treffen aber auch im Streitfall zu, und die hier vorliegenden besonderen Umstände rechtfertigen ein gleiches Ergebnis.
In ihrer Verfügung vom 5. August 1959 hat die Oberfinanzdirektion dem Hauptzollamt die Auffassung mitgeteilt, daß die Ansprüche aus der Zeit vor dem 1. Januar 1956 verjährt seien. Sie hat sich dabei zur Auslegung des § 225 AO auf zwei Kommentare zur AO gestützt (Riewald und Hübschmann-Hepp-Spitaler). Die für die weitere steuerliche Behandlung maßgebende Stellungnahme der Mittelbehörde steht also nicht im Widerspruch mit einem eindeutigen Wortlaut zwingender Vorschriften; daher kann aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs III 326/58 U vom 26. Mai 1961 (BStBl 1961 III S. 380, Slg. Bd. 73 S. 312), in dem es um eine gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstoßende Vereinbarung ging, für den Streitfall nichts gefolgert werden. Am 8. Januar 1960 hat das Hauptzollamt in einer eingehenden Verfügung der Bgin. seine Rechtsauffassung mitgeteilt und dabei hinsichtlich der vor dem 1. Januar 1956 entstandenen Abgabenansprüche in übereinstimmung mit der Oberfinanzdirektion deren Verjährung festgestellt. Es hat der Bgin. erklärt, daß es nach Rücknahme der Einsprüche das Zollamt anweisen werde, die Steuerbescheide vom 6. und 13. Dezember 1957 entsprechend zu berichtigen. Daraufhin hat die Bgin. ihre Einsprüche zurückgenommen und hat das Hauptzollamt das Zollamt dementsprechend angewiesen, das mit Bescheid vom 24. Mai 1960 die genannten Steuerbescheide berichtigt hat, indem nur mehr ... DM angefordert wurden und ausgesprochen wurde, daß die vor dem 1. Januar 1956 entstandenen Ansprüche verjährt seien. Erst mit Verfügung vom 1. Oktober 1960 teilte das Hauptzollamt der Bgin. mit, daß es nunmehr die Auffassung vertrete, daß die vor dem 1. Januar 1956 entstandenen Abgabenansprüche nicht verjährt seien und daß es das Zollamt entsprechend angewiesen habe. Dieses forderte dann durch den angefochtenen Bescheid vom 18. Oktober 1960 die Abgaben erneut an.
Demnach hat die Verwaltung zu einer Zeit, da die angefochtenen Nachforderungsbescheide reichlich zwei Jahre zurücklagen und sie hinreichend Gelegenheit gehabt hatte, den Steuerfall in aller Gründlichkeit zu prüfen, sich auf den Standpunkt gestellt, daß ein Teil der Ansprüche verjährt sei. Das kam gegenüber der Bgin. durch die Verfügung des Hauptzollamts vom 8. Januar 1960 zum Ausdruck, auf die hin die Bgin. sich zur Zurücknahme ihrer Einsprüche entschloß, und wurde dann durch den Berichtigungsbescheid vom 24. Mai 1960 bestätigt. In den anschließenden Monaten wurde von seiten der Verwaltung nichts Gegenteiliges laut. In diesem Verhalten ist eine nachdrückliche Willensäußerung der Verwaltung im Sinne der oben gemachten Ausführungen zu erblicken, auf die die Bgin. sich verlassen konnte. Mit diesem steht es in klarem Widerspruch, wenn zehn Monate nach der Verfügung vom 8. Januar 1960 die Verwaltung bei unverändertem Sachverhalt lediglich auf Grund geänderter Rechtsauffassung die frühere Nachforderung wiederholte.
Der Bgin. kann die Berechtigung, sich auf die getroffene Entscheidung der Verwaltung verlassen zu haben, auch nicht mit dem Hinweis darauf abgesprochen werden, daß eine Zollstelle in einem anderen Oberfinanzdirektionsbezirk sich der Auffassung, daß frühere Ansprüche verjährt seien, noch nicht angeschlossen und daher ihre ursprünglichen Nachforderungen noch nicht herabgesetzt hatte. Denn im Streitfalle kann es nur auf das Verhalten der für die zu erörternden Einfuhrfälle zuständigen Verwaltungsstellen ankommen. Diese aber hatten sich im Sinne einer Herabsetzung des Steuerbetrages entschieden, während die andere Dienststelle zögerte, und hatten zehn Monate hindurch ihren Standpunkt aufrechterhalten, um ihn dann überraschend zu ändern.
Der Senat kommt daher zu dem Ergebnis, daß unter den angeführten besonderen Umständen die erneute Geltendmachung der als verjährt behandelten Steueransprüche mit Treu und Glauben nicht vereinbar ist und die Vorinstanz mit Recht den angefochtenen Bescheid aufgehoben hat, ohne auf die Frage der Entstehung der Ansprüche und ihre etwaige Verjährung einzugehen.
Fundstellen
Haufe-Index 410837 |
BStBl III 1963, 390 |
BFHE 1964, 201 |
BFHE 77, 201 |