Leitsatz (amtlich)
Einwendungen der am finanzgerichtlichen Verfahren Beteiligten gegen die Verwendung strafgerichtlicher Feststellungen und entsprechende Beweisanträge müssen substantiiert werden. Dazu genügt summarisches Bestreiten nicht. Beruhen die strafgerichtlichen Feststellungen auf Geständnissen eines Mitangeklagten, so bedarf es zur Substantiierung einer annehmbaren Erklärung, warum zu erwarten sei, daß dieser seine Aussagen ändern werde (Anschluß an BFHE 124, 305, BStBl II 1978, 311).
Orientierungssatz
1. Hat das FG ausdrücklich begründet, weswegen es entgegen dem Beweisantritt des Klägers einen Zeugen nicht vernommen hat, so genügt schon die schlichte Rüge der Nichtvernehmung den Anforderungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO (vgl. BFH-Urteil vom 26.2.1985 VII R 137/81).
2. Hat der Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren beantragt, eine Person als Zeugen zu vernehmen, und war der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht zugegen, so kann daraus nicht gefolgert werden, er habe nach § 155 FGO i.V.m. § 295 Abs. 1 ZPO sein Recht verloren, die Nichtvernehmung des von ihm benannten Zeugen zu rügen (vgl. Rechtsprechung: RG, BSG, BVerwG).
3. NV: Im Verfahren wegen Rechtmäßigkeit eines Steuerhaftungsbescheides (hier: Festsetzung von Einfuhrumsatzsteuer wegen Beihilfe zum Schmuggel von Gold) kann, wenn der Bescheid aufgrund der im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebenden Sachlage und Rechtslage rechtmäßig war, nicht mit Erfolg eingewendet werden, das HZA habe ermessensfehlerhaft dadurch gehandelt, daß es nicht inzwischen das beschlagnahmte Gold verwertet und den Verkaufserlös auf die Haftungsschuld angerechnet habe (vgl. BFH-Urteil vom 6.12.1979 V R 125/76).
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, § 120 Abs. 2 S. 2, § 155; ZPO § 295 Abs. 1; AO 1977 § 191; FGO § 102
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde durch Urteil des Landgerichts A vom 11.Oktober 1982 wegen Beihilfe zum fortgesetzten gewerbsmäßigen Schmuggel und Beihilfe zur fortgesetzten gewerbsmäßigen Steuerhehlerei verurteilt. Das Urteil wurde nach Abschluß des Revisionsverfahrens im Schuldausspruch rechtskräftig. Der Verurteilung lag im wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger war seit 1978 bei zwei Firmen tätig, die von dem Goldschmiedemeister G geführt wurden. Seit Ende 1980 schmuggelte G unter Mithilfe seiner Mitarbeiter aus der Schweiz und Luxemburg Gold ein und veräußerte dieses an die X-Bank und an eine andere Firma. Nach zwei erfolgreichen Schmuggelfahrten mit dem eigenen PKW erfolgten die weiteren 29 Schmuggelfahrten ausschließlich mit Hilfe verschiedener Privatflugzeuge. Der Kläger war insgesamt an acht Schmuggelflügen beteiligt; er kaufte jeweils das zu schmuggelnde Gold ein. Die im Auftrag des G vom Kläger geschmuggelte Goldmenge betrug insgesamt 174 kg. Hiervon wurden am 26.Mai 1981 33 kg beschlagnahmt. Die übrige Goldmenge wurde unter Mitwirkung des Klägers an die X-Bank verkauft. Im Anschluß an vier weitere Schmuggeltouren, an denen der Kläger selbst nicht teilgenommen hatte, verkaufte er das Gold im Gewicht von insgesamt 33,5 kg ebenfalls an die X-Bank. Er unterstützte die Schmuggelhandlungen also in 12 Fällen, bei denen insgesamt 207,5 kg Gold geschmuggelt wurden. Die hinterzogene Einfuhrumsatzsteuer betrug 919 771,45 DM. Darüber hinaus unterstützte der Kläger bewußt und willentlich den Ankauf von anderem geschmuggelten Gold durch G und den Weiterverkauf an die X-Bank, in dem er auf Anweisung des G das angelieferte Gold --insgesamt 198 kg-- mit den Anlieferern abrechnete und in 20 Fällen auf Veranlassung des G an die X-Bank verkaufte. Die dafür hinterzogene Einfuhrumsatzsteuer betrug 880 274 DM. Der Kläger handelte in allen Fällen ohne eigenen finanziellen Vorteil.
Diese Feststellungen der Strafkammer beruhten auf dem Eingeständnis des Klägers sowie auf vorgefundenen Händlerzetteln der X-Bank. Der Kläger hatte allerdings in der Hauptverhandlung geltend gemacht, ihm sei erst ab März 1981 klargeworden, daß die Flüge Schmuggelgeschäften dienten. Die Strafkammer schenkte dieser Einlassung jedoch keinen Glauben. Aus den Bekundungen des Mitangeklagten L ergebe sich nämlich, meinte die Strafkammer, daß der Kläger bereits vor dem Flug nach Luxemburg am 20.Dezember 1980 uneingeschränkt eingeweiht gewesen sei.
Aufgrund dieses Sachverhalts setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --HZA--) durch Steuerhaftungsbescheid vom 28.März 1983 1 800 043,20 DM Einfuhrumsatzsteuer gegen den Kläger unter Hinweis auf § 71 der Abgabenordnung (AO 1977) fest.
Mit seiner nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage begehrte der Kläger, den Steuerhaftungsbescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung aufzuheben. Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung aus:
Aufgrund des Strafurteils stehe strafrechtlich fest, daß der Kläger Beihilfe zum Schmuggel und damit zur Steuerhinterziehung sowie zur Steuerhehlerei begangen habe. Das FG mache sich diese Feststellungen im Wege des Urkundenbeweises zu eigen. Dies sei zulässig (Senatsurteil vom 10.Januar 1978 VII R 106/74, BFHE 124, 305, BStBl II 1978, 311). Der Kläger bestreite, daß er mehr als ein bis zwei Schmuggelflüge durchgeführt habe. Er habe hierzu die nochmalige Zeugenvernehmung von G beantragt. Dieses Bestreiten sei jedoch nicht spezifiziert.
++/ Die Inanspruchnahme des Klägers sei nicht ermessensfehlerhaft. Solange ungewiß sei, ob die X-bank überhaupt herangezogen werden könne, entspreche die Inanspruchnahme des Klägers pflichtmäßigem Ermessen. Nach dem Strafurteil sei das beim letzten Flug eingeschmuggelte Gold (33 kg) beschlagnahmt worden. Darüber hinaus seien bei einem weiteren Mitangeklagten 30 kg Gold beschlagnahmt worden, die nicht aus den vorliegend betroffenen Schmuggelflügen und An- und Verkäufen von Schmuggelgold gestammt hätten. Wäre das beschlagnahmte Gold vom HZA vor Erlaß der Einspruchsentscheidung verwertet worden, so könnte die Nichtanrechnung des Erlöses aus der Verwertung der 33 kg Gold auf die Haftungsschuld ermessensfehlerhaft sein. Tatsächlich sei das Gold aber nicht verwertet worden. /++
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Das FG hat § 76 Abs.1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht dadurch verletzt, daß es den Beweisantritten des Klägers nicht gefolgt ist und den Zeugen G nicht vernommen hat.
1. Die Rüge der Nichtvernehmung des Zeugen G ist zulässig erhoben worden. Da das FG ausdrücklich begründet hat, weswegen es entgegen dem Beweisantritt des Klägers diesen Zeugen nicht vernommen hat, genügt schon die schlichte Rüge der Nichtvernehmung den Anforderungen des § 120 Abs.2 Satz 2 FGO (vgl. auch Senatsurteil vom 26.Februar 1985 VII R 137/81, BFH/NV 1986, 136, 137, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).
2. Der Kläger hat den Antrag, G als Zeugen zu vernehmen, in seinem Schriftsatz vom 27.Dezember 1984 vor dem FG gestellt und begründet. In der mündlichen Verhandlung vom 30.April 1985 war ausweislich der Niederschrift des FG weder der Kläger noch sein Prozeßbevollmächtigter zugegen. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, der Kläger habe nach § 155 FGO i.V.m. § 295 Abs.1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) sein Recht verloren, die Nichtvernehmung des von ihm benannten Zeugen zu rügen.
Ein ausdrücklicher oder auch nur konkludenter Verzicht auf die beantragte Beweisaufnahme kann in der --dem Kläger ja freistehenden-- Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung nicht gesehen werden; der Kläger konnte auch nicht zwangsläufig aus der Anberaumung der mündlichen Verhandlung ohne Ladung von G als Zeugen darauf schließen, das FG werde die beantragte Beweisaufnahme auf keinen Fall durchführen. Eine Verletzung des § 76 Abs.1 FGO durch das FG wäre nicht dadurch geheilt worden, daß der Kläger die rechtzeitige Rüge unterlassen hat. Denn diese Voraussetzung liegt nach § 295 Abs.1 ZPO nur dann vor, wenn die Partei bei der nächsten mündlichen Verhandlung den Mangel nicht gerügt hat, "obgleich sie erschienen" ist (vgl. auch Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 18.April 1983 9 B 2337/80, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1984, 251; Urteil des Bundessozialgerichts --BSG-- vom 14.März 1968 11 RA 140/67, NJW 1968, 1742; Beschluß des Reichsgerichts --RG-- vom 20.November 1900 II 125/00, RGZ 47, 397).
3. Das FG ist dem Beweisantritt des Klägers zu Recht nicht gefolgt.
Beweisergebnisse anderer Gerichtsverfahren dürfen im Wege des Urkundenbeweises in den finanzgerichtlichen Prozeß eingeführt werden (§§ 81, 82 FGO i.V.m. §§ 415 ff. ZPO; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23.Januar 1985 I R 30/81, BFHE 143, 117, 118, BStBl II 1985, 305). Das FG kann sich daher Feststellungen aus einem in das finanzgerichtliche Verfahren eingeführten Strafurteil zu eigen machen, es sei denn, daß die Beteiligten gegen die strafgerichtlichen Feststellungen substantiierte Einwendungen vortragen und entsprechende Beweisanträge stellen, die das FG nicht nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen unbeachtet lassen kann (Senatsurteil in BFHE 124, 305, BStBl II 1978, 311). Davon ist das FG ausgegangen. Es hat auch ohne Rechtsirrtum die Einwendungen des Klägers in der Vorinstanz gegen die Feststellungen des Strafurteils und seinen entsprechenden Beweisantrag für nicht genügend substantiiert im Sinne des letztgenannten Urteils gehalten.
Zumutbarer Inhalt und Intensität der richterlichen Ermittlungen stehen notwendig im Zusammenhang mit dem Vorbringen der Beteiligten; diese haben eine Pflicht zur Förderung des finanzgerichtlichen Verfahrens (§ 76 Abs.1 Satz 1 FGO; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12.Aufl., § 76 FGO Anm.5 und 7). Das FG ist daher nicht verpflichtet, unsubstantiierten Beweisanträgen nachzugehen (vgl. BVerwG-Beschluß vom 13.September 1973 II B 38/73, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1974, 307, 308; Senatsurteil in BFH/NV 1986, 136, 137; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2.Aufl., § 76 Anm.25). Das gilt in erhöhtem Maße dann, wenn Feststellungen aus einem in das finanzgerichtliche Verfahren eingeführten Strafurteil vorliegen. In einem solchen Fall muß von dem Beteiligten, der gegen diese Feststellungen Einwendungen erhebt, erwartet werden, daß er die Richtigkeit der Feststellungen nicht nur summarisch bestreitet. In welchem Maße eine Substantiierung entsprechender Einwendungen und Beweisanträge zu fordern ist, hängt von der Art und Weise der Feststellungen im Strafurteil ab, gegen die sich der Beteiligte wendet. Dabei sind allerdings im Hinblick darauf, daß das unmittelbare Beweismittel (die Zeugenvernehmung durch das FG) dem mittelbaren Beweismittel (Strafurteil) grundsätzlich vorzuziehen ist, die Anforderungen an die Substantiierung nicht zu überspannen.
Bei Anlegung dieser Grundsätze begegnet die Vorentscheidung keinen rechtlichen Bedenken. Das FG hat die Anforderungen an die Substantiierung des Beweisantrags nicht dadurch überspannt, daß es die Begründung nicht genügen ließ, mit der der Kläger im Schriftsatz vom 27.Dezember 1984 an das FG die Vernehmung von G als Zeugen beantragte. Die Feststellungen des Strafgerichts, gegen die sich der Kläger wendet, beruhten nicht nur auf dem Geständnis des Klägers selbst, sondern auch auf den Angaben seiner Mitangeklagten, insbesondere des G, wie sich auch aus der Begründung des Klägers für seinen Beweisantrag ergibt. G's Vernehmung durch das FG versprach also nur dann Erfolg, wenn mit einer Änderung seiner strafgerichtlichen Aussagen zu rechnen war. Unter diesen Umständen genügte der Kläger seiner Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung des Sachverhalts nur, wenn er eine annehmbare Erklärung dafür gab, warum er erwartete, G werde seine früheren Aussagen ändern. Das gilt um so mehr, als Grundlage für die strafgerichtlichen Feststellungen neben den Aussagen von G auch die Aussagen anderer Mitangeklagter waren. An einer solchen annehmbaren Erklärung fehlt es. Der Kläger hat seinen Beweisantrag lediglich mit Hinweisen darauf begründet, daß und aus welchen Erwägungen seine eigenen Aussagen vor dem Strafgericht teilweise falsch gewesen seien. Mit keinem Wort ist er auf die Frage eingegangen, wieso eine Änderung der Aussagen von G zu erwarten sei.
++/ 4. Keinen Erfolg kann schließlich auch der Einwand des Klägers haben, das HZA habe ermessensfehlerhaft dadurch gehandelt, daß es nicht inzwischen das beschlagnahmte Gold verwertet und den Verkaufserlös auf seine Schuld angerechnet habe. Gegenstand des Verfahrens ist die Rechtmäßigkeit des Steuerhaftungsbescheides vom 28. März 1983 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 30. Dezember 1983. Diese Bescheide konnten, falls sie --wie das der Fall ist-- aufgrund der im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebenden Sach- und Rechtslage rechtmäßig waren, nicht nachträglich unrechtmäßig werden, falls dem HZA bei der Verwertung des beschlagnahmten Goldes Fehler unterliefen (vgl. auch BFH-Urteil vom 6. Dezember 1979 V R 125/76, BFHE 129, 126, BStBl II 1980, 103). Überdies hat das HZA unwidersprochen vorgetragen, daß die Staatsanwaltschaft die Verwertung der vom Landgericht zugunsten des Landes rechtskräftig eingezogenen Feingoldbarren bis jetzt trotz mehrfacher Erinnerung des HZA noch nicht freigegeben habe. /++
Fundstellen
Haufe-Index 62221 |
BStBl II 1988, 841 |
BFHE 153, 393 |
BFHE 1989, 393 |
BB 1988, 1812-1812 (L1) |
DB 1988, 1936 (T) |
DStR 1989, 37 (KT) |
HFR 1988, 568 (LT) |