Leitsatz (amtlich)
Wird das in der Anlage zum Kohlegesetz aufgeführte Steinkohlenbergbaugebiet aufgrund einer Rechts Verordnung nach § 41 Kohlegesetz erweitert, kann die Investitionsprämie für Investitionen im erweiterten Begünstigungsgebiet erst ab Inkrafttreten der Rechtsverordnung gewährt werden. Eine dem entgegenstehende Bescheinigung des Bundesbeauftragten für den Steinkohlenbergbau und die Steinkohlenbergbaugebiete bindet das FA nicht.
Normenkette
KohleG § 1 Abs. 3, §§ 32, 41, Anlage; 2. Verordnung zur Änderung der Steinkohlenbergbaugebiete vom 17. Dezember 1970
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten sind Eheleute, die zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden. Der Ehemann (Kläger) unterhält einen gewerblichen Betrieb in dem Teil des Gebiets der Stadt Beckum, der bereits vor der Eingliederung der Gemeinde Kirchspiel Beckum zum 1. Juli 1969 (vgl. Gesetz zur Neugliederung des Landkreises Soest und von Teilen des Landkreises Beckum vom 24. Juni 1969, Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen 1969 S. 300 – GVBl NRW 1969, 300 –) zum Stadtgebiet gehörte. Der Kläger investierte 1969 … DM. Der Bundesbeauftragte für den Steinkohlenbergbau und die Steinkohlenbergbaugebiete erkannte in einer Bescheinigung vom 8. November 1971 an, daß die Voraussetzungen des § 32 Abs. 2 des Gesetzes zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlenbergbaus und der deutschen Steinkohlenbergbaugebiete vom 15. Mai 1968 – KohleG – (BGBl I 1968, 365, BStBl I 1968, 939) gegeben seien. Der Kläger beantragte mit dem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1969, ihm die Investitionsprämie nach § 32 Abs. 1 KohleG zu gewähren. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA –) wies den Einspruch mit der Begründung zurück, daß die Stadt Beckum (Stand vor dem 1. Juli 1969) erst durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Steinkohlenbergbaugebiete vom 17. Dezember 1970 BGBl I 1970, 1743, BStBl I 1971, 28 – 2. ÄndVO –) Steinkohlenbergbaugebiet geworden und die Prämie sonach erst für Investitionen in Anspruch genommen werden könne, die nach Inkrafttreten dieser Verordnung (24. Dezember 1970) getätigt worden seien.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat ausgeführt (Entscheidungen der Finanzgerichte 1973 S. 458, 522 – EFG 1973, 458, 522 –): Das ehemalige Stadtgebiet Beckum sei durch die 2. ÄndVO rückwirkend ab 1. Mai 1967 zum Steinkohlenbergbaugebiet geworden. Das Inkrafttreten der 2. ÄndVO lege lediglich lest, ab wann der Antrag gestellt werden könne. Dem entspreche § 41 KohleG, der den Verordnungsgeber ermächtige, die Grenzen des Steinkohlenbergbaugebiets zu ändern, nicht aber, den Begünstigungszeitraum anders zu fassen.
Das FA rügt mit der Revision eine Verletzung der §§ 1, 32, 41 KohleG und beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
1. Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 KohleG können Steuerpflichtige, die den Gewinn aufgrund ordnungsmäßiger Buchführung nach § 5 EStG ermitteln und nach dem 30. April 1967 im Steinkohlenbergbaugebiet eine Betriebstätte errichten oder erweitern, auf Antrag für die nach dem 30. April 1967 und vor dem 1. Januar 1970 (Begünstigungszeitraum) im Zusammenhang mit der Errichtung oder Erweiterung der Betriebstätte angeschafften oder hergestellten abnutzbaren Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens einen Abzug von der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer für den Veranlagungszeitraum der Anschaffung oder Herstellung bis zu 10 v. H. der Anschaffungs- oder Herstellungskosten vornehmen. Der Begünstigungszeitraum ist durch Art. 9 des Steueränderungsgesetzes 1969 – StÄndG 1969 – (BGBl I 1969, 1211, BStBl I 1969, 477) um zwei Jahre verlängert worden. Steinkohlenbergbaugebiete sind die in der Anlage zum KohleG aufgeführten Gemeinden und Gemeindeverbände nach dem Stand vom 1. Januar 1968 (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 KohleG). Die Anlage führt unter A II 5 c nur die Gemeinde Kirchspiel Beckum als zum Steinkohlenbergbaugebiet Ruhr gehörig an. Der Kläger hat außerhalb dieses Gebiets investiert.
2. Die 2. ÄndVO hat allerdings die Anlage unter A II 5 c geändert und ihr folgende Fassung gegeben: „die Gemeinde: Beckum, Stadt nach dem Stand vom 1. Juli 1969”. Die Stadt Beckum besteht ab diesem Zeitpunkt aus dem ehemaligen Stadtgebiet (Stand vor dem 1. Juli 1969) und zwei eingegliederten Gemeinden, darunter der bereits von Anfang an zum Steinkohlenbergbaugebiet gehörigen Gemeinde Kirchspiel Beckum (§ 10 Abs. 1 des Neugliederungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. Juni 1969, a.a.O.). Die 2. ÄndVO ist indes nach ihrem Art. 3 erst am Tage nach ihrer Verkündigung am 24. Dezember 1970 in Kraft getreten und begünstigt nicht die bereits 1969 getätigten Investitionen des Klägers. Der Senat vermag nicht der Auffassung der Vorinstanz zu folgen, daß die 2. ÄndVO nur die Grenzen des Steinkohlenbergbaugebiets geändert und ergänzt habe.
Ermächtigungsgrundlage der 2. ÄndVO ist § 41 KohleG. Diese Vorschrift ermächtigt den Bundesminister der Wirtschaft, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats die Anlage zum KohleG derart zu ändern und zu ergänzen, daß sie
- einer Änderung der Grenzen der in ihr aufgeführten Gemeinden und Gemeindeverbände oder
- der Bildung einheitlicher Flächen für die Ansiedlung von Industrien oder sonstigen Betrieben der gewerblichen Wirtschaft durch diese und benachbarte Gemeinden oder Gemeindeverbände
Rechnung trägt, soweit dies zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur oder zur Stärkung der Wirtschaftskraft der von der notwendigen Anpassung des deutschen Steinkohlenbergbaues an die energiewirtschaftliche Entwicklung betroffenen Gebiete erforderlich ist. Die Vorinstanz hat nicht untersucht, ob die Vorschrift Art. 80 Abs. 1 GG entspricht und ob sich die 2. ÄndVO im Rahmen der Ermächtigung hält. Auch der Senat hat keinen Anlaß, hierzu Stellung zu nehmen, weil die Klage schon aus anderen Gründen erfolglos bleiben muß.
§ 41 KohleG will dem Umstand Rechnung tragen, daß eine „Änderung” kommunaler Grenzen eintritt (Nr. 1) oder die „Bildung” einheitlicher gewerblicher Ansiedlungsflächen beschlossen wird, die in das Steinkohlenbergbaugebiet hineinreichen (Nr. 2). Diese beiden Möglichkeiten beziehen sich – wie das FA zu Recht anführt – auf neu zu schaffende Tatbestände. Der Umfang der Steinkohlenbergbaugebiete war im Gesetzgebungsverfahren umstritten. Der Bundesrat hatte bereits im ersten Gesetzesdurchgang eine Erweiterung des Katalogs der Regierungsvorlage vorgeschlagen (Bundestagsdrucks. V/2078, Anlagen 1 und 2). Der federführende Bundestagsausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen hat die Anlage nochmals eingehend überprüft, die verschiedenen Anregungen (Bundesrat, Nordrhein-Westfalen, Saarland) berücksichtigt und selbst einige Erweiterungen und Begradigungen vorgenommen (zu Bundestagsdrucks. V/2797 S. 10). Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, daß die Anlage zum KohleG für den Zeltpunkt der Gesetzesverabschiedung abschließend sein und § 41 KohleG lediglich die Möglichkeit eröffnen wollte, künftige Änderungen zu berücksichtigen. Die Gesetzesbegründung zu § 41 KohleG spricht übereinstimmend hiermit davon, daß die „in der Anlage zum Gesetz definierten Steinkohlenbergbaugebiete in ihren Grenzen” geändert werden dürfen, „soweit dies erforderlich ist, um zukünftigen Veränderungen von Gemeindegrenzen Rechnung zu tragen oder zukünftig entstehende einheitliche Industrieflächen als geschlossenes Ganzes einheitlich zu behandeln” (zu Bundestagsdrucks. V/2797, C zu § 41). Die Begründung zur 2. ÄndVO stellt darauf ab, daß infolge der Neuordnung des Landkreises Beckum durch Gesetz vom 24. Juni 1969 (a. a. O.) die bereits zum Steinkohlenbergbaugebiet Ruhr gehörige Gemeinde Kirchspiel Beckum in die Stadt Beckum eingegliedert worden ist und der aus Anlaß der Neugliederung aufzustellende Flächennutzungsplan die Ausweisung neuer auf das Gebiet der ehemaligen Gemeinde Kirchspiel Beckum ausgreifenden Industrieansiedlungsflächen vorsieht (Bundesratsdrucks. 590/70 S. 2).
Zwar konnte die 2. ÄndVO nur den Umfang der Steinkohlenbergbaugebiete neu bestimmen und mußte die anderen Teile des KohleG unberührt lassen. Sonach bleibt auch die Vorschrift des § 32 Abs. 1 Satz 1 KohleG unangetastet, wonach unter weiteren Voraussetzungen Investitionen „in einem Steinkohlenbergbaugebiet… nach dem 30. April 1967” begünstigt sind. Es ist aber zu beachten, daß das Gebiet der ehemaligen Stadt Beckum vor dem 24. Dezember 1970 kein Steinkohlenbergbaugebiet war. Die 2. ÄndVO verkürzt nicht den gesetzlichen Begünstigungszeitraum, sondern sieht lediglich hinsichtlich der Stadt Beckum das Tatbestandsmerkmal „Steinkohlenbergbaugebiet” erst ab 24. Dezember 1970 als gegeben an.
3. Der Bundesbeauftragte für den Steinkohlenbergbau und die Steinkohlenbergbaugebiete ist in seiner Bescheinigung vom 8. November 1971 davon ausgegangen, daß die vom Kläger 1969 getätigten Investitionen begünstigt seien; in seiner im Klageverfahren vorgelegten Auskunft vom 1. April 1971 heißt es ausdrücklich, er teile die Auffassung des Klägers, daß „durch die spätere Aufnahme der Stadt Beckum in den Kreis der… Orte des Steinkohlenbergbaugebietes Ruhr für Projekte in dieser Stadt keine Schlechterstellung gegenüber den vom Beginn der Förderungsmaßnahmen an begünstigten Gebieten eintreten darf”. Der Bundesbeauftragte hat offensichtlich nur seine Auffassung äußern und die Prämienfähigkeit nur für den Fall bescheinigen wollen, daß das FA eine Vornahme der Investitionen im Begünstigungszeitraum bejahen würde. Wird unterstellt, daß der Bundesbeauftragte auch die zeitliche Prämienfähigkeit bescheinigen wollte, wäre die Bescheinigung insoweit für das FA nicht bindend.
Der Bundesbeauftragte bescheinigt – insoweit für das FA verbindlich – das Vorliegen der in § 32 Abs. 2 KohleG genannten Voraussetzungen, insbesondere, daß die Errichtung oder Erweiterung der Betriebstätte geeignet ist, die Wirtschaftsstruktur der Steinkohlenbergbaugebiete zu verbessern, volkswirtschaftlich förderungswürdig ist und nicht im Zusammenhang mit einer Betriebsverlagerung aus den Bundesförderungsgebieten oder Berlin steht. Dem FA steht die Prüfung der sonstigen in § 32 Abs. 1, 3 bis 7 KohleG genannten Voraussetzungen zu. Es prüft beispielsweise in eigener Zuständigkeit, ob in einem Steinkohlenbergbaugebiet und im Begünstigungszeitraum investiert worden ist, ob die investierten Wirtschaftsgüter abnutzbar sind und zum Anlagevermögen gehören (§ 32 Abs. 1 Satz 1 KohleG), ob die Wirtschaftsgüter mindestens drei Jahre im begünstigten Projekt verbleiben (§ 32 Abs. 3 Nr. 1 KohleG) usw.
4. Danach ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 514586 |
BFHE 1975, 142 |