Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonstiges Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Abschn. 10 Abs. 2 Ziff. 4 LStR 1952 betreffend die Steuerfreiheit bestimmter Krankengeldzuschüsse, die Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern gewähren, ist ein allgemeiner Milderungserlaß aus der Zeit des autoritären Regimes und deshalb von den Steuergerichten zu beachten und auszulegen.
Krankengeldzuschüsse von Arbeitgebern sind im Rahmen von Abschn. 10 Abs. 2 Ziff. 4 LStR 1952 auch dann steuerfrei, wenn sie an Angestellte gezahlt werden, die freiwillig bei der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind.
Allgemeine Milderungserlasse sind nach ähnlichen Grundsätzen wie Rechtsnormen auszulegen. Ihrem Wortlaut kommt besondere Bedeutung bei der Auslegung zu.
Allgemeine Milderungserlasse aus der Zeit des autoritären Regimes können nach Inkrafttreten des GG gemäß Art. 129 Abs. 1 von der Stelle, die als Nachfolger des früheren Reichsministers der Finanzen sachlich dafür zuständig ist, aufgehoben oder geändert werden. Es bedarf dazu nicht der im GG vorgesehenen Formen der Rechtsetzung.
Zur Berücksichtigung der Billigkeit bei der Auslegung eines Steuergesetzes.
Normenkette
GG Art. 108 Abs. 6, Art. 129; AO § 131; EStG § 19; LStDV § 2; LStR Abschn. 10 Abs. 2 Ziff. 4
Tatbestand
I. Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin (Bfin.) hatte im Jahre 1953 an einen Angestellten, der wegen überschreitung der Gehaltsgrenze nicht mehr in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert war, sich aber dort freiwillig weiterversichert hatte, Zuschüsse zum Krankengeld gezahlt, ohne sie der Lohnsteuer zu unterwerfen. Die Bfin. hält diese Zuschüsse nach Abschnitt 10 Abs. 2 Ziff. 4 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1952 für lohnsteuerfrei. Das Finanzamt verneinte die Steuerfreiheit und nahm die Bfin. als Arbeitgeberin wegen Nichteinbehaltung der Lohnsteuer durch Haftungsbescheid in Anspruch. Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg.
Das Finanzgericht, dessen Entscheidung in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1957 S. 171 veröffentlicht ist, betrachtet als gesetzliche Krankenversicherung im Sinne von Abschnitt 10 Abs. 2 Ziff. 4 LStR nur die Pflichtversicherung. Die Bfin. bezieht dagegen Abschnitt 10 Abs. 2 Ziff. 4 LStR auch auf Zuschüsse an Angestellte, die sich freiwillig bei der Sozialversicherung weiterversichert haben. Sie beruft sich für ihre Rechtsauffassung auch auf das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf II 22/56 L vom 19. September 1956 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1957 S. 101).
II. Stellungnahme des Bundesministers der Finanzen
Der Bundesminister der Finanzen hat zu der Streitfrage im wesentlichen ausgeführt:
Abschnitt 10 Abs. 2 Ziff. 4 LStR geht auf den Gemeinsamen Erlaß des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers vom 10. September 1944 (Reichssteuerblatt - RStBl - 1944 S. 580, Reichsarbeitsblatt 1944 II S. 281) - im folgenden abgekürzt: Gemeinsamer Erlaß - zurück. Es handelt sich um einen allgemeinen Milderungserlaß, der von den Steuergerichten anzuwenden und auszulegen ist.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat sich früher zu der Bestimmung im wesentlichen wie folgt geäussert:
Am 21. Oktober 1953: Der Ausdruck "gesetzliche Versicherung" ist gleichbedeutend mit "Sozialversicherung" (früher "Reichsversicherung"). Der Gegensatz ist "Privatversicherung". Dieser Sprachgebrauch ist in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur allgemein üblich (vgl. §§ 12 - 14 des Mutterschutzgesetzes vom 24. Januar 1952, Bundesgesetzblatt - BGBl - 1952 I S. 69; überschrift und §§ 1, 3 und 11 des Gesetzes über Zulagen und Mindestleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung und zur überleitung des Unfallversicherungsrechtes im Lande Berlin vom 29. April 1952, BGBl 1952 I S. 253; § 1 des Gesetzes über die Deckung der Rentenzulagen nach dem Rentenzulagengesetz im Haushaltsjahr 1952 vom 13. August 1952, BGBl 1952 I S. 442; § 1 der Verordnung über die Durchführung der deutschen Sozialversicherung bei Auslandsaufenthalt vom 29. März 1951, BGBl 1951 I S. 230, in der es heißt: "Die freiwilligen Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen ...").
Die Zuschüsse des Arbeitgebers zu den Leistungen aus der freiwilligen sozialen Krankenversicherung sind also zwar keine Zuschüsse zu Leistungen aus der "Pflichtversicherung", wohl aber solche zu Leistungen aus der "gesetzlichen Krankenversicherung". Nach dem Wortlaut des Abschnitts 10 Abs. 2 Ziff. 4 LStR sind solche Zuschüsse nicht lohnsteuerpflichtig; sie sind auch kein beitragspflichtiges Entgelt im Sinne der Sozialversicherung (ß 19 der Zweiten Lohnabzugs-Verordnung - Zweite LAV - vom 24. April 1942, Reichsgesetzblatt - RGBl - I S. 252).
Am 1. März 1956: Nach § 189 Abs. 1 Satz 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sind Zuschüsse des Arbeitgebers zum Kranken- und Hausgeld kein Arbeitsentgelt. Diese Vorschrift bezieht sich auf Zuschüsse zum Kranken- und Hausgeld aus einer Pflichtversicherung und einer freiwilligen Versicherung. Der Begriff "Arbeitsentgelt" in § 189 Abs. 1 Satz 3 RVO entspricht dem Begriff "Entgelt" in § 160 RVO. Durch § 19 Abs. 1 der Zweiten LAV a. a. O. in Verbindung mit Abschnitt 1 des Gemeinsamen Erlasses hat der Entgeltsbegriff des § 160 RVO seine Selbständigkeit verloren. An seine Stelle ist der Begriff des steuerpflichtigen Arbeitslohns getreten. Diese änderung warf die Frage nach der lohnsteuerrechtlichen Behandlung der Kranken- und Hausgeldzuschüsse auf. Unterlägen diese der Lohnsteuer, so würde das nach dem Gemeinsamen Erlaß bedeuten, daß sie auch als Entgelt im Sinne der Sozialversicherung mit der Folge anzusehen sind, daß für sie neben der Lohnsteuer auch Beiträge zur Sozialversicherung zu entrichten wären. Als weitere Folge ergäbe sich, daß das Kranken- und Hausgeld in Höhe dieser Zuschüsse wegfällt (ß 189 Abs. 1 Satz 1 RVO). Damit wäre der Zweck des § 189 Abs. 1 Satz 3 RVO vereitelt. Da der Arbeitnehmer ein um den Zuschuß gemindertes Krankengeld erhalten und damit im Ergebnis um den Genuß des Zuschusses kommen würde, würde für den Arbeitgeber der einzige Grund für die Gewährung dieses Zuschusses, nämlich die wirtschaftliche Stellung des Arbeitnehmers während der Krankheit zu verbessern, wegfallen. Um diese sozialpolitisch unerwünschten Folgen zu vermeiden, wurde in Abschnitt 2 Ziff. 2 des Gemeinsamen Erlasses bestimmt, daß die Kranken- und Hausgeldzuschüsse lohnsteuerfrei sind. Diese Bestimmung wurde in der Folgezeit stets unverändert in die jeweiligen LStR übernommen. Würde nun in den LStR festgestellt, daß Kranken- und Hausgeldzuschüsse nur insoweit lohnsteuerfrei sind, als sie pflichtversicherten Arbeitnehmern gewährt werden, so würden sich für die freiwillig Versicherten sämtliche vorstehend dargelegten sozialpolitisch unerwünschten Folgen ergeben. Aus der Entstehungsgeschichte des Abschnitts 10 Abs. 2 Ziff. 4 LStR ergibt sich, daß § 189 RVO Ausgangspunkt für die lohnsteuerrechtliche Beurteilung der Kranken- und Hausgeldzuschüsse ist (vgl. Berie-Hentrich, Lohnsteuerrecht 1955 S. 124).
Nach einer Auskunft des Bundesverbandes der Ortskrankenkassen in Bad Godesberg erhebt ein Teil der Ortskrankenkassen Versicherungsbeiträge. Andere Ortskrankenkassen sehen von der Beitragserhebung ab. Nach Ansicht des Bundesverbandes erhebt aber die Mehrzahl der Ortskrankenkassen keine Versicherungsbeiträge. Die unterschiedliche Behandlung wird vom Bundesverband als unerfreulich bezeichnet; ebenso die unterschiedliche Behandlung der freiwillig Versicherten, je nachdem, ob sie sich bei einer Krankenkasse der RVO oder bei einer anderen Krankenkasse versichern.
Bei der Lösung der Streitfrage sind Sinn und Zweck der Zweiten LAV a. a. O., auf die sich der Gemeinsame Erlaß stützt, maßgebend. Diese Bestimmungen sollten eine möglichst einheitliche Bemessungsgrundlage für die gesetzlichen Lohnabzüge schaffen (ß 19 der Zweiten LAV). Hierbei kann es sich nur um Lohnabzüge handeln, die vom Arbeitgeber auf Grund gesetzlicher Verpflichtung erhoben werden. Es wäre nicht sinnvoll gewesen, freiwillige Versicherungen, sei es auch bei Krankenkassen der RVO, in die Regelung einzubeziehen. Für die freiwillige Weiterversicherung bestehen Sondervorschriften, die den Versicherten und den Krankenkassen Spielraum lassen (§§ 215, 313a RVO, Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamtes 1939 S. 554). Soweit demnach die Zweite LAV und der Gemeinsame Erlaß die einheitliche Bemessungsgrundlage regeln, kann es sich nur um versicherungspflichtige Vorgänge handeln. Das muß auch für die Behandlung von Krankengeld- und Hausgeldzuschüssen im Sinne des Abschnitts 2 Abs. 1 Ziff. 2 des Gemeinsamen Erlasses (jetzt Abschnitt 10 Abs. 2 Ziff. 4 LStR) gelten. Es bestand kein Anlaß, an dieser Stelle dem Wort "gesetzlich" im Zusammenhang mit "Krankenversicherung" einen anderen Sinn zu geben als dem Wort "gesetzlich" im Zusammenhang mit "Lohnabzügen", d. h. in beiden Fällen dürften Vorgänge auf Grund der Versicherungspflicht gemeint sein.
Diese Auffassung wird durch die Ausführungen in der Deutschen Steuer-Zeitung 1944 S. 377 bestätigt, die von dem damaligen Sachbearbeiter im Reichsfinanzministerium stammen. Unter Abschnitt 3 Buchstabe b ist nur von "krankenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern" die Rede, obwohl die freiwillige Weiterversicherung in der Krankenversicherung damals genau wie heute bestand und ihre Zulässigkeit und ihre Bedingungen in der RVO geregelt waren.
Die Begünstigung der Krankengeld- und Hausgeldzuschüsse geht auf die Regelung zurück, die für die Sozialversicherung bereits bestand. Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, daß sich deshalb auch weiterhin die lohnsteuerliche Behandlung nach der bisherigen Behandlung bei der Sozialversicherung richten muß. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (vgl. oben Ziff. 2b) weist zutreffend darauf hin, daß der Entgeltsbegriff der RVO nach § 19 der Zweiten LAV seine Selbständigkeit verloren habe und an seine Stelle der Begriff des steuerpflichtigen Arbeitslohns getreten sei. Für die Beurteilung ist demnach ausschließlich die lohnsteuerliche Behandlung maßgebend. Zu diesem Ergebnis kommt auch das Bundessozialgericht im Urteil vom 15. Oktober 1957 - 3 RK 80/55 ("Die Ortskrankenkasse" 1958 S. 109) in bezug auf Urlaubsabgeltungen. In diesem Urteil wird u. a. betont, daß Abschnitt 1 Satz 1 des Gemeinsamen Erlasses über die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge von dem für die Lohnsteuer maßgebenden Betrag als eine Rechtsnorm anzusehen sei und sich mit verbindlicher Kraft an alle wende, denen die Berechnung und Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen obliege. Für selbständige Entscheidungen hinsichtlich der Sozialversicherung in diesen Fragen entgegen der lohnsteuerlichen Behandlung bleibt hiernach kein Raum. Die Handhabung bei einem Teil der Ortskrankenkassen, die Krankengeld- und Hausgeldzuschüsse an freiwillig Weiterversicherte beitragsfrei lassen, steht mit diesem Urteil des Bundessozialgerichts nicht in Einklang, wenn die Lohnsteuerpflicht dieser Leistungen bejaht wird.
Zu den weiteren Einwendungen, die gegen die Besteuerung der Krankengeld- und Hausgeldzuschüsse an freiwillig Weiterversicherte vorgebracht werden, wird bemerkt:
Aus Ziff. 4 dieser Stellungnahme geht bereits hervor, daß aus dem Wortlaut des Abschnitts 2 Abs. 1 Ziff. 2 des Gemeinsamen Erlasses (jetzt Abschnitt 10 Abs. 2 Ziff. 4 LStR) nicht geschlossen werden kann, daß auch die Krankengeld- und Hausgeldzuschüsse an freiwillig Weiterversicherte steuerlich begünstigt sind. Nach den Ausführungen des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (vgl. Ziff. 2) soll der Ausdruck "gesetzliche Versicherung" gleichbedeutend mit "Sozialversicherung" (früher "Reichsversicherung") sein. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, daß es sich bei dem Ausdruck "gesetzliche Versicherung" anscheinend um einen erst aus neuerer Zeit stammenden Begriff handelt, wie auch aus den vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung angeführten Beispielen, die sämtlich Vorschriften aus neuerer Zeit betreffen, hervorgeht. Der Ausdruck "gesetzliche Krankenversicherung" ist jedenfalls dem Zweiten Buch der RVO fremd. Schon daraus geht hervor, daß dieser Ausdruck nicht eindeutig, sondern auslegungsbedürftig ist, zumal dann, wenn er für Rechtsgebiete außerhalb der Sozialversicherung angewandt werden soll. Von einer Entscheidung nach dem Wortlaut oder gegen den Wortlaut der Bestimmung kann bei Auslegungsbedürftigkeit des Wortlauts nicht gesprochen werden. In dieser Hinsicht können deshalb gegen die Auslegung unter Ziff. 4 dieser Stellungnahme Bedenken nicht erhoben werden.
Das Finanzgericht Düsseldorf stützt seine Entscheidung (Entscheidungen der Finanzgerichte 1957 S. 101) hauptsächlich darauf, daß nach dem Wortlaut der LStR der "Versicherungsträger" für die Beurteilung maßgebend sei, ob eine gesetzliche Krankenversicherung vorliege. Einen solchen Schluß rechtfertigt aber der Wortlaut nicht. Zur Begründung seiner Ansicht führt das Finanzgericht weiter aus, Rechte und Pflichten des freiwillig Weiterversicherten beruhten nicht auf einem Vertrag und bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen, sondern ergäben sich im wesentlichen aus der RVO, also aus Vorschriften öffentlich-rechtlicher Natur. Das ist an sich richtig. Dem ist aber vor allem entgegenzuhalten, daß sich die Pflichten der an dem Versicherungsverhältnis Beteiligten ihrem Umfang nach keineswegs so eindeutig aus dem Gesetz ergeben, wie das für die Pflichtversicherung zutrifft. Vielmehr haben die Beteiligten bei der freiwilligen Weiterversicherung, wie bereits unter Ziff. 4 dargelegt, weitgehend freie Hand.
Gegenüber dem Hinweis des Finanzgerichts Düsseldorf, durch die Besteuerung der Krankengeld- und Hausgeldzuschüsse an freiwillig weiterversicherte Angestellte trete eine ungleichmäßige Besteuerung einerseits der Angestellten und andererseits der Arbeiter ein, ist zu bemerken: Arbeiter und Angestellte werden nach der RVO hinsichtlich der Versicherungspflicht unterschiedlich behandelt. Ein Unterschied besteht gerade hinsichtlich der Krankengeldzuschüsse. Während die Arbeiter auf Grund des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 26. Juni 1957 (BGBl I S. 649) einen gesetzlichen Anspruch auf einen Krankengeldzuschuß in bestimmter Höhe haben, gilt das für die Angestellten nicht. Diese Unterschiede beruhen auf dem Willen des Gesetzgebers und können weder durch die Verwaltung noch durch die Rechtsprechung beseitigt werden. Der Einwand der ungleichen Besteuerung, wie er unter Ziff. 3 dieser Stellungnahme in anderer Hinsicht bereits angedeutet wird, ist demgegenüber schwerwiegender. Es entbehrt einer inneren Berechtigung, Angestellte nur deshalb steuerlich zu begünstigen, weil sie sich bei einem gesetzlichen Träger der Krankenversicherung weiterversichert haben, während Angestellten, die diese Möglichkeit nicht hatten, eine entsprechende steuerliche Vergünstigung versagt wird.
Auch der Einwand, die Besteuerung der Krankengeld- und Hausgeldzuschüsse an freiwillig Weiterversicherte führe zu sozialpolitisch unerwünschten Folgen, greift nicht durch. Wenn ein wirklicher Notstand eintritt, kann der Arbeitgeber nach Abschnitt 10 LStR anderweit helfend eingreifen. Es sollte vermieden werden, eine unterschiedliche steuerliche Behandlung der freiwillig Versicherten und sozialpolitisch unerwünschte Folgen dadurch herbeizuführen, daß die bei einer Krankenkasse der RVO weiterversicherten Angestellten steuerfreie Zuschüsse erhalten können, andere Angestellte dagegen nicht.
In diesem Zusammenhang muß auch auf die änderung des § 189 Abs. 1 letzter Satz RVO durch § 8 Nr. 3 des bereits erwähnten Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle hingewiesen werden. Dieser Satz lautet nunmehr: "Zuschüsse des Arbeitgebers zum Kranken- oder Hausgeld gelten ohne Rücksicht auf ihre Höhe nicht als Arbeitsentgelt." Die Auswirkungen dieser änderung lassen sich noch nicht übersehen. Die frühere Beschränkung, daß Krankengeld- und Hausgeldzuschüsse die Höhe des Krankengeldes oder Hausgeldes nicht erreichen durften, ist jedenfalls weggefallen. Nach Ansicht des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung hat die änderung nur Bedeutung für die Anwendung des Gesetzes vom 26. Juni 1957, das sich nur auf Arbeiter (nicht auf Angestellte) bezieht. Aus der ganz allgemein gehaltenen Fassung der änderung der RVO ergibt sich eine solche Begrenzung aber nicht eindeutig. Wenn aber die Regelung auch für Angestellte gelten sollte, würde sich die Folge ergeben, daß zum Beispiel ein leitender Angestellter mit einem Monatsgehalt von 2.000 DM, der sich bei einer Ortskrankenkasse freiwillig weiterversichert hat und im Krankheitsfall das Höchstkrankengeld von 330 DM monatlich bezieht, einen Krankengeldzuschuß von etwa 1.669 DM monatlich steuerfrei beziehen könnte.
Entscheidungsgründe
III. Entscheidung des Senats
Die Rechtsbeschwerde der Firma ist begründet. Mit Recht sehen alle Beteiligten Abschnitt 10 Abs. 2 Ziff. 4 LStR 1952 als unverändert fortgeltenden allgemeinen Milderungserlaß aus der Zeit des autoritären Regimes an. Die Regelung der LStR geht, wie der Bundesminister der Finanzen zutreffend ausführt, auf den Gemeinsamen Erlaß zurück. Durch diesen Erlaß sollten, wie bereits durch den vorangegangenen Gemeinsamen Erlaß vom 20. September 1941 (RStBl 1941 S. 697, Reichsarbeitsblatt 1941 II S. 317), im Interesse der Vereinfachung die Berechnungsgrundlage für die Lohnsteuer und die Sozialbeiträge möglichst vereinheitlicht werden. Der Gemeinsame Erlaß führte als seine Rechtsgrundlage unter anderem § 13 der Reichsabgabenordnung (AO) an; er ist nur im RStBl veröffentlicht worden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs haben die Steuergerichte einen Erlaß des Reichsministers der Finanzen anzuwenden und auszulegen, wenn es sich um einen unverändert fortgeltenden Milderungserlaß handelt, der seine sachliche Grundlage in § 13 AO a. F. hatte (vgl. z. B. Entscheidung des Senats VI 1/54 U vom 31. Oktober 1957 - unter II -, Bundessteuerblatt - BStBl - 1958 III S. 4, Slg. Bd. 66 S. 8). Ob sich der Erlaß tatsächlich im Rahmen der Ermächtigung des § 13 AO a. F. hält, müssen die Steuergerichte im einzelnen Fall prüfen. Bei der hier streitigen Bestimmung des Gemeinsamen Erlasses ist das der Fall. Nach der inzwischen aufgehobenen Bestimmung des § 13 AO a. F. konnte nämlich der Reichsminister der Finanzen für bestimmte Arten von Fällen aus Billigkeitsgründen unter anderem allgemein anordnen, daß abweichend vom Gesetz Steuerbefreiungen gewährt würden. Es ist ein Ausdruck der Betriebsverbundenheit und der sozialen Verantwortlichkeit, wenn Arbeitgeber ihren für längere Zeit erkrankten Arbeitnehmern zum Krankengeld aus der Sozialversicherung Zuschüsse geben, um ihre Arbeitnehmer während der Erkrankung vor einem empfindlichen Absinken der Einkünfte zu bewahren, zumal durch die Krankheit nicht selten gleichzeitig erhöhte Lebenskosten entstehen. Der vom Arbeitgeber verfolgte Zweck würde aber gefährdet, wenn auf die Zuschüsse Lohnsteuer erhoben würde, wie insbesondere auch der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung in seiner Stellungnahme (unter II 2b) dargelegt hat. Die steuer- und sozialpolitischen Erwägungen, die für die Steuerfreiheit des von den Versicherungsträgern gewährten Krankengeldes selbst angeführt werden können, sprechen auch für die Steuerfreiheit von Krankengeldzuschüssen der Arbeitgeber, die im Rahmen von Abschnitt 10 Abs. 2 Ziff. 4 LStR 1952 gewährt werden. Jedenfalls blieb der Reichsminister der Finanzen im Rahmen der ihm durch § 13 AO a. F. erteilten Ermächtigung, wenn er die Steuerbefreiung der Krankengeldzuschüsse des Arbeitgebers in dem näher bezeichneten Umfang aus Billigkeitsgründen anordnete. Unerheblich ist, daß die Regelung nicht ausschließlich durch Billigkeitserwägungen veranlaßt war, sondern zugleich auch der Vereinfachung der Verwaltungsarbeit für alle Beteiligten diente. Denn derartige Verwaltungsmaßnahmen werden oft durch mehrere Beweggründe bestimmt. Ist die Regelung aber überhaupt durch eine Ermächtigung gedeckt, so kann es im allgemeinen keine Rolle spielen, daß die Verwaltung mit der Regelung zugleich noch andere, dem Gesetz nicht widersprechende Ziele verfolgte. Von der Rechtsgültigkeit der Anordnung in Abschnitt 10 Abs. 2 Ziff. 4 LStR ist auch schon das Urteil des Bundesfinanzhofs I 109/52 U vom 21. April 1953 (BStBl 1953 III S. 258, Slg. Bd. 57 S. 676) ausgegangen. Nach allem hat das Finanzgericht mit Recht die streitige Bestimmung der LStR angewendet und ausgelegt.
Bei der Auslegung von fortgeltenden Milderungserlassen aus der Zeit des autoritären Regimes sind im allgemeinen dieselben Grundsätze anzuwenden wie bei der Auslegung von Gesetzen. Solche Erlasse sind zwar keine Rechtsnormen, d. h. Gesetze oder Rechtsverordnungen. Sie sind aber doch den Rechtsnormen nach Entstehung und Auswirkung insofern ähnlich, als sie vom Reichsminister der Finanzen auf Grund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen wurden, an die öffentlichkeit gerichtet waren und die Höhe der gesetzlich geschuldeten Steuer beeinflußten. Die rechtsstaatlichen Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verlangen, bei der Auslegung derartiger Willensäußerungen in erster Linie von dem veröffentlichten Wortlaut auszugehen und bei der Abweichung vom Wortlaut insbesondere dann Zurückhaltung zu üben, wenn dadurch die Vergünstigung zuungunsten der Steuerpflichtigen eingeschränkt würde. Dieser Auslegungsgrundsatz, den der Senat für die Auslegung von steuerrechtlichen Normen ausgesprochen hat (vgl. Urteil VI 162/55 U vom 14. Februar 1958, BStBl 1958 III S. 207, Slg. Bd. 66 S. 539) muß für die Auslegung von Milderungserlassen sinngemäß gelten. Von dieser Auffassung ist auch der I. Senat in seiner Entscheidung I 285/56 U vom 7. Mai 1957 (BStBl 1957 III S. 264, Slg. Bd. 65 S. 82) ausgegangen. Aus diesen überlegungen ergibt sich, daß im allgemeinen der Vorstellung der Referenten, auf die sich der Bundesminister der Finanzen auch im Streitfall beruft, keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt, wenn sie im Wortlaut des Milderungserlasses keinen ausreichenden Ausdruck gefunden hat.
Es ist dem Bundesminister der Finanzen zuzugeben, daß der in Abschnitt 10 Abs. 2 Ziff. 4 LStR verwendete Ausdruck "gesetzliche Krankenversicherung" allerdings nicht eindeutig auch die freiwillige Weiterversicherung bei den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung mitumfaßt. Aber bei unbefangener Betrachtung des Wortlauts liegt es doch nahe, die freiwillige Weiterversicherung einzubeziehen und mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung und dem Finanzgericht Düsseldorf nur darauf abzustellen, ob das Versicherungsverhältnis mit einem Träger der "gesetzlichen Krankenversicherung" besteht, gleichviel, ob es sich um eine Pflichtversicherung oder eine freiwillige Weiterversicherung handelt. Den vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung angeführten anderen gesetzlichen Bestimmungen, in denen der Ausdruck "gesetzliche" Versicherung als Gegensatz zur "privaten" Versicherung gebraucht und die freiwillige Weiterversicherung bei der gesetzlichen Versicherung mitumfaßt wird, kann allerdings, wie der Bundesminister der Finanzen mit Recht ausführt, keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen, da sie erst in späteren Gesetzen vorkommen. Ebensowenig kann man aber auch mit dem Bundesminister der Finanzen aus dem Gesetz vom 26. Juni 1957 (vgl. oben II 6) Entscheidendes ableiten.
Die zweifelhafte Wortfassung kann auch nicht eindeutig und leicht aus dem Sinn und Zweck der Regelung aufgeklärt werden. Der Bundesminister der Finanzen beruft sich darauf, es würde nicht sinnvoll sein, Zuschüsse an nicht pflichtversicherte Angestellte, die sich privat gegen Krankheit weiterversichern, lohnsteuerpflichtig zu machen, Zuschüsse an freiwillig bei einer Ortskrankenkasse weiterversicherte Angestellte indessen lohnsteuerfrei zu belassen; die Steuerfreiheit der Zuschüsse dürfe bei sonst gleichen Verhältnissen nicht von der zufälligen Form der Versicherung abhängig gemacht werden. Demgegenüber wird von anderen darauf hingewiesen, daß es ungerecht sein würde, Zuschüsse an Arbeiter, die ohne Rücksicht auf die Höhe des Arbeitslohns immer pflichtversichert sind, lohnsteuerfrei zu belassen, auch wenn sie z. B. als gut bezahlte Facharbeiter wirtschaftlich günstiger stünden als viele Angestellte. Es spricht viel dafür, mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung und entgegen der Auffassung des Bundesminister der Finanzen die freiwillige Weiterversicherung bei einem Träger der Sozialversicherung nicht mit der Versicherung bei einer privaten Krankenversicherung gleichzustellen.
Bei den Schwierigkeiten, die die Auslegung des Abschnitts 10 Abs. 2 Ziff. 4 LStR hinsichtlich der Streitfrage bietet, mißt der Senat der folgenden Erwägung Bedeutung bei: Die Frage der Steuerpflicht der Krankengeldzuschüsse an Angestellte, die sich bei einem Träger der Sozialversicherung freiwillig weiterversichern, war seit langem streitig. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hatte, wie sich aus Ziff. 2a der Stellungnahme des Bundesministers der Finanzen ergibt, bereits im Oktober 1953 seine abweichende Auffassung mit eingehender schriftlicher Begründung dem Bundesminister der Finanzen mitgeteilt. Auch von mehreren Oberfinanzdirektionen und im Fachschrifttum (vgl. z. B. Hartz-Over, Lohnsteuer, 1955 S. 55) wurde damals die Frage im Sinne des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung beurteilt. Der Bundesminister der Finanzen hat trotz dieser ihm bekannten Zweifel keine Veranlassung genommen, eine Klarstellung in der Streitfrage durch änderung der LStR herbeizuführen.
Das wäre aber rechtlich ohne weiteres möglich gewesen. Wie der I. Senat des Bundesfinanzhofs in der Entscheidung I 39/57 U vom 14. August 1958 (BStBl 1958 III S. 409) mit Recht ausgeführt hat, sind Billigkeitsmaßnahmen der Verwaltung, die gemäß § 131 AO n. F. für Gruppen von Fällen erlassen werden, von den Steuergerichten zu beachten und auszulegen, weil sie, sofern sie sich im Rahmen der Ermächtigung des § 131 AO n. F. halten, die Höhe der gesetzlichen Steuerschuld gestaltend beeinflussen. Die Ermächtigung, die der Gesetzgeber der Verwaltung in § 131 AO erteilt hat, umfaßt selbstverständlich nicht nur das Recht, Billigkeitsmaßnahmen zu treffen, sondern auch das Recht, erlassene Billigkeitsmaßnahmen aufzuheben oder zu ändern. Dabei können sich allerdings für eine rückwirkende Aufhebung oder änderung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben Einschränkungen ergeben. Der Aufhebung der änderung erlassener Billigkeitsmaßnahmen für die Zukunft stehen aber grundsätzlich keine rechtlichen Bedenken entgegen.
Für die unverändert fortgeltenden allgemeinen Milderungserlasse aus der autoritären Zeit muß dasselbe gelten. Es ist nicht zweifelhaft, daß der Reichsminister der Finanzen früher eine nach § 13 AO a. F. erlassene Anordnung später auch von sich aus ändern und aufheben konnte. Da die allgemeinen Milderungserlasse, wie ausgeführt, Maßnahmen der Verwaltung und keine Rechtsnormen sind, bedarf es zu ihrer Aufhebung und änderung nach Inkrafttreten des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) nicht etwa der Form der Rechtsetzung, die das GG vorsieht, d. h. der Form eines Gesetzes oder einer nach Art. 80 Abs. 1 GG ermächtigten Rechtsverordnung der Verwaltung. Das Organ, das als Rechtsnachfolger des Reichsministers der Finanzen sachlich zuständig ist (Art. 129 Abs. 1 GG) kann in der autoritären Zeit entstandene allgemeine Milderungserlasse aufheben oder so ändern, daß der neue Inhalt sich im Rahmen der Ermächtigung des § 131 AO n. F. hält.
Daraus ergibt sich, daß die Möglichkeit bestand, in Abschnitt 10 Abs. 2 Ziff. 4 LStR mindestens mit Wirkung für die Zukunft klarzustellen, daß Krankengeldzuschüsse der Arbeitgeber an freiwillig bei der Sozialversicherung weiterversicherte Angestellte nicht lohnsteuerfrei seien. Wenn die Verwaltung diese Möglichkeit hatte, aber trotz der ihr bekannten Zweifel über die Auslegung von ihrer Befugnis keinen Gebrauch machte, so widerspricht es einer vernünftigen Abwägung der Interessen von Steuerfiskus und Steuerpflichtigen, Abschnitt 10 Abs. 2 Ziff. 4 LStR im Sinne des Bundesministers der Finanzen einschränkend auszulegen. Da zwei beteiligte Bundesminister über eine von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats nach Art. 108 Abs. 6 GG erlassene allgemeine Verwaltungsvorschrift (die LStR) verschiedener Auffassung waren, lag es nahe, alsbald auf dem gleichen Weg eine Klarstellung herbeizuführen. Es ist jedenfalls den Beteiligten nicht zu verdenken, wenn sie sich bei der Unterlassung des Steuerabzugs auf die bekannte und ihnen günstige Rechtsauslegung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung stützten, die im übrigen teilweise auch in der Finanzverwaltung vertreten wurde. Es würde Recht und Billigkeit widersprechen, unter diesen Umständen nachträglich die Arbeitgeber wegen der Unterlassung des Steuerabzugs in Anspruch zu nehmen. Es wäre aber nicht weniger unbillig, die Arbeitnehmer selbst nachträglich als Steuerschuldner heranzuziehen. Es ist ihnen nicht zuzumuten, auf diese Bezüge, die sie zum Lebensunterhalt verwendet haben, nach Jahren noch Lohnsteuer zu entrichten.
Es bedarf auch nicht etwa zur nachträglichen Nichterhebung dieser Lohnsteuer einer besonderen Billigkeitsmaßnahme der Verwaltung im Sinne des § 131 AO. Denn wenn eine mögliche Auslegung einer Norm allgemein oder in vielen Fällen zu einer unbilligen Härte führen würde, so ist dem, soweit möglich, bereits bei der Auslegung der Norm selbst Rechnung zu tragen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 241/52 U vom 3. Dezember 1953, BStBl 1954 III S. 72, Slg. Bd. 58 S. 417). Ihre Rechtfertigung findet diese Auffassung darin, daß diejenige Stelle, die eine Norm erläßt, keine Auslegung wollen kann, die für einen großen Kreis von Fällen zu unbilligen Ergebnissen führt. Die Gerichte, die bei der Auslegung eines Gesetzes den Willen des Gesetzgebers zu ermitteln und zu vollziehen haben, können darum diesen Gesichtspunkt nicht außer Betracht lassen.
Nach allem war die Inanspruchnahme der Bfin. für Lohnsteuer auf die Krankengeldzuschüsse an den Angestellten nicht gerechtfertigt.
Fundstellen
Haufe-Index 409235 |
BStBl III 1959, 69 |
BFHE 1959, 176 |
BFHE 68, 176 |