Leitsatz (amtlich)

1. Die Ermächtigung der Bundesregierung in § 5 Abs. 4 Nr. 1 UStG 1951, über die Absetzbarkeit von Versendungs- und Versicherungsauslagen nähere Bestimmung zu treffen, ist nachkonstitutionelles Recht. Sie ist nach Inhalt, Zweck und Ausmaß genügend bestimmt.

2. Der Senat hält an seiner ständigen Rechtsprechung fest, nach der die Beschränkung der Absetzbarkeit von Versendungs- und Versicherungsauslagen auf den Gegenstand der Lieferung in § 54 Abs. 1 UStDB 1951 gültig ist.

 

Normenkette

GG Art. 80 Abs. 1; UStG 1951 § 5 Abs. 4 Nr. 1; UStDB 1951 § 54 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) betrieb in den für den Streit maßgeblichen Jahren 1959 bis 1962 in ihrem Unternehmen u. a. einen Lesezirkel. Im Rahmen dieser Erwerbstätigkeit ließ sie die Lesemappen durch selbständig tätige Ortsagenten (Austräger) zu den Abonnenten bringen und wieder abholen sowie die Benützungsgebühren durch diese Personen einziehen. Die Austräger erhielten dafür einen Pauschbetrag (Trägergeld) je Woche und je Abonnent, der in die Benützungsgebühr eingerechnet war. Die Austräger führten die Gebühren, gekürzt um die ihnen zustehenden Trägergelder, an die Steuerpflichtige ab.

Bei einer Betriebsprüfung wurde festgestellt, daß die Steuerpflichtige bei dem von ihr erworbenen Lesezirkelkreis "S" im Gegensatz zu dem sonst von ihr geübten Verfahren nur die nach Abzug der Trägergelder verbleibenden Entgelte der Umsatzsteuer unterworfen hatte. Das FA berichtigte die Veranlagungen für die genannten Veranlagungszeiträume und zog die Trägergelder mit 4 v. H. zur Steuerberechnung heran.

Die Steuerpflichtige ist der Auffassung, die Trägergelder seien gemäß § 5 Abs. 4 Nr. 1 UStG 1951 vom Entgelt absetzbar, weil diese Vorschrift nicht zwischen Versendungsauslagen aus Anlaß von Leistungen und solchen aus Anlaß von Lieferungen unterscheide. Sie ist weiter der Meinung, die Ermächtigung der Bundesregierung zum Erlaß von Durchführungsbestimmungen sei nichtig, weil sie mangels Bestimmtheit gegen Art. 80 des Grundgesetzes (GG) verstoße. Schließlich macht sie geltend, soweit in § 54 Abs. 1 UStDB 1951 der Abzug der Auslagen auf Versendungsauslagen bei der Lieferung von Gegenständen beschränkt werde, habe sich der Verordnungsgeber nicht im Rahmen der ihm in § 18 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1951 erteilten Ermächtigung gehalten.

Die Sprungklage (Sprungberufung) ist ohne Erfolg geblieben.

Mit der als Revision zu behandelnden Rechtsbeschwerde (§§ 184 Abs. 2 Nr. 1, 115 ff. FGO) rügt die Steuerpflichtige, die Vorinstanz habe § 5 Abs. 4 Nr. 1 UStG 1951 und § 54 Abs. 1 UStDB 1951 fehlerhaft ausgelegt, denn in keiner der beiden Vorschriften sei ausgesprochen, Versendungsauslagen, die anläßlich einer Leistung anfielen, dürften nicht abgezogen werden. Es sei kein Grund ersichtlich, der eine verschiedene Behandlung der beiden Hauptarten von Umsätzen gemäß Art. 3 GG rechtfertigen könne. § 54 UStDB befasse sich nur mit den Versendungskosten beim Lieferungsgeschäft und mit den Auslagen der Spediteure, Frachtführer und Verfrachter. Die Versendungsauslagen im Zusammenhang mit "sonstigen Leistungen" seien deshalb unmittelbar nach § 5 Abs. 4 UStG absetzbar.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Steuerpflichtige weiter geltend gemacht: § 5 Abs. 4 UStG sei nach der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. BVerfGE 15, 154 [159]) als nachkonstitutionelles Recht zu beurteilen, da durch das Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und des Beförderungsteuergesetzes vom 28. Juni 1951 (BStBl I, 203, BGBl I, 402) die ursprüngliche Ermächtigung durch die Ermächtigung an einen anderen Delegatar ersetzt worden sei. Der Bundesgesetzgeber habe damit die Bestimmung neu in seinen Willen aufgenommen. Sie entspreche aber nicht den Anforderungen, die Art. 80 Abs. 1 GG verlange. Die Frage der Absetzbarkeit der strittigen Versendungsauslagen müsse somit allein nach § 5 Abs. 4 UStG 1951 entschieden werden.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

Zutreffend ist die Vorinstanz davon ausgegangen, daß nur die Versendungsauslagen für Lieferungen von den Entgelten für steuerpflichtige Umsätze abgezogen werden können (§ 5 Abs. 4 Nr. 1 UStG 1951, § 54 Abs. 1 UStDB 1951) und daß die von der Steuerpflichtigen gezahlten Trägergelder keine Auslagen dieser Art sind. Denn bei der Überlassung der Lesemappen an die Abonnenten handelt es sich unstreitig um sonstige Leistungen im Sinne des § 1 Nr. 1 UStG 1951.

Über die Frage, unter welchen Voraussetzungen Auslagen des Unternehmers vom Entgelt abgesetzt werden können (Art der Auslagen, buchmäßige Behandlung u. a. ), kann aus § 5 Abs. 4 Nr. 1 UStG 1951 nichts entnommen werden, weil der Gesetzgeber hierüber erklärtermaßen selbst keine Regelung treffen wollte. Die genannte Vorschrift bestimmt, daß die Auslagen "nach näherer Bestimmung der Bundesregierung" abgesetzt werden können. Die Regelung ist also ausdrücklich der Bundesregierung (ehedem dem Reichsminister der Finanzen - RdF -) überlassen.

In Übereinstimmung mit dem Revisionsvorbringen ist der Senat der Auffassung, daß § 5 Abs. 4 Nr. 1 UStG nachkonstitutionelles Recht ist, seitdem durch § 1 Nr. 10 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 3 des oben genannten Änderungsgesetzes vom 28. Juni 1951 an Stelle des RdF die Bundesregierung als Delegatar in die Vorschrift aufgenommen wurde. Die Ermächtigung ist deshalb nur gültig, wenn sie den Erfordernissen des Art. 80 Abs. 1 GG entspricht, also nach Inhalt, Zweck und Ausmaß soweit bestimmt ist, daß sie - wenigstens im Wege der Auslegung - voraussehen läßt, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die auf ihr beruhenden Verordnungen haben können (BVerfGE 15, 160 ff. mit weiteren Nachweisen). Dem Senat erscheint die Ermächtigung im § 5 Abs. 4 UStG 1951 verfassungsrechtlich unbedenklich; denn allein schon die Bindung der Regelungsbefugnis des Verordnungsgebers an die Auslagen des Unternehmers für die Versendung und Versicherung von Gegenständen enthält eine enge Begrenzung für den Inhalt und das Ausmaß der Durchführungsvorschriften. Auch der Zweck der Ermächtigung ist aus den in § 4 Nr. 9 UStG enthaltenen Rechtsgedanken und den Motiven zum UStG (vgl. Popitz, Umsatzsteuergesetz, 3. Aufl. S. 756) erkennbar: Der Verordnungsgeber soll die Möglichkeit haben, nach Gesichtspunkten der Steuergerechtigkeit und der steuerlichen Erhebungspraxis die doppelte steuerliche Belastung des Warentransports und der Versicherungsleistungen auszuschließen. Aus der Ermächtigung ist daher ersichtlich, daß die Verwaltung zwar die Absetzung von Versendungs- und Versicherungsauslagen vom Entgelt in einem namhaften Umfang zulassen muß, daß sie aber diesen Umfang nach Gesichtspunkten, die sich aus dem Gegenstand der Regelung ergeben, begrenzen kann. Solche Gesichtspunkte sind etwa die Art der Umsätze (Lieferungen oder "sonstige Leistungen"), das Wertverhältnis der Auslagen zum Entgelt, der Grad der Bezogenheit der Auslagen zum jeweiligen Umsatz, die Überprüfbarkeit im Rahmen der Steuererhebungspraxis. Die Fälle, in denen von der Ermächtigung Gebrauch gemacht werden kann, sind also überschaubar. Der Inhalt der Ermächtigung genügt deshalb den Erfordernissen des Art. 80 Abs. 1 GG. Dies gilt um so mehr, als es sich bei § 5 Abs. 4 Nr. 1 UStG um eine Ausnahmeregelung zugunsten des Steuerpflichtigen handelt und nach der Rechtsprechung des BVerfG die Anforderungen an die Bestimmtheit der Ermächtigung in solchen Fällen geringer sind, als bei Eingriffsgesetzen (BVerfGE 7, 303).

Im übrigen ist, wie die nachstehenden Erörterungen zeigen werden, für die Entscheidung der vorliegenden Streitsachen die Gültigkeit der Ermächtigung nicht einmal von ausschlaggebender Bedeutung. Wesentlich ist aber, daß aus der Einfügung der Ermächtigung - auch wenn deren Inhalt dem Art. 80 GG nicht genügte - der fehlende Wille des Gesetzgebers zur Regelung der Absetzbarkeit von Versendungsauslagen ersichtlich ist. Entgegen der Auffassung der Steuerpflichtigen kann deshalb die Absetzung von Auslagen für die Versendung von Gegenständen nicht ausschließlich auf die gesetzliche Vorschrift gestützt werden.

Die strittige Frage muß deshalb im Gegensatz zu der in der Revisionsbegründung vorgetragenen Auffassung nach der die Norm ausfüllenden Verordnung, dem § 54 UStDB 1951 in der jeweils geltenden Fassung, entschieden werden. Es kommt somit auf das von der ersten Instanz behandelte Problem an, ob § 54 UStDB 1951 gültig ist. Das Vorbringen, § 54 UStDB 1951 sei unwirksam, hat die Rechtsprechung bereits mehrfach - allerdings ohne eingehende Begründung - zurückgewiesen (Urteile des BFH V 251/58 U vom 17. Dezember 1959, BFH 70, 264, BStBl III 1960, 97; V 58/65 vom 15. Februar 1968, BFH 91, 554; Entscheidung des FG Münster V u 364-370/65 U vom 13. April 1967, EFG 1968, 47).

Der Senat hält unabhängig von der Entscheidung, ob die Ermächtigung in § 5 Abs. 4 UStG verfassungskonform ist, an diesem Erkenntnis fest. § 54 Abs. 1 Satz 1 UStDB 1951 ist wortgleich mit dem § 49 Abs. 1 Satz 1 UStDB 1938 (RGBl I 1938, 1935, RStBl 1939, 8). Die Vorschrift ist vorkonstitutionelles Recht. Sie ist ergangen auf Grund der schon vor dem Inkrafttreten des GG in § 5 Abs. 4 Nr. 1 UStG 1951 enthaltenen Ermächtigung. Es kommt daher nicht darauf an, ob diese Ermächtigung nach "Inhalt, Zweck und Ausmaß" genügend bestimmt war. Denn nach Art. 123 Abs. 1 GG gilt das vorkonstitutionelle Recht fort, soweit es dem GG nicht widerspricht. Ein solcher Widerspruch kann nicht festgestellt werden. Auch Art. 129 Abs. 3 GG greift nicht ein. Diese Vorschrift derogiert nur Ermächtigungen zu gesetzesvertretenden Rechtsvorschriften, nicht aber die etwa auf Grund solcher Ermächtigungen erlassenen vorkonstitutionellen Verordnungen.

Für die Zeit nach dem 13. September 1961 könnte die Auffassung vertreten werden, daß § 54 Abs. 1 UStDB 1951 nachkonstitutionelles Recht sei, weil die Fassung des letzten Halbsatzes durch die 12. Verordnung zur Änderung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz vom 8. September 1961 (BGBl I 1961, 1660, BStBl I 1961, 624) geändert wurde (früher: "soweit er die Auslagen bei der Abrechnung dem Abnehmer kenntlich macht" - heute: "soweit er die Auslagen in der Buchführung nachweist").

Durch diese Änderung hat aber der Verordnungsgeber den auf der vorkonstitutionellen Ermächtigung beruhenden Kern des § 54 UStDB - daß nur Versendungsauslagen für den Gegenstand einer Lieferung abzugsfähig sein sollen - nicht berührt. Die nachkonstitutionelle Änderung betrifft lediglich eine technische Modalität innerhalb der seit 1934 bestehenden Begrenzung der Absetzbarkeit von Versendungsauslagen bei Lieferungen. Die Änderung einer vorkonstitutionellen Verordnung in einem sachlich und textlich so geringen Ausmaß berechtigt nicht zu der Feststellung, der Verordnungsgeber habe damit die gesamte Verordnung auf die neue nachkonstitutionelle Grundlage gestellt. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die neue Ermächtigung lediglich für die Änderung in Anspruch genommen wurde; denn "es gibt keinen Rechtssatz, der verbietet, in einer Verordnung Vorschriften oder Teile einer Vorschrift unberührt zu lassen, wenn andere Vorschriften oder Teile von ihnen auf Grund einer neuen Ermächtigung geändert werden sollen" (BVerfGE 12, 352). Im übrigen wäre es ohne Einfluß auf die hier zu treffende Entscheidung, wenn § 54 UStDB in vollem Umfang auf der neuen Ermächtigung beruhte und wenn diese Grundlage verfassungsrechtlich unzureichend wäre. Denn in diesem Falle wäre der auf Grund der vorkonstitutionellen Ermächtigung ergangene § 54 UStDB durch den Erlaß einer neuen, zu seinem Ersatz geschaffenen Ausführungsbestimmung nicht außer Kraft getreten, weil der Verordnungsgeber dann weder zur Aufhebung der durch Art. 123 Abs. 1 GG in das Bundesrecht übergeführten Vorschrift noch zum Erlaß zusätzlicher Regelungen zur Durchführung des § 5 Abs. 4 UStG berechtigt gewesen wäre.

Schließlich sind auch die Bedenken gegen die bestehende Regelung der Absetzung von Versendungsauslagen, die die Steuerpflichtige aus dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG herleitet, nach Auffassung des Senats unbegründet. Mit den Unternehmern, die Lieferungen ausführen, und den in § 54 Abs. 2 UStDB genannten Unternehmern sind diejenigen Wirtschaftsgruppen erfaßt, bei deren Umsätzen hauptsächlich verkehrsteuerbelastete Fremdleistungen für Versendungen den Preis namhaft beeinflussen. Bei den nicht begünstigten Unternehmergruppen wie z. B. bei Handelsvertretern, Maklern, Bücherrevisoren, Rechtsanwälten sind die Umsätze von "sonstigen Leistungen" regelmäßig nur durch Postgebühren belastet, die für die Preisgestaltung kaum ins Gewicht fallen. Da die Regelung der Absetzung von Versendungsauslagen hauptsächlich der Vermeidung von Doppelbesteuerungen auf dem Gebiete der Verkehrsteuern dient, ist die unterschiedliche Behandlung der alternativ genannten Gruppen sachgerecht. Daß aus dieser pauschalen Regelung für den einzelnen Steuerpflichtigen Ungleichheiten entstehen können, muß hingenommen werden. Denn Steuergesetze müssen, um praktikabel zu sein, typisieren. Es genügt, daß diese Gesetze eine "Typengerechtigkeit" auf Grund eines typischen Tatbestandes wahren. Die als Nebenfolge solcher Regelungen entstehenden Ungleichheiten können nicht als Verstoß gegen den Gleichheitssatz beurteilt werden (BVerfGE 14, 76 [102]).

Das Revisionsvorbringen ist deshalb nicht geeignet, die angefochtene Entscheidung in Frage zu stellen. Auch darüber hinaus sind keine Rechtsgründe ersichtlich, die der Revision zum Erfolg verhelfen könnten. Das Rechtsmittel ist deshalb als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68463

BStBl II 1969, 276

BFHE 1969, 16

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