Entscheidungsstichwort (Thema)
Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung: Nachträgliche Straßenbaukostenbeiträge zur Schaffung einer Fußgängerstraße, Aufwendungen, die den Grund und Boden betreffen, Ersatz oder Modernisierung von Erschließungseinrichtungen - Begriff der Anschaffungskosten im Bereich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb und der Vermietungseinkünfte inhaltsgleich - Wiedereinsetzung wegen Verzögerungen im Postverkehr
Leitsatz (amtlich)
Der Eigentümer eines bereits durch eine Straße erschlossenen Grundstücks kann nachträgliche Straßenbaukostenbeiträge, die eine Gemeinde für die bauliche Veränderung der Gehwege zur Schaffung einer Fußgängerstraße erhebt, als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung absetzen.
Orientierungssatz
1. Als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sind grundsätzlich auch Aufwendungen, die den Grund und Boden betreffen, abziehbar; denn bei der Vermietung von Gebäuden gehört die damit verbundene Nutzungsüberlassung von Grund und Boden zum Einkünftetatbestand des § 21 Abs. 1 EStG (vgl. BFH-Urteil vom 4.6.1991 IX R 30/89).
2. Werden vorhandene Erschließungseinrichtungen ersetzt oder modernisiert, führen Erschließungsbeiträge nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten auf den Grund und Boden, es sei denn, das Grundstück wird durch die Maßnahmen in seiner Substanz oder in seinem Wesen verändert. Dabei wird der Charakter eines Grundstücks durch grundstücksbezogene Kriterien, insbesondere durch Größe, Lage, Zuschnitt, Erschließung und Grad der Bebaubarkeit bestimmt. Solange diese unverändert bleiben, werden Substanz oder Wesen des Grundstücks nicht berührt. Ob die Maßnahme zu einer Werterhöhung des Grundstücks geführt hat, ist nicht entscheidend (vgl. BFH-Rechtsprechung).
3. Die Grundsätze der zu Erschließungsmaßnahmen im betrieblichen Bereich ergangenen BFH-Urteile sind auch bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung anwendbar, da der Begriff der Anschaffungskosten (§ 255 Abs. 1 HGB) bei den Vermietungseinkünften grundsätzlich keinen anderen Inhalt hat als bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb (vgl. BFH-Urteil vom 24.2.1987 IX R 114/82).
4. NV: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Kommt ein Brief, mit dem die Revisionsbegründung übersandt wird, erst am dritten Tag nach Aufgabe zur Post und damit verspätet beim BFH an, trifft den Steuerpflichtigen keine Sorgfaltspflichtverletzung. Mit einer derart langen Postlaufzeit braucht er nicht zu rechnen (vgl. BFH-Urteil vom 21.12.1990 VI R 10/86).
Normenkette
EStG 1983 § 9 Abs. 1 Sätze 1, 3 Nr. 2; HGB § 255 Abs. 1 Fassung: 1985-12-19; FGO § 56 Abs. 1; EStG 1983 § 9 Abs. 1 Nr. 2, § 21 Abs. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Rechtsnachfolger des am 2. Juli 1990 verstorbenen X. Dieser war Eigentümer eines Wohn- und Geschäftshauses, mit dem er Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielte. Die Stadt wandelte die angrenzende Straße in eine Fußgängergeschäftsstraße um, indem sie die Gehwege veränderte und Verkehrsbeschränkungen anordnete. Sie verpflichtete den Rechtsvorgänger der Kläger durch Bescheid vom 28. Oktober 1983 zur Zahlung eines Straßenbaukostenbeitrags von 4 109,52 DM, den dieser im Streitjahr (1983) entrichtete. In seiner Einkommensteuererklärung machte der Rechtsvorgänger der Kläger den genannten Betrag als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ließ die Aufwendungen nicht zum Abzug zu.
Die anschließende Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) beurteilte die strittigen Aufwendungen nicht als abziehbare Werbungskosten, weil die Gestaltung der Straße als Fußgängerstraße zu einer Erhöhung des Wertes des Grund und Bodens geführt habe.
++/ Das Urteil wurde dem Steuerberater am 1. August 1990 zugestellt. Nach rechtzeitig eingelegter Revision begründeten die Kläger diese durch Schriftsatz vom 29. September 1990, beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen am 4. Oktober 1990. Der Briefumschlag, in dem die Revisionsbegründungsschrift versandt wurde, trägt den Poststempel vom 1. Oktober 1990. Nachdem die Kläger darauf aufmerksam gemacht worden waren, daß die Frist zur Begründung der Revision bereits am 3. Oktober 1990 abgelaufen war, beantragten sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags machen sie geltend, die Revisionsbegründung hätte nach den vom Postamt angegebenen Postlaufzeiten am Tag nach Aufgabe zur Post beim BFH eingehen müssen. /++
Entscheidungsgründe
++/ Die Revision ist zulässig. Zwar wurde sie entgegen § 120 Abs.1 Satz 1 FGO nicht innerhalb eines Monats nach Ablauf der Revisionsfrist begründet. Die Revisionsbegründungsfrist endete am 3.Oktober 1990, der Schriftsatz der Kläger ging erst am darauffolgenden Tag beim BFH ein. Den Klägern ist jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zuzubilligen. Nach § 56 Abs.1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Im Streitfall kam der Brief, mit dem die Revisionsbegründung übersandt wurde, erst am dritten Tag nach Aufgabe zur Post beim BFH an. Mit einer derart langen Postlaufzeit brauchten die Kläger nicht zu rechnen (vgl. BFH-Urteil vom 21. Dezember 1990 VI R 10/86, BFHE 163, 400, BStBl II 1991, 437). Eine Sorgfaltspflichtverletzung liegt nicht vor. /++
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs.3 Nr.1 FGO). Das FG hat rechtsfehlerhaft die Abziehbarkeit des strittigen Straßenbaukostenbeitrags als Werbungskosten verneint.
1. Werbungskosten sind nach § 9 Abs.1 Satz 1 EStG Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung bilden grundsätzlich alle Aufwendungen Werbungskosten, bei denen objektiv ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit der Vermietung und Verpachtung besteht und die subjektiv zur Förderung der Nutzungsüberlassung gemacht werden (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteil vom 8. Dezember 1992 IX R 68/89, BFHE 170, 134, BStBl II 1993, 434). Als Werbungskosten abziehbar sind grundsätzlich auch Aufwendungen, die den Grund und Boden betreffen; denn bei der Vermietung von Gebäuden gehört die damit verbundene Nutzungsüberlassung von Grund und Boden zum Einkünftetatbestand des § 21 Abs.1 EStG (vgl. Senatsurteil vom 4. Juni 1991 IX R 30/89, BFHE 164, 364, BStBl II 1991, 761 zu Schuldzinsen für die Finanzierung eines unbebauten Grundstücks).
2. Zu den Werbungskosten zählen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nach § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.2 EStG auch öffentliche Abgaben, soweit sie sich auf Gebäude oder auf Gegenstände beziehen, die dem Steuerpflichtigen zur Einnahmeerzielung dienen. Sofort als Werbungskosten abziehbare Aufwendungen sind nach dieser Vorschrift auch Erschließungsbeiträge, sofern sie nicht als nachträgliche Anschaffungskosten auf den Grund und Boden anzusehen sind.
3. Beiträge zur Finanzierung erstmals durchgeführter Erschließungsmaßnahmen sind nach ständiger Rechtsprechung den Anschaffungskosten von Grund und Boden zuzurechnen (z.B. BFH-Urteil vom 2. Mai 1990 VIII R 198/85, BStBl II 1991, 448, BFH/NV 1991, 29 m.w.N.). Werden hingegen vorhandene Erschließungseinrichtungen ersetzt oder modernisiert, so führen Erschließungsbeiträge nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten, es sei denn, das Grundstück wird durch die Maßnahme "in seiner Substanz oder in seinem Wesen" verändert (BFH in BStBl II 1991, 448, BFH/NV 1991, 29). Der Charakter eines Grundstücks wird durch grundstücksbezogene Kriterien bestimmt, insbesondere durch Größe, Lage, Zuschnitt, Erschließung und Grad der Bebaubarkeit. Solange diese unverändert bleiben, werden Substanz oder Wesen des Grundstücks nicht berührt (BFH-Urteil vom 27. Oktober 1993 I R 65/92, nicht veröffentlicht --NV--). Entgegen der Auffassung des FG ist es nicht entscheidend, ob die Maßnahme zu einer Werterhöhung des Grundstücks geführt hat. Der VIII. Senat hat seine im Urteil vom 16. November 1982 VIII R 167/78 (BFHE 137, 55, BStBl II 1983, 111) vertretene gegenteilige Rechtsauffassung mit der Entscheidung in BStBl II 1991, 448, BFH/NV 1991, 29, aufgegeben.
Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Die Grundsätze der zu Erschließungsmaßnahmen im betrieblichen Bereich ergangenen vorstehenden Urteile sind entsprechend auch bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung anwendbar, da der Begriff der Anschaffungskosten (§ 255 Abs.1 des Handelsgesetzbuches --HGB--) bei den Vermietungseinkünften keinen anderen Inhalt hat als bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb (Senatsurteil vom 24. Februar 1987 IX R 114/82, BFHE 149, 233, BStBl II 1987, 810).
Da das FG von einer anderen Rechtsansicht ausgegangen ist, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.
4. Die Sache ist spruchreif. Die Feststellungen des FG ermöglichen es dem BFH als Revisionsgericht, abschließend zu entscheiden. Aus dem Beitragsbescheid vom 28. Oktober 1983, auf den sich das FG in seinem Urteil bezogen hat, geht hervor, daß der Erschließungsaufwand auf die bauliche Veränderung der Gehwege entfiel. Allein hierdurch wurde das Grundstück, das bereits durch eine Straße erschlossen gewesen war, weder in seiner Substanz noch in seinem Wesen verändert. Änderungen des Grundstückscharakters durch straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen (Verkehrsbeschränkung) bleiben außer Betracht, da der Straßenbaukostenbeitrag nicht hierfür, sondern für die bauliche Umgestaltung erhoben worden ist.
5. Unter Berücksichtigung der zusätzlichen Werbungskosten ist aufgrund der nachstehenden Berechnung folgende Einkommensteuer festzusetzen: ....
Fundstellen
Haufe-Index 65168 |
BFH/NV 1994, 86 |
BFHE 175, 31 |
BFHE 1995, 31 |
BB 1994, 1989 |
BB 1994, 2189 |
BB 1994, 2189 (L) |
DB 1994, 2113 (LT) |
HFR 1994, 709-710 (LT) |
StE 1994, 601 (K) |