Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwertung früherer Zeugenaussage als Urkundenbeweis
Leitsatz (NV)
Vom Finanzamt eingeholte schriftliche Zeugenaussage kann vom Finanzgericht ausnahmsweise und mit Einwilligung der Verfahrensbeteiligten als Urkundenbeweis verwertet werden.
Normenkette
FGO § 81
Verfahrensgang
Tatbestand
Mit Bescheid vom 23. April 1976 hatte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) zunächst antragsgemäß für einen Mercedes-Benz Reisebus, der dem Kläger im März 1975 geliefert worden war, eine Investitionszulage nach § 4 b des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1975 in Höhe von 14 855,40 DM gewährt. Dem Antrag war eine Rechnung beigefügt, aus der sich als Bestelldatum der 20. Januar 1975 ergab. Später forderte das FA unter Aufhebung seines Bescheids die Zulage wieder zurück. Außerdem setzte es für die Zeit vom 25. April 1976 bis zum 10. Juni 1980 Zinsen in Höhe von 3 626 DM fest.
Der Rückforderung waren Ermittlungen der Steuerfahndungsstelle beim FA . . . vorausgegangen. Dabei hatte sich folgendes ergeben:
Der Kläger hatte bereits am 26. September 1974 einen Mercedes-Reisebus bestellt. Am 2. Oktober 1974 war die Bestellung von der Daimler-Benz Niederlassung bestätigt worden. Es handelte sich um einen Reisebus der Baureihe 0 302 zum Preis von 165 080 DM.
Außerdem liegt eine weitere Auftragsbestätigung vom 13. Dezember 1974 vor. Diese Auftragsbestätigung betrifft einen Reisebus der Baureihe 0 303 zum Preis von 208 678 DM. Wann dieser Reisebus bestellt worden ist, ist unter den Verfahrensbeteiligten streitig und Gegenstand dieses Verfahrens. Als Zeitpunkt der Bestellung kommen entweder Ende November oder der 13. Dezember 1974 in Betracht. Eine schriftliche Bestellung konnte bei der Daimler-Benz Niederlassung in . . . nicht aufgefunden werden. Auch der Kläger konnte eine solche zunächst nicht vorlegen. In der Auftragsbestätigung heißt es in diesem Zusammenhang wörtlich: ,,Wir danken Ihnen verbindlich für den uns am 26. September 1974 durch unsere Niederlassung . . . bzw. Änderung anläßlich Ihres Werksbesuchs Ende November 1974 erteilten Auftrag und bestätigen hiermit . . .". In der Auftragsbestätigung vom 13. Dezember 1974 wurde die frühere Auftragsbestätigung vom 2. Oktober 1974 für ungültig erklärt.
Schließlich liegt eine Bestellung vom 20. Januar 1975 vor, die von der Daimler- Benz Niederlassung am 19. Februar 1975 bestätigt worden ist. Diese Bestellung ist mit der früheren Bestellung von Ende November/13. Dezember 1974 hinsichtlich Baureihe, Preis und Lieferzeit identisch. In der Auftragsbestätigung vom 19. Februar 1975 wurde die frühere Auftragsbestätigung vom 13. Dezember 1974 für ungültig erklärt.
Zwischen den Verfahrensbeteiligten ist mittlerweile unstreitig, daß die Bestellungen vom 26. Sepember 1974 und vom 20. Januar 1975 hier außer Betracht bleiben können. Denn dem Kläger kann die Zulage für den ihm im März 1975 gelieferten Reisebus nicht deshalb versagt werden, weil er bereits am 26. September 1974 (und damit vor Beginn des Begünstigungszeitraums) einen Reisebus bestellt hätte. Denn es handelt sich insoweit um Reisebusse verschiedener Baureihen und damit um unterschiedliche Wirtschaftsgüter. Das entspricht der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 14. März 1980 III R 78/78, BFHE 130, 359, BStBl II 1980, 476). Dem Kläger kann die Zulage aber auch nicht deshalb gewährt werden, weil er den Bus erst am 20. Januar 1975 (und damit innerhalb des Begünstigungszeitraums) bestellt hätte. Denn insoweit ist eine frühere Bestellung desselben Wirtschaftsguts lediglich formal wiederholt worden, was investitionszulagerechtlich schädlich ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. November 1982 III R 124/80, BFHE 136, 570, BStBl II 1983, 29).
Entscheidungserheblich ist somit allein die Frage, ob der dem Kläger im März 1975 gelieferte Reisebus bereits Ende November 1974 oder erst am 13. Dezember 1974 bestellt worden ist.
Der Kläger hat sich bei der Steuerfahndung sinngemäß wie folgt eingelassen: Er habe im November 1974 erfahren, daß Daimler-Benz die Baureihe ändert. Um einen Schaden von sich abzuwenden, sei er Ende November 1974 in der Niederlassung in . . . gewesen, um sich über die neue Baureihe zu informieren und um evtl. den neuen anstelle des alten Reisebusses zu bestellen. Der neue Reisebus sei aber um rd. 50 000 DM teurer gewesen als der alte. Da er von seiner Bank nur eine Kreditzusage über 180 000 DM gehabt habe, habe er zunächst die Finanzierung klären müssen. Nachdem dies geschehen sei, habe er den neuen Bus bestellt. Das sei erstmals am 13. Dezember 1974 gewesen. Der Bus sei schriftlich bestellt worden.
Das FA hat im Einspruchsverfahren von dem damaligen Automobilverkäufer (A) gemäß §§ 92 Nr. 1, 93 der Abgabenordnung (AO 1977) eine schriftliche Auskunft über die Vorgänge eingeholt.
In seiner Auskunft vom 23. November 1981 hat A die Einlassung des Klägers bestätigt. Die Notwendigkeit der erneuten Bestellung vom 20. Januar 1975 erklärte A damit, daß es bei dem neuen Modell Anlaufschwierigkeiten gegeben habe, und daß es ungewiß gewesen sei, ob der Reisebus bis März geliefert werden könne. Es sei deshalb nochmals ein Vertrag geschlossen worden, um dem Kläger einen Festpreis für vier Monate zu garantieren.
Die Daimler-Benz AG gab auf Ersuchen des FA folgende Auskunft: Zur Auftragsbestätigung vom 13. Dezember 1974 lägen keine schriftliche Auftragserteilung und kein interner Auftragsschein vor. Es sei nicht bekannt, weshalb keine schriftliche Bestellung erfolgt sei. Die Einheitsbedingungen sähen für sämtliche Vereinbarungen im Zusammenhang mit dem Verkauf von Kfz und somit auch für Bestellungen die Schriftform vor. Es sei aber bekannt, daß in den Niederlassungen auch mündliche Bestellungen entgegengenommen würden.
Das FA wies den Einspruch zurück. Es folgte der Darstellung des Klägers und des Zeugen A nicht. Nach seiner Auffassung wurde das neue Modell vom Kläger bereits Ende November 1974 bestellt. Es bezog sich im wesentlichen auf den Wortlaut der Auftragsbestätigung vom 13. Dezember 1974 und - ausgehend von der Annahme, daß die weitere Bestellung vom 20. Januar 1975 nur dem Zweck gedient habe, die Investitionszulage zu erhalten - auf die Überlegung, daß diese Bestellung nicht notwendig gewesen wäre, wenn die Erstbestellung tatsächlich erst im Dezember und nicht bereits Ende November 1974 erfolgt sei.
Im Klageverfahren blieb der Kläger bei seiner Darstellung. Er machte geltend, das FA habe die Auskunft des A nicht vollständig berücksichtigt. Seiner Klageschrift war die schriftliche Auskunft des A vom 23. November 1981 beigefügt. Der Kläger beantragte, ,,soweit es das Gericht für notwendig erachtet", A als Zeugen zu vernehmen.
Mit Schriftsatz vom 3. März 1982 legte der Kläger eine schriftliche Bestellung vom 13. Dezember 1974 vor.
Das Finanzgericht (FG) wies nach mündlicher Verhandlung (Sitzungsniederschrift vom 18. Oktober 1982) die Klage ab.
Das FG ging davon aus, daß die vom Kläger erst im Klageverfahren vorgelegte Bestellung vom 13. Dezember 1974 erst nachträglich erstellt worden sei. Es führte dann im einzelnen aus, weshalb es aufgrund der vorliegenden Indizien der Überzeugung sei, daß der Kläger den Reisebus bereits Ende November und nicht erst am 13. Dezember 1974 bestellt habe. Im Zusammenhang mit dieser Würdigung enthält das Urteil den Satz ,,Der Senat glaubt Herrn A, daß er nach sieben Jahren noch diese Erinnerung der Zusammenhänge hatte, insbesondere nach Rücksprache des Klägers mit ihm. Es besteht daher keine Veranlassung, Herrn A noch als Zeugen zu vernehmen."
Mit der Revision rügt der Kläger einen Verfahrensfehler. Das FG habe die Vernehmung des Zeugen A zu Unrecht abgelehnt. Im FG-Prozeß gelte der Grundsatz der Untersuchungsmaxime. Das bedeute, daß das FG den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären habe. Rechtserheblichen Beweisanträgen der Verfahrensbeteiligten müsse das FG entsprechen. Der Antrag, einen Zeugen zu vernehmen, dürfe nur abgelehnt werden, wenn die Richtigkeit der von dem Zeugen zu bekundenden Tatsachen zugunsten des Beweisführers unterstellt werde (BFH-Urteil vom 30. Mai 1967 II 120/63, BFHE 89, 65, BStBl II 1967, 520). Dagegen sei es unzulässig, einen Beweisantrag mit der Begründung abzulehnen, das Gegenteil der behaupteten Tatsachen sei bereits aus anderen Gründen erwiesen, der Zeuge werde vermutlich keine Auskunft mehr geben können oder die Überzeugung des Gerichts werde sich den Umständen nach durch die Aussage nicht ändern (BFHE 89, 65, BStBl II 1967, 520).
Ein Zeugenbeweis könne nicht mit der Begründung abgelehnt werden, es bestünden Zweifel an der Richtigkeit der Aussage. Es könne nicht unterstellt werden, ein Zeuge werde notfalls unter Eid die Unwahrheit sagen. Zweifel an der Glaubwürdigkeit eines Zeugen könnten erst erhoben werden, wenn der Zeuge vernommen sei.
Er, der Kläger, habe bereits in der Klageschrift die Vernehmung des Zeugen A beantragt. Auf die in das Wissen des Zeugen gestellte Behauptung, daß der Reisebus erst im Dezember 1974 bestellt worden sei, komme es entscheidend an. Das FG habe den Zeugen jedoch nicht vernommen. Aus dem Urteil ergebe sich, daß das FG dem Zeugen keinen Glauben geschenkt habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung sowie den Rückforderungsbescheid (einschließlich den Zinsbescheid) vom 7. Mai 1980 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
1. Der Kläger hat in der Revision nur einen Verfahrensmangel gerügt. Da nicht gleichzeitig die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorliegen, hat der Senat gemäß § 118 Abs. 3 Satz 1 FGO nur über die erhobene Verfahrensrüge zu entscheiden (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 120 FGO Anm. 61).
Die Revision ist zulässig. Als verletzte Rechtsnorm kommt § 76 FGO in Betracht. Zur Bezeichnung des Verfahrensmangels hat sich der Kläger darauf berufen, daß das FG den Zeugen A nicht vernommen habe, obwohl diese Vernehmung bereits in der Klageschrift beantragt war. Das in das Wissen des Zeugen gestellte Beweisthema ist auch rechtserheblich. Denn von dem Zeitpunkt, zu dem der Kläger den Bus bestellt hat (Ende November oder 13. Dezember 1974), hängt es ab, ob dem Kläger die Zulage zusteht oder nicht.
2. Die Revision ist jedoch unbegründet.
Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Klägers, daß das FG als Tatsacheninstanz gehalten ist, den Sachverhalt von Amts wegen unter Ausschöpfung aller verfügbaren Beweismittel so vollständig wie möglich aufzuklären. Die Beteiligten haben dabei mitzuwirken. An Beweisanträge ist das Gericht nicht gebunden (§ 76 Abs. 1 FGO). Das gilt aber nur in dem Sinne, daß das FG von sich aus auch Beweise erheben kann, die von den Parteien nicht angeboten sind. Es ist jedoch anerkannt, daß das FG von den Verfahrensbeteiligten angebotene Beweise erheben muß, wenn es einen Verfahrensmangel vermeiden will. Dabei ist der Beweis grundsätzlich in der mündlichen Verhandlung zu erheben (§ 81 Abs. 1 FGO). Insbesondere muß das FG einen angebotenen Zeugen vernehmen. Dies gilt nur dann nicht, wenn es auf die Zeugenaussage für die Entscheidung nicht ankommt oder wenn das Gericht den in das Wissen des Zeugen gestellten Sachverhalt als wahr unterstellt (vgl. BFH-Urteil vom 13. August 1969 II 213/65, BFHE 98, 210, BStBl II 1970, 338).
3. Diese Grundsätze sind auf den vorliegenden Fall jedoch nicht ohne weiteres übertragbar. So hat der Kläger die Vernehmung des Zeugen A beim FG nicht beantragt, sondern seine Vernehmung in das Ermessen des Gerichts gestellt. Der Kläger hat zudem mit der Klageschrift die schriftliche Äußerung des Zeugen vom 23. November 1981 in das Verfahren eingeführt. Eine solche frühere Zeugenaussage kann mit dem Einverständnis der Verfahrensbeteiligten auch in einem späteren Verfahren als Urkundenbeweis verwertet werden (vgl. BFH-Urteil vom 18. November 1971 VIII 21/65, BFHE 104, 409, BStBl II 1972, 399; Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 81 FGO Anm. 6 und § 82 FGO Anm. 3; siehe auch BFH-Urteil vom 22. Februar 1972 VII R 80/69, BFHE 105, 220, BStBl II 1972, 544; für den Zivilprozeß vgl. Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, 45. Aufl., § 377 3 B; für den Verwaltungsgerichtsprozeß vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Mai 1960 VIII C 110. 59, Deutsches Verwaltungsblatt 1960, 731, und Redeker / von Oertzen, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 8. Aufl., § 98 Anm. 6). Das Einverständnis des Klägers lag vor; denn er hat die schriftliche Erklärung des Zeugen selbst vorgelegt. Von dem schlüssigen Einverständnis des FA konnte das FG ebenfalls ausgehen; denn das FA hat im Einspruchsverfahren diese Auskunft eingeholt und hatte sie bereits in der Einspruchsentscheidung verwertet. Wenn das FG die schriftliche Auskunft bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat, so liegt darin entgegen der Auffassung des Klägers auch keine vorweggenommene Beweiswürdigung. Davon spricht man, wenn das Gericht beispielsweise eine Zeugenaussage verwertet, bevor es den Zeugen vernommen hat. So liegen die Dinge hier aber nicht. Der Zeuge war bereits zu Wort gekommen. Eine schriftliche Aussage von ihm lag bereits vor. Der Kläger hat weder im Klage- noch jetzt im Revisionsverfahren vorgetragen, daß der Zeuge mehr vortragen könne und werde, wenn er vom FG nochmals als Zeuge gehört werde. Der Kläger hat auch nicht geltend gemacht, daß er vom FG den Zeugen auf seine Aussage hätte beeiden lassen wollen.
Das FG hat entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht die Glaubwürdigkeit des Zeugen in Zweifel gezogen. Auch insoweit liegt also keine vorweggenommene Beweiswürdigung vor. Das FG glaubte dem Zeugen, ,,daß er nach sieben Jahren noch diese Erinnerung der Zusammenhänge hatte". Das FG knüpfte damit an die schriftliche Erklärung des Zeugen an, die er mit den Worten einleitete, ,,ich glaube mich erinnern zu können . . .".
4. Der Senat hält auch den Gesichtspunkt für bedeutsam, daß der Kläger auf die Vernehmung des Zeugen in der mündlichen Verhandlung vor dem FG nicht nochmals besonders hingewirkt hat. Der Zeuge war nicht geladen worden. Angesichts der Tatsache, daß bis dahin die Vernehmung nur in das Ermessen des Gerichts gestellt war, mußte der Prozeßvertreter ernstlich mit der Möglichkeit rechnen, daß sich das FG mit der schriftlichen Auskunft des Zeugen begnügen werde. Wollte er dies vermeiden, mußte er die Zeugenvernehmung nochmals ausdrücklich beantragen. In der Unterlassung dieses Antrages ist ein Verlust des Rügerechts zu sehen (vgl. BFH-Urteil vom 18. April 1972 VIII R 40/66, BFHE 105, 325, BStBl II 1972, 572). Der Kläger kann im Revisionsverfahren dem FG nicht eine unterlassene Zeugenvernehmung vorwerfen, auf die hinzuwirken er selbst unterlassen hat.
Aufgrund der aufgezeigten besonderen Umstände sieht der Senat den gerügten Verfahrensmangel nicht als gegeben an.
Fundstellen
Haufe-Index 415749 |
BFH/NV 1989, 38 |