Leitsatz (amtlich)
Wird die erste Prüfungsanordnung des FA, die Gegenstand eines Klageverfahrens ist, während des Klageverfahrens durch Erlaß einer neuen Prüfungsanordnung zurückgenommen und wird die neue Prüfungsanordnung über denselben Prüfungszeitraum angefochten, so ist das Verfahren über die erste Anordnung nicht schon deshalb auszusetzen, weil ein Antrag nach § 68 FGO nicht gestellt wird.
Normenkette
FGO §§ 68, 74
Tatbestand
Bei der Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) war nach einer Prüfungsanordnung des Beklagten, Revisionbeklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -) vom 6. August 1974 in der Zeit vom 15. August bis 3. September 1974 eine Betriebsprüfung für die Jahre 1971 bis 1973 durchgeführt worden. Nach dieser Betriebsprüfung sah das FA die Buchführung der Klägerin für den Prüfungszeitraum als nicht ordnungsmäßig an und machte Steuernachforderungen von insgesamt 151 433,78 DM geltend. Über die Rechtmäßigkeit dieser Steuernachforderungen wird noch in einem anderen Verfahren gestritten.
Mit einer Prüfungsanordnung vom 28. Februar 1975 (erste erweiterte Prüfungsanordnung) dehnte das FA die Betriebsprüfung bei der Klägerin auf die Jahre 1968 bis 1970 aus und begründete dies in Schreiben vom 14. März und 23. April 1975 damit, daß nach den Ergebnissen für den Prüfungszeitraum 1971 bis 1973 und den von der Klägerin für 1968 bis 1970 erklärten niedrigen Rohgewinnen bei einer Erweiterung der Prüfung auf die Jahre 1968 bis 1970 mit nicht unerheblichen Steuernachforderungen zu rechnen sei.
Gegen die erste erweiterte Prüfungsanordnung erhob die Klägerin nach erfolgloser Beschwerde Klage. Während des Klageverfahrens erließ das FA am 22. April 1976 erneut eine Prüfungsanordnung für die Jahre 1968 bis 1970 (zweite erweiterte Prüfungsanordnung), die sich von der Anordnung vom 28. Februar 1975 dadurch unterschied, daß neben dem Betriebsprüfer A nunmehr auch der Betriebsprüfer B mit der Durchführung der Prüfung beauftragt wurde. Gegen die zweite erweiterte Prüfungsanordnung erhob die Klägerin ebenfalls nach erfolgloser Beschwerde Klage. Diese Klage wies das Finanzgericht (FG) durch Urteil vom 23. November 1977 I 167/76 ab. Dagegen wurde Revision eingelegt, die beim erkennenden Senat unter dem Az. VIII R 219/78 anhängig ist.
Noch vor Anhängigwerden der Klage gegen die zweite erweiterte Prüfungsanordnung teilte die Klägerin in dem vorliegenden Verfahren über die erste erweiterte Prüfungsanordnung dem FG mit, daß sie den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erkläre, weil das FA mit seiner Verfügung vom 22. April 1976 die angefochtene Prüfungsanordnung vom 28. Februar 1975 zurückgenommen habe. Die Klägerin beantragte, die Kosten des Rechtsstreits dem FA aufzuerlegen. Das FA beantragte, das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem Verfahren gegen die zweite erweiterte Prüfungsanordnung - Az. des FG I 167/76 - auszusetzen.
Das FG erließ ein Urteil, in welchem es die Erledigung der Hauptsache feststellte und die Kosten der Klägerin und dem FA je zur Hälfte auferlegte. Dazu wurde im wesentlichen ausgeführt:
Nach einseitiger Erledigungserklärung der Klägerin sei durch Sachurteil die Erledigung der Hauptsache festzustellen.
Der Rechtsstreit sei in der Hauptsache erledigt, weil das FA die erste erweiterte Prüfungsanordnung vom 28. Februar 1975 durch Erlaß der zweiten erweiterten Prüfungsanordnung vom 22. April 1976 aufgehoben und damit beseitigt habe. Damit habe sich das ursprüngliche Begehren der Klägerin, die Verfügung vom 28. Februar 1975 aufzuheben, auf diese Weise erledigt. Daß die zweite Verfügung vom 22. April 1976 nicht lediglich eine Wiederholung und Ergänzung der ersten Verfügung vom 28. Februar 1975, sondern einen selbständigen Verwaltungsakt darstelle, ergebe sich insbesondere aus dem Inhalt der zweiten erweiterten Prüfungsanordnung. Das FA habe auf dem amtlichen Vordruck in vollem Umfang die Prüfungsanordnung neu erlassen, sie inhaltlich in einem Punkt abgeändert und eine uneingeschränkte Rechtsbehelfsbelehrung erteilt. In Übereinstimmung damit heiße es in der Begründung: "Diese Prüfungsanordnung tritt an die Stelle der Prüfungsanordnung vom 28. Februar 1975." Daß eine Beseitigung der Verfügung vom 28. Februar 1975 gewollt gewesen sei, zeige auch neben der Stützung auf § 93 der Reichsabgabenordnung (AO) durch das FA die Feststellung der Oberfinanzdirektion (OFD) in ihrer Beschwerdeentscheidung, daß die Rücknahme der ursprünglichen Prüfungsanordnung vom 28. Februar 1975 und der Erlaß der neuen Verfügung vom 22. April 1976 dem Gesetz und dem pflichtgemäßen Ermessen entsprochen habe. Eine Aussetzung des Verfahrens, wie vom FA unter Hinweis auf den Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72 (BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231) beantragt, komme nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung sei nach § 138 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu treffen. Kostentragung des FA allein nach § 138 Abs. 2 FGO scheide aus, weil das FA dem Antrag der Klägerin zwar formal, aber nicht inhaltlich entsprochen habe; eine erneute Erweiterung der Prüfungsanordnung sei von der Klägerin nicht beantragt worden. Bei der dann nach § 138 Abs. 1 FGO unter Billigkeitsgesichtspunkten zu treffenden Kostenentscheidung seien die Kosten den Beteiligten je zur Hälfte aufzuerlegen, wenn auch der mutmaßliche Ausgang des Verfahrens berücksichtigt werde.
Gegen das finanzgerichtliche Urteil haben sowohl die Klägerin als auch das FA Revision eingelegt.
Mit der Revision der Klägerin wird unrichtige Anwendung des § 138 Abs. 1 FGO gerügt und dazu geltend gemacht, die Kostenentscheidung sei nach § 135 Abs. 1 FGO zu treffen. Danach habe das FA die Kosten zu tragen, weil es in der Sache unterlegen sei. Das FA habe zu Unrecht der Erledigungserklärung der Klägerin widersprochen und noch in der letzten mündlichen Verhandlung Klageabweisung beantragt.
Die Klägerin beantragt, das FG-Urteil insoweit aufzuheben, als ihr die Kosten auferlegt wurden und alle Kosten dem FA aufzuerlegen. Sie bittet vorsorglich, die eingelegte Revision als unselbständige Anschlußrevision zu betrachten.
Das FA beantragt, die Revision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen. Mit seiner Revision rügt das FA unrichtige Anwendung der §§ 74 und 138 Abs. 1 FGO. Dazu wird vorgebracht, das FG habe das Verfahren nach § 74 FGO aussetzen müssen, weil zwei Verfahren über die Rechtmäßigkeit von Prüfungsanordnungen anhängig seien und die rechtskräftige Entscheidung in dem Verfahren über die zweite erweiterte Prüfungsanordnung habe abgewartet werden müssen, nachdem die Klägerin keinen Antrag nach § 68 FGO gestellt habe. Auch im vorliegenden Verfahren seien die Grundsätze des BFH-Beschlusses GrS 1/72 anwendbar. Für das Verhältnis der beiden Prüfungsanordnungen gelte Entsprechendes wie bei der Berichtigung von Steuerbescheiden.
Für den Fall einer Unbegründetheit des Aussetzungsantrags erkläre das FA die Hauptsache für erledigt, was erst im Revisionsverfahren geschehen könne, da erst jetzt eine gerichtliche Entscheidung über die zweite Prüfungsanordnung vorliege.
Das FA beantragt, unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Verfahrens über die Prüfungsanordnung vom 22. April 1976 auszusetzen,
hilfsweise, die Erledigung der Hauptsache festzustellen und die Kosten des Verfahrens der Klägerin aufzuerlegen.
Die Klägerin beantragt, die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision der Klägerin hat Erfolg.
1. Die Revision der Klägerin ist als unselbständige Anschlußrevision zu behandeln.
a) Soweit diese Revision als selbständige Revision fristgerecht eingelegt und begründet wurde, war sie unzulässig, weil mit ihr nur die Kostenentscheidung des finanzgerichtlichen Urteils angegriffen wurde und nach § 145 Abs. 1 FGO eine Kostenentscheidung als unselbständiger Teil der Hauptsacheentscheidung nicht selbständig mit Rechtsmitteln angegriffen werden kann. Die Kostenentscheidung des FG war ein unselbständiger Teil der Hauptsacheentscheidung, da das FG mit seiner Feststellung, daß die Hauptsache erledigt sei, ein Sachurteil gefällt hat (vgl. BFH-Urteil vom 29. Januar 1970 IV 162/65, BFHE 99, 157, BStBl II 1970, 623).
b) Die selbständige Revision ist in eine unselbständige Anschlußrevision umzudeuten. Sie kann als solche auf die Entscheidung des FG über den Kostenpunkt beschränkt werden. Die Umdeutung einer selbständigen Revision in eine unselbständige Anschlußrevision wird im Zivilprozeßrecht aus prozeßwirtschaftlichen Gründen für zulässig erachtet, wenn der Gegner Revision eingelegt hat und dahin gehende Erklärungen abgegeben werden (vgl. Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 37. Aufl., Anm. 1 zu § 556). Dies hat auch für das finanzgerichtliche Verfahren zu gelten, in welchem nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung die Anschlußrevision auch ohne gesetzliche Regelung statthaft ist und nicht fristgebunden eingelegt werden kann, wenn und solange der Gegner Revision eingelegt hat (vgl. BFH-Urteil vom 12. Januar 1968 IV R 111/66, BFHE 91, 145 BStBl II 1968, 207). Dafür, daß eine unselbständige Anschlußrevision auf die Kostenentscheidung des FG als unselbständigen Teil der Hauptsacheentscheidung beschränkt werden kann, wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen im BFH-Urteil vom 2. Juni 1971 III R 105/70 (BFHE 102, 563, BStBl II 1971, 675) verwiesen. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung bei anhängiger Revision des FA eine auf Behandlung ihrer Revision als Anschlußrevision gerichtete Erklärung abgegeben.
2. Die Revision der Klägerin ist begründet.
a) Die Vorentscheidung ist insoweit fehlerfrei, als das FG durch Sachurteil die Erledigung der Hauptsache festgestellt hat. Die Hauptsache war erledigt, weil das FA durch Erlaß der zweiten erweiterten Prüfungsanordnung die erste erweiterte Prüfungsanordnung vom 28. Februar 1975 zurückgenommen hat. Die Würdigung des FG dazu ist zutreffend. Aus dem Inhalt der zweiten erweiterten Prüfungsanordnung ist zu entnehmen, daß mit ihr nicht eine Wiederholung und Ergänzung der ersten erweiterten Anordnung, sondern deren Beseitigung gewollt war. Eine entsprechende Beurteilung ergibt sich auch aus der Beschwerdeentscheidung der OFD.
b) Die Kostenentscheidung ist jedoch dahin zu treffen, daß das FA die Kosten des Klageverfahrens zu tragen hat. Da keine übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten vorlagen, war § 138 FGO nicht anwendbar. Soweit in der Rechtsprechung des BFH etwas anderes angenommen wurde, ist diese Auffassung durch die Beschlüsse vom 5. März 1979 GrS 3/78 und GrS 4/78 (BFHE 127, 155 und 147, BStBl II 1979 378 und 375) überholt. Danach ist, wenn die Hauptsache erledigt ist und dies von nur einem Beteiligten unter Widerspruch des anderen Beteiligten erklärt wird, die Kostenentscheidung aus § 135 Abs. 1 FGO zu treffen. Das ist dort zwar nur für den Fall der einseitigen Erledigungserklärung des beklagten FA ausgesprochen, gilt aber ebenso, wenn nur der Kläger die Hauptsache für erledigt erklärt und das beklagte FA dem widerspricht. In einem solchen Fall beschränkt sich der Rechtsstreit vor dem FG auf die Frage der Erledigung der Hauptsache und die Kosten hat der zu tragen, der in diesem Rechtsstreit unterliegt. Im vorliegenden Fall ist dies das FA, weil es auch nach Erledigung der Hauptsache im Verfahren vor dem FG an seinem Klageabweisungsantrag festgehalten hat.
II. Die Revision des FA ist unbegründet.
1. Mit Recht hat das FG eine Aussetzung des Verfahrens in entsprechender Anwendung von § 74 FGO abgelehnt. Der Senat folgt nicht der Meinung des FA, die Ausführungen im BFH-Beschluß GrS 1/72 über das Verhältnis von ursprünglichen zu geänderten Steuerbescheiden mit seiner Auswirkung, wenn ein Antrag nach § 68 FGO nicht gestellt wird - Aussetzung des Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens über den angefochtenen Berichtigungsbescheid -, seien nicht auf Steuerbescheide beschränkt, sondern auf alle Arten von Steuerverwaltungsakten anwendbar. Ob die Grundsätze des BFH-Beschlusses GrS 1/72 gelten, wenn ein Steuerverwaltungsakt der nicht Steuerbescheid ist, inhaltlich geändert wird, kann hier mangels Erheblichkeit dieser Frage im Streitfall offenbleiben. Eine entsprechende Anwendung dieser Grundsätze kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn - wie im Streitfall (oben unter I. 2. a) - der erste Verwaltungsakt auf Anfechtung hin durch Erlaß eines anderen, den gleichen Sachverhalt regelnden Verwaltungsakts zurückgenommen wird und Streit über die Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsakts entsteht. Der einmal zurückgenommene Verwaltungsakt kann auch bei Beseitigung des späteren nicht mehr wiederaufleben.
2. Soweit das FA hilfsweise eine Erledigung der Hauptsache erklärt hat, kann dahinstehen, ob diese Erklärung nicht schon als bedingte Prozeßhandlung unwirksam ist. Die Erklärung kann keine Wirkung entfalten, weil sie sich, wie das FA in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, nicht auf den verbliebenen Streit über die Erledigung der Hauptsache, sondern auf die Hauptsache selbst mit dem Streit über die Rechtmäßigkeit der ersten erweiterten Prüfungsanordnung bezog, deren Erledigung bereits im Verfahren vor dem FG eingetreten und vom FG festgestellt worden war. Ein Urteil des FG, in dem die Erledigung der Hauptsache festgestellt wird, kann nicht mit der Revision angegriffen werden um die zunächst verweigerte Erklärung über die Erledigung der Hauptsache nachzuholen. Für eine solche Revision besteht kein Rechtsschutzbedürfnis.
Fundstellen
Haufe-Index 73259 |
BStBl II 1979, 741 |
BFHE 1979, 314 |