Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG ist nicht mehr erforderlich, wenn das Finanzamt bereits durch Erlass eines Schätzungsbescheides eine Veranlagung durchgeführt hat
Normenkette
EStG 1997 § 46 Abs. 2 Nr. 8; EStG § 25 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte in den Streitjahren 1998 bis 2001 unter anderem Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Trotz Aufforderung durch den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) reichte er für die Streitjahre zunächst keine Einkommensteuererklärungen ein. Das FA erließ daraufhin Einkommensteuerbescheide mit geschätzten Besteuerungsgrundlagen, in denen es neben den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit auch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von jeweils 20 820 DM berücksichtigte. Der Kläger legte gegen die Einkommensteuerbescheide Einspruch ein. Die Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2000 und 2001 gab er am 18. Mai 2004 und für die Streitjahre 1998 und 1999 am 3. September 2004 beim FA ab. Mit der Einspruchsentscheidung hob das FA unter Zurückweisung der Einsprüche im Übrigen die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre ersatzlos auf. Eine Veranlagung sei nicht durchzuführen, da sich bei Bearbeitung der eingereichten Steuererklärungen keine Pflichtveranlagung ergeben habe. Eine Pflicht zur Durchführung der Veranlagung bestehe auch im Hinblick auf die Schätzungsbescheide nicht. Die Antragsfrist für eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) habe der Kläger versäumt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts. Das FA habe durch den Erlass der Schätzungsbescheide die Veranlagung erzwungen. Die ersatzlose Aufhebung der Schätzungsbescheide sei deshalb nicht anhand der Vorschrift des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG zu prüfen. Das FA sei vielmehr verpflichtet, die mit der Anforderung der Steuererklärungen begonnenen Veranlagungsverfahren durchzuführen und Einkommensteuerbescheide unter Berücksichtigung der eingereichten Steuererklärungen zu erlassen.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, ihn für die Veranlagungszeiträume 1998 bis 2001 zur Einkommensteuer zu veranlagen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Entgegen der Ansicht der Vorinstanz war das FA nicht berechtigt, die Einkommensteuerbescheide ersatzlos aufzuheben. Das FA ist vielmehr verpflichtet, die Einkommensteuer für die Streitjahre unter Berücksichtigung der Einkommensteuererklärungen festzusetzen.
1. Gemäß § 25 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer nach Ablauf des Kalenderjahres (Veranlagungszeitraum) nach dem Einkommen veranlagt, das der Steuerpflichtige in diesem Veranlagungszeitraum bezogen hat, soweit nicht nach § 46 EStG eine Veranlagung unterbleibt.
Im Streitfall hat das FA eine Veranlagung rechtmäßig durchgeführt. Da der Kläger trotz Aufforderung (§ 149 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung ―AO 1977―) keine Einkommensteuererklärungen abgegeben hatte, musste das FA gemäß § 162 AO 1977 die Besteuerungsgrundlagen schätzen. Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen ergab, dass die Voraussetzungen für eine Veranlagung des Klägers nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG vorlagen, weil die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, mehr als 800 DM betrug. Folglich war das FA gemäß § 25 Abs. 1 EStG verpflichtet, den Kläger zur Einkommensteuer zu veranlagen und durch Erlass der (angefochtenen) Steuerbescheide Einkommensteuer festzusetzen. Die Veranlagungen konnten nicht nach § 46 EStG unterbleiben.
2. Bei dieser Sachlage kommt es entgegen der Auffassung des FG nicht darauf an, dass für die Durchführung der Veranlagungen nicht auch die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG erfüllt waren. Denn für die Durchführung des Veranlagungsverfahrens bedarf es keines Antrags des Steuerpflichtigen nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG mehr, wenn das FA das Veranlagungsverfahren von sich aus bereits durchgeführt und Einkommensteuer durch Erlass eines Steuerbescheids festgesetzt hat. Der Senat verweist insoweit auf das Urteil vom 22. Mai 2006 VI R 15/05.
3. Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, ist sein Urteil aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Das FA hat die Einkommensteuerveranlagungen für die Streitjahre durchzuführen.
Fundstellen