Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlaß wegen sachlicher Unbilligkeit
Leitsatz (NV)
Der Erlaß von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen setzt nicht in jedem Fall Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Steuerpflichtigen voraus. Ein Erlaß von Säumniszuschlägen aus sachlichen Gründen kommt auch in Betracht, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerschulden so darstellen, daß sie einen Erlaß oder eine Stundung der Steuerschulden rechtfertigten.
In Hinblick auf den Zweck der Säumniszuschläge als Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung ist bei bestehender Stundungssituation regelmäßig ein Teilerlaß der Säumniszuschläge ermessensgerecht. Ein darüber hinausgehender Erlaß ist allerdings dann nicht ausgeschlossen, wenn die wirtschaftliche Situation die Voraussetzungen einer zinslosen Stundung der Steuerschulden erfüllt hätte.
Normenkette
AO 1977 §§ 227, 240
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine KG, hatte ein Baugeschäft betrieben. Sie hatte für die Streitjahre aufgrund einer Umsatzsteuersonderprüfung größere Umsatzsteuernachzahlungen zu entrichten. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) war zwar grundsätzlich bereit, die von der Klägerin hierfür beantragte Stundung zu gewähren, lehnte die Stundung aber dann ab, weil die Klägerin nicht in der Lage war, die vom FA geforderten Sicherheiten zu leisten. Der Klägerin wurde jedoch unter der Bedingung Vollstreckungsaufschub gewährt, daß sie die selbst vorgeschlagenen Tilgungsraten und daneben die laufend anfallenden Steuern pünktlich entrichte. Zugleich wurde ihr ein Teilerlaß der entstandenen Säumniszuschläge in Aussicht gestellt, wenn sie die Tilgungsraten pünktlich einhielte. Es handelte sich um Säumniszuschläge von insgesamt 88 502 DM.
Diese Rückstände wurden im Hinblick auf die bei einer Stundung anfallenden Stundungszinsen vom FA zur Hälfte erlassen, um die Klägerin ,,so zu stellen, als ob ihr die Umsatzsteuer gestundet worden wäre". Im übrigen wurde der von der Klägerin beantragte Erlaß der Säumniszuschläge abgelehnt.
Auf die von der Klägerin nach erfolgloser Beschwerde erhobene Klage hob das Finanzgericht (FG) die Verwaltungsentscheidungen zunächst durch Urteil vom 25. Januar 1982 wegen fehlerhafter Ermessensausübung auf. Durch Verfügung vom 1. Juli 1982 und Beschwerdeentscheidung vom 7. März 1983 lehnten FA und Oberfinanzdirektion (OFD) es erneut ab, die Säumniszuschläge in Höhe von 44 580 DM zu erlassen; es lägen weder sachliche noch persönliche Billigkeitsgründe vor. Zur Ablehnung der sachlichen Unbilligkeit bezogen sich FA und OFD im wesentlichen auf die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. April 1975 VII R 54/72 (BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727), und vom 15. März 1979 IV R 174/78 (BFHE 127, 311, BStBl II 1979, 429).
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen und materiellen Rechts und beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung, der Beschwerdeentscheidung und des Bescheides des FA vom 1. Juli 1982 den Beklagten zu verpflichten, weitere 44 580 DM an Säumniszuschlägen zur Umsatzsteuer zu erlassen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, der Beschwerdeentscheidung der OFD vom 7. März 1983 und der ablehnenden Verfügung des FA vom 1. Juli 1982.
Das FG hat zu Unrecht die Entscheidungen des FA und der OFD bestätigt und damit einen Ermessensfehler bei der Ablehnung des Erlasses verneint. Die Ablehnung des Erlasses durch die Verwaltungsbehörden deckt sich im rechtlichen Ausgangspunkt nicht mit den Grundsätzen des inzwischen ergangenen BFH-Urteils vom 23. Mai 1985 V R 124/79 (BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489). Wie der erkennende Senat im vorbezeichneten Urteil näher dargelegt hat, setzt der Erlaß von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen nicht - wie FA und OFD angenommen haben - in jedem Fall Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Steuerpflichtigen voraus. Vielmehr kommt ein Erlaß der Säumniszuschläge aus sachlichen Gründen auch in Betracht, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerschulden so darstellen, daß sie einen Erlaß oder eine Stundung der Steuerschulden rechtfertigen. Zwar haben FA und OFD offenbar im Hinblick auf die bestehende Stundungssituation bereits einen Teilerlaß ausgesprochen und damit im Ergebnis der im Urteil in BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489 angestellten Erwägung entsprochen, daß es unter Berücksichtigung des zu der Funktion als Druckmittel hinzutretenden Zwecks der Säumniszuschläge als Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung naheliege, nur einen Teilerlaß der Säumniszuschläge als sachlich ermessensgerecht anzusehen. Nach den weiteren Ausführungen in dem genannten Urteil (zu 3. a. E.) ist aber ein darüber hinausgehender Erlaß nicht ausgeschlossen, sofern die wirtschaftliche Situation die Voraussetzung einer zinslosen Stundung der Steuerschulden erfüllt hätte; dies haben FA und OFD hinsichtlich des von der Klägerin beantragten Erlasses des Restbetrages nicht geprüft. Auch das FG ist hierauf nicht eingegangen. Es hat vielmehr lediglich unter Verletzung von § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eigene Erwägungen zur Rechtfertigung der Ermessensentscheidung über die Ablehnung, weitere Säumniszuschläge zu erlassen, angestellt.
Gemäß § 101 Satz 2 FGO war das FA zu verpflichten, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu bescheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 416493 |
BFH/NV 1990, 75 |