Entscheidungsstichwort (Thema)
Zerlegung des Gewerbesteuermeßbetrags
Leitsatz (NV)
1. Die Belange eines Steuerpflichtigen werden durch den Rechtsstreit über die Zerlegung des Gewerbesteuermeßbetrags nur dann nicht berührt, wenn in den um die Zerlegung des Gewerbesteuermeßbetrags streitenden Gemeinden die gleichen Hebesätze gelten.
2. Zur Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags bei Gewerbetreibenden mit Betriebsstätten in mehreren Gemeinden:
a) Zerlegungsmaßstab ist im Regelfall das Verhältnis zwischen der Summe der Arbeitslöhne, die an die bei allen Betriebsstätten beschäftigten Arbeitnehmer gezahlt worden sind, zu der Summe der Arbeitslöhne, die an die bei den Betriebsstätten in den einzelnen Gemeinden beschäftigten Arbeitnehmer gezahlt worden sind.
b) Bei Unternehmen, die ausschließlich Lieferungen im Einzelhandel bewirken, ist Zerlegungsmaßstab zur Hälfte das Verhältnis der in den einzelnen Betriebsstätten erzielten Betriebseinnahmen und zur anderen Hälfte das Verhältnis der Arbeitslöhne.
c) Für die Zwecke der Zerlegung des Arbeitslohnes von Arbeitnehmern, die in mehreren Betriebsstätten einen wesentlichen Teil ihrer Arbeitsleistung erbringen, ist der Arbeitslohn grundsätzlich nicht allein einer dieser Betriebsstätten zuzuordnen, sondern auf die Betriebsstätten nach Maßgabe des jeweiligen Umfangs der Beschäftigung aufzuteilen.
d) Eine Aufteilung des Arbeitslohns aus Gründen der typisierenden Vereinfachung unterbleibt, soweit ein Arbeitnehmer in einer anderen Betriebsstätte nur gelegentlich und in unbedeutendem Umfang tätig wird.
e) Sind Arbeitnehmer regelmäßig an einem von insgesamt sechs Wochentagen in einer als Betriebsstätte zu beurteilenden Verkaufsstelle tätig, so lassen sich diese Aktivitäten nicht mehr als unwesentlich werten.
Normenkette
GewStG §§ 28-29
Tatbestand
Der Steuerpflichte . . . (im folgenden Steuerpflichtiger) betrieb im Streitjahr 1973 einen Einzel- und einen Großhandel. Er unterhielt an jeweils fünf Tagen der Woche einen Marktstand in H auf dem Gemeindegebiet der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und an jeweils einem Tag der Woche einen Marktstand in L. Nach der Steuererklärung des Steuerpflichtigen entfielen im Streitjahr von den Arbeitslöhnen . . . DM auf die in L beschäftigten Arbeitnehmer und . . . DM auf die in H beschäftigten Arbeitnehmer; von den Betriebseinnahmen entfielen . . . DM auf L und . . . DM auf H.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte für den Steuerpflichtigen einen einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag von 1 745 DM fest und zerlegte diesen in der Weise, daß es der Klägerin einen Anteil von 1 374,85 DM und der Gemeinde L, der Beigeladenen, einen Anteil von 370,15 DM zurechnete. Dabei ging das FA von der Aufteilung der Arbeitslöhne nach Maßgabe der Steuererklärung des Steuerpflichtigen auf die beiden Betriebsstätten aus; den Unternehmerlohn in Höhe von 10 000 DM (§ 31 Nr. 2 des Gewerbesteuergesetzes - GewStG - 1970) rechnete es zeitanteilig entsprechend den Markttagen der Klägerin mit 5/6 und der Beigeladenen mit 1/6 zu, da in beiden Betriebsstätten eine gleichartige geschäftsleitende Tätigkeit ausgeübt worden sei. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin bestehe kein Anlaß, sämtliche Arbeitslöhne und den Unternehmerlohn nur bei der Betriebsstätte in H zu erfassen; die geringere Tätigkeit in L werde dadurch berücksichtigt, daß der Gemeinde L die niedrigere angemeldete Lohnsumme zugerechnet werde.Mit der Klage begehrte die Klägerin, der Gemeinde L keinen Zerlegungsanteil zuzuteilen, weil die Arbeitnehmer des Steuerpflichtigen in L nur gelegentlich und unwesentlich beschäftigt seien. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Das FG entschied, daß nach Wortlaut und Zweck des § 29 Abs. 1 Nr. 2 GewStG 1970 der Arbeitslohn eines Arbeitnehmers, der in mehreren Betriebsstätten des Unternehmens beschäftigt werde, jedenfalls dann nicht nur einer Betriebsstätte zuzurechnen, sondern auf mehrere Betriebsstätten aufzuteilen sei, wenn die Tätigkeit des Arbeitnehmers in etwa gleich bedeutend sei.
Mit der Revision, die das FG zugelassen hat, beantragt die Klägerin, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags 1973 ,,dahingehend zu ändern, daß der Klägerin die auf die Stadt L entfallenden Beträge von . . . DM zugerechnet werden". Die Klägerin rügt Verletzung der §§ 28, 29 GewStG 1970.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Die Beigeladene hat erklärt, daß sie mit dem Zerlegungsbescheid des FA einverstanden sei.
Entscheidungsgründe
Die Vorentscheidung muß aufgehoben und die Sache zurückverwiesen werden, weil das FG zu Unrecht unterlassen hat, den Steuerpflichtigen zum Verfahren beizuladen.
1. Gemäß § 186 der Abgabenordnung - AO 1977 - (§ 384 der Reichsabgabenordnung - AO -) sind am Zerlegungsverfahren der Steuerpflichtige und die Gemeinden beteiligt, denen ein Anteil an dem Steuermeßbetrag zugeteilt worden ist oder die einen Anteil beanspruchen. Diesen Personen gegenüber kann eine Entscheidung darüber, ob und ggf. wie ein Steuermeßbetrag zu zerlegen ist, nur einheitlich ergehen; sie sind deshalb in einem Klageverfahren eines anderen Beteiligten gemäß § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) notwendig beizuladen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. Juni 1971 IV R 219/68, BFHE 102, 460, BStBl II 1971, 714; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 60 Rz. 56).
Keiner Beiladung bedarf es allerdings für solche Beteiligten, deren Belange durch den Rechtsstreit nicht berührt werden. Die Belange des Steuerpflichtigen werden aber nur dann durch den Rechtsstreit über die Zerlegung nicht berührt, wenn in den um die Zerlegung des Gewerbesteuermeßbetrags streitenden Gemeinden die gleichen Hebesätze gelten (vgl. BFH-Urteil vom 22. September 1977 IV R 51/72, BFHE 123, 356, BStBl II 1978, 140; Offerhaus in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 186 AO 1977 Rz. 6). Im vorliegenden Verfahren ist dem jedoch nicht so. Denn nach den Ermittlungen des Senats betragen für das Streitjahr 1973 der Hebesatz in H . . . %, in L aber . . . %. Angesichts dieser Hebesätze könnte ein Erfolg der Klägerin im vorliegenden Verfahren dem Steuerpflichtigen allerdings nicht zum Nachteil, sondern nur zum Vorteil gereichen; dies vermag aber nichts daran zu ändern, daß die Belange des Steuerpflichtigen durch den Streit um die Zerlegung berührt werden.
2. Aus prozeßökonomischen Gründen weist der Senat jedoch unverbindlich auf folgendes hin:
a) Unterhält ein Gewerbetreibender zur Ausübung seines Gewerbes Betriebsstätten in mehreren Gemeinden, so ist der einheitliche Steuermeßbetrag in die auf die einzelnen Gemeinden entfallenden Anteile zu zerlegen (§ 28 Satz 1 GewStG in der für das Streitjahr 1973 maßgeblichen Fassung, im folgenden GewStG a. F.). Zerlegungsmaßstab ist im Regelfalle das Verhältnis zwischen der Summe der Arbeitslöhne, die an die bei allen Betriebsstätten beschäftigten Arbeitnehmer gezahlt worden sind, zu der Summe der Arbeitslöhne, die an die bei den Betriebsstätten in den einzelnen Gemeinden beschäftigten Arbeitnehmer gezahlt worden sind (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 GewStG a. F.); bei Unternehmen, die ausschließlich Lieferungen im Einzelhandel bewirken (Wareneinzelhandelsunternehmen), ist Zerlegungsmaßstab zur Hälfte das Verhältnis der in den einzelnen Betriebsstätten erzielten Betriebseinnahmen und zur anderen Hälfte das Verhältnis der Arbeitslöhne (§ 29 Abs. 1 Nr. 3 GewStG a. F.).
Beschäftigt ist ein Arbeitnehmer in der Betriebsstätte, ,,in der er seine Tätigkeit ganz oder wesentlich ausübt" (vgl. BFH-Urteil vom 26. August 1987 I R 376/83, BFHE 151, 452, 454, BStBl II 1988, 201).
b) Der Senat pflichtet der Vorentscheidung darin bei, daß für die Zwecke der Zerlegung der Arbeitslohn von Arbeitnehmern, die in mehreren Betriebsstätten beschäftigt sind, d. h. die in mehreren Betriebsstätten einen wesentlichen Teil ihrer Arbeitsleistung erbringen, grundsätzlich nicht allein einer dieser Betriebsstätten zuzuordnen ist, sondern auf die Betriebsstätten nach Maßgabe des jeweiligen Umfangs der Beschäftigung aufzuteilen ist.
Bereits der Wortlaut des Gesetzes weist in diese Richtung, denn ,,beschäftigt" ist ein Arbeitnehmer nach natürlichem Sprachgebrauch in allen Betriebsstätten, in denen er einen wesentlichen Teil der ihm arbeitsvertraglich obliegenden Aufgaben erfüllt. Auch systematische und teleologische Erwägungen sprechen für dieses Verständnis des Gesetzes. So kommt in § 28 GewStG a. F. klar zum Ausdruck, daß die Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags der Regelfall sein soll, wenn ein Gewerbetreibender Betriebsstätten in mehreren Gemeinden unterhält. Der Zweck dieser Zerlegung besteht anerkanntermaßen darin sicherzustellen, daß gewerbesteuerpflichtige Unternehmen in allen Gemeinden, in denen sie sich betrieblich betätigen, zur Tragung der Kosten herangezogen werden, die durch ihre betriebliche Aktivität den Gemeinden entstehen (z. B. Urteil in BFHE 151, 452, 456, BStBl II 1988, 201). Aus der gesetzlichen Anordnung, daß Zerlegungsmaßstab, von Sonderfällen abgesehen, das Verhältnis der Arbeitslöhne sein soll, folgt zwar, daß insbesondere die sog. Arbeitnehmerfolgelasten abgegolten werden sollen, d. h. die Aufwendungen, die einer Gemeinde dadurch entstehen, daß die in der Betriebsstätte beschäftigten Arbeitnehmer in der Gemeinde, in der die Betriebsstätte gelegen ist, wohnen. Das Gesetz läßt aber nicht außer acht, daß einer Gemeinde auch durch die Betriebsstätte als solche Lasten erwachsen, z. B. in der Form von Aufwendungen für Verkehrswege, Ver- und Entsorgungseinrichtungen, öffentliche Verkehrsmittel u. ä. Demgemäß hat die Rechtsprechung des BFH z. B. als Zerlegungsmaßstab bei mehrgemeindlichen Betriebsstätten stets auch die Berücksichtigung des Faktors Betriebsanlagen neben dem Faktor ,,Wohnen der Arbeitnehmer" gefordert (z. B. BFH-Urteil vom 28. Oktober 1987 I R 275/83, BFHE 152, 138, 139 BStBl II 1988, 292, m. w. N.).
c) Eine Aufteilung des Arbeitslohns muß aus Gründen der typisierenden Vereinfachung allerdings insoweit unterbleiben, als ein Arbeitnehmer in einer anderen Betriebsstätte nur gelegentlich und in unbedeutendem Umfang, also ,,unwesentlich" tätig wird (vgl. Glanegger/Güroff, Gewerbesteuergesetz, 1988, § 29 Rz. 6). Demgemäß geht auch der I. Senat des BFH in seinem Urteil in BFHE 151, 452, 455, BStBl II 1988, 201 davon aus, daß der Arbeitslohn von den Arbeitnehmern, die in mehreren Betriebsstätten mit wesentlichen Arbeiten beschäftigt werden, den fraglichen Betriebsstätten anteilig zuzurechnen ist; im entschiedenen Fall hat der I. Senat des BFH von einer solchen teilweisen Zuordnung aber abgesehen, weil in tatsächlicher Hinsicht festgestellt war, daß ,,die Schiffsbesatzung und das Verkaufspersonal . . . mit keinen wesentlichen Be- und Entladungsarbeiten an den (als Betriebsstätten zu wertenden) Anlegestellen beschäftigt waren".
d) Sind Arbeitnehmer regelmäßig an einem von insgesamt sechs Wochentagen in einer als Betriebsstätte zu beurteilenden Verkaufsstelle tätig, so wie dies nach den tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils im Streitfall zutrifft, so lassen sich diese Aktivitäten nicht mehr als unwesentlich werten. Es muß daher bei einer Zerlegung nach dem Regelmaßstab des § 29 Abs. 1 Nr. 2 GewStG a. F. verbleiben, es sei denn, es ist festgestellt, daß diese zu einem offenbar unbilligen Ergebnis führt (vgl. § 33 GewStG a. F.).
Fundstellen
Haufe-Index 424277 |
BFH/NV 1990, 56 |