Leitsatz (amtlich)
1. Der Senat bleibt bei der Rechtsprechung, daß es im Rahmen des § 222 AO nicht auf die Kenntnis des Betriebsprüfers, sondern des die Veranlagung durchführenden FA ankommt.
2. Honoraransprüche eines nach § 4 Abs. 1 EStG bilanzierenden Architekten sind zu einem der fertiggestellten Bauarbeiten entsprechenden Teil zu aktivieren, und zwar auch dann, wenn noch nicht alle Einzelrechnungen der Bauhandwerker vorliegen.
Normenkette
AO § 222 Abs. 1 Nr. 1; EStG § 4 Abs. 1
Tatbestand
Das FA stellte auf Grund einer Betriebsprüfung fest, daß der Steuerpflichtige zum Ende des Streitjahres 1953 Honoraransprüche in Höhe von 2 500 DM zu aktivieren gehabt hätte. Es erließ nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO einen Berichtigungsbescheid, in dem es den Gewinn um die Honoraransprüche erhöhte. Die Berichtigungsveranlagung nahm es zum Anlaß, weitere Gewinnerhöhungen durchzuführen, die auf, wie es meinte, falscher Rechtsanwendung bei der ersten Veranlagung beruhten. Im weiteren Lauf des vom Steuerpflichtigen betriebenen finanzgerichtlichen Verfahrens stellte sich heraus, daß die nach Ansicht des FA zu aktivierenden Honoraransprüche erheblich höher waren. Das FA ersetzte deshalb den Berichtigungsbescheid 1953 durch einen zweiten, wiederum auf § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützten Berichtigungsbescheid.
Der Steuerpflichtige, der den neuen Bescheid nach § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens machte, beantragte die Wiederherstellung des ursprünglichen Bescheids für 1953. Er machte u. a. geltend, dem Prüfer hätten bereits alle die Honorarforderungen betreffenden Unterlagen vorgelegen; es liege daher keine neue Tatsache vor, weil sich das FA die Kenntnis des Betriebsprüfers zurechnen lassen müsse.
Das FG gab dem Steuerpflichtigen Recht. Es nahm an, der zweite Berichtigungsbescheid habe nicht ergehen dürfen, weil keine neue Tatsache vorgelegen habe. Der erste Berichtigungsbescheid 1953 sei ebenfalls unzulässig gewesen, weil die Gewinnerhöhung durch eine entsprechende Gewinnminderung 1954 ausgeglichen werde.
Das FA legte Revision ein. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des FG und zur Zurückverweisung an das FG.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
I. Der Senat kann dem FG darin nicht zustimmen, daß der zweite Berichtigungsbescheid 1953 nicht habe ergehen dürfen.
1. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH (vgl. die Urteile VI 167/61 U vom 20. Juli 1962, BFH 76, 64, BStBl III 1963, 23; V 94/61 U vom 16. Januar 1964, BFH 78, 389, BStBl III 1964, 149; I 386/60 vom 30. September 1964, HFR 1965, 456; IV 30/63 U vom 8. Juli 1965, BFH 83, 158, BStBl III 1965, 558; VI 117/65 vom 23. September 1966, BFH 87, 73, BStBl III 1967, 23), daß nur solche Umstände nicht neu im Sinne des § 222 AO sind, die die für die Veranlagung zuständigen Beamten des FA kannten oder bei gehöriger Sorgfalt hätten kennen müssen, und daß zu diesen Beamten die Betriebsprüfer nicht zählen. Das rechtfertigt sich aus folgenden Erwägungen. Die Veranlagungsbeamten des FA müssen einerseits alle für die Veranlagung wichtigen Umstände kennen, damit die im Interesse der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen richtige Steuer festgesetzt werden kann; sie können aber andererseits bei der Anzahl der Steuerfälle nicht alle Tatsachen selbst erforschen. Soweit sie sich nicht auf Angaben des Steuerpflichtigen selbst stützen können, müssen sie sich dabei Hilfspersonen, der Betriebsprüfer, bedienen. Diese haben - wie der Steuerpflichtige selbst - nur die Aufgabe, bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuhelfen. Sie sind nicht einmal immer Beamte des veranlagenden FA. Tatsachen, die die Prüfer in Erfahrung bringen, aber nicht an das FA weitergeben, sind diesem nicht bekannt; Tatsachen, die der Prüfer hätte kennen müssen, hätte darum nicht auch das FA kennen müssen. Der Steuerpflichtige wird durch diese Rechtsprechung nicht ungebührlich benachteiligt. Er erhält Kenntnis von dem Bericht des Prüfers. Er erkennt daran, welche Feststellungen dieser getroffen, welche zu treffen er unterlassen und welche er dem FA mitgeteilt hat. Der Steuerpflichtige weiß damit, was dem FA bei der Veranlagung bekannt ist und von ihm der Veranlagung zugrunde gelegt werden wird. Er kann auch jetzt noch darauf drängen, daß die schriftlichen Feststellungen des Prüfers ergänzt werden, und diese selbst ergänzen. Der vom FG geltend gemachte Gesichtspunkt, der Steuerpflichtige betrachte den Prüfer weit eher als "das FA" als den Veranlagungsbeamten, ist deshalb ohne Bedeutung. Es kommt nicht darauf an, wofür der Steuerpflichtige den Prüfer hält, sondern allein darauf, ob der für die Veranlagung verantwortliche Beamte die erforderlichen Kenntnisse hatte, um die Veranlagung richtig durchführen zu können, oder aber ob er sich wegen seines eigenen vorwerfbaren Verhaltens so behandeln lassen muß, als ob er diese Kenntnis gehabt habe.
In der schon genannten Entscheidung VI 117/65 hat der VI. Senat des BFH allerdings für einen Sonderfall angenommen, daß sich das FA das Wissen des Prüfers anrechnen lassen müsse. Er hat aber dabei auf die ständige, für den Regelfall geltende Rechtsprechung ausdrücklich Bezug genommen. Die Besonderheit des Falls sah der VI. Senat darin, daß der Prüfer spärliche Angaben über die Art der Buchführung des Steuerpflichtigen gemacht und dann erklärt hatte, die Buchführung sei ordnungsmäßig gewesen. Der VI. Senat führte aus, die FÄ überließen in der Regel die Beurteilung der Frage der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung dem Prüfer. Machten diese nur einige unzulängliche Angaben hierzu und verlasse sich das FA darauf, so müsse es sich so behandeln lassen, als ob es selbst die Buchführung überprüft hätte. Es kann dahingestellt bleiben, ob der erkennende Senat dem beipflichten würde. Jedenfalls liegt hier ein derartiger Ausnahmefall nicht vor. Im Prüfungsbericht findet sich die eindeutige Feststellung, auf die Vorauszahlungen der X-AG seien bis zum 31. Dezember 1953 Bauarbeiten von insgesamt 63 310 DM ausgeführt und in Rechnung gestellt worden, woraus sich ein Honoraranspruch von rund 2 500 DM ergebe. Bei dieser klaren Feststellung hatte das FA keine Veranlassung zu der Annahme, daß weitere Bauarbeiten ausgeführt worden seien und ein weitaus höherer Betrag zu aktivieren sei.
2. Es kommt also für die Zulässigkeit der zweiten Berichtigung für 1953 auf die vom FG angeschnittene, aber nicht endgültig entschiedene Frage an, ob der Steuerpflichtige die Honoraransprüche zu aktivieren hatte. Das ist auf Grund des vom FG festgestellten Sachverhalts zu bejahen. Es ist dabei davon auszugehen, daß alle Bauarbeiten am 31. Dezember 1953 abgeschlossen waren. Das FG geht in seinem Urteil davon aus, daß am 31. Dezember 1953 Bauobjekte im Wert von über 300 000 DM abgeschlossen waren. Der Steuerpflichtige rechnete schon am 5. Januar 1954 über ein einer Bausumme von 364 653,59 DM entsprechendes Honorar von 23 209,51 DM ab. Er hat nicht bestritten, daß die Arbeiten bereits fertig gewesen seien, sondern nur vorgetragen, er habe, weil die letzten Rechnungen erst bis Mitte Januar 1954 eingegangen gewesen seien, noch nicht abrechnen können. Mit dem Abschluß der Bauarbeiten waren aber entsprechende Honorare oder Teilhonorare verdient (§ 21 der Gebührenordnung für Architekten vom 13. Oktober 1950). Das ist in dem Urteil des Senats IV 226/58 S vom 28. Januar 1960 (BFH 71, 111, BStBl III 1960, 291) eingehend dargelegt. Der Senat sieht keinen Grund, hiervon abzugehen. Das FG meint zwar, die Richtigkeit dieser Rechtsprechung müsse angezweifelt werden. Sie entspricht indessen allgemeinen Bilanzierungsgrundsätzen. Das FG leitet Zweifel auch daraus her, daß das genannte Urteil erstmalig für einen Freiberufler die Aktivierungspflicht eindeutig festgestellt habe. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese vom FG angenommene Voraussetzung richtig ist (vgl. hierzu die Angaben in dem BFH-Urteil IV 159/53 U vom 20. Mai/2. September 1954, BFH 59, 266, BStBl III 1954, 314). Denn es kommt auf die objektive Rechtslage an. Es spielt weder eine Rolle, ob der Steuerpflichtige subjektiv glaubte und nach der früheren Rechtsprechung etwa auch glauben durfte, er brauche die Forderungen nicht zu aktivieren, noch ob die X-AG die Geltendmachung von Vorschüssen nicht wünschte und der Steuerpflichtige das respektierte.
3. Daß zur Zeit der zweiten Berichtigung dem FA eine neue Tatsache von einigem Gewicht bekanntgeworden war, kann bei der Höhe der zu aktivierenden Forderung nicht zweifelhaft sein. Es bedarf dabei keines Eingehens darauf, ob man mit dem FG in einem Falle, in dem klar auf der Hand liegt, daß sich die Gewinnerhöhung in einem Jahr im folgenden Jahr fast völlig wieder aufhebt, bei der unter Berücksichtigung aller Einzelumstände zu beantwortenden Frage der Gewichtigkeit nicht nur auf den zu berichtigenden Veranlagungszeitraum, sondern auf die Auswirkung insgesamt abstellen kann. Denn, selbst wenn man dem FG hierin folgte, ergäbe sich durch eine Gewinnerhöhung von über 20 000 DM (rund 23 000 DM abzüglich 2 500 DM) für 1953 eine mehrere Tausend DM betragende Steuererhöhung, während die ohnehin ursprünglich nur auf 1 698 DM für 1954 festgesetzte Steuer allenfalls auf 0 DM sinken könnte, sich also in jedem Fall ein hoher Steuermehrbetrag für 1953 und 1954 insgesamt ergäbe.
War der Berichtigungsbescheid vom 1. Juli 1966 zulässig, so bedarf es keiner Prüfung mehr, ob der frühere Berichtigungsbescheid für 1953 zulässig war; denn dieser ist durch den späteren Bescheid beseitigt worden.
4. Ob der Berichtigungsbescheid 1953 vom 1. Juli 1966 auch zu bestätigen ist, soweit er nicht nur die den Anlaß zur Berichtigung bildende Nichtaktivierung der Honorarforderungen richtigstellt, sondern darüber hinaus die Wiederaufrollung zum Anlaß nimmt, die als Erhaltungsaufwand behandelten Baukosten nunmehr als Herstellungsaufwand zu behandeln, kann der Senat noch nicht beurteilen. Das FG muß hierzu noch die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen treffen, die nach dem Beschluß des Großen Senats des BFH Gr. S. 2/66 vom 22. August 1966 (BFH 86, 792, BStBl III 1966, 672), dessen Rechtsausführungen sich der Senat zu eigen macht, erforderlich sind.
Fundstellen
Haufe-Index 68382 |
BStBl II 1969, 118 |
BFHE 1969, 179 |