Leitsatz (amtlich)
Nach § 58 Abs. 2 ZG wird abweichend von § 36 Abs. 3 ZG Zollschuldner nicht der Zollbeteiligte als solcher, sondern derjenige, dem das Zollgut freigegeben oder überlassen worden ist.
Normenkette
ZG § 10 Abs. 3, § 36 Abs. 3, § 58 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin ließ im Februar und März 1962 drei Sendungen Konserven aus Frankreich zum freien Verkehr abfertigen und beanspruchte für die Ware Zollfreiheit gemäß § 1 Abs. 1 der Verordnung über die zollfreie Einfuhr von Kontingentswaren aus Frankreich in das Saarland vom 3. Juli 1969 (Bundesanzeiger – BAnz. – Nr. 126 vom 7. Juli 1959). Der Zollantrag und die Kontingentswarenerklärung sind jeweils mit einem Vermerk unterschrieben worden, der zum Ausdruck bringt, daß die Klägerin als Vertreterin des im Saarland ansässigen Kaufmanns X gehandelt habe. Das Zollamt (ZA) fertigte die Ware antragsgemäß zollfrei ab.
Später gab ein Kaufmann Y gegenüber der Zollfahndungsstelle an: Die drei Sendungen seien bereits zur Zeit ihrer Abfertigung dazu bestimmt gewesen, durch eine in Frankfurt am Main ansässige Firma außerhalb des Saarlands abgesetzt zu werden. Er habe als Beauftragter des im Saarland ansässigen Kaufmanns X mit der französischen Lieferfirma verhandelt, die deshalb die Warenrechnungen auf X ausgestellt habe. Die Unterlagen über die vom ZA bei der Abfertigung erhobenen Beträge für Ausgleichsteuer und Gebühren habe X nicht zu Gesicht bekommen. X selbst erklärte gegenüber der Zollfahndungsstelle, er habe von den Einfuhren nichts gewußt.
Auf Grund dieser Ermittlungen kam das Hauptzollamt (HZA) zu dem Ergebnis, daß die Klägerin bei der Abgabe des Zollantrags und der Kontingentswarenerklärung ohne Vertretungsmacht des X gehandelt habe und daher gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 ZG selbst als Zollbeteiligte gelte. Es forderte von ihr durch Bescheid vom 22. Dezember 1964 (in der Gestalt, die er durch die Einspruchsentscheidung vom 8. Juni 1965 erhielt) Zoll und Ausgleichsteuer in Höhe von insgesamt 15 017,90 DM. Die hiergegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) durch Urteil vom 5. Dezember 1969 mit folgender Begründung ab:
Die zollfreie Einfuhr von Kontingentswaren aus Frankreich in das Saarland setze voraus, daß ein gültiger Kontingentsschein sowie eine Kontingentserklärung des Einführers vorliege, in der u. a. versichert werde, daß die Ware zum Absatz im Saarland bestimmt sei. Die von der Klägerin als angeblicher Vertreterin der Fa. X abgegebenen Erklärungen seien falsch gewesen. Die zollfreie Abfertigung habe deshalb gegen § 36 Abs. 3 ZG verstoßen mit der Folge, daß mit der Freigabe der Ware eine Zollschuld nach § 58 Abs. 1 ZG entstanden sei. Zollschuldner sei nach § 58 Abs. 2 ZG derjenige, dem das Zollgut freigegeben oder überlassen worden sei. Nach § 10 Abs. 3 Satz 2 ZG sei die Klägerin selbst Zollbeteiligte, da sie von der Fa. X keine Vollmacht erhalten habe. Diese letztere Tatsache ergebe sich aus den im Ermittlungsverfahren vor der Zollfahndungsstelle abgegenen Erklärungen der Zeugen X, Y und Z.
Die Abgabenforderung sei nicht verjährt. Die am 1. Januar 1963 angelaufene Verjährungsfrist von einem Jahr sei gemäß § 147 Abs. 1 AO a. F. am 15. Juli 1963 durch die Vernehmung des früheren Angestellten W der Klägerin unterbrochen worden. Die Vernehmung sei auf die Feststellung der Auftrags- bzw. Vertretungsverhältnisse bei der Durchführung der Geschäfte gerichtet gewesen. Die Ermittlungshandlung habe also der Feststellung des Verpflichteten gedient.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 76 FGO und des § 147 AO a. F. Das FG sei verpflichtet gewesen, durch eigene Vernehmung der Zeugen X, Y und Z die Frage zu klären, ob X der Klägerin eine Vollmacht erteilt habe, die Zollanträge in seinem Namen zu stellen. In der Verjährungsfrage habe das FG übersehen, daß der Sachverhalt mehrschichtig sei, nämlich insofern, als der Einfuhr die Besorgung von Einfuhrscheinen vorausgegangen sei. Die Vernehmung des W habe in keiner Weise die Tätigkeit der Klägerin bei der nur die Einfuhr betreffenden zollrechtlichen Abfertigung berührt. W sei nur an der Beschaffung der Einfuhrscheine beteiligt gewesen. Seine Vernehmung habe sich darauf beschränkt, den Rahmen der ihn hierbei treffenden strafrechtlichen Verantwortung festzustellen.
Die Klägerin hat beantragt, das FG-Urteil sowie den Steuerbescheid vom 22. Dezember 1964 einschließlich der Einspruchsentscheidung vom 8. Juni 1965 aufzuheben. Das HZA hat beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet.
Dem FG ist darin zuzustimmen, daß das ZA bei der Abfertigung der Ware von der Erhebung des Zolls nicht hätte absehen dürfen, da die Ware nicht zum Absatz im Saarland bestimmt war und deshalb die Voraussetzungen der Verordnung vom 3. Juli 1959 für die Zollfreiheit nicht erfüllte. Es trifft somit zu, daß nach § 58 Abs. 1 Satz 1 ZG eine Zollschuld dadurch entstand, daß das ZA das Zollgut entgegen der Verzollungsvorschrift des § 36 Abs. 3 ZG freigab. Zollschuldner ist nach § 58 Abs. 2 ZG derjenige geworden, dem das Zollgut freigegeben oder überlassen worden ist. Das ist entgegen der Auffassung des FG nicht notwendigerweise der Zollbeteiligte im Sinne des § 10 Abs. 3 ZG. Wenn die Zollstelle eine Ware rechtsirrig für zollfrei hält, so verfährt sie zwar nach § 36 Abs. 2 ZG, der für den Fall, daß kein Zoll zu erheben ist, sie verpflichtet, dies dem Zollbeteiligten bekanntzugeben und das Zollgut freizugeben. Diese Regelung schließt nicht aus, daß die Zollstelle das Zollgut an einen anderen als den Zollbeteiligten freigibt. Dementsprechend wird nach § 58 Abs. 2 ZG abweichend von § 36 Abs. 3 ZG Zollschuldner nicht der Zollbeteiligte als solcher, sondern derjenige, dem das Zollgut freigegeben oder überlassen worden ist (vgl. Schwarz-Wockenfoth, Zollgesetz vom 14. Juni 1961, § 36 Rdnr. 8, wonach es im Falle des § 58 ZG abweichend von dem Fall des § 36 Abs. 3 ZG für die Frage des Zollschuldners nicht darauf ankommt, wer den Zollantrag gestellt hat). Besonders deutlich wird der Unterschied zwischen der Person des Zollschuldners nach § 58 Abs. 2 ZG und der des Zollbeteiligten dadurch, daß als Zollschuldner nach § 58 Abs. 2 ZG auch derjenige in Betracht kommen kann, dem das Zollgut nicht nach § 36 Abs. 2 ZG freigegeben, sondern „überlassen” worden ist.
Dem FG-Urteil zufolge hat die Klägerin schon im Einspruchsverfahren geltend gemacht, sie sei nur von der Übernahme des Frachtbriefes bis zur Weiterleitung nach der Zollabfertigung im mittelbaren Besitz der Ware gewesen. Daraus ergeben sich Zweifel, ob das ZA die Ware der Klägerin freigegeben oder überlassen hat oder ob das gegenüber einer anderen Person geschehen ist. Das FG hätte diese Zweifel aufklären müssen und sich nicht mit der theoretischen Feststellung begnügen dürfen, Zollschuldner sei nach § 58 Abs. 2 ZG derjenige, dem das Zollgut freigegeben oder überlassen worden sei.
Wenn die Klägerin bei den Abfertigungen im Jahre 1962 nach § 58 Abs. 2 ZG Zollschuldnerin und gemäß § 15 Abs. 2 UStG 1951 zugleich auch Ausgleichsteuerschuldnerin geworden ist, so ist der Auffassung des FG beizupflichten, daß die für die Zoll- und Ausgleichsteuerforderung gemäß § 144 und § 145 Abs. 1 AO a. F. am 1. Januar 1963 angelaufene Verjährungsfrist von einem Jahr durch die Vernehmung des W am 15. Juli 1963 mit Wirkung gegenüber der Klägerin unterbrochen wurde. Nach § 147 Abs. 1 AO a. F. wird die Verjährung unterbrochen durch jede Handlung, die das zuständige Finanzamt (FA) zur Feststellung des Anspruchs oder des Verpflichteten vornimmt. FA im Sinne dieser Vorschrift ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch die Zollfahndungsstelle (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs – BFH – VII 154/62 U vom 30. Juni 1964, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 79 S. 619 – BFH 79, 619 –, BStBl III 1964, 459, und VII 271/63 vom 8. Februar 1966, BFH 85, 231, BStBl III 1966, 293). Bei Steuerforderungen, deren Entstehung das Gesetz an einen bestimmten Vorgang knüpft, wie das im § 58 Abs. 1 Satz 1 ZG und § 15 Abs. 2 UStG 1951 der Fall ist, kann die Verjährung durch Handlungen unterbrochen werden, die sich auf diesen bestimmten Vorgang beziehen (vgl. BFH-Urteil II 25/61 vom 20. Mai 1969, BFH 96, 129, BStBl II 1969, 550). Die Vernehmung des W war dem FG-Urteil zufolge auf die Feststellung des Auftrags- bzw. Vertretungsverhältnisses bei der Durchführung der in Rede stehenden Geschäfte gerichtet. An diese tatsächliche Feststellung des FG über das Vernehmungsziel ist der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden, da in bezug auf sie Revisionsgründe nicht vorgebracht worden sind. Die Klägerin kann daher mit ihren abweichenden Behauptungen nicht mehr gehört werden. Zur Durchführung der in Rede stehenden Geschäfte gehörte insbesondere auch die Einfuhr und die zollamtliche Abfertigung. Deshalb berührte die Feststellung des Auftrags- bzw. Vertretungsverhältnisses auch den Lebensvorgang, in dessen Rahmen die Klägerin dem ZA gegenüber als Bevollmächtigte des X auftrat und das ZA das Zollgut irrtümlich als eine zum Absatz im Saarland bestimmte Ware ohne Zollerhebung freigab.
Fundstellen