Entscheidungsstichwort (Thema)
Außergewöhnliche Belastung durch Unterhaltszahlungen
Leitsatz (NV)
1. Das Abzugsverbot für Unterhaltsleistungen bei Anspruch auf Kindergeld oder einen Kinderfreibetrag nach § 33 a Abs. 1 EStG verstößt nicht gegen das Grundgesetz.
2. Zum Pflegekindschaftsverhältnis i. S. des § 32 Abs. 4 Nr. 2 EStG 1985.
Normenkette
EStG § 33a Abs. 1; EStG 1985 § 32 Abs. 4 Nr. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist als Alleinerbin Rechtsnachfolgerin ihres 1992 verstorbenen Ehemannes. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (1985) beantragten die Eheleute für ihre beiden 1968 und 1970 geborenen Töchter X und Y sowie den am ... August 1985 geborenen unehelichen Sohn Z der Tochter Y die Berücksichtigung von Kinderfreibeträgen. Außerdem machten sie Aufwendungen in Höhe von 2 250 DM für das Enkelkind als außergewöhnliche Belastung nach § 33 a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG 1985) geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) behandelte das Enkelkind nicht als Kind i. S. des § 32 Abs. 4 EStG 1985 und lehnte auch eine Berücksichtigung der Aufwendungen nach § 33 a Abs. 1 EStG 1985 mit der Begründung ab, der Tochter Y habe im Streitjahr für ihren Sohn ein Anspruch auf Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) zugestanden.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, der wörtlich gestellte Antrag habe schon deshalb keinen Erfolg haben können, weil es, das FG, auch dann, wenn § 33 a Abs. 1 EStG 1985 verfassungswidrig sein sollte, über dessen Regelung hinaus keine weitergehenden Vergünstigungen gewähren könnte. Es sei an das formell gültige Gesetz gebunden. Hinsichtlich der Ablehnung der Ermäßigung nach § 33 a Abs. 1 EStG 1985 folgte das FG gemäß § 105 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) den Gründen der Einspruchs entscheidung. Das FA hatte zur Begründung seiner Entscheidung unter Hinweis auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 23. November 1976 1 BvR 150/75 (BStBl II 1977, 135) und vom 3. November 1982 1 BvR 620/78 u. a. (BStBl II 1982, 717) ausgeführt: Entgegen der Auffassung der Klägerin sei die Vorschrift des § 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG 1985 nicht verfassungswidrig. Der Gesetzgeber habe im Rahmen der Gestaltungsfreiheit, die ihm durch Art. 3 i. V. m. Art. 6 des Grundgesetzes (GG) eingeräumt worden sei, im wesentlichen durch die Kindergeldregelung der durch den Unterhalt von Kindern eingeschränkten Leistungsfähigkeit von Steuerpflichtigen Rechnung getragen. Durch diese Verlagerung aus dem steuerlichen in den sozialrechtlichen Bereich sei die Pflicht des Gesetzgebers zur Berücksichtigung im Einkommensteuerrecht weitgehend entfallen. Die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann erhielten für das Enkelkind ein monatliches Kindergeld. Zusammen mit der monatlichen Zahlung des Vaters des Kindes in Höhe von 203 DM habe daher ein angemessener Geldbetrag zur Bestreitung des Unterhalts des Kindes zur Verfügung gestanden.
Zur Begründung ihrer Revision trägt die Klägerin im wesentlichen vor: Es sei bereits fraglich, ob das angefochtene Urteil mit Gründen versehen sei. Denn die Entscheidung befasse sich nur am Rande -- eher in Form eines obiter dictum -- mit der zugrundeliegenden verfassungsrechtlichen Problematik und der grundlegenden Frage, ob das Enkelkind im Streitfall als Kind i. S. des § 32 Abs. 4 EStG 1985 zu behandeln sei.
Entgegen der Auffassung des FG sei im Klageverfahren nicht nur ein Abzug der Unterhaltskosten als außergewöhnliche Belastung nach § 33 a Abs. 1 EStG 1985, sondern der Abzug der Kosten als solche beantragt worden. Rechtlich vorgreiflich sei die Frage, ob das Enkelkind als Kind i. S. des § 32 Abs. 4 EStG 1985 anzusehen sei. Hierüber habe das FG trotz des diesbezüglichen Hinweises in dem zwischen den Beteiligten ergangenen Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. November 1992 III B 133/91 (BFHE 169, 498, BStBl II 1993, 240) nicht entschieden.
Die Annahme des FG, das Klagebegehren sei auf die Anwendung des § 33 a Abs. 1 EStG 1985 beschränkt gewesen, widerspreche dem gestellten Klageantrag. Das angefochtene Urteil beruhe daher auf einem Verfahrensfehler, denn eine Entscheidung darüber, ob ein Kinderfreibetrag zu gewähren sei, fehle.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das FG zurückzuverweisen; hilfsweise unter Aufhebung der Vorentscheidung durch Teilurteil für das Enkelkind einen Kinderfreibetrag zu gewähren und die Unterhaltszahlungen in Höhe von 7 201,45 DM zuzüglich einer monatlichen Miete von 660 DM, gemindert um die Entlastungen durch Kindergeld, Unterhaltszahlungen Dritter und den Kinderfreibetrag steuermindernd zu berücksichtigen und das Verfahren insoweit gemäß § 74 FGO oder hilfsweise nach § 155 FGO i. V. m. § 251 der Zivilprozeßordnung auszusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzu weisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG hat zwar zu Recht erkannt, daß im Streitjahr die Unterhaltsleistungen für das Enkelkind nicht als außergewöhnliche Belastung nach § 33 a Abs. 1 EStG 1985 zu berücksichtigen waren. Es fehlen jedoch tatsächliche Feststellungen, um beurteilen zu können, ob der Klägerin im Streitjahr ein Kinderfreibetrag für das Enkelkind zu gewähren ist.
1. Die Ermäßigung nach § 33 a Abs. 1 EStG 1985 steht dem Steuerpflichtigen nur dann zu, wenn ihm Aufwendungen für den Unterhalt (und die Berufsausbildung) solcher Personen entstehen, für die weder er noch eine andere Person im Veranlagungszeitraum Anspruch auf Kindergeld nach dem BKGG oder auf andere Leistungen nach § 8 Abs. 1 BKGG hat.
a) Unstreitig haben im Streitfall diese Voraussetzungen schon deshalb nicht vorgelegen, weil für das Enkelkind ein Anspruch auf Kindergeld bestand. Da es nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut allein darauf ankommt, daß ein Anspruch auf Kindergeld besteht, ist es ohne Bedeutung, ob die Mutter des Kindes das Kindergeld erhalten hat oder aber die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann.
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Versagung einer Steuerermäßigung nach § 33 a Abs. 1 EStG 1985 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Nach der Rechtsprechung des Senats verstößt das Abzugsverbot für Unterhaltsleistungen, wenn ein Anspruch auf Kindergeld besteht, nicht gegen das GG (vgl. Beschlüsse vom 26. Juni 1987 III B 32/85, BFHE 150, 156, BStBl II 1987, 713; vom 22. April 1988 III B 73/87, BFHE 153, 143, BStBl II 1988, 612, sowie vom 23. Januar 1991 III B 77/89, BFH/NV 1991, 452). Die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung in BFHE 150, 153, BStBl II 1987, 713 hat das BVerfG mit der Begründung, die Entlastungen der Eltern durch Kindergeld, kindbedingte steuerliche Vergünstigungen sowie außersteuerliche Leistungen böten keinen Anhaltspunkt für einen Verstoß des Gesetzgebers gegen das Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG-Beschluß vom 9. Februar 1988 1 BvR 1166/87, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1989, 270).
2. Das FG hat im Streitfall jedoch nicht geprüft, ob bei der Klägerin ein Kinderfreibetrag für das Enkelkind zu berücksichtigen ist. Die Klägerin hatte zwar die Gewährung eines Kinderfreibetrages im Klageverfahren nicht ausdrücklich beantragt. Sie hatte jedoch den Abzug von Unterhaltsaufwendungen für das Enkelkind beantragt und die Frage nach der Berücksichtigung eines Kinderfreibetrages für das Enkelkind angesprochen, z. B. in ihrem Schriftsatz an das FG vom 5. Mai 1987. Das FG war verpflichtet, den Antrag der Klägerin unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu überprüfen (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO). Ein solcher war hier der Abzug eines Kinderfreibetrages gemäß § 32 Abs. 8 i. V. m. Abs. 2 Nr. 4 EStG 1985.
Nach der Rechtsprechung des VI. Senats des BFH (Urteil vom 9. März 1989 VI R 120/85, BFHE 157, 60), der sich der erkennende Senat angeschlossen hat (Urteil vom 27. Oktober 1989 III R 205/82, BFHE 158, 431, BStBl II 1990, 294), ist der Begriff des Pflegekindes i. S. des § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG 1977 seit Inkrafttreten der Abgabenordnung (AO 1977) bis einschließlich des Veranlagungsjahres 1985 (Streitjahr) nach der Legaldefinition des § 15 Abs. 1 Nr. 8 AO 1977 zu bestimmen. Wesentliche Voraussetzung für die Annahme eines Pflegekindschaftsverhältnisses ist danach eine tatsächlich bestehende, auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft, in der das Pflegekind mit den Pflegeeltern wie ein Kind mit seinen (natürlichen) Eltern verbunden ist. Ein Pflegekindschaftsverhältnis i. S. von § 32 Abs. 4 Nr. 2 EStG 1985 kann daher -- anders als nach der Rechtslage ab 1986 -- auch dann gegeben sein, wenn der Steuerpflichtige nicht nur mit dem Kind, sondern auch mit dessen Mutter in einem Haushalt lebt.
Da das FG zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Nr. 2 EStG 1985 keine Feststellungen getroffen hat, kann der Senat über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht entscheiden. Hierin liegt ein materieller Fehler, der zur Aufhebung der Vorentscheidung führt.
3. Bei erneuter Verhandlung wird das FG Feststellungen dazu zu treffen haben, ob zwischen der Klägerin und ihrem verstorbenen Ehemann und dem Enkelkind ein auf Dauer angelegtes Pflegeverhältnis bestanden hat, d. h. ob die Großeltern mit ihrem Enkelkind nahezu in gleicher Weise verbunden waren wie mit ihren eigenen Kindern (vgl. hierzu z. B. Urteil des FG München vom 4. März 1986 II 78/81, Entscheidungen der Finanzgerichte 1986, 447).
Fundstellen
Haufe-Index 421735 |
BFH/NV 1997, 282 |