Entscheidungsstichwort (Thema)
„Telefonsex“ als gewerbliche Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
"Telefonsex" führt unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 EStG zu Einkünften aus Gewerbebetrieb (Abgrenzung zum Beschluss des Großen Senats vom 23. Juni 1964 GrS 1/64 S, BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500).
Normenkette
EStG § 15 Abs. 2, § 22 Nr. 3; GewStG § 2 Abs. 1; AO 1977 § 40; BGB §§ 134, 138
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG |
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb seit 1989 im Rahmen eines telefonischen Auftragsdienstes Telefonsex. Sie meldete ihre Tätigkeit zum 1. Oktober 1989 bei der Stadt an und warb mit ateliergefertigten Fotos und Annoncen für die Inanspruchnahme ihrer Leistungen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) beurteilte die Tätigkeit der Klägerin als gewerblich und erließ einen einheitlichen Gewerbesteuermessbescheid für das Streitjahr 1990. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Es führte aus: Die Klägerin nehme mit ihrer Tätigkeit am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teil und erziele daher ―bei unstreitigem Vorliegen der übrigen tatbestandlichen Voraussetzungen― Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) i.V.m. § 15 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Gemäß § 40 der Abgabenordnung (AO 1977) sei es für die Besteuerung unerheblich, ob die Tätigkeit der Klägerin gegen die guten Sitten verstoße. Das auch nach heutiger Verkehrsauffassung zutreffende Unwerturteil über Prostitution gehe nicht so weit, dass die Ausübung von Telefonsex als nichtgewerbliche Tätigkeit beurteilt werden müsse.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragt, das Urteil des FG sowie den Bescheid über den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag für 1990 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin als Anbieterin von Telefonsex ein gewerbliches Unternehmen i.S. des § 15 Abs. 2 EStG unterhalten hat, das der Gewerbesteuer unterliegt (§ 2 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GewStG). Dies gilt ungeachtet dessen, dass die von ihr abgeschlossenen Verträge nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) wegen Sittenwidrigkeit (§§ 134, 138 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ―BGB―) nichtig sind (vgl. Urteil vom 9. Juni 1998 XI ZR 192/97, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1998, 2895). Denn nach § 40 AO 1977 ist es für die Besteuerung unerheblich, ob ein Verhalten, das den Tatbestand eines Steuergesetzes ganz oder teilweise erfüllt, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt. Die Aussage des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) in seinem Urteil vom 23. Juni 1964 GrS 1/64 S (BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500), dass Einkünfte aus "gewerbsmäßiger Unzucht" nicht zu einem Gewerbebetrieb führen, ist auf den hier nicht gegebenen Fall der Prostitution durch Ausübung des Geschlechtsverkehrs gegen Entgelt beschränkt.
2. Die Klägerin hat die (positiven) Tatbestandsmerkmale des § 15 Abs. 2 EStG insofern erfüllt, als sie sich selbständig, nachhaltig und mit der Absicht der Gewinnerzielung betätigt hat. Sie hat sich auch am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr beteiligt. Denn sie hat für Dritte erkennbar eigene Dienstleistungen angeboten, deren wirtschaftliche Relevanz durch das üblicherweise zu entrichtende Entgelt und durch den offenkundig großen und umsatzstarken einschlägigen "Markt" indiziert wird.
Die steuerrechtliche Erheblichkeit einer Vermarktung sexuell einschlägiger Leistungen kommt schon dadurch zum Ausdruck, dass nach dem Urteil des Großen Senats des BFH in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500 auch der Geschlechtsverkehr gegen Entgelt eine "Leistung" i.S. des § 22 Nr. 3 EStG ist, nämlich ein Tun, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein kann. Nach dem BFH-Urteil vom 28. November 1969 VI R 128/68 (BFHE 97, 378, BStBl II 1970, 185) darf hierbei nicht unberücksichtigt bleiben, dass diese Leistungen "nur um des Entgelts willen und damit aus wirtschaftlichen Gründen erbracht werden". Denn Prostituierte "’verdienen’ ihr Geld im Grunde nicht anders als die Inhaber jener Unternehmen, die zwar in Form eines Gewerbebetriebs aufgezogen sind, aber letztlich auch nur der Vermittlung von Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr dienen und deren Besteuerung wohl von niemandem in Frage gestellt wird". Nach dem BFH-Urteil vom 17. April 1970 VI R 164/68 (BFHE 99, 200, BStBl II 1970, 620), das eine Steuerbarkeit nach § 22 Nr. 3 EStG bejaht, "ist die Leistung der Dirnen … auf einen wirtschaftlichen Erfolg gerichtet".
Hiermit stimmt überein, dass nach der Rechtsprechung des BFH die "körperliche Hingabe gegen Entgelt" einer Prostituierten eine Leistung i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1967/1973 (UStG 1967/1973) darstellt, weil diese mit ihrer Tätigkeit einen wirtschaftlichen Erfolg durch Erzielung von Einnahmen bezweckt; hierbei ist ohne umsatzsteuerrechtliche Bedeutung, dass die Leistung und das ihr zugrunde liegende Rechtsgeschäft sittenwidrig (§§ 138, 817 BGB) sind (BFH-Urteile vom 4. Juni 1987 V R 9/79, BFHE 150, 192, BStBl II 1987, 653; vom 29. Oktober 1987 V R 130/85, BFH/NV 1988, 128). Der vom Reichsfinanzhof ―RFH― (Urteil vom 23. März 1923 V A 323/22, RStBl 1923, 196) vertretenen Ansicht, nach der die Tätigkeit einer Prostituierten nach der Verkehrsauffassung nicht auf eine wirtschaftliche Leistung gerichtet sei, ist die neuere Rechtsprechung des BFH nicht gefolgt. Hierbei könne dahingestellt bleiben, ob sich diese Beurteilung mit dem Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen zur Prostitution geändert habe. Die Annahme einer wirtschaftlichen Leistung im Sinne des Umsatzsteuerrechts hänge nämlich davon ab, dass der Leistende mit seiner Tätigkeit ein eigenes wirtschaftliches Ziel verfolge. Umsatzsteuerrechtlich sei entscheidend, dass eine Prostituierte ihre Leistungen aus wirtschaftlichen Gründen um des Entgelts willen erbringe. Umsatzsteuerbare Leistungen erbringt regelmäßig auch der Zuhälter an "seine" Prostituierten (BFH-Beschluss vom 29. August 1991 V B 116/90, BFH/NV 1992, 277).
3. Der Besteuerung von Einkünften aus Telefonsex als solche aus Gewerbebetrieb steht die ―möglicherweise überholte― steuerrechtliche Beurteilung der Prostitution in der Form der Ausübung von Geschlechtsverkehr gegen Entgelt nicht entgegen. Die Aussagen der Rechtsprechung ―auch die des Großen Senats des BFH in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500― zur fehlenden Teilnahme der Prostituierten am Wirtschaftsleben beziehen sich ausschließlich auf die "gewerbsmäßige Unzucht" im eingeschränkten Sinne der "Hingabe des Körpers" zum Zwecke der sexuellen Betätigung. Der erkennende Senat braucht nicht zu entscheiden, ob er dieser Rechtsprechung im Hinblick auf die veränderten gesellschaftlichen Anschauungen zur Sexualität noch folgen könnte. Denn sie gilt jedenfalls nicht für andere und in Anbetracht technischer Innovationen zunehmende Erscheinungsformen der gewerbsmäßigen Förderung sexueller Betätigung.
a) Nach dem Urteil des Großen Senats des BFH in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500 sind Einkünfte aus "gewerbsmäßiger Unzucht" mangels "Beteiligung am Wirtschaftsleben" keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG). Als "gewerbsmäßige Unzucht" wurde seinerzeit ―in Übereinstimmung mit dem strafrechtlichen Sprachgebrauch (z.B. BGH-Urteil vom 15. Januar 1954 2 StR 488/53, BGHSt 6, 98)― der Geschlechtsverkehr gegen Entgelt verstanden. Sämtliche einschlägigen höchstrichterlichen Entscheidungen befassen sich mit diesem Sachverhalt (RFH, Urteile vom 4. März 1931 VI A 16/31, RStBl 1931, 528 ‐ keine Beteiligung am wirtschaftlichen Verkehr bei "eigener Prostitution"; vom 8. April 1943 IV 33/43, Mrozek-Kartei EStG 1938/39, § 22 Ziff. 3 R. 10 Steuer und Wirtschaft ―StuW― 1943, Sp. 333; Oberster Finanzhof, Urteil vom 9. März 1948 IV 16/47, nicht veröffentlicht ―NV―; BFH-Urteil vom 22. Juni 1962 VI 112/59 S, BStBl III 1962, 465). Im gleichen ―einengenden― Sinne wird die "gewerbsmäßige Unzucht" in nachfolgenden Entscheidungen der Ertragssteuersenate des BFH verstanden (z.B. BFH-Urteile in BFHE 97, 378, BStBl II 1970, 185; in BFHE 99, 200, BStBl II 1970, 620; vom 5. Dezember 1972 VIII R 91/70, BFHE 108, 103).
b) Die Rechtsprechung hat dabei seit jeher unterschieden zwischen "eigener Prostitution" im Sinne der Ausübung des Geschlechtsverkehrs und solchen auch steuerrechtlich als gewerblich eingestuften Leistungen, mit denen Dritte die Betätigung von Sexualität organisieren. Das Urteil des RFH vom 3. Juli 1929 VI A 875/29 (RStBl 1929, 474), das die Steuerbarkeit der "gewerbsmäßigen" Kuppelei bejaht, lässt dahingestellt, ob die betreffenden Einkünfte als solche aus Gewerbebetrieb oder aus sonstigen Leistungen zu besteuern sind. Das RFH-Urteil vom 16. September 1931 VI A 1376/31 (StuW 1931, Sp. 1838) unterscheidet gleichfalls zwischen der "Haltung eines Kuppelquartiers" und der ―körperlichen― "eigenen gewerbsmäßigen Unzucht". Eine als sittlich anstößig eingestufte Vermietung von möblierten Zimmern an Prostituierte hat der BFH im Urteil vom 12. April 1988 VIII R 256/81 (BFH/NV 1989, 44) als im steuerrechtlichen Sinne gewerblich eingestuft.
c) Da es im Streitfall nicht um die steuerrechtliche Beurteilung der "gewerbsmäßigen Unzucht" im vorgenannten Sinne geht, mit der allein sich der Große Senat des BFH in seinem Urteil in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500 befasst hat, kann der erkennende Senat dahingestellt sein lassen, ob eine unterschiedliche Beurteilung der "gewerbsmäßigen Unzucht" im Einkommen- und Umsatzsteuerrecht durch die jeweiligen Steuertatbestände gedeckt ist.
Im vorliegenden Zusammenhang ist es steuerrechtlich unerheblich, dass nach der Rechtsprechung des BGH Verträge, deren Geschäftszweck die Ermöglichung und Ausübung von kommerziellem Telefonsex ist, wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sind (BGH-Urteil in NJW 1998, 2895 ‐ Vermarktung und Vertrieb von Telefonkarten). Die Sittenwidrigkeit von Verträgen, deren Geschäftszweck der Betrieb oder die Förderung von kommerziellem Telefonsex ist, ist indes nach § 40 AO 1977 für die Besteuerung nicht zu beachten. Letztere Regelung begegnet verfassungsrechtlich keinen Bedenken (Bundesverfassungsgericht ―BVerfG―, Beschluss vom 12. April 1996 2 BvL 18/93, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1996, 597).
4. Die Unterscheidung zwischen der nicht gewerbesteuerbaren "gewerbsmäßigen Unzucht" ―Betätigung durch Ausübung des Geschlechtsverkehrs― und anderen ―sittenwidrigen― Tätigkeiten verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes ‐-GG―). Das folgt auch aus der abgestuften strafrechtlichen Bewehrung von sexuellem Handlungsunrecht.
Das Strafgesetzbuch (StGB) stellt drei Grundkonstellationen sexuellen Verhaltens unter Strafe: sexuelle Handlungen des Täters selbst, die Veranlassung anderer zu eigenen sexuellen Handlungen ―gegenüber dem Täter oder Dritten― und die Veranlassung anderer zur Duldung sexueller Handlungen Dritter. Diese Handlungen werden tatbestandsmäßig danach abgegrenzt, ob ein zwischenmenschlich-körperlicher Bezug zwischen Opfer und Täter besteht (vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht Besonderer Teil I, 8. Aufl. 1995, § 17 VI 2 Rdnr. 26). Das Sexualstrafrecht unterscheidet zwischen sexuellen Handlungen "an" und "vor" Tätern, Opfern und Dritten. Handlungen "vor" dem Opfer sind teils mit geringerer Strafe bedroht (§ 174 Abs. 2, § 176 Abs. 3 Nr. 1 StGB), teils nicht tatbestandsmäßig (§§ 174a, 174b, 179, 180 StGB). Sexuelle Handlungen des Opfers "vor" dem Täter i.S. des § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB setzen voraus, dass dieses sich in räumlicher Nähe zum Täter befindet, der die sexuellen Handlungen des missbrauchten Opfers wahrnimmt (BGH-Urteil vom 31. Oktober 1995 1 StR 527/95, BGHSt 41, 285, NJW 1996, 1068). Zur Auslegung des § 176 Abs. 3 StGB ist es allgemeine Meinung, dass Reden sexuellen Inhalts und ihr Anhören keine "sexuellen Handlungen" sind. Dies folgt bereits aus einem Umkehrschluss aus § 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB, der das Einwirken auf ein Kind u.a. "durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts oder durch entsprechende Reden" gesondert unter Strafe stellt (vgl. Behm, NJW 1990, 1822, 1823). Das StGB unterscheidet mithin danach, ob eine räumliche Beziehung zwischen Täter und Opfer besteht oder nicht, sowie danach, ob ein körperlicher Kontakt stattfindet (vgl. hierzu ―kritisch― Maurach/Schroeder, a.a.O.). Dies rechtfertigt es, auch steuerrechtlich zwischen im körperlichen Sinne "eigener" gewerblicher Unzucht und sonstigen sexuellen Dienstleistungen zu unterscheiden, wobei, wie dargelegt, sittenwidrige Dienstleistungen, die mittels Telekommunikation über eine räumliche Distanz hinweg erbracht werden, zu Einkünften aus Gewerbebetrieb führen.
Fundstellen
Haufe-Index 426213 |
BFH/NV 2000, 1275 |
BStBl II 2000, 610 |
BFHE 191, 498 |
BFHE 2001, 498 |
BB 2000, 1614 |
DB 2000, 1596 |
DStR 2000, 1341 |
DStRE 2000, 906 |
HFR 2000, 815 |
StE 2000, 491 |