Leitsatz (amtlich)
Es ist kein Grund für eine Billigkeitsmaßnahme nach § 131 AO gegeben, wenn Mineralöl, das zur steuerbegünstigten Verwendung an einen Verteller abgegeben worden ist, der Verfügungsgewalt des Verteilers ohne oder gegen seinen Willen entzogen wird und dadurch in seiner Person die Steuerschuld unbedingt wird.
Normenkette
AO § 131; MinöStG § 8; MinöStDV § 23
Tatbestand
Der Klägerin, einer Mineralölhandelsgesellschaft, ist für ihr Zweigbüro die Verteilung von steuerbegünstigtem Schweröl zum unmittelbaren Verheizen genehmigt. Am 11. November 1966 bezog das Zweigbüro von der Firma A mit Kesselwagen Nr. 540674 lt. Lieferschein 20 837 kg Heizöl. Dem Kesselwagen konnten jedoch nach Angabe der Klägerin nur 16 542 kg Heizöl entnommen werden, so daß sich eine Fehlmenge von 4 295 kg ergab.
Die Klägerin stellte beim Hauptzollamt (HZA) den Antrag, die Fehlmenge steuerfrei zu belassen. Das HZA lehnte dies ab und setzte für die Fehlmenge Mineralölsteuer nach dem gewöhnlichen Steuersatz (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 des Mineralölsteuergesetzes – MinöStG –) fest, wodurch sich eine Steuerschuld von 1 471 DM ergab. Der Steuerbescheid wurde unanfechtbar.
Die Klägerin beantragte Erlaß der in dem Steuerbescheid festgesetzten Mineralölsteuer im Billigkeitsweg mit der Begründung, daß sie nur 16 542 kg Heizöl entnommen habe und die Versteuerung der Fehlmenge daher für sie eine unbillige Härte bedeute. Das HZA lehnte den Billigkeitsantrag ab, die von der Klägerin eingelegte Beschwerde wurde von der Oberfinanzdirektion (OFD) zurückgewiesen. Auch die Klage hatte keinen Erfolg.
In der Revision rügt die Klägerin sinngemäß unrichtige Anwendung des geltenden Rechts. Da die Ursache der nicht aufklärbaren Fehlmenge auf Umständen beruhe, die sie nicht zu vertreten habe, sei die Ablehnung der begehrten Billigkeitsmaßnahme ermessensfehlerhaft. Die Heranziehung der Fehlmenge zur Mineralölsteuer stelle insofern eine besondere Härte dar, als nicht auszuschließen sei, daß der Kesselwagen bereits in der Raffinerie nicht mit der auf dem Lieferschein angegebenen Menge (20 837 kg) abgefüllt worden sei. Jedenfalls beständen berechtigte Zweifel, ob die von der Raffinerie angegebene Menge überhaupt in die Verfügungsgewalt der Klägerin gelangt sei. Dies um so mehr, als die Verplombung des Kesselwagens keine Sicherheit dafür biete, daß die im Lieferschein angegebene mit der tatsächlich geladenen Menge übereinstimme. Auch könnten die Plomben nachträglich entfernt und dann wieder angebracht worden sein, ohne daß eine Entnahme von Öl durch Dritte zu bemerken gewesen sei. Daß der Verbleib der Fehlmenge nicht aufzuklären sei, rechtfertige es nicht, davon auszugehen, daß sie – die Klägerin – insoweit die Verfügungsmacht erlangt habe oder Eigentümerin geworden sei. Auf dieser Annahme aber beruhe die Steuerfestsetzung und die Ablehnung der begehrten Billigkeitsmaßnahme. Die letztere hätte bei sachgerechter Ermessensausübung nicht versagt werden dürfen.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Verwaltung zu verpflichten, die Mineralölsteuer in Höhe von 1 471 DM im Billigkeitswege zu erlassen.
Das HZA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Es ist der Meinung, daß die Ablehnung des Billigkeitsantrages nicht ermessensfehlerhaft sei und das Finanzgericht (FG) die Klage daher zu Recht abgewiesen habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
In seinem veröffentlichten Urteil VII 22/62 S vom 19. Januar 1965 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 81 S. 572 – BFH 81, 572 –, BStBl III 1965, 206) hat der erkennende Senat nach abermaliger Überprüfung im Ergebnis an der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Auslegung des § 131 AO und den sich daraus ergebenden Folgen für die steuergerichtliche Nachprüfung von Entscheidungen der Verwaltungsbehörden festgehalten. Danach handelt es sich sowohl bei den einen Billigkeitserlaß ablehnenden Verfügungen des HZA als auch bei der diese Verfügungen bestätigenden Beschwerdeentscheidung der OFD um Ermessensentscheidungen von Finanzverwaltungsbehörden, bei denen die den Steuergerichten zustehende Prüfung der Rechtmäßigkeit sich hinsichtlich der Ermessensausübung nur darauf erstrecken kann, ob die durch das Gesetz der Ermessensausübung gesetzten Grenzen eingehalten wurden sowie darauf, ob kein Ermessensfehlgebrauch vorliegt. Bei dieser Prüfung sind die Steuergerichte nicht befugt, ihr eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens zu setzen, es sei denn, daß im Einzelfall nur eine Entscheidung möglich und richtig ist.
Der Senat hat die Vorentscheidung daher daraufhin geprüft, ob die Vorinstanz bei der Nachprüfung der ablehnenden Entscheidungen der Verwaltungsbehörden diesen Grundsätzen gefolgt ist, ob ihr bei der Beurteilung des Sachverhalts Rechtsirrtümer unterlaufen sind oder ob eine weitere Sachaufklärung geboten gewesen wäre. Diese Nachprüfung ergibt folgendes:
Zutreffend ist die Vorinstanz davon ausgegangen, daß es nicht der Sinn des § 131 AO ist, im Billigkeitsverfahren nochmals auf einen unanfechtbar abgeschlossenen Steuerfall einzugehen (vgl. die Urteile des BFH IV 126/60 U vom 2. März 1961, BFH 73, 53, BStBl III 1961, 288; VII 44/62 U vom 6. August 1963, BFH 77, 535, BStBl III 1963, 515; V 137/64 vom 1. Dezember 1966, BFH 87, 405, BStBl III 1967, 156), wenn nicht ganz besondere Gründe diese ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit erforderlich erscheinen lassen (vgl. Urteil des BFH V 175/61 vom 18. Juni 1964, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1965 S. 183 – HFR 1965, 183 –). Für die Überprüfung der Vorentscheidung ist darüber hinaus, wie der BFH in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, wesentlich, ob nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers anzunehmen wäre, daß dieser die hier im Billigkeitswege zu entscheidende Frage – hätte er sie geregelt – im Sinne des begehrten Erlasses geregelt hätte (vgl. Urteile des BFH II 46/64 vom 25. Juli 1967, BFH 89, 374, BStBl III 1967, 661; III 112/60 U vom 30. August 1963, BFH 77, 522, BStBl III 1963, 511). Dies trifft indessen nicht zu, weil das Unbedingtwerden der (den ermäßigten Satz übersteigenden) Steuerschuld in der Person des Verteilers für Fälle der vorliegenden Art in den gesetzlichen Vorschriften eindeutig und uneingeschränkt vorgesehen ist.
Selbst wenn man mit der Klägerin davon ausgeht, daß bei der Entleerung des Kesselwagens tatsächlich 4 295 kg Heizöl fehlten, so besagt dies nicht, daß die Klägerin die in dem Lieferschein der Raffinerie angegebene Gesamtmenge (20 837 kg) nicht in Besitz genommen hatte. Daß die Raffinerie weniger als angegeben geliefert hat, hat sich nicht feststellen lassen. Die Inbesitznahme des von der Raffinerie gelieferten Öls war aber bereits mit der Übernahme des Kesselwagens vollzogen. Damit ist die bedingte Steuerschuld, mit der das Heizöl nach der Entfernung aus dem Herstellungsbetrieb belastet war (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 der Mineralölsteuer-Durchführungsverordnung – MinöStDV –) auf die Klägerin übergegangen (§ 23 Abs. 2 Satz 1 MinöStDV). Ist aber der von der Klägerin angegebene Fehlbestand durch eine Entnahme des Heizöls aus dem Kesselwagen entstanden, so ist das Mineralöl insoweit bestimmungswidrig verwendet worden mit der Folge, daß die Steuerschuld in der Person der Klägerin unbedingt geworden ist (§ 23 Abs. 3 Nr. 4 MinöStDV).
Geht man aber mit der Rechtsprechung des BFH davon aus, daß für die Beurteilung eines sachlichen Billigkeitsgrundes, der einen Erlaß der Steuer nach § 131 AO rechtfertigen könnte, die in den Steuergesetzen selbst gesetzten Maßstäbe zu beachten sind, so ist es für den Streitfall wesentlich, daß die Steuerschuld auch dann unbedingt geworden ist, wenn das Mineralöl ohne oder sogar gegen den Willen der Klägerin deren Verfügungsgewalt entzogen worden ist (vgl. Schädel-Langer-Gotterbarm, Mineralölsteuergesetz, Anm. 11 zu § 23 MinöStDV). Dieses Ergebnis ist auch systematisch Insofern folgerichtig, als eine unberechtigte Entnahme von steuerbegünstigtem Mineralöl, das gegen Erlaubnisschein abgegeben worden ist, zwangsläufig immer eine bestimmungswidrige Verwendung darstellt. Die gesetzlichen Vorschriften gehen aber in ihrem klaren Wortlaut und nach ihrem Sinn und Zweck davon aus, daß derjenige, in dessen Verfügungsgewalt sich Mineralöl befindet, für die steuerlichen Folgen einer solchen bestimmungswidrigen Verwendung in jedem Fall aufzukommen hat. Die Feststellung der Vorinstanz, es entspreche dem Willen des Gesetzgebers, daß in Fällen der vorliegenden Art die Steuerschuld in der Person des Heizölverteilers entsteht, trifft demnach im Ergebnis zu. Ein besonderer Billigkeitsgrund ist im Streitfall um so weniger erkennbar, als die Klägerin – unbeschadet ihrer Korrektheit bei Befolgung der steuerlichen Vorschriften – das Risiko der unberechtigten Mineralölentnahme insofern nicht völlig ausgeschaltet hatte, als eine solche Entnahme von 01 bei dem Unterbleiben einer Bewachung des Kesselwagens und dem Fehlen einer Zählvorrichtung an dem Tankwagen nicht ausgeschlossen war.
Bei dieser Sach- und Rechtslage ist die Heranziehung der Klägerin zur Mineralölsteuer auch für die 4 295 kg Mineralöl, deren Verbleib nicht mehr festzustellen ist, eine Folge der gesetzlichen Regelung. Sie ist als solche – da sich aus der wirtschaftlichen Lage der Klägerin ergebende persönliche Billigkeitsgründe nicht erkennbar sind – vereinbar mit Recht und Billigkeit, weshalb die Ablehnung des begehrten Billigkeitserlasses nicht ermessensfehlerhaft gewesen und die Klage gegen die Beschwerdeentscheidung von der Vorinstanz im Ergebnis zu Recht abgewiesen worden ist. Die Revision war – da die Berechnung der Steuerschuld selbst keinen Fehler erkennen läßt – als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 514801 |
BFHE 1971, 181 |