Entscheidungsstichwort (Thema)
Erweiterte Änderungsbefugnis nach unzutreffenden Steuererklärungen
Leitsatz (NV)
Hat ein Steuerpflichtiger selbst unzutreffende Steuererklärungen abgegeben, so kann er sich im Rahmen der Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nicht darauf berufen, daß dem Finanzamt der richtige Sachverhalt bei genauerer Ermittlung bekannt geworden wäre.
Normenkette
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid 1980 nachträglich zum Nachteil der Kläger und Revisionskläger (Kläger) abgeändert werden durfte.
Die Kläger sind Eheleute. Sie werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger bezog im Streitjahr 1980 u. a. auch Einkünfte aus Kapitalvermögen. In der Anlage KSO zur Einkommensteuererklärung wurden die zu versteuernden Einnahmen mit 3 931 DM und die anzurechnende Körperschaft- und Kapitalertragsteuer mit 2 721,50 DM und 1 209,50 DM angegeben. Der Steuererklärung war eine Steuerbescheinigung der ausschüttenden Körperschaft beigefügt, die folgende Angaben enthielt:
Höhe der Leistungen 7 560,00 DM
anrechenbare Körperschaftsteuer 2 721,50 DM
zu versteuernde Einnahmen 4 838,50 DM
anrechenbare Kapitalertragsteuer 1 209,50 DM
Nettoauszahlung 3 620,00 DM.
Das Finanzamt (FA) änderte im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1980 die vom Kläger mit 3 931 DM erklärten zu versteuernden Einnahmen entsprechend der vorgelegten Steuerbescheinigung auf 4 838,50 DM. Der am 30. April 1981 ergangene Steuerbescheid wurde bestandskräftig.
Im Anschluß an eine Geschäftsprüfung durch die Oberfinanzdirektion (OFD) überprüfte das FA die Höhe der im Einkommensteuerbescheid 1980 zugrunde gelegten Einkünfte aus Kapitalvermögen. Eine Rückfrage bei der die Steuerbescheinigung ausschüttenden Körperschaft ergab, daß die zu versteuernden Einnahmen nicht 4 838,50 DM, sondern 7 560,16 DM betrugen. Das FA änderte daraufhin den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid 1980 ,,gemäß § 129 i. V. m. § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung" (AO 1977).
Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen aus, die Berichtigung des Einkommensteuerbescheids vom 30. April 1981 sei zwar nicht von § 129 AO 1977 gedeckt, sie habe indes gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 vorgenommen werden dürfen. Die richtige Höhe der vom Kläger erzielten und zu versteuernden Einnahmen sei dem FA erst durch das Schreiben der ausschüttenden Körperschaft vom 26. Juli 1983 bekannt geworden. Erst aufgrund der beigefügten neuen Steuerbescheinigung vom 18. Juli 1983 habe das FA erfahren, daß der Kläger nicht 4 838,50 DM, sondern 7 560 DM Kapitaleinnahmen bezogen habe. An der nachträglichen Verwendung dieser Zahlen (Tatsache) sei das FA auch nicht aufgrund der Grundsätze von Treu und Glauben gehindert gewesen. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe zwar in seinem Urteil vom 13. November 1985 II R 208/82 (BFHE 145, 487, BStBl II 1986, 241) ausgeführt, daß Voraussetzung für eine Änderung eines Steuerbescheids zuungunsten des Steuerpflichtigen sei, daß die spätere Kenntnis der Tatsache oder des Beweismittels nicht auf einer Verletzung der der Finanzbehörde obliegenden Ermittlungspflicht beruhe. Ein solcher Fall einer mangelnden Sachaufklärung sei hier jedoch nicht gegeben. Das FA habe aufgrund der vorgelegten und der Steuererklärung beigefügten Steuerbescheinigung von der Richtigkeit der dort mitgeteilten Daten ausgehen können. Zweifel an der Richtigkeit der Höhe der zu versteuernden Einnahmen drängten sich aufgrund der Steuerbescheinigung vom 2. Juni 1980 nicht ohne weiteres auf. Angesichts der Vielzahl der mitgeteilten Daten in dieser Bescheinigung sei das FA nicht verpflichtet gewesen, Kontrollberechnungen durchzuführen, ob die zu versteuernden Einnahmen höher anzusetzen gewesen wären. Zwar habe der Kläger nur 3 931 DM an Einnahmen erklärt, so daß eine Überprüfung dieser Angaben aufgrund der vorliegenden Bescheinigung durch das FA erforderlich geworden sei. Bei dieser Kontrollüberwachung habe das FA aber von der Richtigkeit der vorgelegten Steuerbescheinigung ausgehen können, da sie nach amtlichem Muster erstellt worden sei.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügen die Kläger die Verletzung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 sowie die Nichtbeachtung der Grundsätze von Treu und Glauben. Die Höhe und die spezielle Eingruppierung von Zahlen in ein und denselbem Zusammenhang könnten in diesem Sinne keine neue Tatsache sein. Das FA habe bereits in dem Bescheid vom 30. April 1981 die zutreffenden Zahlen einsetzen können. Denn bei Vornahme einer Schlüssig- und Stimmigkeitsprüfung wäre die Fehlerhaftigkeit der Bescheinigung evident geworden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekanntwerden, die zu einer höheren Steuer führen. Diese Voraussetzungen lagen vor. Denn die Höhe bestimmter der Besteuerung zugrunde zu legender Einnahmen aus Kapitalvermögen ist eine Tatsache im Sinne der genannten Vorschrift. Aus der ursprünglich vorgelegten Bescheinigung ergab sich eine Höhe der zu versteuernden Einnahmen von 4 838,50 DM, die dem Einkommensteuerbescheid vom 30. April 1981 zugrunde gelegt wurde, wogegen die ausschüttende Körperschaft später, nämlich durch die neue Steuerbescheinigung vom 18. Juli 1983, gegenüber dem FA erklärte, die zu versteuernden Einnahmen seien nicht mit 4 838,50 DM, sondern mit 7 560,16 DM zu beziffern.
Ob das FA bei einer genauen Analyse der fünf verschiedenen in der ursprünglichen Bescheinigung genannten Zahlen zu dem Ergebnis hätte kommen können, daß die Zahl ,,4 838,50 DM" unzutreffend sein könnte und ob es deshalb weitere Ermittlungen hätte anstellen müssen, kann im vorliegenden Fall schon deshalb auf sich beruhen, weil an die Ermittlungspflicht des FA um so geringere Anforderungen zu stellen sind, je ungenauer oder unzutreffender die vom Steuerpflichtigen selbst gemachten Angaben sind (vgl. u. a. Urteil des BFH in BFHE 145, 487, BStBl II 1986, 241). Da die Steuerpflichtigen selbst ihre zu versteuernden Einnahmen aus Kapitalvermögen fälschlicherweise mit 3 931 DM, d. h. wesentlich niedriger, als es den o. a. Zahlen entsprechen würde, angegeben haben, können sie sich nicht darauf berufen, daß das FA den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 417769 |
BFH/NV 1992, 75 |