Entscheidungsstichwort (Thema)
Rüge von Verfahrensmängeln
Leitsatz (NV)
Zur Rüge von Verfahrensmängeln, wenn das FG Vorbringen in der Klageschrift unberücksichtigt läßt (Verletzung rechtlichen Gehörs, Verstoß gegen den Inhalt der Akten, Beweiswürdigung aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens).
Normenkette
FGO § 96 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; AO 1977 § 228 ff.
Tatbestand
Die Einkommensteuer 1976 des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) wurde nach mehrfacher Änderung der Steuerfestsetzung zuletzt auf 0 DM festgesetzt. Der Kläger begehrt die Erstattung eines auf diese Steuerschuld zunächst gutgeschriebenen Betrages in Höhe von 5 000 DM, der nach den Feststellungen in dem angefochtenen Urteil des Finanzgerichts (FG) am 25. Januar 1979 auf die Einkommensteuer 1975 und sodann am 15. März 1979 von der Einkommensteuer 1975 auf die Einkommensteuer 1977 umgebucht worden ist. Die Klage gegen den Abrechnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung, mit denen der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) festgestellt hat, daß die vom Kläger mit am 31. Dezember 1993 eingegangenen Schreiben geltend gemachten Erstattungsansprüche -- darunter der vorstehende Anspruch aus Einkommensteuer 1976 -- nicht bestünden, blieb erfolglos.
Das FG führte hinsichtlich des Erstattungsanspruchs aufgrund der Einkommensteuer 1976 aus, der Anspruch sei verjährt, denn der Kläger habe ihn erstmals am 31. Dezember 1993 und damit nach Ablauf der fünfjährigen Frist für die Zahlungsverjährung geltend gemacht (§§ 228, 229 Abs. 1 der Abgabenordnung -- AO 1977 --). Der Anspruch sei nämlich bereits am 28. August 1987 fällig gewesen; denn die Einkommensteuer 1976 sei mit Fälligkeit vom 28. August 1987 auf 0 DM festgesetzt worden.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung rechtlichen Gehörs, weil das FG sein Vorbringen in der Klageschrift vom 6. September 1994, letzter Satz, nicht berücksichtigt habe. Dort habe er vorgetragen, er habe bereits am 29. Januar 1988 und am 14. März 1988 den Erstattungsanspruch schriftlich geltend gemacht, wodurch die Zahlungsverjährung unterbrochen worden sei. Da eine rechtskräftige Entscheidung über den geltend gemachten Erstattungsanspruch nicht ergangen sei, sei dieser noch nicht verjährt. Dieses Vorbringen könne nur als Beweisangebot verstanden werden, dem das FG aber nicht nachgegangen sei. Soweit das FA erstmals und überraschenderweise im Klageverfahren vorgetragen habe, es habe die Verrechnung des Erstattungsanspruchs aus Einkommensteuer 1976 mit der Einkommensteuer 1975 aufgehoben und den Erstattungsbetrag auf die Einkommensteuer 1977 umgebucht, sei das FA hierfür trotz wiederholter Aufforderung eine Begründung schuldig geblieben. Ihm (dem Kläger) sei weder eine Aufhebung der ursprünglichen Aufrechnung noch eine anderweitige Aufrechnung bekanntgegeben worden.
Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Abrechnungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung dahin abzuändern, daß zu seinen Gunsten ein Erstattungsanspruch aus Einkommensteuer 1976 von 5 000 DM festgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es ist der Auffassung, die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs sei nicht ausreichend substantiiert dargelegt. Hinsichtlich der Rüge der unterlassenen Beweisaufnahme sei nicht erkennbar, welcher konkrete Beweisantrag vom FG übergangen worden sei und weshalb die Vorentscheidung auf diesem Mangel beruhe. Soweit der Kläger geltend mache, das FG habe den Sachverhalt hinsichtlich der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs falsch gewürdigt, könne dies die Revision nicht begründen, weil das Urteil weder Verstöße gegen die Denkgesetze noch widersprüchliche Feststellungen enthalte.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Die Vorentscheidung beruht auf der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung des FG, der geltend gemachte Erstattungsanspruch aus der Einkommensteuer 1976 sei verjährt, weil er erstmals am 31. Dezember 1993 geltend gemacht worden sei. Denn die fünfjährige Frist für die Zahlungsverjährung, die mit Ablauf des Jahres der erstmaligen Fälligkeit des Anspruchs (hier am 28. August 1987) beginnt, sei vor der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs (nämlich mit Ablauf des Jahres 1992) abgelaufen (§ 228 Sätze 1 und 2, § 229 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Die Revision hat in bezug auf den vom FG angenommenen Zeitpunkt der erstmaligen Geltendmachung -- und damit zur Frage der Verjährung -- des Erstattungsanspruchs zulässige und begründete Verfahrensrügen vorgebracht. Sie hat unter genauer Angabe der Fundstelle (Klageschrift vom 6. September 1994, letzter Satz) zutreffend darauf hingewiesen, daß der Kläger bereits im Klageverfahren vorgetragen hat, der Erstattungsanspruch aus Einkommensteuer 1976 sei -- entgegen der Tatsachenwürdigung des FG -- nicht verjährt, weil die Zahlungsverjährung durch schriftliche Geltendmachung des Anspruchs seitens des Klägers vom 29. Januar und 14. März 1988 unterbrochen worden sei (§ 231 Abs. 1 AO 1977) und mangels rechtskräftiger Entscheidung über den gegen die Finanzbehörde geltend gemachten Anspruch die Unterbrechung der Verjährung noch andauere (§ 231 Abs. 2 Satz 2 AO 1977).
Die von der Revision vorgetragenen Tatsachen (vgl. § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO) ergeben als Verfahrensmängel die vom Kläger gerügte Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) sowie einen Verstoß des FG gegen die Verpflichtung, seiner Entscheidung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der hier gerügte Verstoß gegen den Inhalt der Akten (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) fällt häufig mit der Verletzung rechtlichen Gehörs zusammen (vgl. Klein/Ruban, Der Zugang zum Bundesfinanzhof, Rdnr. 169), denn der Anspruch auf rechtliches Gehör beinhaltet für das Gericht auch die Verpflichtung, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 96 Rdnr. 30, m. w. N.). Daß im Streitfall hinsichtlich des Verstoßes gegen den Inhalt der Akten (Beweiswürdigung aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens) die verletzte Rechtsnorm nicht ausdrücklich bezeichnet worden ist (vgl. § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO), steht der Berücksichtigung dieses Verfahrensmangels nicht entgegen, da diese Verfahrensrüge und die ihr zugrundeliegende Norm des Bundesrechts (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) eindeutig aufgrund des Tatsachenvortrags des Klägers erkennbar ist (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rdnr. 31).
Entgegen der Auffassung des FA sind die vorstehenden Verfahrensrügen in zulässiger Weise erhoben worden. Der Kläger hat in der Revisionsbegründung -- neben der Angabe der genauen Fundstelle seines Vorbringens in der Klageschrift -- substantiiert dargelegt, welches entscheidungserhebliche Vorbringen das FG bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen hat, und daß dieser Verfahrensfehler deshalb zu einer fehlerhaften Entscheidung der Vorinstanz geführt hat, weil bei Zugrundelegung der behaupteten schriftlichen Geltendmachung des Erstattungsanspruchs durch den Kläger am 29. Januar und 14. März 1988 die Zahlungsverjährung noch nicht eingetreten wäre (§§ 231 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 AO 1977). Unter Berücksichtigung des tatsächlichen Vorbringens des Klägers in der Klageschrift (S. 4 letzter Satz), das das FG bei seiner Entscheidung außer Betracht gelassen hat, erweisen sich die Rüge eines Verstoßes gegen den Inhalt der Akten und der Verletzung rechtlichen Gehörs auch als begründet. Da bereits die vorgenannten Verfahrensfehler zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG führen, braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob hinsichtlich der in der Klageschrift behaupteten schriftlichen Geltendmachung des Erstattungsanspruchs am 29. Januar und 14. März 1988 auch die Verfahrensrüge der mangelnden Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) in zulässiger Weise erhoben und begründet wäre.
Das FG wird bei seiner erneuten Entscheidung zu prüfen haben, ob der Kläger tatsächlich -- wie in der Klageschrift behauptet -- bereits am 29. Januar und 14. März 1988 den Erstattungsanspruch aus der Einkommensteuer 1976 schriftlich geltend gemacht hat und demgemäß dieser Anspruch nicht verjährt ist. Die im Revisionsverfahren vorgelegten Schriftsätze des Klägers vom 29. Januar und 14. März 1988 unterliegen hinsichtlich der hier maßgeblichen Frage der rechtzeitigen Geltendmachung des Erstattungsanspruchs einer eigenständigen tatsächlichen Würdigung durch die Tatsacheninstanz. Falls danach im Gegensatz zur Vorentscheidung eine Zahlungsverjährung nicht angenommen werden kann, wird das FG zu prüfen haben, ob der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht durch Aufrechnung erloschen ist. Dabei wird es auf die von der Revision aufgeworfene Frage einzugehen haben, ob das FA die zunächst vorgenommene Verrechnung des Erstattungsanspruchs mit der Einkommensteuer 1975 aufgehoben und sodann dem Kläger gegenüber wirksam mit dem Einkommensteueranspruch 1977 gegen den Erstattungsanspruch aus der Einkommensteuer 1976 aufgerechnet hat. In dem Urteil des FG, nach dessen bisheriger Rechtsauffassung es auf die Wirksamkeit dieser Aufrechnung nicht ankam, ist lediglich die Tatsache der Umbuchung des Erstattungsbetrages auf die Einkommensteuer 1977 festgestellt worden.
Fundstellen
Haufe-Index 421457 |
BFH/NV 1996, 830 |