Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung wegen widerstreitender Steuerfestsetzung nach Ablauf der Festsetzungsfrist
Leitsatz (NV)
Der Ablauf der Festsetzungsfrist (Feststellungsfrist) ist gem. § 174 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 auch dann unbeachtlich, wenn das FA in der erkennbaren Annahme, ein bestimmter Sachverhalt sei in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen, zunächst überhaupt keinen Steuerbescheid erläßt.
Normenkette
AO 1977 § 174 Abs. 3, 4 S. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) führte gemeinsam mit seiner 1983 verstorbenen Ehefrau einen Betrieb der Land- und Forstwirtschaft. Den Gewinn ermittelten sie nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Mit notariellem Vertrag vom ... Juni 1979 veräußerten die Kläger ein zum landwirtschaftlichen Betriebsvermögen gehörendes Grundstück und erzielten dabei einen Veräußerungsgewinn in Höhe von 209 546 DM. Der Kaufpreis für das Grundstück wurde in zwei Raten im Oktober 1979 und Anfang 1980 gezahlt. Die Kläger, die zusammen veranlagt wurden, gaben den Veräußerungsgewinn weder in ihren Gewinnermittlungen noch in ihren Steuererklärungen für die Jahre 1978 bis 1980 an.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) hatte den Kläger und seine Ehefrau zunächst antragsgemäß veranlagt. Im Jahre 1984 erfuhr das FA durch eine Kontrollmitteilung von dem Veräußerungsgewinn. Daraufhin änderte das FA die Veranlagungen in der Weise, daß es mit Bescheiden vom 9. und 24. April 1985 den Veräußerungsgewinn (aufgrund des für Landwirte gemäß § 4 a Abs. 1 Nr. 1 EStG geltenden Wirtschaftsjahres) je zur Hälfte bei den Einkünften der Jahre 1979 und 1980 erfaßte und beiden Ehegatten zurechnete. Gegen diese Bescheide legte der Kläger Einspruch ein. Mit seinem Einverständnis korrigierte das FA den Einkommensteueränderungsbescheid 1980 in der Weise, daß der Veräußerungsgewinn in ihm nicht mehr berücksichtigt wurde. Statt dessen erließ das FA am 10. Oktober 1985 einen weiteren Einkommensteueränderungsbescheid für 1978. Der Bescheid richtete sich -- wie auch die anderen im Jahre 1985 erlassenen Bescheide -- an den Kläger, zugleich als Rechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau. Hier gegen erhob der Kläger nach erfolglosem Einspruch Klage. In diesem Verfahren (Az. des FG ... E) berief er sich zunächst auf Verjährung und die Möglichkeit der Verrechnung des Veräußerungsgewinns mit einer Ersatzinvestition. Den letztgenannten Punkt ließ er jedoch später fallen und trug insbesondere vor, daß der Veräußerungsgewinn entsprechend dem Zufluß der Kaufpreiszahlungen erst im Wirtschaftsjahr 1979/80 zu erfassen sei.
Während des Klageverfahrens wies der Berichterstatter des Finanzgerichts (FG) das FA darauf hin, daß die landwirtschaftlichen Einkünfte der Eheleute gesondert und einheitlich festzustellen seien. Demgemäß erließ das FA am 3. Februar 1991 -- gerichtet an den Kläger zugleich als Rechtsnachfolger für seine verstorbene Ehefrau -- erst malig zusammengefaßte Gewinnfeststellungsbescheide für die Jahre 1978 und 1979. In diesen Bescheiden erfaßte das FA auch den Veräußerungsgewinn. Auch gegen diesen Bescheid erhob der Kläger -- ausdrücklich zugleich als Rechtsnachfolger für seine verstorbene Ehefrau -- Klage und beantragte, den Veräußerungsgewinn in den Jahren 1979 und 1980 zu erfassen (Az. des FG ... F).
Diesem Antrag entsprach das FA, indem es den Gewinnfeststellungsbescheid 1978 unter dem Datum vom 2. März 1993 entsprechend änderte. Am selben Tag erließ das FA erstmalig einen Gewinnfeststellungsbescheid für 1980, in dem es die Hälfte des Veräußerungsgewinns ansetzte. Auch dieser Bescheid erging wiederum an den Kläger zugleich als Rechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau.
Unter dem Datum vom 14. Juli 1993 änderte das FA den Einkommensteuerbescheid 1978, indem es den anteiligen Veräußerungsgewinn antragsgemäß außer Ansatz ließ. Unter dem gleichen Datum erließ das FA einen weiteren Einkommensteueränderungsbescheid für 1980, in dem es den Gewinnfeststellungsbescheid vom 2. März 1993 auswertete.
Die Beteiligten erklärten die Verfahren ... E und ... F daraufhin für erledigt.
Gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 1980 richtet sich die vorliegende Klage, mit der der Kläger geltend macht, die Festsetzungsfrist sei bezüglich der Gewinnfeststellung 1980 abgelaufen. Das FG gab der Klage insoweit statt, als der Kläger die Klage als Rechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau erhoben hatte. Im übrigen wies es die Klage ab.
Das FG vertrat die Ansicht, gegenüber dem Kläger selbst sei die Feststellungsfrist noch nicht abgelaufen gewesen. Der Ablauf der regulären Feststellungsfrist sei für ihn gemäß § 174 Abs. 4 Satz 1 bis 3 der Abgabenordnung (AO 1977) unbeachtlich, da er im Klageverfahren bezüglich der Einkommensteuer 1978 und 1979 beantragt habe, den Veräußerungsgewinn im Wirtschaftsjahr 1979/80 zu erfassen. Antragsgemäß habe das FA den Einkommensteuerbescheid 1978 zu seinen Gunsten geändert. Die richtigen steuerlichen Folgen aus dieser Änderung hätten auch im Gewinnfeststellungsbescheid für 1980 gezogen werden dürfen. Folgeänderungen nach § 174 Abs. 4 AO 1977 seien weder auf die gleiche Steuerart noch auf den gleichen Steuerpflichtigen beschränkt. Demgegenüber sei die Regelung des § 174 Abs. 4 AO 1977 unanwendbar, soweit der Kläger als Rechtsnachfolger seiner Ehefrau betroffen sei. In seiner Eigenschaft als Rechtsnachfolger seiner Ehefrau habe er nämlich keine Änderung der Einkommensteuerbescheide 1978 und 1979 beantragt.
Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung des FA vom 21. Februar 1994 sowie den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung 1980 vom 2. März 1993 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Die Entscheidung des FG könnte allenfalls insoweit zu beanstanden sein, als das Gericht den angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheid nicht zur Gänze bestätigt hat. Da jedoch das FA keine Revision eingelegt hat, muß das FG-Urteil Bestand haben.
Nach § 174 Abs. 4 AO 1977 kann die Finanzbehörde, wenn sie auf Antrag des Steuerpflichtigen einen Steuerbescheid, der auf Grund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ergangen ist, aufhebt oder ändert, aus dem Sachverhalt durch Erlaß oder Änderung eines anderen Steuerbescheides die richtigen Schlüsse ziehen. Dies hat das FA getan, indem es den Gewinnfeststellungsbescheid 1978 vom 3. Februar 1991 zugunsten des Klägers geändert und daraufhin den angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheid (1980) vom 2. März 1993 erlassen hat. Die Änderung des Gewinnfeststellungsbescheides 1978 erfolgte auch auf Antrag des Klägers, den er zugleich als Rechtsnachfolger seiner Ehefrau gestellt hatte.
Der Ablauf der Feststellungsfrist war gemäß § 174 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 unbeachtlich. Das gilt unbeschadet des Umstandes, daß die Feststellungsfrist für die Gewinnfeststellung 1980 bei Erlaß des später aufgehobenen Feststellungsbescheides 1978 vom 3. Februar 1991 bereits abgelaufen war (§ 174 Abs. 4 Satz 4 AO 1977). Es waren nämlich zugleich die Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 erfüllt.
Die Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 sind dann gegeben, wenn ein bestimmter Sachverhalt in einem Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt worden ist, daß er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei. Im Streitfall hat das FA durch die antragsgemäße Änderung des Einkommensteueränderungsbescheides 1980 vom 9. April 1985 und den gleichzeitigen Erlaß des Einkommensteueränderungsbescheides 1978 vom 10. Oktober 1985 zu erkennen gegeben, daß der Sachverhalt "Grundstücksveräußerung" bei der Steuerfestsetzung des Jahres 1978 zu erfassen sei.
Was die -- hier streitige -- gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung 1980 angeht, so hat das FA zunächst überhaupt keinen Bescheid erlassen. Auch dieser Fall wird indessen von der Vorschrift des § 174 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 erfaßt. Das ergibt sich daraus, daß die Steuerfestsetzung (Feststellung) auch "nachgeholt" werden kann.
Die Erkennbarkeit der Annahme des FA, die Veräußerung sei im Jahre 1978 zu erfassen, ergibt sich neben der dargestellten Behandlung in den Einkommensteuerbescheiden 1978 und 1980 daraus, daß das FA den anteiligen Veräußerungsgewinn später auch bei der Gewinnfeststellung 1978 berücksichtigt hat.
Unerheblich ist schließlich, ob die Annahme, der anteilige Veräußerungsgewinn sei im Jahre 1978 zu erfassen, auf einer sachlichen oder auf einer rechtlichen Fehlbeurteilung beruht. Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 174 Abs. 3 AO 1977 auf sachliche Fehlbeurteilungen würde deren Sinn, Besteuerungslücken zu vermeiden, zuwiderlaufen (Senatsurteil vom 27. Mai 1993 IV R 65/91, BFHE 172, 5, BStBl II 1994, 76).
Fundstellen
Haufe-Index 421514 |
BFH/NV 1997, 89 |