Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf rechtliches Gehör
Leitsatz (NV)
Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet, daß das Finanzgericht bei seiner Entscheidung auch solche Schriftsätze berücksichtigt, die nach der Beratung, aber vor Absendung der Urteilsausfertigungen bei Gericht eingegangen sind.
Normenkette
FGO § 119 Nr. 3; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine KG, betreibt ein . . . fachgeschäft. Komplementärin war in den Streitjahren 1978 bis 1980 Frau X; Kommanditisten waren drei Enkel. Die Komplementärin hatte das Geschäft von ihrem Ehemann geerbt und 1977 die Enkel als Kommanditisten aufgenommen. Der Beigeladene ist der Sohn der Komplementärin; er wurde von der KG als Arbeitnehmer beschäftigt.
Aufgrund einer Betriebsprüfung kam der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) zu dem Ergebnis, daß der Beigeladene nicht Arbeitnehmer, sondern Mitunternehmer gewesen sei; er ließ deshalb die Aufwendungen der Klägerin für seine Beschäftigung nicht als Betriebsausgaben zum Abzug zu, sondern behandelte sie als seinen Gewinnanteil.
Die aufgrund der Betriebsprüfung geänderten Gewinnfeststellungsbescheide für die Jahre 1978 bis 1980 übersandte das FA an den Beigeladenen; dieser war in den Gewinnfeststellungserklärungen der Klägerin als Empfangsbevollmächtigter bezeichnet. Als betroffen wird im Feststellungsbescheid die Klägerin angegeben. Die festgestellten Gewinne werden in diesem Bescheid auf die Gesellschafter und den Beigeladenen aufgeteilt; die Beteiligten sind mit ihren Anschriften aufgeführt worden.
Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Anfechtungsklage zum Finanzgericht (FG) und beantragte, die Gewinne der Klägerin unter Anerkennung der Aufwendungen für den Beigeladenen niedriger festzustellen. Nach einem Wechsel in der Person ihres Prozeßbevollmächtigten beantragte die Klägerin, den zusammengefaßten Gewinnfeststellungsbescheid für die Streitjahre aufzuheben oder seine Unwirksamkeit festzustellen. Sie beanstandete, daß der Bescheid nicht wirksam zugestellt worden sei. In einem späteren Schriftsatz teilte die Klägerin mit, daß sie nicht mehr die Änderung, sondern die Feststellung der Unwirksamkeit der Bescheide beantrage.
Die Beteiligten hatten auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Nach Beratung in der Sitzung vom 13. Mai 1986 wies das FG die Klage ab; die Urteilsausfertigungen wurden am 25. Juli 1986 zur Zustellung (mittels Empfangsbekenntnis) abgesandt.
Mit einem am 25. Juni 1986 beim FG eingegangenen Schriftsatz hatte die Klägerin auf die Anfrage des Berichterstatters des FG in einer Parallelsache mitgeteilt, daß im Streitfall hilfsweise der Antrag aus der Klageschrift aufrechterhalten werde. Dieser Schriftsatz ist im Urteil des FG nicht berücksichtigt worden.
Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision, mit der die Klägerin fehlerhafte Anwendung der Abgabenordnung (AO 1977) sowie einen Fehler im finanzgerichtlichen Verfahren rügt.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils, die Unwirksamkeit der Feststellungsbescheide 1978 bis 1980 festzustellen, hilfsweise, die Gewinne der Klägerin niedriger festzustellen, ganz hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision der Klägerin muß das angefochtene Urteil wegen eines Verfahrensfehlers des FG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden.
Die Klägerin rügt zu Recht, daß das FG ihren am 25. Juni 1986 eingegangenen Schriftsatz hätte berücksichtigen müssen. Nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) hat vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. Dies verlangt, daß das Gericht Anträge und Erklärungen der Beteiligten berücksichtigt, die ihm vor dem Ergehen der Entscheidung zugehen. Als maßgebender Zeitpunkt ist dabei die Verkündigung des Urteils oder sein Herausgehen zur Zustellung anzusehen (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Oktober 1970 VI B 24/70, BFHE 100, 351, BStBl II 1971, 25). Haben die Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf mündliche Verhandlung verzichtet, so bedeutet dies, daß auch Schriftsätze berücksichtigt werden müssen, die nach der Beratung des FG, aber vor Absendung der Urteilsausfertigungen eingegangen sind. Dieses Gebot hat das FG nicht beachtet. Hierin liegt ein Verfahrensfehler gemäß § 119 Nr. 3 FGO, der zur Aufhebung des angefochtenen Urteils zwingt.
Das FG wird nunmehr zu entscheiden haben, ob der Aufhebungsantrag von der Klägerin als Hilfsantrag aufrechterhalten war oder zulässigerweise umgestellt worden ist. Zu der Frage der Zustellung des Bescheids wird es die Entscheidung des VIII. Senats des BFH vom 7. April 1987 VIII R 259/84 (BFHE 150, 331, BStBl II 1987, 766) zu beachten haben.
Fundstellen
Haufe-Index 415856 |
BFH/NV 1989, 232 |