Leitsatz (amtlich)
Bei sogenannten echten Hausgewerbetreibenden ist für die Gewährung der Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Ziff. 18 UStG die Schutzbedürftigkeit nicht zu prüfen. Soweit in dem Urteil des Senats V 187/58 U vom 24. März 1960 (BStBl 1960 III S. 242, Slg. Bd. 70 S. 653) eine andere Auffassung zum Ausdruck kommt, hält der Senat daran nicht mehr fest.
Normenkette
UStG § 4 Ziff. 18; UStDB § 44; HAG (1951) § 1 Abs. 1 Buchst. b, § 2 Abs. 2
Tatbestand
Der Bf. betreibt als sogenannter echter Hausgewerbetreibender im Sinne von § 1 Abs. 1 Buchst. b, § 2 Abs. 2 des Heimarbeitsgesetzes vom 14. März 1951 -- HAG 1951 -- (BGBl 1951 I S. 191) eine Schleiferei und Poliererei.
Streitig ist für die Veranlagungszeiträume 1956, 1957 und 1959, in denen der Bf. für drei Gewerbetreibende tätig war, ob Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Ziff. 18 UStG nur bei Schutzbedürftigkeit zu gewähren ist und bejahendenfalls, ob diese im Streitfalle vorliegt.
Bei einer Betriebsprüfung im Jahre 1960 wurde festgestellt, daß der Bf. in den Jahren 1956 und 1957 die vereinnahmten Entgelte nicht vollständig verbucht und erklärt hatte. Das Finanzamt berichtigte daraufhin die Umsatzsteuer-Veranlagungen dieser Jahre gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO und versagte dabei die bisher nach § 4 Ziff. 18 UStG gewährte Umsatzsteuerfreiheit mangels Schutzbedürftigkeit, die nicht mehr angenommen werden könne bei einem Gesamtumsatz von 44 977 DM (1956) bzw. 51 245 DM (1957) und bei einem Gewinn von 21 224 DM (1956) bzw. 25 615 DM (1957). Für das Jahr 1959 führte das Finanzamt mit der gleichen Begründung die Veranlagung erstmals durch, wobei es die vom Bf. vorangemeldeten und vom Prüfer nicht beanstandeten Umsätze zugrunde legte.
Mit der Sprungberufung beantragte der Bf. Freistellung von der Umsatzsteuer. Als echter Hausgewerbetreibender habe er -- im Gegensatz zu den den Hausgewerbetreibenden gleichgestellten Personen -- nach dem Wortlaut des Gesetzes Anspruch auf Steuerfreiheit, ohne daß die Schutzbedürftigkeit zu prüfen sei. Diese sei bei einem echten Hausgewerbetreibenden schon kraft seiner objektiven Tätigkeit und damit seiner Zugehörigkeit zu diesem Personenkreis gegeben. Aber selbst wenn man die echten Hausgewerbetreibenden wie die ihnen gleichgestellten Personen behandeln und den Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 15. Oktober 1942 S 4161 -- 21 III (RStBl 1942 S. 969) auch auf sie anwenden wollte, so müsse beachtet werden, daß der Reichsminister der Finanzen die Umsatzgrenze von 40 000 RM unter wesentlich anderen Voraussetzungen festgesetzt habe, als sie heute zuträfen. Die Umsatzgrenze müsse deshalb auf 60 000 DM erhöht werden. Keinesfalls könne aber die Frage der Schutzbedürftigkeit nach dem Gewinn beantwortet werden, da die Schutzbedürftigkeit der Hausgewerbetreibenden sich aus ihrer Abhängigkeit von wenigen Auftraggebern, nicht jedoch aus der Ertragslage ergebe.
Der Bf. reichte während des Verfahrens vor dem Finanzgericht die Umsatzsteuer-Erklärung für das Jahr 1959 ein, in der er, abweichend von den vorangemeldeten und der Erstveranlagung zugrunde gelegten Umsätze (55 517 DM), einen Gesamtumsatz von 75 610 DM angab. Als Gewinn erklärte er 34 837 DM.
Das Finanzgericht setzte die Umsatzsteuer 1959 aus dem vom Bf. erklärten Umsatz fest und wies im übrigen die Sprungberufung als unbegründet zurück.
Mit der Rb. rügt der Bf. unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts und sieht darüber hinaus einen wesentlichen Verfahrensmangel darin, daß das Finanzgericht durch Auslegung einer gesetzlichen Bestimmung einen Tatbestand schaffe, den der Gesetzgeber offenbar nicht schaffen wollte; ein solches Verfahren widerspreche dem Grundsatz der Gewaltenteilung.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Nach § 4 Ziff. 18 UStG in Verbindung mit § 44 UStDB sind Umsätze von Hausgewerbetreibenden im Sinne des HAG 1951, die überwiegend mit bestimmten Unternehmern in festem Geschäftsverkehr stehen, insoweit steuerfrei, als sie Umsätze an diese Unternehmer bewirken.
Nach § 1 Abs. 1 Buchst. b und § 2 Abs. 2 HAG 1951 ist Hausgewerbetreibender, wer in eigener Arbeitsstätte (eigener Wohnung oder Betriebstätte) mit nicht mehr als zwei fremden Hilfskräften im Auftrage von Gewerbetreibenden oder Zwischenmeistern Waren herstellt, bearbeitet oder verpackt, wobei er selbst wesentlich am Stück mitarbeitet, jedoch die Verwertung der Arbeitsergebnisse dem unmittelbar oder mittelbar auftraggebenden Gewerbetreibenden überläßt. Diese Voraussetzungen liegen unstreitig vor.
Das Finanzgericht hat aber unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs die Inanspruchnahme der Umsatzsteuerfreiheit von dem Vorliegen einer besonderen Schutzbedürftigkeit abhängig gemacht. Der Senat kommt nach erneuter Prüfung der Rechtslage zu dem Ergebnis, daß nach der Neufassung des Begriffs "Hausgewerbetreibender" im HAG 1951 bei den sogenannten echten Hausgewerbetreibenden die Schutzbedürftigkeit nicht erst zu prüfen, sondern für diesen Personenkreis ohne weiteres zu bejahen ist.
Im Gegensatz zum Gesetz über die Heimarbeit vom 23. März 1934 -- HAG 1934 -- (RGBl 1934 I S. 214), das den Begriff "Hausgewerbetreibender" nicht hinreichend umschrieb und eine Bestimmung des Begriffs erst über die Auslegung nach dem Sinn und Zweck des gesamten Gesetzes ermöglichte -- vgl. insoweit die amtliche Begründung zum HAG 1934 (Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger vom 26. März 1934, Nr. 72 S. 2) --, hat der Gesetzgeber im HAG 1951 den bisherigen Begriffsmerkmalen weitere hinzugefügt und so eine Legaldefinition geschaffen, die sich nicht unerheblich von der im HAG 1934 enthaltenen Begriffsbestimmung unterscheidet.
Das HAG 1951 legt für den Begriff des Hausgewerbetreibenden den Umfang des Gewerbes ("... mit nicht mehr als zwei fremden Hilfskräften ...") und das Verhältnis des Hausgewerbetreibenden zum allgemeinen Absatzmarkt ("... Verwertung der Arbeitsergebnisse dem ... auftraggebenden Gewerbetreibenden überläßt.") als zusätzliche gesetzliche Begriffsmerkmale fest. Damit hat der Gesetzgeber das kleine Ausmaß des Gewerbebetriebs und die arbeitnehmerähnliche Stellung des Hausgewerbetreibenden, durch die die wirtschaftliche Abhängigkeit und Unselbständigkeit besonders stark in Erscheinung treten, konkretisiert und damit zu erkennen gegeben, daß die sogenannten echten Hausgewerbetreibenden ungeachtet der Betriebsergebnisse immer gefährdet und schutzbedürftig sind, so daß für den Begriff "Hausgewerbetreibender" im Sinne des HAG 1951 und somit für die Inanspruchnahme der Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Ziff. 18 UStG keine weitere, außergesetzliche Voraussetzung gefordert werden kann, wie sie in einer besonderen, zusätzlichen Schutzbedürftigkeit gesehen werden müßte.
Soweit der Senat bisher eine andere Auffassung vertreten hat -- zuletzt in seinem Urteil V 187/58 U vom 24. März 1960 (BStBl 1960 III S. 242, Slg. Bd. 70 S. 653) --, hält er daran nicht mehr fest.
Die Vorentscheidung und der Berichtigungsbescheid für 1956 und 1957 waren deshalb aufzuheben und der Umsatzsteuerbescheid für 1959 abzuändern.
Fundstellen
BStBl III 1964, 570 |
BFHE 1965, 269 |