Leitsatz (amtlich)
1. Die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG 1951 in der Fassung des Elften Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 16. August 1961 (BGBl I 1961, 1330, BStBl I 1961, 609) besagt - bei Umwandlung der im Gesetz gewählten negativen in eine positive Fassung -, daß Organschaft nur vorliegt, wenn dem Unternehmer mehr als 75 v. H. der Anteile an der juristischen Person gehören und ihm mehr als 75 v. H. der Stimmrechte zustehen.
2. Unter "Anteile" im Sinne der genannten Vorschrift ist der Nennbetrag, nicht der gemeine Wert der Anteile zu verstehen.
Normenkette
UStG 1951 i.d.F. des 11. UStÄndG § 2 Abs. 2 S. 3
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) betreibt ein Bauunternehmen. Im Jahre 1964 waren an ihrem Stammkapital von nominell 20 000 DM zu 55 v. H. der Gesellschafter H, zu 22,5 v. H. seine Ehefrau und zu 22,5 v. H. seine Kinder beteiligt. Die Stimmrechte an der Steuerpflichtigen standen H zu 78 v. H., den anderen Gesellschatfern zu 22 v. H. zu. H. ist außerdem Inhaber einer Einzelfirma, die seinen Namen trägt (Fa. H).
Streitig ist, ob die Steuerpflichtige mit Umsätzen, die sie im Jahre 1964 in Höhe von 28 000 DM an die Fa. H ausgeführt hat, vom Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) zu Recht zur Umsatzsteuer herangezogen worden ist. Einspruch und Klage sind erfolglos geblieben.
Mit der Revision macht die Steuerpflichtige - wie schon in den Vorinstanzen - geltend:
1. Bei den streitigen Umsätzen handele es sich um nichtsteuerbare sog. Innenumsätze. Zwischen ihr und der Fa. H bestehe ein Organschaftsverhältnis. Hierfür genüge es, wenn dem Organträger (H) entweder mehr als 75 v. H. der Anteile oder mehr als 75 v. H. der Stimmrechte der Organgesellschaft (Steuerpflichtige = GmbH) zustünden. Die zweite Alternative sei unstreitig gegeben.
2. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise müsse auch die erste Alternative (Anteilsbesitz von mehr als 75 v. H.) als vorliegend angenommen werden. Nach dem GmbH-Vertrag hätten im Falle einer Liquidation der GmbH zu Lebzeiten eines der Ehegatten H deren Kinder einen Anspruch auf Auszahlung nur des Nennbetrages, nicht dagegen des weit höheren gemeinen Wertes (360 v. H.) ihrer Geschäftsanteile, so daß der Wert der Anteile des H - wirtschaftlich gesehen - mehr als 75 v. H. des Gesamtwertes des Stammkapitals ausmache.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Auch die Revision hat keinen Erfolg.
1. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1951 in der Fassung des 11. UStÄndG 1961 (BGBl I 1961, 1330, BStBl I 1961, 609) gilt die Voraussetzung für das Vorliegen einer Organschaft (daß "eine juristische Person dem Willen eines Unternehmers derart untergeordnet ist, daß sie keinen eigenen Willen hat") "als nicht erfüllt, wenn dem Unternehmer nicht mehr als 75 v. H. der Anteile an der juristischen Person gehören oder wenn ihm nicht mehr als 75 v. H. der Stimmrechte zustehen". Da H - wie unter 2. dargelegt wird - nur 55 v. H. der Anteile der Steuerpflichtigen besitzt, gilt die Voraussetzung für das Bestehen einer Organschaft zwischen H und der Steuerpflichtigen als nicht erfüllt, mit der Folge, daß eine Organschaft zwischen den beiden Firmen nicht angenommen werden kann.
Der Gesetzgeber hat bei der Fassung der streitigen Vorschrift im Rahmen des 11. UStÄndG an den schon vorhandenen Text des Gesetzes (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1951 a. F.) bzw. der dazu ergangenen Durchführungsbestimmungen (§ 17 Abs. 2 UStDB 1951 a. F.) angeknüpft und die Bedingungen, unter denen ein Organschaftsverhältnis anerkannt werden kann, erschwert (Abschn. II, zu Art. 1 Nr. 1, der Begründung des Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, Deutscher Bundestag - BT -, 3. Wahlperiode, BT-Drucksache 2402, Anlage 1). Der Gesetzgeber hat hierbei nicht eine positive Form gewählt und den schon bestehenden Bedingungen zwei weitere hinzugefügt, sondern die beabsichtigte Einschränkung des umsatzsteuerrechtlichen Organschaftsbegriffes negativ formuliert. Aus der negativen Fassung der Vorschrift ergibt sich eindeutig, daß nach dem Willen des Gesetzgebers Organschaft nicht vorliegen soll, wenn auch nur eine der beiden Alternativen zutrifft (vgl. Erlaß des BdF IV A/2 - S 4030 - 176/61 vom 13. September 1961, Abschn. B 2, BStBl I 1961, 629; Plückebaum-Malitzky, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 9. Aufl., Tz. 304 a, 337 e).
Der Versuch der Steuerpflichtigen, durch Umwandlung der negativen in eine positive Fassung der streitigen Vorschrift zu einem für sie günstigen Ergebnis zu kommen, scheitert, weil sie dabei einen sprachlichen Fehler begeht. Wird in einem Aussagesatz der Hauptsatz negativ gefaßt und werden mehrere im Nebensatz aufgestellte Bedingungen, weil jede von ihnen die negative Satzaussage herbeiführen soll, durch das Wort "oder" verbunden, so müssen bei der Umwandlung der negativen Fassung in eine positive die mehreren Bedingungen, wenn sie eine Satzaussage gleichen Inhalts ergeben sollen, durch das Wort "und" verbunden werden. Die positive Fassung der Vorschrift müßte also lauten: "Weitere Voraussetzung ist, daß dem Unternehmer mehr als 75 v. H. der Anteile an der juristischen Person gehören und daß ihm mehr als 75 v. H. der Stimmrechte zustehen."
Wenn in den Urteilen des BFH I 121/63 vom 1. Februar 1966 (BFH 85, 205, BStBl III 1966, 285) und des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 320/57, 1 BvR 70/63 vom 20. Dezember 1966 (BStBl III 1967, 7 [15]) trotz Wiedergabe der durch das 11. UStÄndG neu eingeführten Bestimmung in positiver Form die beiden Bedingungen durch das Wort "oder" verbunden werden, so vermag der Senat diesen Wortfassungen nicht zu folgen. Sie binden den Senat nicht, weil die betreffenden Sätze weder entscheidungserheblich waren noch an der Rechtskraft der Urteile teilnahmen.
In der Revisionsbegründung hat die Steuerpflichtige zur Stützung ihrer Auffassung noch auf die oben angegebene Begründung zum Entwurf des 11. UStÄndG hingewiesen, wo es unter II, zu Art. 1 Nr. 1, u. a. heißt:
"Wenn die Beteiligung oder die Stimmrechte nicht mehr als 75 v. H. betragen, ist auf dem Gebiete des Umsatzsteuerrechts die Anerkennung eines Organschaftsverhältnisses künftig ausgeschlossen."
Die Steuerpflichtige übersieht, daß dieser Satz ebenso wie die streitige Vorschrift des Gesetzes negativ gefaßt ist ("ist ... die Anerkennung eines Organschaftsverhältnisses künftig ausgeschlossen") und infolgedessen das Verbindungswort "oder" dem Verbindungswort "und" bei Umwandlung in eine positive Fassung entspricht.
Auch aus Sinn und Zweck des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG 1951 ergibt sich, daß nach dem Willen des Gesetzgebers Organschaft in den hier in Betracht kommenden Jahren umsatzsteuerrechtlich nur vorliegen sollte, wenn Anteilsbesitz und Stimmrechte des Unternehmers mehr als 75 v. H. betrugen. Anteilsbesitz und Stimmrechte zusammen sichern die Herrschaft über eine juristische Person. Die in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG 1951 geforderte Unterordnung der Organgesellschaft unter den Organträger läßt eine alternative Auslegung dahingehend, daß eine der beiden zusätzlichen Bedingungen für die Annahme eines Organschaftsverhältnisses genügen sollte, nicht zu.
2. Die für das Jahr 1964 geltende Voraussetzung für das Vorliegen einer Organschaft, daß dem Unternehmer mehr als 75 v. H. der Anteile an der juristischen Person gehören, ist im Streitfalle nicht erfüllt. Es kommt nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift allein auf die Anteile als solche, d. h. auf ihren Nennbetrag, nicht auf ihren gemeinen Wert an. Hätte es der Gesetzgeber auf den Wert der Anteile abstellen wollen, so hätte er statt des Wortes "Anteile" das Wort "Anteilswerte" (oder die Worte "Werte der Anteile") gebraucht. Ein Abstellen auf den gemeinen Wert der Anteile aber wäre zweckwidrig gewesen, weil der gemeine Wert eine flexible Größe ist, die von vielen Faktoren (Investitionen, Entnahmen, Marktlage usw.) abhängt und eine zuverlässige Abgrenzung zur Feststellung von Organschaftsverhältnissen nicht ermöglicht hätte.
Aber selbst wenn man bei der Berechnung der 75 v. H.-Grenze (statt von den Anteilen) von den Anteilswerten ausgehen wollte, wäre diese Grenze nicht überschritten. Denn obwohl der GmbH-Vertrag unter den dort genannten Voraussetzungen nur für die Kinder des H eine Beschränkung des Liquidationserlöses auf den Nennbetrag ihrer Geschäftsanteile vorsieht, hat die Steuerpflichtige die Berechnung so vorgenommen, als wenn diese Beschränkung auch für die Ehefrau des H gelten würde. Zieht man von dem gemeinen Wert des Stammkapitals von (360 v. H. von 20 000 DM =) 72 000 DM den Anteilswert der Ehefrau (22,5 v. H. von 72 000 DM =) 16 200 DM und den Anteilswert der Kinder (22,5 v. H. von 20 000 DM =) 4 500 DM ab, so verbleiben für H 51 300 DM, während 75 v. H. des Wertes des Stammkapitals (75 v. H. von 72 000 DM =) 54 000 DM ausmachen. Bei dieser Berechnung würde der auf H entfallende Hundertsatz 71,25 - also nicht mehr als 75 - betragen.
Auch könnte der Wert von Anteilen, wenn man ihn für maßgebend ansehen wollte, nicht danach bemessen werden, welche Vereinbarung die Gesellschafter für den Fall der Liquidation hinsichtlich der Verteilung des Gesellschaftsvermögens getroffen haben. Die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens eines Organschaftsverhältnisses kann nur nach Maßstäben beurteilt werden, die sich während der wirtschaftlichen Betätigung der Gesellschaft auswirken.
In § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG 1951 sind für die Annahme eines Organschaftsverhältnisses strenge Grenzen gesetzt, die genau beachtet werden müssen. Insoweit kann es - im Gegensatz zu den Voraussetzungen in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG 1951 (finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung) - auf das Gesamtbild nicht ankommen.
Fundstellen
BStBl II 1970, 774 |
BFHE 1970, 562 |