Leitsatz (amtlich)
1. Vor dem maßgebenden Bewertungszeitpunkt entstandene Kosten für Lagerung, Lagerversicherung und Kreditierung des Kaufpreises gehören grundsätzlich zum Zollwert.
2. Zahlt der Käufer den Kaufpreis vor dem maßgebenden Bewertungszeitpunkt, so gehören die Kosten des von ihm dafür bis zu diesem Zeitpunkt aufgewendeten Kapitals zum Zollwert.
3. Als Kosten die nach § 29 Abs. 2 zum Zollwert gehören, sind die tatsächlich entstandenen Kosten anzusehen.
Normenkette
ZG §§ 29, 31; WertZO §§ 8, 26-27, 38
Tatbestand
Die Klägerinnen und Revisionsklägerinnen (Klägerinnen) führten im Jahre 1965 Rohtabak aus den USA ein. Die Einfuhren erfolgten im Rahmen einer Vereinbarung nach § 79 Abs. 3 ZG zwischen den Klägerinnen und der Oberfinanzdirektion (OFD). Das Zollamt (ZA) erteilte auf Grund der monatlichen Sammelanmeldungen der Klägerinnen jeweils vorläufige Steuerbescheide auf der Basis der Anmeldungen Die Zollwerte der Steuerbescheide enthielten als Kostenanteil die in den USA angefallenen sogenannten carrying charges, nämlich Lagerkosten des Rohtabaks, Lagerversicherungskosten und Kreditkosten a. h. Zinsen auf den Kaufpreis von der Lieferung des Rohtabaks in den USA bis zur Bezahlung.
Bei der Überprüfung der vorläufigen Steuerbescheide für das Jahr 1965 stellte die Betriebsprüfung fest, daß die von den Klägerinnen angemeldeten Zollwerte zwar die carrying charges enthalten hatten nicht aber die „kalkulatorischen” Zinsen vom Zeitpunkt der Bezahlung der Tabake bis zum Zeitpunkt des Eintreffens der Ware am Einfuhrort. Nach einer entsprechenden Aufforderung meldeten die Klägerinnen diese Kosten nach. Das ZA bezog diese in den Zollwert ein und forderte die darauf entfallenden Eingangsabgaben nach.
Einspruch und Klage blieben erfolglos (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte 1972 S. 319 – EFG 1972, 319 –).
Mit der Revision rügen die Klägerinnen die Verletzung von § 29 ZG und §§ 6, 8, 26 und 27 der Wertzollordnung (WertZO). Zu Unrecht gehe das Finanzgericht (FG) davon aus, daß in den Fällen, in denen § 27 WertZO keine Anwendung finde, weil ein vor dem maßgeblichen Zeitpunkt abgeschlossener Kaufvertrag nicht in einem handelsüblichen Zeitraum abgewickelt worden sei, keine Rechnungspreisbewertung „im technischen Sinne” möglich sei. Das FG übersehe dabei daß bei einem Antrag auf Bewertung nach dem Rechnungspreis, wie ihn die Klägerinnen gestellt hätten, zunächst ohne Rücksicht auf den Abwicklungszeitraum gemäß § 26 WertZO zu prüfen sei, ob der gezahlte Rechnungspreis dem im maßgeblichen Zeitpunkt erzielbaren üblichen Wettbewerbspreis für die Ware entspreche, und daß erst dann, wenn dies nicht der Fall sei, die Anwendung des § 27 WertZO in Betracht komme. Lägen dagegen die Voraussetzungen des § 26 WertZO vor, so gelle als Zollwert der gezahlte Rechnungspreis nach entsprechender Berichtigung.
Bei den fraglichen Einfuhren entsprächen die gezahlten Rechnungspreise den im maßgebenden Zeitpunkt erzielbaren üblichen Wettbewerbspreisen.
Es werde nicht bestritten, daß bei den Einfuhren des Jahres 1965 in der Zeit von der Lieferung bis zum maßgebenden Zeitpunkt Lager- und Lagerversicherungskosten entstanden seien. Indessen rechnet das FG zu Unrecht diese Kosten zu den Verkaufskosten. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. Oktober 1960 VII 40/60 S (BFHE 71, 677, BStBl III 1960, 501, BZBl 1961, 105) gehörten zu den Verkaufskosten die Kosten für das Zustandebringen des Kaufgeschäftes. Das seien nach diesem Urteil die Kosten, die entstünden, um das Kaufangebot an den maßgebenden Käufer heranzutragen und den Kaufabschluß zu bewerkstelligen. Danach könnten Kosten, die erst nach Kaufabschluß entstanden seien, keine Verkaufskosten sein.
Zu Unrecht habe das FG dem gezahlten Rechnungspreis die tatsächlich bezahlten und die „kalkulatorischen” Zinsen hinzugerechnet weil nach seiner Ansicht eine Vorauszahlung im Sinne der Zollwertnorm (§ 29 ZG) auch dann vorliege, wenn Lieferung und Zahlung vor dem maßgebenden Zeitpunkt abgewickelt würden. In § 29 ZG sei von „Vorauszahlung” keine Rede. Dieser Begriff sei nur Gegenstand des § 31 Abs. 2 Nr. 3 WertZO. Damit könne aber nur die vertraglich vereinbarte Zahlung vor dem vertraglich vereinbarten Lieferungszeitpunkt gemeint sein (vgl. BFH-Urteil vom 17. Juli 1958 V z 34/58 U BFHE 67, 251, BStBl III 1958, 369). Eine Vorauszahlung führe nach § 30 WertZO zu einer Erhöhung des als Zollwert angenommenen Rechnungspreises, wenn sie einen Preisnachlaß zur Folge habe. Bei ihren Händlerkäufen seien Vorauszahlungen nicht vereinbart worden bei ihren Kommissionskäufen bewirkten die kurzfristigen Vorauszahlungen von drei Wochen keinen Preisnachlaß auf den Barpreis.
Die Klägerinnen beantragen, unter Aufhebung der Vorentscheidung dem Klageantrag im Verfahren vor dem FG zu entsprechen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt – HZA –) beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Die Vorentscheidung geht zu Recht vom Rechnungspreis als Bewertungsgrundlage aus. Für die Waren, die innerhalb der Toleranzfrist des § 27 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. d WertZO eingeführt worden sind d. h. für 40 v. H. der Einfuhren des Jahres 1965, ergibt sich das aus § 31 ZG. Danach gilt – vorbehaltlich gewisser Berichtigungen – der Rechnungspreis als Zollwert, wenn er dem üblichen Wettbewerbspreis im Sinne des § 29 Abs. 1 ZG im Zeitpunkt des Kaufabschlusses entspricht. Nach den Feststellungen des FG, die auf dem nicht bestrittenen Vorbringen der Klägerinnen beruhen, waren keine Vergleichspreise zu ermitteln, weil sich Tabakpartien qualitätsmäßig nicht miteinander vergleichen lassen. Es fehlen auch sonstige Anhaltspunkte, aus denen hätte entnommen werden können, daß die angemeldeten Rechnungspreise von dem zur Zeit des Kaufabschlusses üblichen Wettbewerbspreis abweichen. Die Rechnungspreise – deren Anwendung die Klägerinnen auch ausdrücklich beantragt haben – sind daher als Zollwert zugrunde zu legen.
Das gleiche gilt im Ergebnis für jene Tabakpartien, für die der Abwicklungszeitraum im Sinne des § 31 Abs. 1 Nr. 1 ZG und des § 27 WertZO abgelaufen war (etwa 60 v. H. der Einfuhren). Ist die Toleranzgrenze überschritten, so kann der Rechnungspreis deshalb nicht verworfen werden, wenn er trotz des Zeitunterschieds dem üblichen Wettbewerbspreis im Abfertigungszeitpunkt entspricht. Dies ergibt sich aus § 26 WertZO, der nicht § 31 ZG erläutert, sondern § 29 ZG (vgl. Schwarz-Wockenfoth, Zollgesetz vom 14. Juni 1961, Anm. 13 zu § 31, 7. Lfg.; Bail-Schädel-Hutter, Zollgesetz vom 14. Juni 1961, Kommentar, Anm. 2 letzter Absatz zu Art. 10 ZWVO). Da Vergleichspreise fehlen, bleibt nur übrig, als Grundlage für die Schätzung des Normalpreises die jeweiligen Rechnungspreise heranzuziehen. Die Vorentscheidung hat es daher auch zu Recht dahingestellt gelassen, ob die über die Toleranzfrist des § 27 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. d WertZO hinausgehende Abwicklungsfrist als handelsüblich im Sinne des § 27 Abs. 1 WertZO angesehen werden kann. Denn die Rechnungspreisbewertung nach § 31 ZG und die Normalpreisbewertung nach § 29 ZG führen zum gleichen Ergebnis.
Der Vorentscheidung ist auch darin zu folgen, daß die so gefundene Bewertungsgrundlage in der Weise berichtigt werden muß, daß sie alle Kosten enthält, die der Kaufpreis des Idealgeschäfts (Zug-um-Zug-Geschäft im maßgebenden Zeitpunkt am Einfuhrort) mitumfaßt. Das ergibt sich bei der Rechnungspreisbewertung aus § 31 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 29 Abs. 2 ZG, bei der Normalpreisbewertung unmittelbar aus § 29 Abs. 2 ZG. Die Vorentscheidung hat daher zu Recht die Lager- und Lagerversicherungskosten dem Rechnungspreis hinzugerechnet. Ausgehend vom Idealgeschäft entstehen diese Kosten dem Verkäufer zwangsläufig, da er, will er die Waren am Einfuhrort zum maßgebenden Zeitpunkt dem Käufer liefern, auch die Kosten der Lagerung der Waren bis zu diesem Zeitpunkt zu tragen hat.
Gegenteiliges läßt sich auch nicht aus § 38 WertZO entnehmen. Die ausdrückliche Bestimmung, daß Kosten der Lagerung im Freihafen nicht zu berücksichtigen sind, deutet vielmehr darauf hin, daß der Verordnungsgeber der Auffassung war, daß Lagerkosten grundsätzlich zum Zollwert rechnen; sonst hätte es der Regelung des § 38 WertZO nicht bedurft.
Zu Unrecht rügen die Klägerinnen, daß das FG diese Kosten als Vertriebskosten im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1 WertZO angesehen hat. Sie sind der Auffassung, daß Kosten, die erst nach Kaufabschluß entstanden sind, keine Verkaufskosten sein können. Die Klägerinnen übersehen dabei, daß für die Frage, ob in den Zollwert einzubeziehende Vertriebskosten entstanden sind, nicht die konkrete Ausgestaltung des Kaufvertrages, dessen Rechnungspreis zugrunde gelegt wird, maßgebend ist, sondern eben der Idealkontrakt, der von der Lieferung im maßgebenden Zeitpunkt, also nach einer etwaigen Lagerung im Ausland, ausgeht. Gemessen an diesem Idealkontrakt stellen sich die zusätzlichen Leistungen der Klägerinnen für die Lager- und Lagerversicherungskosten als Kosten dar, die den Vertrieb der Ware belasten und ebenso dem Rechnungspreis zuzurechnen sind wie etwa im vorliegenden Fall die amerikanischen Verkäufer die ihnen bis zum Lieferungszeitpunkt entstandenen Lagerkosten in den Kaufpreis eingerechnet haben. Nach dieser Rechtslage kommt es folgerichtig auch nicht darauf an, ob die Lagerung aus Gründen der Qualität wünschenswert war. Daher bedarf es keiner Prüfung des Vorbringens der Klägerinnen, daß die Tabake entgegen den Feststellungen der Vorinstanz nicht aus Gründen der Qualität in den USA gelagert worden sind.
Die Klägerinnen berufen sich auf die Preise, die bei Nachkäufen erzielt worden sind und gegenüber den Preisen der jeweiligen Vorkäufe nicht um die Lagerkosten erhöht waren. Sie weisen ferner auf die Schreiben zweier USA-Tabaklieferanten hin, in denen dargetan wird, daß die Lieferanten die carrying charges sofort als Betriebsausgaben abschreiben und ihre unverkauften Vorräte weiter auf der Basis der ursprünglichen Gestehungskosten zuzüglich der normalen und üblichen Gewinnspanne anbieten, ohne diesen Preis um die carrying charges zu erhöhen. Die Klägerinnen sind der Auffassung, aus ihrem Vorbringen ergebe sich, daß der grundsätzlich nach ihrem Antrag zugrunde zu legende Rechnungspreis dem im maßgebenden Zeitpunkt erzielbaren üblichen Wettbewerbspreis entspreche und daher keiner Berichtigung mehr bedürfe. Die Klägerinnen verkennen dabei, daß die Kosten im Sinne des § 29 Abs. 2 ZG in ihrer tatsächlich entstandenen Höhe zum Zollwert gehören, und zwar sowohl bei der Rechnungspreis- als auch bei der Normalpreisbewertung (vgl. BFH-Urteil vom 17. Mai 1961 VII 14/60 U. BFHE 73, 354, BStBl III 1961, 394). Diese Regelung findet ihre Begründung einmal darin, daß die Feststellung des Zollwerts praktisch außerordentlich erschwert werden würde, müßte im Einzelfall ermittelt werden, welche Kosten üblich sind. Zum andern muß hier davon ausgegangen werden, daß die Klägerinnen gute kaufmännische Gründe gehabt haben, diese Kosten aufzuwenden, und daß ein anderer Käufer unter den gleichen Umständen ebenso gehandelt hätte. Daß es auf die tatsächlich entstandenen Kosten ankommt, ist durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EGH) vom 10. Dezember 1970 in der Rechtssache 27/70 (EGHE 1970, 1035 [1045]) für das Gemeinschaftsrecht bestätigt worden, das wie die deutschen Vorschriften über den Zollwert auf der Brüsseler Zollwertnorm beruht. In diesem Urteil hatte der EGH entschieden, daß der Zollwert die tatsächlich aufgewandten Beförderungskosten umfaßt, selbst wenn das gewählte Beförderungsmittel – im entschiedenen Fall Transport auf dem Luftwege – unüblich erscheinen mag und diese Kosten daher zu einem Normalpreis führen, der höher ist als der cif-Preis für die gleiche Ware bei ihrer Beförderung mit einem üblicheren Transportmittel.
Der Vorentscheidung ist auch darin zu folgen, daß die im Rahmen der carrying charges tatsächlich bezahlten Zinsen ebenso zum Zollwert rechnen wie die „kalkulatorischen” Zinsen, d. h. die Kosten für das von der Bezahlung des Kaufpreises bis zum maßgebenden Bewertungszeitpunkt eingesetzte Kapital. Der erkennende Senat ist in ständiger Rechtsprechung (zuletzt Urteil vom 29. Oktober 1963 VII 2/61 U, BFHE 78, 68, BStBl III 1964, 25, BZBl 1964, 168) davon ausgegangen, daß der Normalpreis ein Preis ist, der im für die Anwendung der Zollvorschriften maßgebenden Zeitpunkt erzielbar ist. Er ist also ein Zug-um-Zug-Preis, der erzielbar ist, wenn die Leistungen von Verkäufer und Käufer in diesem Zeitpunkt vereinbarungsgemäß gegeneinander oder unmittelbar nacheinander ausgetauscht werden. Im vorliegenden Fall sehen die Kaufverträge die Bezahlung des Kaufpreises im Lieferungszeitpunkt, also vor dem maßgebenden Zeitpunkt (Zeitpunkt der Anschreibung der in das Zollaufschublager eingelagerten Waren, § 39 Abs. 1 ZG) vor. Die Rechnungspreise sind daher um jene Kosten niedriger, die – gemessen an der Norm – der Verkäufer aufzuwenden hätte, wenn er die Zahlung erst im maßgebenden Zeitpunkt erhielte. Das sind die Zinsen für das eingesetzte Kapital. Wie bei den Lagerkosten ist auch hier von den tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalles auszugehen (vgl. das zitierte BFH-Urteil VII 14/60 U), d. h. von den bezahlten Zinsen bzw. den effektiven Kosten des Kapitaleinsatzes nach Bezahlung des Kaufpreises (§ 31 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 29 Abs. 2 ZG und § 8 WertZO). Dabei begegnet es keinen Bedenken, daß die letztgenannten Kosten anhand des seinerzeit in den USA bestehenden Zinsniveaus berechnet worden sind.
Die Klägerinnen wenden sich gegen die Einbeziehung dieser Kosten in den Rechnungspreis mit der Begründung, ein solcher linear wachsender Wert stelle für eine stets reproduzierbare Ware wie Tabak keinen auf dem Markt erzielbaren Preis dar. Sie verkennen dabei, daß es aus den oben dargelegten Gründen nur auf die tatsächlich entstandenen Kosten ankommt. Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß die Klägerinnen bereit waren – und zwar nach den von ihnen geschilderten Handelspraktiken schon seit geraumer Zeit – alle die genannten Kosten aufzuwenden, um den Tabak im maßgebenden Zeitpunkt am Einfuhrort verfügbar zu haben. Das spricht dagegen, daß es bei dem so berichtigten Rechnungspreis sich nicht um einen auf dem Markt erzielbaren Preis gehandelt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 514711 |
BFHE 1975, 323 |