Leitsatz (amtlich)
Der Senat hält daran fest, daß bei Personen, die im Zeitpunkt der Vertreibung oder Flucht noch Kinder ohne eigene Einkünfte waren, als Erstjahr für die Gewährung des Freibetrages nach § 33 a Abs. 1 EStG 1953 i. V. m. § 52 Abs. 21 EStG 1971 (§ 25 b Abs. 1 LStDV 1971) das Kalenderjahr anzusehen ist, in dem dem Kind als unbeschränkt Steuerpflichtigem erstmals steuerpflichtige Einkünfte zugeflossen sind (vgl. Urteil vom 6. Mai 1969 VI R 110/68, BFHE 96, 269, BStBl II 1969, 621). Dies gilt auch dann, wenn der Freibetrag der geringen Höhe der Einkünfte wegen nur teilweise oder gar nicht zu einer Steuerminderung geführt hat.
Normenkette
EStG 1953 § 33a Abs. 1; EStG 1971 § 52 Abs. 21; LStDV 1971 § 25b Abs. 1; BVFG §§ 1-4
Tatbestand
Der im Jahre 1949 geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Sowjetzonenflüchtling i. S. des § 3 BVFG vom 19. Mai 1953 (BGBl I, 201) i. d. F. vom 23. Oktober 1961 (BGBl I, 1882). Er kam im Mai 1953 in die Bundesrepublik und bezog erstmals im Jahre 1969 steuerpflichtige Einkünfte, von denen nach Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs 15 DM einbehaltene Lohnsteuern verblieben. In den Jahren 1970 und 1971, in denen er studierte, hatte er in den Semesterferien gelegentlich Lohneinkünfte; die einbehaltenen Lohnsteuern sind ihm jedoch im Lohnsteuer-Jahresausgleich voll erstattet worden. Seit August 1972 bezieht er ein laufendes Gehalt. Im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren 1973 beantragte er unter Vorlage des Flüchtlingsausweises C den Flüchtlingsfreibetrag von 540 DM für Ledige der Steuerklasse I gemäß § 33 a Abs. 1 EStG 1953 i. V. m. § 52 Abs. 21 EStG 1971 (§ 25 b Abs. 1 LStDV 1971).
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) lehnte den Freibetrag mit der Begründung ab, daß der Kläger bereits im Jahre 1969 erstmals steuerpflichtige Einkünfte bezogen habe, so daß im Jahre 1973 der Dreijahreszeitraum des § 52 Abs. 21 EStG 1971 bereits verstrichen gewesen sei und ihm daher der Freibetrag nicht mehr zustehe.
Weder der Einspruch noch die Klage hatten Erfolg. Das FG, dessen Urteil in den EFG 1975, 363, veröffentlicht ist, folgte im wesentlichen der-Auffassung des FA.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision, die vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden ist. Die Revision wird vom Kläger wie folgt begründet:
Als Verfahrensmangel werde die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das FA gerügt. Er, der Kläger, habe nach § 205 Abs. 3 AO Anspruch darauf, daß ihm vor Erlaß eines Steuerbescheides diejenigen Punkte zur vorherigen Äußerung mitgeteilt würden, von denen zu seinen Ungunsten wesentlich abgewichen werden solle. Eine solche Mitteilung sei hier unterlassen worden. Er habe anläßlich seines Antrages auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1973 den Flüchtlingsausweis C vorgelegt und die entsprechende Steuervergünstigung beantragt. Der Bescheid enthalte jedoch keinen Hinweis darauf, aus welchen Gründen diesem Antrag nicht entsprochen worden sei. Auch sei ihm vorher kein Hinweis darüber zugegangen. Endlich sei ihm später auch im Einspruchsverfahren das rechtliche Gehör nicht gewährt worden; denn der Hinweis des FA sei von anderen Rechtsauffassungen ausgegangen, als sie in dem Einspruchsbescheid zugrunde gelegt worden seien. Diese Mängel des Verwaltungsvorverfahrens könnten nicht durch das Verfahren vor dem FG behoben werden.
In materieller Hinsicht werde die Verletzung des § 33 a Abs. 1 EStG 1953 i. V. m. § 52 Abs. 21 EStG 1971 (§ 25 b Abs. 1 LStDV 1971) gerügt. Das FA und das FG hätten zu Unrecht die Anerkennung des Freibetrages abgelehnt, weil er, der Kläger, bereits im Jahre 1969 erstmals steuerpflichtige Einkünfte bezogen habe, so daß im Jahre 1973 der Dreijahreszeitraum des § 52 Abs. 21 EStG 1971 bereits verstrichen gewesen sei. Diese Rechtsauffassung verstoße gegen den Sinn und Zweck des Gesetzes. Durch die genannten Vorschriften hätte den aus den Ostgebieten vertriebenen Bevölkerungsgruppen geholfen werden sollen. Das geschehe jedoch nicht, wenn man die angegriffene Auffassung des FG zugrunde lege. Denn dann könnten Vertriebene, die im Zeitpunkt der Vertreibung noch Kinder gewesen seien, niemals in den Genuß der strittigen Freibeträge kommen. Schließlich sei es heute üblich, daß solche Personen während ihrer Ausbildung einem Erwerb nachgingen und sie damit schon zu der Gruppe der unbeschränkt Lohnsteuerpflichtigen gehörten. Ihnen flössen damit in aller Regel erstmals eigene Einkünfte zu, bei denen sich jedoch ihrer geringen Höhe wegen die Freibeträge nicht auswirken könnten. Diese Gruppe würde daher von vornherein von der Vergünstigung ausgeschlossen. Das könne der Gesetzgeber nicht beabsichtigt haben. Bei ihm, dem Kläger, dürfe daher das Kalenderjahr 1969 nicht als Erstjahr angesehen werden, weil sich die Vergünstigung bei einer Steuerschuld von nur 15 DM praktisch nicht ausgewirkt hätte. Da er ausweislich der dem FA vorliegenden Akten in den Jahren 1970 und 1971 wegen des Studiums keine steuerpflichtigen Einkünfte gehabt habe, würde das zu einer vom Bundesvertriebenengesetz nicht gewollten Versagung der steuerlichen Vergünstigung führen. Das FG habe zwar festgestellt, daß es bei den erwachsenen Vertriebenen und Flüchtlingen für den Beginn des Vergünstigungszeitraums auch nicht darauf ankäme, ob sie effektiv steuerpflichtige Einkünfte hätten, noch nicht einmal darauf, ob sie überhaupt Einkünfte bezögen. Aus diesem Grunde meine das FG, die Kinder hätten eine gleiche Behandlung zu erfahren. Hierbei werde jedoch übersehen, daß die Erwachsenen ebenfalls verfassungswidrig behandelt worden seien. Die bisherige Handhabung sei kein Grund, weiterhin verfassungswidrig zu verfahren. Das seien so gewichtige Gründe, daß sie den BFH zur Überprüfung seines Standpunktes veranlassen müßten.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und ihm den Steuerfreibetrag zu gewähren, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen und die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Die vom Kläger erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch. Es ist zwar richtig, daß das FA den § 205 Abs. 3 AO dadurch verletzt hat, daß es seine abweichende Auffassung über die Gewährung des Steuerfreibetrags dem Kläger nicht vor Erlaß des Bescheids über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1973 mitgeteilt hat. Diese Verletzung ist jedoch, wie das FA zutreffend ausgeführt hat, durch das nachfolgende Einspruchsverfahren geheilt worden (vgl. Urteil des BFH vom 17. November 1961 III 241/59 U, BFHE 74, 190, BStBl III 1962, 72); denn in diesem Verfahren hatte der Kläger Gelegenheit, seine Einwendungen gegen den Bescheid vorzubringen. Hiervon hat er Gebrauch gemacht.
Der Senat vermag auch in der angefochtenen Entscheidung des FG keine Verletzung des materiellen Rechts zu sehen. Wie der BFH in dem Urteil vom 6. Mai 1969 VI R 110/68 (BFHE 96, 269, BStBl II 1969, 621) entschieden hat, stehen bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen u. a. Sowjetzonenflüchtlingen, die im Zeitpunkt der Flucht noch Kinder ohne eigene Einkünfte gewesen waren, die Freibeträge nach § 33 a Abs. 1 EStG 1953 i. V. m. § 52 Abs. 21 EStG 1971 während eines Dreijahreszeitraumes zu, der in dem Jahr beginnt, in dem dem Kind als unbeschränkt Steuerpflichtigem erstmals steuerpflichtige Einkünfte zugeflossen sind. Hieran ist auch für den Streitfall festzuhalten. Der Kläger hat erstmals für das Jahr 1969 Anspruch auf den Flüchtlingsfreibetrag gehabt. In diesem Jahr waren erstmals die Voraussetzungen für den Freibetrag eingetreten, da der Kläger damals erstmalig steuerpflichtige Einkünfte gehabt hatte. Aus der Entscheidung des Senats VI R 110/68 kann nicht hergeleitet werden, daß sich der Beginn des Dreijahreszeitraumes solange hinauszögert, bis das Einkommen des Berechtigten eine solche Höhe erreicht hat, daß der Steuerfreibetrag sich steuerlich auswirkt. Es gibt keine gesetzliche Bestimmung, nach der ein an eine bestimmte Zeitspanne gebundener Freibetrag nach dem Ablauf der Frist nachgeholt werden kann, weil er sich innerhalb der Frist nur teilweise oder überhaupt nicht ausgewirkt hat.
Dagegen sprechen weder verfassungsrechtliche Überlegungen noch Billigkeitsgesichtspunkte. Das ergibt sich einmal schon aus der Entstehungsgeschichte des § 33 a Abs. 1 EStG 1953. Durch diese Vorschrift wurde eine andere, nämlich der § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG 1949, abgelöst (vgl. die amtliche Begründung des Gesetzes in Deutscher Bundestag, 1. Wahlperiode 1949, Drucksache Nr. 317, S. 20 ff.). Nach der genannten Vorschrift waren Aufwendungen der durch Kriegseinwirkung Geschädigten, der politisch Verfolgten, der Flüchtlinge und der Vertriebenen für die Wiederbeschaffung von Hausrat und Kleidung im Rahmen bestimmter Höchstbeträge als Sonderausgaben abzugsfähig. Voraussetzung war dabei, daß die Wiederbeschaffungsaufwendungen nachgewiesen oder zumindest glaubhaft gemacht wurden. Der vorgeschlagene und später zum Gesetz gewordene § 33 a Abs. 1 EStG 1950 bis 1953 sah statt dessen einen Freibetrag vor, dessen Höhe nach dem Personenstand gestaffelt war. Dieser Freibetrag wurde auf Antrag allen Personen gewährt, die unter den in der Vorschrift genannten Personenkreis fielen. Eine weitere Voraussetzung für die Gewährung des Freibetrages als die Zugehörigkeit zu diesem Personenkreis und die Antragstellung wurde nicht verlangt. Die zeitliche Begrenzung dieses Freibetrages (vgl. § 52 Abs. 21 EStG 1971 und § 83 Abs. 1 EStDV 1971) hat aber zur Folge, daß er nach Ablauf der Zeit nicht mehr geltend gemacht werden kann, und zwar auch dann nicht, wenn der betreffende Steuerpflichtige in dem Begünstigungszeitraum keine Einkünfte gehabt hatte. Hieraus mögen sich Nachteile im Einzelfalle ergeben. Diese lassen sich jedoch bei einer Entschädigungsregelung durch Einkommensteuerfreibeträge nicht vermeiden. Denn zu deren Wirksamkeit gehört es der Natur der Sache nach, daß der Begünstigte überhaupt ein steuerpflichtiges Einkommen gehabt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 72101 |
BStBl II 1977, 3 |
BFHE 1977, 35 |