Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerliche Betriebsprüfung Verfahrensrecht/Abgabenordnung Bewertung Bewertung/Vermögen-/Erbschaft-/Schenkungsteuer
Leitsatz (amtlich)
Bei der Nachfeststellung eines Einheitswertes ist das Finanzamt verpflichtet, die für die Bewertung maßgebenden Umstände zu ermitteln. Die Berichtigung eines Nachfeststellungsbescheides für einen forstwirtschaftlichen Betrieb ist deshalb unzulässig, wenn das Finanzamt entsprechende Ermittlungen unterlassen hat, obwohl es an der Richtigkeit der verwendeten Durchschnittssätze Zweifel haben mußte.
An der Auffassung des Reichsfinanzhofs (Urteil III 183/41 vom 2. Juli 1942, RStBl 1942 S. 778), für die Anwendung des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO sei nicht von ausschlaggebender Bedeutung, ob das Finanzamt den Sachverhalt weiter hätte aufklären müssen, wird nicht mehr festgehalten.
Die Auffassung des Reichsfinanzhofs, daß bekannt im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO nur solche Tatsachen sind, die aus den Akten ersichtlich sind, ist durch die neuere Rechtsprechung überholt. Als bekannt ist auch das anzusehen, was bei gehöriger Erfüllung der Ermittlungspflicht hätte aufgedeckt werden müssen.
Normenkette
AO §§ 204, 222 Abs. 1 Nr. 1; BewG § 23 Abs. 2
Tatbestand
Streitig ist, ob das Finanzamt berechtigt war, die Nachfeststellung zum 1. Januar 1948 gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO zu berichtigen.
Aus dem Besitz seiner Eltern erhielt der Bf. durch Vertrag vom 30. Juni 1947 ein Forstgut übertragen. Aus diesem Anlaß nahm das Finanzamt eine Nachfeststellung des Einheitswertes des Forstgutes zum 1. Januar 1948 vor (Bescheid vom 29. Januar 1948). Dabei übernahm es die Hektarsätze der Bewertung zum 1. Januar 1935. Wegen anderweitiger Verteilung der land- bzw. forstwirtschaftlich genutzten Fläche wurde der Einheitswert auf den Einspruch des Bf. durch den Bescheid vom 11. März 1948 gemäß § 94 AO berichtigt. Dieser Bescheid wurde unanfechtbar. Mit Bescheid vom 7. Dezember 1951 berichtigte das Finanzamt den berichtigten Nachfeststellungsbescheid, weil die Nachfeststellung nach den alten Durchschnittsätzen unzutreffend gewesen sei. Der Forstsachverständige der Oberfinanzdirektion habe bei der überprüfung des Betriebswerkes für die Jahre 1949 / 1950 wesentliche Abweichungen in den Alters- und Standortklassen festgestellt.
Der Einspruch blieb erfolglos. Das Finanzgericht hielt die Berichtigung des Einheitswertes nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO für zulässig, stellte aber den Einheitswert anderweitig fest.
In der Rb. bestreitet der Bf., wie auch im Vorverfahren, die Zulässigkeit der Berichtigung des Einheitswertbescheides nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO. Das Finanzamt habe im Schriftsatz vom 17. Januar 1955 ausgeführt, daß der Bewertungsstelle die Bestandsveränderung durch natürlichen Zuwachs im Zeitpunkte der Nachfeststellung bekannt gewesen sei. Daraus müsse auch gefolgert werden, daß das Finanzamt bei Erlaß des berichtigten Bescheides vom 7. Dezember 1951 die Feststellung des Altersklassenverhältnisses nicht für zulässig gehalten habe. Wenn das Finanzamt diese Ansicht auf Anweisung der Oberfinanzdirektion aufgegeben habe, dann liege eine änderung der Rechtsauffassung vor, die nicht zu einer Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO berechtigte.
Die Auffassung des Finanzgerichts, daß im Falle einer Einheitswertfortschreibung keine allzu hohen Anforderungen an die amtliche Ermittlungspflicht gestellt werden dürften, könne nicht geteilt werden. Der Grundsatz, daß es in erster Linie Sache des Steuerpflichtigen sei, klare Verhältnisse zu schaffen und dem Finanzamt den vollständigen Sachverhalt zu unterbreiten, könne nur dann gelten, wenn der Steuerpflichtige eine Erklärung abzugeben habe. Sofern aber, wie im vorliegenden Falle, eine Erklärung nicht abzugeben gewesen sei, das Finanzamt auf die Mitwirkung des Steuerpflichtigen im Feststellungsverfahren vielmehr verzichtet habe, bleibe naturgemäß allein die amtliche Ermittlungspflicht für die Prüfung des "Neuen" im Rahmen des § 222 AO übrig. Wertfortschreibungen gehörten auch nicht, wie die Veranlagungsfälle, zur Massenarbeit der Finanzämter. Man müsse für Wertfortschreibungen deshalb strengere Maßstäbe an die Ermittlungspflicht der Finanzämter anlegen.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Rb. ergibt folgendes:
Eine Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO ist nur zulässig, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel bekanntgeworden sind, die eine höhere Veranlagung rechtfertigen, und die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Eine Tatsache ist neu, wenn das Finanzamt im Zeitpunkte des ursprünglichen Bescheides die betreffende Tatsache nicht kannte oder bei einwandfreier Bearbeitung der Sache auch nicht hätte kennen müssen. Dazu gehört, daß Akten, deren Zuziehung von dem Veranlagungsbeamten bei der Feststellung des Einheitswertes billigerweise verlangt werden muß, zugezogen werden (Urteil des Bundesfinanzhofs III 383/57 U vom 23. Mai 1958, BStBl 1958 III S. 326, Slg. Bd. 67 S. 137). Ferner ist auch erforderlich, daß das Finanzamt Ermittlungen vornimmt, wenn ihm ein Sachverhalt bekannt ist, der noch weiterer Aufklärung bedarf. Nach ständiger Rechtsprechung muß das Finanzamt Tatsachen, die ihm nur dadurch tatsächlich nicht bekannt gewesen sind, weil es seiner amtlichen Ermittlungspflicht nicht gehörig nachgekommen ist, als bekannt gegen sich gelten lassen (Urteile des Bundesfinanzhofs III 139/52 S vom 10. Juli 1953, BStBl 1953 III S. 240, Slg. Bd. 57 S. 624; VI 296/57 S vom 5. Dezember 1958, BStBl 1959 III S. 86, Slg. Bd. 68 S. 223; IV 226/58 S vom 28. Januar 1960, BStBl 1960 III S. 291, 293, Slg. Bd. 71 S. 111, 120).
Soweit in dem Urteil des Reichsfinanzhofs III 183/41 vom 2. Juli 1942 (RStBl 1942 S. 778, 780) die Ansicht vertreten wird, daß es für die Anwendung des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO nicht von ausschlaggebender Bedeutung sei, ob das Finanzamt den Sachverhalt weiter hätte aufklären müssen, kann dieser Auffassung nicht beigetreten werden.
Das Finanzgericht hat in diesem Zusammenhange festgestellt, daß der zuständige Sachgebietsleiter und der Sachbearbeiter "offensichtlich" weder im Zeitpunkte der ursprünglichen Nachfeststellung vom 29. Januar 1948 noch im Zeitpunkte des gemäß § 94 AO berichtigten Bescheides vom 11. März 1948 die bei der späteren Berichtigung berücksichtigten werterhöhenden Umstände, nämlich die Höhe des im Forstgut eingetretenen Holzzuwachses und die Abweichungen in den Standortklassen, gekannt haben. Als Grundlage für diese Feststellung hat das Finanzgericht den Inhalt der Einheitswertakten angegeben. Dem steht jedoch gegenüber, daß das Finanzamt in dem Schriftsatz vom 17. Januar 1955 ausdrücklich zugegeben hat, ihm sei bekannt gewesen, daß durch den natürlichen Zuwachs zwischenzeitlich eine Bestandsveränderung erfolgt sei, ihm aber erst nachträglich die näheren Umstände, insbesondere der genauere Umfang der Bestandsveränderung bekanntgeworden sei. Der Schriftsatz ist von dem damaligen Sachgebietsleiter gezeichnet. Das Finanzgericht hat aber diesem Umstande keine Bedeutung zugemessen. Es ist offenbar der Auffassung, daß "bekannt" im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO nur solche Tatsachen sind, die aus den Akten ersichtlich sind. Dies entspricht der Auffassung von Becker, Die Reichsabgabenordnung, 7. Auflage, S. 653, und der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofes (vgl. VI A 696/34 vom 23. Januar 1935, Slg. Bd. 37 S. 246; VI A 986/34 vom 23. Januar 1935, RStBl 1935, S. 371). Diese Auffassung ist aber durch die neuere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (vgl. die unter 1. angeführten Urteile) insofern überholt, als auch das als bekannt anzusehen ist, was bei gehöriger Erfüllung der Ermittlungspflicht hätte aufgedeckt werden müssen. Im übrigen läßt sich die frühere Auslegung auch nicht aus dem Wortlaut des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO rechtfertigen. Denn hier ist "bekannt" im ganz allgemeinen Sinne gebraucht (vgl. auch Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, § 222 Anm. 7 a). Es ist daher in diesem Zusammenhange ohne Bedeutung, daß dem Finanzamt die näheren Umstände erst durch die Verfügung der Oberfinanzdirektion vom 23. Oktober 1951 bekanntgeworden sind.
Soweit das Finanzgericht eine Ermittlungspflicht des Finanzamtes sowohl nach § 204 Abs. 1 AO als auch aus § 23 Abs. 2 BewG verneint hat, kann dieser Auffassung nicht gefolgt werden. Zu den Verhältnissen, die der Nachfeststellung zugrunde zu legen sind, gehören, wie auch das Finanzgericht zutreffend angenommen hat, bei einem Forstgute auch die Alters- und Standortklassen. Entscheidend für eine Erhöhung des Einheitswertes ist die Zuwachseinsparung, die sich darin ausdrückt, daß weniger Holz eingeschlagen wird, als zugewachsen ist (Urteil des Bundesfinanzhofes III 237/60 S vom 20. Juli 1962, BStBl 1962 III S. 530, Slg. Bd. 75 S. 721). Es kann dahingestellt bleiben, ob aus dem Schreiben des Finanzamtes vom 17. Januar 1955 zu entnehmen ist, daß dem Finanzamt diese Zuwachseinsparung bekannt gewesen ist. Auf keinen Fall aber durfte das Finanzamt bei der Nachfeststellung davon ausgehen, daß im Hinblick auf die Länge der seit der letzten Fortschreibung verstrichenen Zeit (12 Jahre) noch die alten Hektarsätze angewendet werden könnten. Dem Finanzamt mußten auch insofern Zweifel an der Richtigkeit der alten Hektarsätze kommen, weil der ursprünglich als eine Einheit bewertete Besitz geteilt worden ist, und das Finanzamt nach der Teilung nicht ohne weiteres davon ausgehen konnte, daß auch in dem auf den Bf. übertragenen Teil des Besitzes dieselben für die Bewertung maßgeblichen Verhältnisse vorliegen würden, die für das Gesamtgut zur Ermittlung des ursprünglichen Hektarsatzes geführt haben. Darüber hinaus hätte das Finanzamt auch auf Grund des gegen den Nachfeststellungsbescheid erhobenen Einspruches, mit dem die unrichtige Verteilung von land- und forstwirtschaftlichen Flächen gerügt worden ist, Bedenken gegen die Richtigkeit der ursprünglichen Hektarsätze bekommen müssen. Das Finanzamt war daher schon aus diesen Gründen verpflichtet, entsprechende Ermittlungen anzustellen. Eine besondere Veranlassung, Ermittlungen durchzuführen, hatte das Finanzamt aber deshalb, weil es sich um eine Nachfeststellung gehandelt hat, die eine erstmalige Bewertung der neu gegründeten wirtschaftlichen Einheit darstellt. Nachfeststellung bedeutet eine ganz neue Bewertung. Demgegenüber läßt sich nicht einwenden, § 204 AO bedeute nicht, das Finanzamt müsse eine jede Steuererklärung "argwöhnisch" überprüfen, wie das Finanzgericht meint. Denn bei der Auslegung dieser Bestimmung hat das Finanzgericht nicht berücksichtigt, daß eine Steuererklärung nicht abzugeben war und eine solche auch nicht abgegeben worden ist und ferner, daß für das Finanzamt aus den angeführten Umständen ein konkreter Anlaß zur Nachprüfung bestanden hat.
Dagegen läßt sich auch nicht einwenden, daß dem Finanzamt wegen des Fehlens entsprechender sachkundiger Bearbeiter nicht zugemutet hätte werden können, eine Ertragsberechnung bei der ursprünglichen Bewertung vorzunehmen. Das Finanzamt wäre jederzeit in der Lage gewesen, sich des Forstsachverständigen der Oberfinanzdirektion zu bedienen, zumal in der früheren Zeit die Grundlagen für die Feststellung des Einheitswertes des ungeteilten Besitzes jeweils durch die Oberfinanzdirektion ermittelt worden sind. Soweit das Finanzamt die Ertragsberechnung der späteren Prüfung der Oberfinanzdirektion überlassen wollte, konnte es das Ergebnis der Ertragsberechnung zur Grundlage einer Fortschreibung, nicht aber zu der für eine Berichtigungsfeststellung machen.
Unter diesen Umständen ist festzustellen, daß dem Finanzamt bei einwandfreier Bearbeitung der Sache, insbesondere bei Erfüllung der ihm obliegenden Ermittlungspflicht, der Holzzuwachs auch in den näheren Einzelheiten hätte bekannt sein müssen. Danach ist aber der Holzzuwachs nicht als neue Tatsache anzusehen, die eine Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO zuläßt.
Die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung und der berichtigte Nachfeststellungsbescheid vom 7. Dezember 1951 waren daher aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 410922 |
BStBl III 1963, 518 |
BFHE 1964, 542 |
BFHE 77, 542 |