Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonstiges Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Der aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG abgeleitete Grundsatz, daß die zur Entscheidung im Einzelfall berufenen Richter ihrer Person nach auf Grund allgemeiner Regeln im voraus so eindeutig wie möglich feststehen müssen, gilt auch für die ehrenamtlichen Finanzrichter.
Die ordnungsmäßige Besetzung des Spruchkörpers muß an Hand von Unterlagen des Finanzgerichts nachprüfbar sein. Ist das nicht möglich, so ist die Entscheidung auf Rüge aufzuheben.
Normenkette
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; FGO § 27; AO § 288 Nr. 2; FGO § 115/2/3, § 116/1/1, § 119/1
Tatbestand
Der Revisionskläger (Steuerpflichtige - Stpfl. -) beantragte mit Schreiben vom 10. Januar 1963 den Erlaß von Umsatzsteuer und Landessteuern sowie Säumniszuschlägen und Vollstreckungsgebühren. Das Finanzamt (FA) lehnte den Antrag, nachdem die Oberfinanzdirektion (OFD) mit der Sache befaßt worden war, mit Schreiben vom 17. Oktober 1963 ab. Die Beschwerde hiergegen vom 5. November 1963 wies das federführende Umsatzsteuerreferat der OFD nach weiteren Ermittlungen durch Beschwerdebescheid vom 3. Juli 1964 hinsichtlich der Umsatzsteuer als unbegründet zurück. Mit Schreiben vom 10. September 1964 rügte der Stpfl., daß über die Beschwerde wegen der Landessteuern noch nicht entschieden sei. Nach weiterem Schriftwechsel mit der OFD erhob er am 21. Dezember 1964 Untätigkeitsklage wegen teilweiser Nichtbescheidung seiner Beschwerde vom 5. November 1963. Das Finanzgericht (FG) wies die Untätigkeitsklage als unbegründet zurück, weil die OFD die Beschwerdeentscheidung über den Erlaß der Landessteuern nicht ungebührlich verzögert habe.
Mit der Rb., die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist, rügt der Stpfl. Verfahrensmängel und falsche Rechtsanwendung. Unter anderem wird geltend gemacht, die Vorentscheidung sei nicht durch den gesetzlichen Richter ergangen, da die Teilnahme der ehrenamtlichen Richter an den einzelnen Rechtssachen der Kammer nicht geschäftsplanmäßig bestimmt gewesen sei.
Der Senat hat auf diese Behauptung gemäß Beschluß vom 26. April 1966 Beweis erhoben durch Einholung einer Stellungnahme des Präsidenten des FG sowie Anforderung von Abschriften des Geschäftsverteilungsplans des FG und des ergänzenden Geschäftsverteilungsplans des Kammervorsitzenden.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Stpfl. ist begründet. Nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) darf niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Der Zweck der Vorschrift gebietet, daß die Person des zur Entscheidung im Einzelfall berufenen Richters auf Grund allgemeiner Regeln im voraus so eindeutig wie möglich feststeht. Zu den Regelungen gehört auch der Geschäftsverteilungsplan der Kollegialgerichte, der zur Bestimmung des gesetzlichen Richters dient (vgl. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts 2 BvR 42, 83, 89/63 vom 24. März 1964, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - Bd. 17 S. 294; 2 BvR 498/62 vom 2. Juni 1964, BVerfGE Bd. 18 S. 65; 2 BvR 166/64 vom 3. Februar 1965, BVerfGE Bd. 18 S. 344, und 2 BvR 40/60 vom 18. Mai 1965, BVerfGE Bd. 19 S. 52). Diese Grundsätze gelten auch für die ehrenamtlichen Finanzrichter. Auch sie üben die rechtsprechende Gewalt aus und wirken bei der Urteilsfindung mit gleichen Rechten wie die Berufsrichter mit (§ 3 der Verordnung Nr. 175, Verordnungsblatt für die Britische Zone 1948 S. 385, § 16 FGO, § 1 des Deutschen Richtergesetzes).
Nach der Darstellung des Präsidenten des FG wurde bei der Geschäftsstelle eine Liste mit den Namen der ehrenamtlichen Richter geführt, die jeder Kammer geschäftsplanmäßig zugewiesen waren. Nach der Reihenfolge der Namen in dieser Liste wurden die ehrenamtlichen Richter zu den einzelnen Sitzungen herangezogen. War jedoch jemand an der Teilnahme einer Sitzung verhindert, so wurde er als erster zur nächsten Sitzung wieder geladen. In der Reihenfolge der Liste wurde erst dann weitergegangen, wenn alle ehrenamtlichen Richter, die zu den vorhergegangenen Sitzungen abgesagt hatten, herangezogen waren oder erneut abgesagt hatten. Nach der Vorstellung des Präsidenten des FG sollten auf diese Weise alle ehrenamtlichen Richter während der gesamten Amtsperiode gleichmäßig oft herangezogen werden. Bei dieser Handhabung ließ es sich nicht vermeiden, daß die als technisches Hilfsmittel von der Geschäftsstelle aufgestellte Liste von der im Geschäftsverteilungsplan enthaltenen alphabetisch geordneten Reihenfolge der Namen im Laufe der Amtsperiode stark abwich.
Im Gegensatz zu § 27 FGO enthält weder die Reichsabgabenordnung (AO) noch die Verordnung Nr. 175 Vorschriften über die Heranziehung der ehrenamtlichen Richter zu den einzelnen Sitzungen. Es war somit Aufgabe des Geschäftsverteilungsplans, auch für die ehrenamtlichen Richter eine Regelung zu treffen, um die zur Entscheidung im Einzelfall berufenen Richter der Person nach im voraus so eindeutig wie möglich festzulegen. Im Streitfall enthielt der Geschäftsverteilungsplan des FG keine derartige Regelung. Er benannte nur die jeder Kammer zugewiesenen ehrenamtlichen Richter in alphabetischer Aufzählung. Der ergänzende Geschäftsverteilungsplan des Kammervorsitzenden befaßte sich nur mit den hauptamtlichen Richtern. Es fragt sich, ob die ausdrückliche Regelung durch eine gewohnheitsmäßige übung ersetzt werden konnte und ob das Verfahren des FG dem Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG genügte. Diese Fragen brauchen aber nicht abschließend entschieden zu werden. Auch wenn man davon ausgeht, daß dem Verfahren des FG ein Prinzip zugrunde lag, das sachfremde Manipulationen bei der Heranziehung der ehrenamtlichen Richter ausschloß, so fehlt es im Streitfall an der Nachprüfbarkeit, daß das Prinzip eingehalten worden ist. Die nichtvorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts ist stets ein wesentlicher Verfahrensmangel (§ 288 Ziff. 2 AO a. F., §§ 116 Abs. 1 Ziff. 1, 119 Ziff. 1 FGO), der auf Rüge zur Aufhebung der Vorentscheidung führt. Um dem Bundesfinanzhof (BFH) die Nachprüfung einer entsprechenden Verfahrensrüge zu ermöglichen, ist erforderlich, daß sich die ordnungsmäßige Besetzung der Vorinstanz aus den Unterlagen der Vorinstanz feststellen läßt. Deshalb muß, wenn ein listenmäßig anstehender ehrenamtlicher Richter nicht an der Sitzung teilnimmt, der Grund dafür aus den Unterlagen ersichtlich sein.
Nach der Darstellung des Präsidenten des FG hat an der Vorentscheidung der ehrenamtliche Finanzrichter M mitgewirkt, obwohl nach der Liste der Geschäftsstelle die ehrenamtlichen Finanzrichter Dr. K bzw. W vor ihm an der Reihe waren. Warum das geschehen ist, läßt sich nach Angabe des Präsidenten des FG aus den Unterlagen nicht mehr feststellen. Der Mangel wird nicht dadurch beseitigt, daß nach der geübten Praxis ein absichtliches oder versehentliches überschlagen der beiden ehrenamtlichen Finanzrichter unwahrscheinlich und möglicherweise nur versäumt worden ist, ihre Verhinderung in der Liste zu vermerken. Der Mangel kann auch nicht dadurch als behoben angesehen werden, daß die Verfügung über die Ladung des M den Sichtvermerk des Kammervorsitzenden und des beisitzenden hauptamtlichen Richters, die die Ordnungsmäßigkeit der Heranziehung zu überwachen hatten, trägt.
Die Vorentscheidung war danach gemäß §§ 118 Abs. 1 Satz 1, 119 Ziff. 1, 126 Abs. 3 Ziff. 2 FGO aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Eine Prüfung der vorgetragenen weiteren Revisionsgründe erübrigt sich.
Fundstellen
Haufe-Index 412253 |
BStBl III 1966, 655 |
BFHE 1966, 747 |
BFHE 86, 747 |