Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Gewerbesteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Der Besamungstechniker übt eine gewerbliche Tätigkeit aus.

 

Normenkette

EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1, § 15/1; GewStG § 2 Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob ein Besamungstechniker mit dieser Tätigkeit der Gewerbesteuer unterliegende Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt oder freiberuflich im Sinne von § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG tätig ist.

Der Revisionskläger (Steuerpflichtiger - Stpfl. -) hat sich gegenüber einer Besamungshauptstelle vertraglich verpflichtet, Besamungsaufträge nach bestimmten Mustern und Weisungen abzuschließen, durchzuführen und abzurechnen. Er erhält dafür einen Stückpreis pro Erstbesamung.

Nach Abschluß der Volksschule war der Stpfl. zwei Semester auf einer Landwirtschaftsschule zur allgemeinen Ausbildung in der Unterstufe der Landwirtschaftslehre, später jeweils für zwei bis drei Monate auf landwirtschaftlichen Spezialschulen (vom 7. Januar 1957 bis 20. Februar 1957 für Besamungstechnik). Vom 1. Februar 1958 bis 30. Juni 1958 war der Stpfl. Zuchtwart bei einem Tierzuchtamt. Am 6. Juli 1959 wurde er von dem zuständigen Landwirtschaftsminister als Besamungstechniker zugelassen. Daneben ist er als Futtermittelvertreter tätig. Seine Betriebseinnahmen 1962 von insgesamt 22.825 DM entfielen zu rund 1/5 auf die Futtermittelvertretung und zu rund 4/5 auf die Tätigkeit als Besamungstechniker. Die Betriebsausgaben von insgesamt 9.719 DM verteilten sich entsprechend mit 920 DM und 8,799 DM auf die beiden Tätigkeitsbereiche.

Der Revisionsbeklagte (Finanzamt - FA -) behandelte den Stpfl. als Gewerbetreibenden. Seine Tätigkeit als Besamungstechniker sei keineswegs den in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG aufgeführten freien Berufen ähnlich. Die dagegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) in seiner in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1966 Nr. 414 S. 376 veröffentlichten Entscheidung mit folgender Begründung ab:

Als "ähnlicher" Beruf könne hier nur der Beruf eines Tierarztes in Betracht kommen. Dieser scheide aber aus, weil dann auch der Beruf des Stpfl. auf einer wissenschaftlichen Grundlage beruhen müsse, d. h. eine akademische Vorbildung für eine zudem wesentlich umfassendere Tätigkeit als nur für die künstliche Tierbesamung voraussetze. Nach Auskunft des Tierarztes, unter dessen Leitung und Aufsicht der Stpfl. tätig werde, setze dieser nur praktische Erfahrungen und technische Kenntnisse ein. Er habe nur eine kurze, verhältnismäßige einfache Untersuchung der Tiere vor der künstlichen Besamung vorzunehmen, zu der jede erfahrene landwirtschaftliche Kraft in der Lage sei. Auch die Auswahl des Samens, die bereits in sogenannten Herdbuchbetrieben durch den Zuchtverband, nicht durch den Techniker, in allen übrigen Betrieben überhaupt nicht stattfinde, erfordere nur eine allgemeine überprüfung, dagegen keine über die in vielen anderen Gewerbebetrieben üblichen Fachkenntnisse hinausgehende Qualifikation. Auch ein Vergleich mit der Tätigkeit einer Hebamme sei nicht angebracht. Eine nur etwa einmonatige Spezialausbildung (im Streitfall rund sechs Wochen) zum Besamungstechniker könne nicht eine Vorbildung auf wissenschaftlicher Grundlage herbeiführen. Die zwei Wintersemester auf einer Landwirtschaftsschule und der spätere Besuch einer landwirtschaftlichen Spezialschule hätten ebenfalls keine wissenschaftliche Ausbildung, sondern nur entsprechende Grundkenntnisse wie bei vielen angehenden Landwirten vermitteln können. Auch als Erfüllungsgehilfe der Gemeinde bei Durchführung ihrer öffentlich-rechtlichen Haltungspflicht nach dem Tierzuchtgesetz des Landes sei der Stpfl. Gewerbetreibender geblieben. Mit dem Berufsbild des in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG aufgeführten nichtakademischen Heilpraktikers habe der Besamungstechniker keine Berührungspunkte. Der Stpfl. habe auch nicht eine unselbständige, d. h. weisungsgebundene Tätigkeit ausgeübt, sondern sei in eigener Verantwortung, bei freier Arbeitseinteilung nach Ort und Zeit, und mit eigenem Unternehmerrisiko aufgetreten. Er habe in erster Linie einen Arbeitserfolg, nicht seine Arbeitskraft geschuldet.

Das FG hat die Revision an den BFH wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 1 und 2 Ziff. 1 FGO zugelassen.

Der Stpfl. begründet die Revision im wesentlichen wie im bisherigen Verfahren. Aus der Stellungnahme des zuständigen Landwirtschaftsministeriums ergebe sich ein entsprechend höherer Grad persönlicher Verantwortung, dem der Besamungstechniker nicht gerecht werden könne, wenn seine manuelle fachtechnische Begabung und Geschicklichkeit nicht durch entsprechende Fachkenntnisse und die geistige Fähigkeit, sie von Fall zu Fall fachgerecht am lebenden Objekt anzuwenden, ergänzt würden. Von nicht fachlich geschulten Landwirten könne der Samen ebensowenig beurteilt wie eingeführt werden. Für die Besamung seien im ganzen Lande 845 Fachkräfte eingesetzt, davon 18 hauptamtliche und 638 nebenamtliche Tierärzte und 189 Techniker. Die wissenschaftliche Grundlage der Tätigkeit fehle auch bei der Hebamme und akademische Ausbildung sei überhaupt nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Freiberuflers. Auch bei Fachärzten liege durch ihre Spezialisierung eine engere Tätigkeit als bei praktischen ärzten vor. Das FG-Urteil könne keine Erklärung darüber verschaffen, wo bei der Hebamme, dem Fleischbeschauer, Dentisten und Zahnpraktiker einerseits und einem Besamungstechniker andererseits der Unterschied zwischen technischen Kenntnissen sowie praktischen Erfahrungen und wissenschaftlicher Tätigkeit liege. Die nach Auffassung des FG einfache Untersuchung sei entscheidend für den Erfolg der Besamung. Um diese Fähigkeit zu erlangen sei aber jahrelange Erfahrung erforderlich, die ein gewöhnlicher Landwirt nicht besitze. Zwar dürfe bei Komplikationen nur der Tierarzt eingreifen. Diese müßten aber vorher erst vom Besamungstechniker festgestellt werden. Auch die Auswahl des Samens dürfe nicht handwerksmäßig, sondern müsse im Einvernehmen mit dem Züchter für jede Kuh nach individueller Bullenwahl getroffen werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Der Tätigkeitsbereich des Stpfl. sei "Heilberufen" oder einer Hebamme nicht vergleichbar. Bestenfalls könne die Tätigkeit mit der Tätigkeit des Kükensortierers oder Viehkastrierers verglichen werden, bei denen es sich aber nach der Rechtsprechung des BFH um Gewerbetreibende handle.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Unstreitig hat der Stpfl. keine Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit im Sinne des § 19 EStG bezogen. Er hat auch keine Einflüsse aus selbständiger Arbeit, d. h. aus freier Berufstätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG gehabt. Eine freie Berufstätigkeit könnte nur dann in Betracht kommen, wenn die in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG nicht aufgeführte Tätigkeit des Stpfl. einem dort genannten Beruf ähnlich wäre oder eine wissenschaftliche Tätigkeit darstellte. Wäre die ähnlichkeit zu bejahen, so ist es nicht erforderlich, daß es sich um eine wissenschaftliche Tätigkeit im eigentlichen Sinne handelt (Urteil des BFH IV 120/62 U vom 18. Juli 1963, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 77 S. 646 - BFH 77, 646 -, BStBl III 1963, 557). Der gesetzliche Katalog führt nicht nur Berufe auf, die eine akademische Ausbildung erfordern. Setzt jedoch die im Katalog aufgeführte Vergleichstätigkeit eine akademische Ausbildung voraus, so muß grundsätzlich auch der ähnliche Beruf auf wissenschaftlicher Grundlage beruhen. Daß der ähnliche Beruf auf Grund einer entsprechenden Vorbildung ausgeübt wird, ist nicht erforderlich, sofern es sich um einen rechtlich nicht geschützten Beruf handelt, der auch ohne eine vorgeschriebene Berufsausbildung ausgeübt werden kann (BFH-Urteil IV 54/61 U vom 12. Dezember 1963, BFH 78, 349, BStBl III 1964, 136).

Das FA hebt mit Recht hervor, daß die Arbeit des Stpfl. nicht den "Heilberufen" im Katalog des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG ähnlich ist. Die ärztliche Heiltätigkeit setzt das ernstliche Bemühen um die Feststellung des Krankheitszustandes und der Krankheitsursache des Patienten voraus (Diagnose), nach der sich die Behandlung richtet. Zu Unrecht hält der Stpfl. seine Tätigkeit für ebenso freiberuflich wie die einer Hebamme, bei der die Rechtsprechung einen dem ärztlichen Tätigkeitsbereich ähnlichen Beruf anerkannt hat, obwohl eine akademische Vorbildung fehle. Dem steht jedoch entgegen, daß auch die normale Geburtshilfe zu den ärztlichen Aufgaben gehört und die Hebamme durch ihre Hilfeleistung bei der Geburt eine der ärztlichen ähnliche Tätigkeit ausübt.

Der Stpfl. kann selbst nicht ernstlich eine ähnlichkeit seiner an Tieren ausgeübten Tätigkeit mit der eines Tierarztes behaupten, obwohl nach seiner Erklärung eine große Anzahl von Tierärzten eine technische Samenübertragung vornimmt. Dadurch, daß der Stpfl. eine durchaus verantwortungsvolle Einzelaufgabe durchführt, die innerhalb der tierärztlichen Tätigkeit als beiläufige Randerscheinung vorkommen kann, übt er noch keinen dem Tierarzt ähnlichen Beruf aus. Die nicht erschöpfende Aufzählung in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG enthält nicht einen Grundsatz in dem Sinn, daß alle Berufe, die gewisse allgemeine Merkmale haben, als freiberuflich angesehen werden dürfen. Der Stpfl. hat nur eine kurze theoretische Spezialausbildung von wenigen Wochen als Besamungstechniker erhalten. Seine Tätigkeit beruht im übrigen auf längerer praktischer Erfahrung.

Mit Recht hat das FA als am ehesten vergleichbare Berufe die des Kükensortierers und des Viehkastrierers bezeichnet, die nach den BFH-Urteilen I 237/54 U vom 16. August 1955 (BFH 61, 254, BStBl III 1955, 295) und I 203/54 U vom 31. Januar 1956 (BFH 62, 243, BStBl III 1956, 90) Gewerbebetriebe sind. In beiden Entscheidungen hat der BFH hervorgehoben, daß die Unterschiede gegenüber der tierärztlichen Tätigkeit so erheblich sind, daß die Verhältnisse überwiegend gegen die ähnlichkeit sprechen. Das weite Aufgabengebiet des Tierarztes umfaßt die Diagnose und Heilung von Tierkrankheiten aller Art, darüber hinaus die Tierhygiene, die Seuchenbekämpfung, Rassenveredelung usw. Dazu, daß auch Tierärzte Kastrationen vornehmen, hat der BFH im Urteil I 203/54 U, a. a. O., ausgeführt, nicht jeder Teil der Tätigkeit eines anerkannten freien Berufs, die selbständig als Haupttätigkeit ausgeübt werde, sei deshalb ebenfalls freiberuflich. Es müsse vielmehr in jedem Einzelfall geprüft werden, ob nach dem Gesamtbild der Verhältnisse und der Verkehrsauffassung der zu beurteilende Beruf einen der in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG aufgeführten Berufe ähnlich sei. Ebenso wie beim Viehkastrierer ist dies bei einem Besamungstechniker zu verneinen. Zwar muß auch er gewisse anatomische Kenntnisse haben, es kommt aber bei ihm im wesentlichen auf die Handfertigkeit und das richtige Gefühl an. Die Tätigkeit des Stpfl. ist nach ihrem Gesamtbild als eine handwerkliche anzusehen und ebenso wie z. B. die Herstellung künstlicher Augen (BFH-Urteil IV 60/58 vom 20. Oktober 1960, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Gewerbesteuergesetz, § 2 Abs. 1 Rechtsspruch 126), deren Erlernen noch längere handwerkliche Erfahrung erfordert, als gewerblich anzusehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412257

BStBl III 1966, 677

BFHE 86, 773

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