Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Wenn die Zustellung im Besteuerungsverfahren durch Zusendung eines einfachen Briefes erfolgt, besteht gegenüber dem den Empfang bestreitenden Steuerpflichtigen keine gesetzliche Vermutung über den Zugang des Briefes.
Normenkette
VwZG § 17; AO §§ 82-85, 245, 237 a. F
Tatbestand
Streitig ist,
Ob die Berufung rechtzeitig eingelegt und damit zulässig ist;
bejahendenfalls, ob eine Artfortschreibung des Grundstücks als Einfamilienhaus von Amts wegen rückwirkend durch Bescheid vom Dezember 1960 auf den 1. Januar 1957 erfolgen durfte.
Das Finanzamt (FA) hatte das Grundstück zum 1. Januar 1956 als gemischtgenutztes Grundstück nach der Jahresrohmiete von 2.136 DM auf 24.400 DM bewertet. Durch Artfortschreibungsbescheid vom 15. Dezember 1960 wurde auf den 1. Januar 1957 unter Beibehaltung des Einheitswerts die Grundstücksart in "Einfamilienhaus" wegen Fehlerhaftigkeit der bisherigen Bewertungsart fortgeschrieben.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Die Einspruchsentscheidung wurde nach einem Aktenvermerk in den Einheitswertakten am 7. August 1961 durch einfachen Brief an die Revisionsbeklagten abgesandt. Der Steuerausschuß hatte am gleichen Sitzungstage über die Einkommensteuerbescheide entschieden. In den Einkommensteuerakten ist als Tag der Absendung der 10. August 1961 vermerkt, der Briefumschlag trägt den Poststempel vom 11. August 1961.
Gegen die Einspruchsentscheidung in der Einheitswertsache legten die Revisionsbeklagten mit einem am 12. September 1961 beim FA eingegangenen Schreiben vom 10. September 1961 Berufung ein. Sie beantragten, den Fortschreibungsbescheid aufzuheben, da die änderung der Grundstücksart nicht gerechtfertigt sei.
Ihre Berufung sei rechtzeitig eingelegt, und zwar ohne Kenntnis der Einspruchsentscheidung. Lediglich aus den ihnen zugegangenen Einspruchsentscheidungen in der Einkommensteuersache hätten sie ersehen, daß inzwischen eine ihnen ungünstige Einspruchsentscheidung in der Einheitswertsache ergangen sei. Sie hätten die ihnen angeblich am 7. August 1961 übersandte Einheitswert-Einspruchsentscheidung nicht erhalten, obwohl ein am 7. August 1961 zur Post gegebener Brief am 8. August 1961 hätte eingehen müssen. Am 9. August 1961 seien sie in Urlaub nach der Schweiz verreist. Im Urlaub hätten sie nur den Brief mit den Einspruchsentscheidungen betreffend Einkommensteuern erhalten. Sie hätten Z. beauftragt, die eingehende Post mit Ausnahme von Drucksachen in gewissen Zeitabständen nachzusenden. Da alle solche Sendungen angekommen wären, könne das Schreiben nicht auf dem Wege nach ihrem Urlaubsort verloren gegangen sein.
Das FA beantragte, die Berufung wegen Fristversäumnis als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen. Die Beweislast des FA für den Zugang komme nur "im Zweifel" in Betracht, d. h. dann, wenn Tatsachen vorlägen, die den Schluß zuließen, daß ein anderer Geschehensablauf als der typische ernsthaft in Betracht zu ziehen sei. Solche Tatsachen lägen hier nicht vor.
Das Finanzgericht (FG) hob den Fortschreibungsbescheid und die Einspruchsentscheidung ersatzlos auf. Die Berufung sah es als zulässig an und führte aus: Es schenke dem Vorbringen der Revisionsbeklagten, ihnen sei die Einspruchsentscheidung nicht zugegangen, auf Grund des persönlichen Eindrucks des hauptamtlichen Richters und der Eidesangebote vollen Glauben. Auch nach den Angaben des Z. sei der Brief des FA nicht in der Wohnung eingegangen und somit nicht etwa bei der Nachsendung verloren gegangen. Somit sei zweifelhaft, ob die Einspruchsentscheidung in den Verfügungsbereich der Revisionsbeklagten gekommen sei. Alsdann habe gemäß § 17 Abs. 2 Halbsatz 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) das FA den Zugang des Schriftstückes zu beweisen. Das sei nicht geschehen. Ein Steuerpflichtiger, dem ein an ihn gerichtetes Schriftstück nicht zugegangen sei, müsse sich notgedrungen auf Bestreiten des Zuganges beschränken. Anders möge es sein, wenn nicht der Zugang als solcher, sondern der Zeitpunkt des Zuganges streitig sei.
Mit der Rb. rügte das FA unrichtige Rechtsanwendung und falsche Würdigung des Beweisergebnisses. Nach der Rechtsprechung zu § 17 Abs. 2 VwZG genüge bloßes Bestreiten des Zuganges eines Schriftstücks oder des Zeitpunktes des Zuganges nicht, um der Behörde den Nachweis aufzuerlegen. Insbesondere gehe die Gefahr der Nachsendung durch Z. allein zu Lasten der Pflichtigen. Die Empfänger des Briefes müßten Umstände dartun, die es zweifelhaft erscheinen ließen, daß der Brief in ihre Wohnung gelangt sei. Die Vermutung des § 17 Abs. 2 Halbsatz 1 VwZG sei hier nicht erschüttert. Die Berufung sei daher wegen Verspätung als unzulässig zu verwerfen.
Die Revisionsbeklagten begehren Aufrechterhaltung der Vorentscheidung. Zur Zulässigkeit der Berufung machen sie geltend, das FG habe bindend festgestellt, die Einspruchsentscheidung sei nicht zugegangen.
Entscheidungsgründe
Die im Jahre 1963 eingelegte Rb. ist gemäß der am 1. Januar 1966 in Kraft getretenen FGO vom 6. Oktober 1965 (BGBl I S. 1477) als Revision zu behandeln. Ihre Zulässigkeit richtet sich nach § 286 AO a. F. (Hinweis auf § 184 in Verbindung mit § 115 FGO).
Zulässigkeit der Berufung Die Zulässigkeit der Berufung richtet sich nach den vor Inkrafttreten der FGO geltenden Bestimmungen (§ 184 Abs. 2 FGO), nämlich nach §§ 245, 82 ff. AO a. F. in Verbindung mit § 17 VwZG. Tatsächlicher Ausgangspunkt sind der Aktenvermerk über die Absendung der Einspruchsentscheidung durch einfachen Brief am 7. August 1961 und der Eingang der Berufungsschrift beim FA am 12. September 1961.
Nach § 17 Abs. 2 VwZG gilt bei Zusendung durch einfachen Brief die Bekanntgabe mit dem dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bewirkt. Danach wäre zu vermuten, daß die am 7. August 1961 abgesandte Einspruchsentscheidung am 10. August 1961 bekanntgegeben worden ist. Bestreitet allerdings der Steuerpflichtige den Zugang, so hat die Behörde den Zugang und den Zeitpunkt nachzuweisen. Dazu ist in dem Urteil des BFH II 137/60 U vom 7. Februar 1962 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 75 S. 628 - BFH 75, 628 -, BStBl III 1962, 496) ausgeführt, Sinn und Zweck der vereinfachten Zustellung sei es nicht, daß schon ein einfaches Bestreiten des Steuerpflichtigen genüge, die gesetzliche Vermutung über den Zeitpunkt des Zugangs zu entkräften. Es müßten vielmehr Zweifel berechtigt sein, sei es nach den Umständen des Falles, sei es nach dem schlüssigen oder jedenfalls vernünftig begründeten Vorbringen des Steuerpflichtigen. ähnlich ist in dem BFH-Urteil 257/61 U vom 19. Juni 1962 (BFH 75, 307, BStBl III 1962, 377) für den Zeitpunkt des Zugangs ausgeführt, daß die Beweislast der Behörde nur "im Zweifel", d. h. dann in Betracht komme, wenn Tatsachen vorlägen, die den Schluß darauf zuließen, daß ein anderer Geschehensablauf als der typische - Zugang binnen dreier Tage nach Postaufgabe - ernstlich in Betracht zu ziehen sei. Auch hier, wie bei dem etwa gleich begründeten BFH-Urteil VI 79/61 U vom 31. August 1962 (BFH 75, 516, BStBl III 1962, 454) stand nicht der Zugang überhaupt, sondern der Zeitpunkt des Zuganges zur Erörterung. In diesen Fällen ist es dem Steuerpflichtigen möglich, die Vermutung des Eingangs innerhalb dreier Tage substantiiert zu bestreiten und die Verspätung durch nähere Angaben (Poststempel des Briefumschlages, Eingangsvermerk, Zeugen) zu beweisen oder glaubhaft zu machen. Wenn der in Frage stehende Brief aber überhaupt nicht zugegangen ist, bleibt dem Steuerpflichtigen nichts anderes übrig, als den Eingang zu bestreiten. Ein alter Rechtssatz lautet: "negativa non sunt probanda". Wenn das FA jeden Zweifel am Zugang ausschließen will, muß es die Entscheidung mit Postzustellungsurkunde zustellen. Die vereinfachte Zustellung im Besteuerungsverfahren nach § 17 VwZG steht als Kann-Vorschrift im Belieben der Behörde; diese muß daher grundsätzlich das Risiko der vereinfachten Zustellung, insbesondere bei Bestreiten des Zugangs, tragen. Wenn die Zustellung im Besteuerungsverfahren durch Zusendung eines einfachen Briefes gemäß § 17 VwZG erfolgt, besteht gegenüber dem den Empfang bestreitenden Steuerpflichtigen keine gesetzliche Vermutung über den Zugang des Briefes. Im vorliegenden Falle liegt allerdings insoweit eine Besonderheit vor, als die Revisionsbeklagten nicht aus eigenem Wissen den Zugang in der Wohnung bestreiten können, sondern nur den späteren Empfang einer Nachsendung. Zusammen mit der Erklärung des Z. liegt aber auch hier im Ergebnis ein Bestreiten des Zuganges vor. Wenn das FG auf Grund der Gesamtlage und der Eidesbereitschaft der Revisionsbeklagten die Einspruchsentscheidung als nicht zugegangen ansieht, so verstößt die auf tatsächlicher Grundlage getroffene Entscheidung nicht gegen das geltende Recht. Die dagegen eingelegte Revision ist unbegründet. Es sei auch noch auf einen anderen Gesichtspunkt hingewiesen, der der Annahme einer unzulässigen Verspätung der Berufungseinlegung entgegensteht. Nach dem BFH-Urteil VI 94/62 S vom 22. Januar 1964 (BFH 78, 528, BStBl III 1964, 201) ist eine Rechtsmittelbelehrung unrichtig, die nur den Hinweis enthält, daß ein durch Aufgabe des Briefes zur Post zugesandter Bescheid als am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post bekanntgemacht gilt. Zur Rechtsmittelbelehrung gehört vielmehr auch, daß der dritte Tag dann nicht als Tag der Bekanntgabe gilt, wenn das zuzusendende Schriftstück zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Da dieser Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung der Einspruchsentscheidung fehlt, ist eine Frist zur Einlegung der Berufung nicht in Lauf gesetzt worden. Für die Frage, ob eine Rechtsmittelbelehrung unrichtig ist, kommt es nicht auf die (konkrete) Erregung eines Irrtums im Einzelfall, sondern allein auf die (abstrakte) Möglichkeit eines Irrtums an (a. a. O., S. 202 linke Spalte).
Die Berufung ist somit nicht verspätet eingelegt worden.
Fundstellen
Haufe-Index 412278 |
BStBl III 1967, 99 |
BFHE 1967, 203 |
BFHE 87, 203 |