Leitsatz (amtlich)
1. Ein gemischtgenutztes Grundstück, dem ein Landgasthaus mit geringer Beherbergung das Gepräge gibt, gehört zu einer nach dem Ertragswertverfahren zu bewertenden Grundstücksgruppe.
2. Zur Schätzung der üblichen Miete nach § 79 Abs. 2 BewG 1965 können als Vergleichsobjekte nicht nur Grundstücke herangezogen werden, die insgesamt in gleicher Weise genutzt werden wie das zu bewertende Grundstück, sondern auch solche, die nur die Nutzungsart aufweisen, die in den Vergleich einbezogen wird.
Normenkette
BewRGr Abschn. 16 Abs. 6-7; BewG 1965 § 79 Abs. 2; BewG 1965 § 76 Abs. 1 Nr. 3
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Eigentümer eines gemischtgenutzten Grundstücks. Das Grundstück ist mit einem eigengenutzten Landgasthaus mit geringer Beherbergungsmöglichkeit (fünf Fremdenzimmer mit einer Fläche von zusammen 52 qm) bebaut, von dem ein Teil als Lager und Kühlraum vermietet bzw. verpachtet ist (Altbau). Der nach dem Krieg errichtete Neubau ist ebenfalls vermietet, das Untergeschoß an eine Sparkasse, das Obergeschoß zu Wohnzwecken. Da der Kläger eine Erklärung zur Hauptfeststellung der Einheitswerte auf den 1. Januar 1964 trotz wiederholter Aufforderung nicht abgegeben hatte, ermittelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) den Einheitswert im Schätzungswege unter Anwendung des Ertragswertverfahrens auf 103 500 DM. Der Einspruch, der nicht begründet wurde, hatte keinen Erfolg. Im Klageverfahren reichte der Kläger eine Erklärung zur Hauptfeststellung ein. Unter Berücksichtigung der geltend gemachten besonderen Umstände, die den Wert des Grundstücks beeinflussen, eines Vervielfältigers von 7,0 % für den Altbau und 9,3 % für den Neubau sowie eines Abschlags von 10 % wegen behebbarer Baumängel gelangte er zu einem Einheitswert von 57 900 DM.
Das FA vertrat daraufhin die Auffassung, daß eine Jahresrohmiete nicht ermittelt und die übliche Miete nicht geschätzt werden könne (§ 76 Abs. 3 Nr. 2 des BewG 1965). Es wandte deshalb das Sachwertverfahren an und ermittelte einen Wert von 106 400 DM; den angefochtenen Bescheid änderte es nicht.
Das FG wies die Klage ab. Es führte u. a. aus: eine Bewertung nach dem Ertragswertverfahren komme nur in Betracht, wenn eine hinreichende Anzahl gleichgenutzter verpachteter Grundstücke in der näheren Umgebung vorhanden sei, für die aufgrund ähnlicher Lage und Ertragsfähigkeit eine vergleichbare Miete oder Pacht gezahlt werde. Der Kläger habe zwar vier Gaststätten benannt; allen Objekten fehle aber die unmittelbare Nachbarschaft zu einer Sparkasse, die sich auf den hier mitzubeurteilenden Gaststättenbetrieb günstig auswirke. Der zum Vergleich benannten Gaststätte am Ort fehle auch die Beherbergungsmöglichkeit, bei zwei anderen Objekten lägen nach den eigenen Angaben des Klägers die Ertragsverhältnisse anders. Die verbleibende Gaststätte ermögliche allein keinen zutreffenden Vergleich. - Der Anwendung des Sachwertverfahrens stehe Abschn. 16 Abs. 7 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Richtlinien zur Bewertung des Grundvermögens - BewRGr - (BStBl I 1966, 892) nicht entgegen; denn bei dem Grundstück des Klägers handle es sich nicht lediglich um eine Gaststätte mit untergeordneter Beherbergung.
Hiergegen richtet sich die Revision, mit der der Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Er meint, das FG habe das Ertragswertverfahren nicht deshalb ablehnen dürfen, weil Vergleichsobjekte mit einem Mieter nicht vorhanden gewesen seien. Bei einem größeren Gebäude setze sich die Jahresrohmiete im Falle der Vermietung regelmäßig aus verschiedenen Miet- und Pachtvereinbarungen zusammen. Dementsprechend gehe auch § 79 Abs. 1 BewG von einer Mehrzahl von Mietern aus. Die Höhe der Miete sei im Streitfall im wesentlichen bekannt; lediglich für die eigengenutzte Wohnung und die selbst bewirtschaftete Gaststätte müsse die übliche Miete ermittelt werden. Dies sei ohne weiteres möglich. Zu Unrecht habe das FG die zum Vergleich benannten Gaststätten abgelehnt, weil ihnen die Nachbarschaft zu einer Sparkasse fehle. Zu rügen sei auch, daß er, der Kläger, erst im Urteil auf die Bedeutung der Ortslage hingewiesen worden sei; sonst hätte er noch eine verpachtete Gaststätte neben einer Sparkasse als Vergleichsobjekt benennen können. Ferner sei zu beanstanden, daß das FG nicht vom FA die Angabe von Vergleichsobjekten verlangt habe. Darin liege ein Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht. Schließlich rüge er die Verwertung der vom FA getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch das FG, die ihm erst im Urteil bekanntgemacht worden seien.
Der Kläger legt eine neue Berechnung des Einheitswerts nach dem Ertragswertverfahren vor und beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Einheitswertbescheids und der Vorentscheidung den Einheitswert zum 1. Januar 1964 auf 74 500 DM festzustellen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
I.
Nach § 76 Abs. 1 Nr. 3 BewG sind gemischtgenutzte Grundstücke grundsätzlich nach dem Ertragswertverfahren zu bewerten. Das Sachwertverfahren kommt gemäß § 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG nur zur Anwendung, wenn bei einer Gruppe gemischtgenutzter Grundstücke oder in Einzelfällen weder die Jahresrohmiete ermittelt noch die übliche Miete nach § 79 Abs. 2 BewG geschätzt werden kann. Die tatsächlichen Feststellungen des FG rechtfertigen nicht die Annahme, daß hier ein solcher Ausnahmefall vorliege.
1. a) Wie der erkennende Senat in seinen Urteilen vom 7. November 1975 III R 120/74 (BFHE 118, 59, BStBl II 1976, 277) und vom 11. Februar 1977 III R 125/75 (BFHE 121, 503, BStBl II 1977, 408) entschieden hat, kommt es für die Frage, ob das Grundstück zu einer Gruppe gehört, die nach dem Sachwertverfahren zu bewerten ist, entscheidend darauf an, ob die Gruppe die für die Bewertung im Ertragswertverfahren erforderliche Zahl vermieteter Objekte gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung aufweist. Anderenfalls fehlt es an einer Voraussetzung für die Anwendung des Ertragswertverfahrens, da sich die Verhältnisse dieser Gruppe auf die Gestaltung des Ertragswertverfahrens nicht ausgewirkt haben können. Die insoweit zur Abgrenzung von Ertragswertverfahren und Sachwertverfahren erforderliche Ergänzung der gesetzlichen Regelung hat der Senat in Abschn. 16 Abs. 6 und 7 BewRGr erblickt. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Urteile III R 120/74 und III R 125/75 verwiesen.
b) Für Grundstücke der hier vorliegenden Art ist in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Richtlinien zur Bewertung des Grundvermögens nicht die Bewertung nach dem Sachwertverfahren vorgesehen. Abschn. 16 Abs. 7 Satz 3 BewRGr bestimmt vielmehr ausdrücklich, daß das Sachwertverfahren nicht bei Grundstücken anzuwenden ist, bei denen die Beherbergung nur eine untergeordnete Rolle spielt. Ein solcher Fall liegt hier vor. Das FG hat ausdrücklich festgestellt, daß die Beherbergung neben dem Gaststättenbetrieb eine untergeordnete Rolle spielt. Zu Unrecht hat es aber für entscheidend gehalten, daß das Grundstück auch noch anderen Zwecken dient. In dem Urteil III R 125/75 hat es der Senat für die Anwendung des Sachwertverfahrens als ausreichend erachtet, daß ein in Abschn. 16 Nr. 6 BewRGr aufgeführter Zweck dem Grundstück das Gepräge gibt. Folgerichtig muß auch für die umgekehrte Frage, ob das Grundstück einem Zweck dient, für den nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Richtlinien zur Bewertung des Grundvermögens das Sachwertverfahren grundsätzlich ausgeschlossen sein soll, auf den Gesamtcharakter des Grundstücks abgestellt werden. Im Streitfall gibt die Gaststätte dem Grundstück das Gepräge als Landgasthaus. Daß die dem Landgasthaus zuzurechnenden Gebäudeteile schon flächenmäßig weit überwiegen, ergibt sich sowohl aus dem bei den Einheitswertakten befindlichen Lageplan als auch aus der vom Kläger im Klageverfahren abgegebenen Erklärung zur Hauptfeststellung. Es ist auch vom FA nicht bestritten worden.
2. Gehört danach das Grundstück des Klägers zu einer Gruppe von Grundstücken, die nach dem Ertragswertverfahren zu bewerten ist, so käme eine Bewertung nach dem Sachwertverfahren gemäß § 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG, Abschn. 16 Abs. 6 BewRGr nur in Betracht, wenn im Einzelfall, also gerade für das Grundstück des Klägers, weder eine Jahresrohmiete ermittelt noch die übliche Miete gemäß § 79 Abs. 2 BewG geschätzt werden könnte. Dies ist - nach den bisher vom FG getroffenen Feststellungen - nicht der Fall. Da auf dem Grundstück des Klägers der Neubau ganz und vom Altbau der Kühlraum und das Lager vermietet waren, liegen insoweit tatsächlich vereinbarte Mieten vor. Für die eigengenutzten Räume sind die ortsüblichen Mieten anzusetzen, die sich aus vermieteten Vergleichsobjekten der Region ableiten lassen. Dies ist ohne Schwierigkeiten für die vom Kläger genutzten Wohnräume möglich. Aber auch die Vermietung von Gaststättenräumen mit einigen Fremdenzimmern ist nicht so außergewöhnlich, daß die übliche Miete für eigengenutzte Räume dieser Art nicht ermittelt oder geschätzt werden könnte. Das FG unterliegt einem Mißverständnis, wenn es meint, zur Schätzung der üblichen Miete könnten nur Vergleichsobjekte herangezogen werden, die insgesamt in gleicher Weise genutzt werden wie das Grundstück des Klägers. § 79 Abs. 2 BewG läßt es vielmehr zu, daß die Mieten für die jeweilige Nutzungsart (Nutzung für Wohnzwecke oder für gewerbliche Zwecke) auch anhand vermieteter Grundstükke geschätzt werden können, die nur die Nutzungsart aufweisen, die in den Vergleich einbezogen wird.
Was die Nähe zur Sparkasse anbelangt, so ist schon zu beanstanden, daß die Vorinstanz nicht dargelegt hat, inwiefern und in welchem Umfang sich dieser Umstand auf den Mietwert der Gaststättenräume günstig ausgewirkt hat. Soweit tatsächlich ein erhöhter Publikumsverkehr festzustellen sein sollte, dürfte es keine zu großen Schwierigkeiten bereiten, Vergleichsobjekte mit entsprechend erhöhtem Publikumsverkehr zu finden.
Im übrigen rügt der Kläger zu Recht, daß die Unmöglichkeit der Schätzung allein mit der Untauglichkeit der vom Kläger benannten Vergleichsobjekte begründet wurde. Die Vorinstanz hat nicht ausreichend berücksichtigt, daß das FA das Vorliegen eines Ausnahmefalles behauptete, es mithin auch hätte begründen müssen, warum die Schätzung nicht möglich war. Es liegt auf der Hand, daß das FA - ggf. unter Einschaltung seiner Aufsichtsbehörden - eine bessere Übersicht über etwa vorhandene Vergleichsobjekte hat als ein Steuerpflichtiger. Im Streitfall kommt hinzu, daß das FA selbst die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Werte im Schätzungswege nach dem Ertragswertverfahren ermittelt hatte und sich - ausweislich der Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung - mit der Anwendung des Ertragswertverfahrens auch noch im Klageverfahren einverstanden erklärt hatte, wenn auch unter der Voraussetzung, daß die Mieten höher angesetzt würden.
3. Die Vorentscheidung, die von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht, ist aufzuheben. Da es dem BFH als Revisionsinstanz nicht möglich ist, die fehlenden Tatsachenfeststellungen nachzuholen (§ 118 Abs. 2 FGO), geht die Sache gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.
Fundstellen
Haufe-Index 838504 |
BStBl II 1978, 87 |
BFHE 1978, 516 |