Leitsatz (amtlich)
1. Holt ein Ehegatte den anderen von einer Fortbildungsstätte ab, so können die Aufwendungen für die Abholfahrten einschließlich der Hinfahrt (Leerfahrt) in der Regel ohne die Einschränkung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG als Werbungskosten abgezogen werden (Ergänzung zum BFH-Urteil vom 11. Juli 1980 VI R 55/79, BFHE 131, 67, BStBl II 1980, 655).
2. Führt das finanzgerichtliche Verfahren zu einer Änderung eines Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheids, so hat das FG den Erstattungsbetrag festzusetzen.
Normenkette
EStG 1977 §§ 9, 42; AO 1977 § 155
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) besuchte zweimal wöchentlich Fortbildungsveranstaltungen. Während sie für die Hinfahrt von ihrer Wohnung zur Fortbildungsstätte öffentliche Verkehrsmittel benutzte, ließ sie sich für die Rückfahrt jeweils gegen 22.00 Uhr von ihrem Ehemann, dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), mit dessen Kraftfahrzeug (Kfz) abholen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erkannte von den letzteren Aufwendungen nur diejenigen für die Fahrten von der Fortbildungsstätte zur Wohnung als Werbungskosten an, nicht jedoch diejenigen für die Anfahrten des Ehemannes (Bescheid über Lohnsteuer-Jahresausgleich 1977 vom 13. März 1978).
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und setzte die Jahressteuer auf 9 568 DM herab. Es begründete die Abziehbarkeit der streitigen Aufwendungen mit der Notwendigkeit der Hinfahrten für die gemeinsame Rückfahrt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes 1977 (EStG). Es vertritt die Auffassung, nach dem von der Rechtsprechung entwickelten Werbungskostenbegriff sei der erforderliche Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit in Fällen, in denen der Arbeitnehmer von einem Angehörigen von der Wohnung zur Arbeitsstätte und von dort nach Hause gebracht werde, grundsätzlich nur für die Fahrt gegeben, bei der der Arbeitnehmer selbst mitfahre. Die Aufwendungen für die Abholfahrt seien dem Privatbereich zuzuordnen.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision ist in sachlicher Hinsicht unbegründet.
Das FG hat die Fahrtaufwendungen zutreffend den Kosten der beruflichen Fortbildung und damit den Werbungskosten i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeordnet. Auch der Höhe nach hat es die streitigen Kosten richtig behandelt.
Das FA beruft sich zu Unrecht auf die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Oktober 1973 VI R 211/70 (BFHE 111, 299, BStBl II 1974, 318) und vom 26. Juli 1978 VI R 16/76 (BFHE 125, 561, BStBl II 1978, 661). Beide Entscheidungen betreffen Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Auf solche Fahrten ist jedoch die Sonderregelung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG anzuwenden, wonach der Pauschbetrag von 0,36 DM je Entfernungskilometer für jeden Arbeitstag grundsätzlich nur einmal angesetzt werden darf. Dieser Pauschbetrag gilt die Aufwendungen für die Hinfahrt zur Arbeitsstätte und für die Rückfahrt von der Arbeitsstätte ab, gleichgültig ob der Arbeitnehmer die Strecke einmal oder mehrmals am Tag zurücklegt (vgl. zuletzt Urteil in BFHE 125, 561, BStBl II 1978, 661). Allein aus dieser Einschränkung im Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG folgt die Nichtberücksichtigung des als Leerfahrt bezeichneten Teils einer Abholfahrt, wie der Senat in seinem Urteil in BFHE 111, 299, BStBl II 1974, 318 zum Ausdruck gebracht hat.
Die sich aus § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG ergebende Einschränkung ist auf den Streitfall nicht anwendbar, weil es sich hier nicht um Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, sondern um solche zwischen Wohnung und Fortbildungsstätte und damit um Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG handelt. Das bedeutet, daß es für die Abziehbarkeit der Aufwendungen für eine Abholfahrt darauf ankommt, ob diese beruflich veranlaßt ist (vgl. BFH-Urteil vom 11. Juli 1980 VI R 55/79, BFHE 131, 67, BStBl II 1980, 655). Die berufliche Veranlassung einer Abholfahrt ist zu bejahen, wenn ihr alleiniger Zweck - wie im Streitfall - darin besteht, den Ehegatten von einer Fortbildungsstätte abzuholen, um ihn zur Wohnung zurückzufahren; denn derartige Aufwendungen gehören zu den Fortbildungskosten, und Fortbildungskosten sind als Werbungskosten abziehbar.
2. Zu Unrecht hat das FG im Tenor seines Urteils die Jahressteuer und nicht den Ausgleichsbetrag (Erstattungsbetrag) festgesetzt.
Die Frage, ob Gegenstand des Bescheides über einen Lohnsteuer-Jahresausgleich der nach § 42 Abs. 4 Satz 5 EStG ermittelte Ausgleichsbetrag ist, wird im Schrifttum unterschiedlich beurteilt (bejahend: Giloy, Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe A, 1978 S. 407; Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 42 Anm. 45; Hartz/Meeßen, ABCFührer Lohnsteuer, Stichwort: Lohnsteuer-Jahresausgleich, III B 6; vgl. auch Erlaß des Finanzministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11. Mai 1978, Betriebs-Berater 1978 S. 746; verneinend: Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 10. Aufl., § 37 AO 1977 Tz. 22; vgl. auch Urteil des FG Berlin vom 16. Juni 1978 III 160/77, Entscheidungen der Finanzgerichte 1979 S. 310). Der erstgenannten Ansicht ist der Vorzug zu geben; denn schon der das Verfahren einleitende Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich (§ 42 Abs. 2 EStG) ist auf die Erstattung der einbehaltenen Lohnsteuer gerichtet (vgl. z. B. Urteil des Senats vom 15. März 1974 VI R 108/71, BFHE 112, 345, BStBl II 1974, 590). Die Abgleichung der einbehaltenen Lohnsteuer mit der Jahreslohnsteuer stellt - anders als die Anrechnung der einbehaltenen Steuerabzugsbeträge bei der Einkommensteuerveranlagung (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG) - den unverzichtbaren Inhalt des Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheides dar (vgl. auch § 42 Abs. 1 Satz 1 EStG). Es sind keine Anhaltspunkte vorhanden, die dafür sprechen könnten, daß der Gesetzgeber den Begriff des Lohnsteuer-Jahresausgleichs in § 42 Abs. 1 Satz 1 EStG anders verstanden wissen wollte als in § 42 Abs. 5 EStG. Die Ermittlung der geschuldeten Jahreslohnsteuer nach § 42 Abs. 4 Satz 4 EStG dient also nur der Vorbereitung des Jahresausgleichs; dieser ist indessen erst durchgeführt, wenn der Erstattungsbetrag nach § 42 Abs. 4 Satz 5 EStG festgesetzt ist.
Hieran hat auch § 155 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) nichts geändert. Ob im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren über die Freistellung einer Steuer nach § 155 AO 1977 entschieden wird, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Denn dies würde nicht die Annahme hindern, daß eine solche Freistellung gleichzeitig mit der in Bestandskraft erwachsenden Festsetzung des Erstattungsbetrages erfolgen kann. Damit besteht auch nach Inkrafttreten der Abgabenordnung kein Anlaß, von dem Grundsatz abzuweichen (vgl. hierzu Beschluß des Senats vom 1. Dezember 1967 VI B 72/67, BFHE 91, 138, BStBl II 1968, 287), daß im Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich keine Steuern durch Verwaltungsakt festgesetzt werden. Der nach § 42 Abs. 5 EStG über den Lohnsteuer-Jahresausgleich zu erteilende Steuerbescheid hat vielmehr die Festsetzung des Erstattungsbetrages zum Gegenstand.
Fundstellen
Haufe-Index 74186 |
BStBl II 1982, 215 |
BFHE 1981, 418 |