Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Betriebsprüfung Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur steuergerichtlichen Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidungen der Finanzverwaltungsbehörden wegen einer nach § 202 AO verhängten Erzwingungsgeldstrafe können die Finanzgerichte durch Einlegung der Berufung gegen die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion angerufen werden.

In dem zur Nachprüfung der Verhängung der Erzwingungsgeldstrafe betriebenen Berufungsverfahren ist die Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des Finanzgerichts ohne Rücksicht auf die Wertgrenze oder die grundsätzliche Bedeutung der Streitsache (vgl. § 286 Absatz 1 AO) unbeschränkt zulässig.

 

Normenkette

AO §§ 202, 286; FGO § 115; AO §§ 304, 249, 305; FGO § 40

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) erhielt vom Finanzamt, nachdem er schon einmal mit Scheiben vom 24. Januar 1951 gemahnt war, ein zweites Mahnschreiben folgenden Wortlauts:

"Zweite Mahnung*! Sie haben die vorgeschriebene Erklärung für die Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuerveranlagung für 1948/1949 trotz Mahnung bis heute noch nicht eingereicht, obwohl die Frist schon weit überschritten ist. Dadurch haben Sie, wie in der ersten Mahnung angekündigt war, einen Zuschlag von 10 % der festzusetzenden Steuern nach § 168 Absatz 2 der Reichsabgabenordnung (AO) verwirkt. Ich bitte Sie nochmals, innerhalb einer Woche vom Tage des Empfanges dieser Mahnung ab gerechnet, den zugesandten Erklärungsvordruck richtig und vollständig ausgefüllt einzuliefern. Wenn Sie auch dieser Aufforderung nicht nachkommen, werde ich eine Geldstrafe von 10 DM gegen Sie festsetzen. Wenn Sie glauben, zur Erfüllung der Aufforderung nicht verpflichtet zu sein, haben sie die Gründe dem Finanzamt rechtzeitig mitzuteilen (§ 202 Abs. 7 AO). ------------------------------- Unterschrift."

Dieses mit dem 27. Februar 1951 datierte Schreiben wurde laut Postzustellungsurkunde am 3. März 1951 der Ehefrau des Bf. ausgehändigt. Am 12. März 1951 ging beim Finanzamt ein Schreiben der Ehefrau ein, das vom 8. März 1951 datiert war und die Mitteilung enthielt, der Ehemann könne infolge besonders starker Beschwerden wegen seines aus dem Kriege herrührenden Herzleidens der Aufforderung erst in ca. 8 bis 14 Tagen nachkommen; hinzu komme, daß zwei Angestellte des Büros wegen Grippeerkrankung ausfielen.

Das Finanzamt setzte am 19. März 1951 auf Grund der §§ 168, 202 AO die angedrohte Geldstrafe von 10 DM fest, da der Bf. der Aufforderung vom 27. Februar 1951 zur Abgabe der Steuererklärungen nicht nachgekommen sei und auch keine Hinderungsgründe angegeben habe. Zur Erledigung der Aufforderung vom 27. Februar 1951 wurde dem Bf. eine weitere Frist bis zum 28. März 1951 gegeben und für den Fall der Nichterledigung eine weitere Geldstrafe von 50 DM angedroht. Der Bf. wurde dahin belehrt, daß gegen die Strafverfügung binnen Monatsfrist Beschwerde beim Finanzamt zulässig sei, die Einlegung der Beschwerde aber nicht von der Zahlung der Strafe entbinde. Die Strafverfügung wurde dem Bf. am 22. März 1951 zugestellt. Die in der Strafverfügung zugelassene, von dem Steuerhelfer des Bf. gefertigte Beschwerde lief am 29. März 1951 beim Finanzamt ein mit der Begründung, die Verhängung einer Geldstrafe zur Erzwingung der Abgabe einer Steuererklärung sei unzulässig und außerdem wegen des Fristverlängerungsgesuches der Ehefrau nicht gerechtfertigt. Gleichzeitig kündigte der Bf. die alsbaldige Einreichung der geforderten Steuererklärungen an, die auch am 3. April 1951 beim Finanzamt eingingen.

Die Beschwerde wurde von der Oberfinanzdirektion, der sie vom Finanzamt nach § 304 AO zur Entscheidung vorgelegt war, als unbegründet zurückgewiesen. Die Oberfinanzdirektion führte aus, der Bf. habe durch sein Verhalten, indem er trotz mehrfacher Aufforderung die Steuererklärungen nicht früher, sondern sogar erst nach Ablauf der mit der Strafverfügung gesetzten, bis 28. März 1951 laufenden weiteren Frist am 3. April 1951 abgab, einen unnötigen und vermeidbaren Verwaltungsaufwand verursacht und die Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen über Ungehorsamsfolgen und Erzwingungsstrafen auf sich gezogen; bei der geringen Höhe der Strafe könne er sich nicht beschwert fühlen. Auch die Androhung einer weiteren Geldstrafe müsse nach Grund und Höhe als gerechtfertigt angesehen werden. Der Bf. wurde dahin belehrt, daß nach § 305 AO gegen die Beschwerdeentscheidung die Rechtsbeschwerde (Rb.) an den Bundesfinanzhof nur wegen der in der Strafverfügung enthaltenen Androhung einer weiteren Geldstrafe zulässig sei.

Gegen die Beschwerdeentscheidung legte der Bf. bei der Oberfinanzdirektion fristgemäß Rb. an den Bundesfinanzhof ein. Bei einer Besprechung der Angelegenheit auf der Oberfinanzdirektion gab der den Bf. vertretende Steuerhelfer zu verstehen, daß er insbesondere die Rechtmäßigkeit der gegen seinen Mandanten verhängten Erzwingungsgeldstrafe von 10 DM nachgeprüft wissen wolle. Auf Grund dieser Besprechung nahm der Bf., um die Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der verhängten Strafe durch ein Steuergericht herbeizuführen, mit Schriftsatz vom 24. Juli 1951 die "Rb. gegen die Strafandrohung" von 50 DM zurück und bat, die Rb. als Berufung gegen die Straffestsetzung von 10 DM an das Finanzgericht anzusehen, wobei er den die Festsetzung der Erzwingungsgeldstrafe betreffenden Inhalt der Rb. zum Gegenstand der Berufung machte.

Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück. In den Urteilsgründen führte es aus, es entscheide gemäß § 265 AO nach freiem Ermessen und pflichte mangels neuen Vorbringens der Begründung der Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion bei. Ein Rechtsmittel gegen die finanzgerichtliche Entscheidung sei wegen des niedrigen Streitwertes von 10 DM nicht gegeben.

 

Entscheidungsgründe

Die entgegen der Rechtsmittelbelehrung gegen das Finanzgerichtsurteil eingelegte Rb. führt zum Erfolge.

Der Bf. will, wie sich aus seinem Schriftsatze vom 24. Juli 1951 eindeutig ergibt, die Rechtmäßigkeit der durch die Strafverfügung des Finanzamts vom 19. März 1951 gegen ihn verhängten Erzwingungsgeldstrafe von 10 DM nachgeprüft haben. Hierzu war in dem nach § 305 AO geregelten Rechtsbeschwerdeverfahren, auf das in der Rechtsmittelbelehrung der Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion hingewiesen worden war, kein Raum. Denn der in § 305 Absatz 2 Satz 2 AO vorgesehene Ausnahmefall einer Rb. wegen Verhängung eines Zwangsmittels liegt hier nicht vor. Der Bf. wurde aber von den Vorbehörden mit Recht (vgl. das Gutachten des Bundesfinanzhofs Großer Senat D 1/51 vom 17. April 1951, Bundessteuerblatt - BStBl. - III S. 107) darauf hingewiesen, daß er gegenüber der Ermessungsentscheidung der Oberfinanzdirektion die Steuergerichte anrufen und wegen des behaupteten Rechtsverstoßes das Finanzgericht als erstinstanzliches Steuergericht angehen könne. Die vom Bf. mit dem Schriftsatz vom 24. Juli 1951 gegen die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion eingelegte Berufung an das Finanzgericht war daher zulässig und geboten.

Es fragt sich nunmehr, ob die gegen das Finanzgerichtsurteil eingelegte Rb. zuzulassen ist.

Gegen Entscheidungen der Finanzgerichte ist im Rahmen des nach §§ 228, 229 AO vorgesehenen Berufungsverfahrens die Rb. an den Bundesfinanzhof mit der Maßgabe gegeben, daß der Wert des Streitgegenstandes höher als 200 DM ist, oder daß die Rb. wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache vom Finanzgericht zugelassen ist (§ 286 Absatz 1 AO in Verbindung mit § 6 Absatz 2 des Gesetzes über den Bundesfinanzhof vom 26. September 1950, Bundesgesetzblatt S. 257). Im vorliegenden Falle handelt es sich nicht um ein Berufungsverfahren gegen einen Bescheid im Sinne der §§ 228, 235 AO, sondern um ein Berufungsverfahren, das eine steuergerichtliche Nachprüfung einer im Beschwerdeverfahren ergangenen Entscheidung der Oberfinanzdirektion über die Verhängung einer Erzwingungsstrafe (§ 202 AO) zum Gegenstand hat. Ob allgemein in Fällen der steuergerichtlichen Nachprüfung der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen der Finanzverwaltungsbehörden (Oberfinanzdirektion) für eine Rb. gegen die Berufungsentscheidung des Finanzgerichts die Wertgrenze des § 286 AO zu beachten ist, kann dahingestellt bleiben. Hier handelt es sich um die Nachprüfung der Verhängung einer Erzwingungsstrafe von 10 DM (§ 202 AO), die im Berufungsverfahren (Finanzgericht und Bundesfinanzhof) erfolgen muß, weil die Voraussetzungen für das besondere Rechtsbeschwerdeverfahren nach § 305 AO nicht vorliegen. In einem solchen Berufungsverfahren wird die Rb. gegen die Entscheidung des Finanzgerichts ohne Rücksicht auf die Wertgrenze oder die grundsätzliche Bedeutung der Streitsache zuzulassen sein. Eine Beschränkung durch die Vorschrift des § 286 AO erscheint gegenüber der uneingeschränkten, im Falle des § 305 AO gegebenen Rb. nicht vertretbar. Wenn nach § 305 AO wegen der Androhung einer Erzwingungsstrafe die Rb. an den Bundesfinanzhof ohne Rücksicht auf die Höhe der Strafe gegeben ist, muß auch wegen der Verhängung der Erzwingungsstrafe die Rb. uneingeschränkt zulässig sein. Die Rechtsmittelbelehrung des Finanzgerichts kann hiernach nicht als richtig angesehen werden. Die entgegen der Belehrung eingelegte Rb. vom 11. Oktober 1951 ist somit zulässig.

Die Rb. ist auch begründet. Das Finanzgericht weist zwar in den Urteilsgründen auf § 265 AO hin, will also nach freiem Ermessen entscheiden, führt aber dann aus, da die Berufungsbegründung keine neuen Tatsachen in Bezug auf die Straffestsetzung von 10 DM bringe, rechtfertigten die in der Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion angeführten Gründe die getroffene Entscheidung.

Die Strafverfügung des Finanzamts vom 19. März 1951 über 10 DM wurde von der Oberfinanzdirektion nicht beanstandet; auf das Gesuch der Ehefrau um Fristverlängerung um 8 bis 14 Tage wurde nicht eingegangen. Hierzu führte die Oberfinanzdirektion aus, auch nach Ablauf "dieser Frist" seien die Steuererklärungen beim Finanzamt noch nicht eingegangen. Die Ausdrucksweise "dieser Frist" läßt die Frage offen, ob hiermit die von der Ehefrau erbetene Nachfrist von 8 bis 14 Tagen oder die in dem zweiten Mahnschreiben des Finanzamts gestellte Frist von einer Woche, die vom 3. März 1951 (Tag der Zustellung) bis 10. März 1951 lief, gemeint ist.

Das Nichteinhalten der von der Ehefrau nachgesuchten Frist von 8 bis 14 Tagen konnte am 19. März 1951, dem Tage der Absetzung der Strafverfügung, nicht vorausgesehen werden. Denn die nachgesuchte Frist lief, wenn von dem Briefdatum (8. März 1951) ausgegangen wird, ehestens am 22. März 1951 ab. Diesen Fristablauf hätte das Finanzamt abwarten müssen, ehe es die Strafverfügung erließ. Die Ehefrau hatte wegen des in dem Mahnschreiben vom 27. Februar 1951 enthaltenen Hinweises auf § 202 Absatz 7 AO (Vorbringen von Einwendungen gegen die Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärungen) die Eingabe vom 8. März 1951 an das Finanzamt gerichtet. Daß ihre Angaben über das Herzleiden des Ehemannes nicht aus der Luft gegriffen waren, mußte dem Finanzamt aus früheren Eingaben des Bf. (vgl. sein Schreiben vom 13. Dezember 1949) bekannt sein.

Sollte jedoch mit dem Ausdruck "dieser Frist" der Ablauf der in dem Mahnschreiben gestellten Frist von einer Woche (3. März bis 10. März 1951) gemeint sein, so war das am 12. März 1951 beim Finanzamt eingegangene Gesuch der Ehefrau um Fristverlängerung nicht ohne weiteres zu übersehen.

Wenn es auch zutrifft, daß der Bf. die Abgabe der Steuererklärungen lange Zeit verzögert hat, obgleich er mit Schreiben des Finanzamts vom 22. Dezember 1949 um pünktliche Abgabe der Steuererklärungen gebeten worden war, so kann der Senat die völlige Außerachtlassung der Eingabe der Ehefrau bei Erlaß der Strafverfügung vom 19. März 1951 unter den gegebenen Umständen nicht als recht und billig ansehen. Die angeforderten Steuererklärungen sind mit dem 24. März 1951 datiert und am 3. April 1951 beim Finanzamt eingereicht worden. Damit hat der Finanzbefehl zur Abgabe der Steuererklärungen für 1948/1949 seine Erledigung gefunden. Die Vorentscheidungen waren daher ersatzlos aufzuheben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 423997

BStBl III 1952, 55

BFHE 1953, 133

BFHE 56, 133

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