Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des § 33 Abs. 1 GewStG dient dazu, offenbaren Unbilligkeiten in einzelnen Ausnahmefällen abzuhelfen. Sie greift nicht ein, wenn die Anwendung des Regelmaßstabs allgemein zu unbilligen Ergebnissen führt.
Normenkette
GewStG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 33 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Die Steuerpflichtige, eine Versicherungsgesellschaft, unterhält in einer Anzahl Städte des Bundesgebiets und in Berlin (West) Bezirks- und Filialdirektionen sowie Schadenbüros. Daneben sind im ganzen Bundesgebiet selbständige, zu einem geringen Teil auch angestellte Versicherungsvertreter für die Steuerpflichtige tätig. Außerdem steht eine Grundstücksgesellschaft in einem Organverhältnis zur Steuerpflichtigen.
Das FA zerlegte die Gewerbesteuermeßbeträge für die streitigen Erhebungszeiträume 1957 und 1958 gemäß § 33 Abs. 1 GewStG zunächst je zur Hälfte nach den Betriebseinnahmen und nach den Arbeitslöhnen der Steuerpflichtigen. Auf die Beschwerde zweier Städte, in denen sich nur Schadenbüros befinden und deshalb keine Betriebseinnahmen erzielt wurden, änderte das FA die Zerlegungen und setzte als Bemessungsgrundlage nur die in den einzelnen Betriebstätten angefallenen Arbeitslöhne an. Dagegen erhob die beschwerdeführende Gemeinde (Bfin.), in der die Steuerpflichtige Sitz und Geschäftsleitung hat, Beschwerde mit dem Antrag, die Zerlegung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG nach den Betriebseinnahmen durchzuführen. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.
Die OFD hat zur Begründung ihrer Entscheidung ausgeführt: Die Steuerpflichtige betreibe überwiegend das Versicherungsgeschäft, deshalb seien grundsätzlich die Betriebseinnahmen Zerlegungsmaßstab. Bei Anwendung dieses Maßstabs erhielten aber die auswärtigen Gemeinden, in denen die Steuerpflichtige Arbeitnehmer beschäftigt habe, ohne dort nennenswerte Einnahmen zu erzielen, überhaupt keinen Zerlegungsanteil. Der Bfin. hingegen würden rd. 99 v. H. der Gewerbesteuermeßbeträge zugeteilt, obwohl von den Arbeitnehmern der Steuerpflichtigen ein erheblicher Teil in den ausfallenden Gemeinden beschäftigt gewesen sei. Ein solches Ergebnis widerspreche dem Äquivalenzprinzip in einem Ausmaß, das nach § 33 GewStG die Anwendung eines anderen Zerlegungsmaßstabes erfordere. Die vom FA vorgenommene Zerlegung nach dem Verhältnis der Arbeitslöhne trage den vorliegenden besonderen Verhältnissen Rechnung. Die Bfin. erhalte danach 60,6 v. H. bzw. 54,8 v. H. des Gewerbesteuermeßbetrags gegenüber 61,2 v. H. bzw. 59 v. H., die von der Gesamtzahl der Arbeitnehmer der Steuerpflichtigen auf sie entfielen.
Mit der weiteren Beschwerde beantragt die Bfin. erneut Zerlegung nach dem Regelmaßstab des § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG. Sie hat vorgetragen, daß die Verwaltungstätigkeit der Steuerpflichtigen weitgehend in der Betriebstätte der Geschäftsleitung zentralisiert sei. Hier werde der Versicherungsbestand verwaltet, das Inkasso durchgeführt und auch die Organisation und Werbung im ganzen Bundesgebiet unmittelbar geleitet. Die Versicherungsvertreter würden vor ihrem Einsatz von der Zentrale geschult und in ihren Bezirken eingearbeitet. Sie ständen mit Ausnahme einer kurzen Anlaufzeit, in der ihre Tätigkeit durch die Bezirksdirektionen überwacht werde, nur mit der Zentrale in Verbindung. Mit den Bezirks- und Filialdirektionen oder mit den Schadenbüros hätten sie nichts zu tun. Die Bezirks- und Filialdirektionen hätten im wesentlichen repräsentativen Charakter. Sie seien nicht in die Werbeorganisation eingeschaltet und verfügten über keinen eigenen Vertreterstab. Die Schadenbüros hätten Schadenfälle zu bearbeiten und ständen ebenfalls außerhalb der Werbeorganisation. Bei diesem Sachverhalt seien nach der Rechtsprechung - was auch die Beschwerdeentscheidung angenommen habe - die gesamten Einnahmen der Bfin. als Geschäftsleitungsgemeinde zuzurechnen.
Daß den Städten, in denen sich Bezirks- und Filialdirektionen oder Schadenbüros befänden, nach dem Ergebnis der Einnahmen kein Zerlegungsanteil zuzuweisen sei, rechtfertige nicht die Wahl eines anderen Zerlegungsmaßstabs. In den einzelnen Betriebstätten sei die Zahl der Arbeitnehmer jeweils verhältnismäßig gering. Daß durch diese Betriebstätten außergewöhnliche Belastungen entständen, sei nicht nachgewiesen.
Soweit die beteiligten Städte Stellung genommen haben, sind sie im wesentlichen den Gründen der Beschwerdeentscheidung beigetreten; nur eine Stadt hat die Auffassung der Bfin. unterstützt. Die Stadt hat geltend gemacht, die auf ihrem Gebiet errichtete Filialdirektion sei in die Werbeorganisation eingeschaltet, so daß sie bei einer Zerlegung nach den Betriebseinnahmen anteilmäßig berücksichtigt werden müsse. Dem hat die Steuerpflichtige widersprochen; sie hat zugleich darauf hingewiesen, daß es für sie bei der Vielzahl der Zahlungsbelege unzumutbar sei, festzustellen, welche Verträge und Zahlungen direkt oder über die Filialdirektion bei ihr eingegangen seien.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die weitere Beschwerde ist begründet.
Hat ein Steuerpflichtiger im Erhebungszeitraum Betriebstätten in mehreren Gemeinden unterhalten, so ist der einheitliche Gewerbesteuermeßbetrag in die auf die einzelnen Gemeinden entfallenden Anteile zu zerlegen (§ 28 GewStG). Zerlegungsmaßstab ist bei Versicherungsunternehmen das Verhältnis, in dem die Summe der in allen Betriebstätten erzielten Betriebseinnahmen zu den in den Betriebstätten der einzelnen Gemeinden erzielten Betriebseinnahmen steht (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG). Die Anwendung dieses Maßstabs entfällt nicht deshalb, weil der Steuerpflichtigen eine Grundstücksgesellschaft als Organ angegliedert ist. Bei Versicherungsunternehmen ist die Anlage von Vermögen in Grundbesitz nicht ungewöhnlich. Daß sich die Steuerpflichtige hierzu einer Organgesellschaft bedient, nimmt ihr nicht die Eigenart eines Versicherungsunternehmens. Führt die Zerlegung nach diesem Maßstab zu einem offenbar unbilligen Ergebnis, so ist nach einem Maßstab zu zerlegen, der die tatsächlichen Verhältnisse besser berücksichtigt (§ 33 Abs. 1 Satz 1 GewStG).
Die Gewerbesteuer soll den Gemeinden einen gewissen Ausgleich für die Lasten bieten, die ihnen die Betriebe der Industrie, des Handels und des Gewerbes verursachen. Dabei ist aber zu beachten, daß der Gesetzgeber bewußt für die Zerlegung ein möglichst einfaches Verfahren vorgeschrieben hat, weil eine Zerlegung, die den Verhältnissen des Einzelfalles voll gerecht würde, mit einer nicht zu vertretenden Verwaltungsarbeit verbunden und wegen notwendiger Schätzungen ohnehin kaum zu erreichen wäre. Das Gesetz beruht auf dem Gedanken, daß bei der großen Zahl der Zerlegungsfälle sich gewisse im Einzelfall auftretende Unebenheiten wieder ausgleichen. Da das Gesetz Unstimmigkeiten in Kauf nimmt, kann eine Unbilligkeit bei der Zerlegung nach dem Regelmaßstab nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen angenommen werden, in denen sie ein erhebliches Gewicht besitzt und offensichtlich ist. (Vgl. Beschluß des BFH I B 47/59 S vom 12. Juli 1960, BFH 71, 363, BStBl III 1960, 386, und Urteil des BFH I B 240, 241/62 vom 1. März 1967, BFH 88, 214, BStBl III 1967, 324.)
Die Beschwerdeentscheidung ist von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen, hat sie aber nicht zutreffend auf den vorliegenden Sachverhalt angewendet. Die OFD hat bei der Prüfung, ob die Zerlegung nach dem Regelmaßstab zu einer erheblichen Unbilligkeit führt, einen Belastungsvergleich angestellt. Dabei hat sie berücksichtigt, daß im Streitfall den beteiligten Städten Lasten in erster Linie dadurch entstehen, daß in den Betriebstätten der Steuerpflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt werden. Folgerichtig hat sie ihrem Belastungsvergleich die Zahl der in den einzelnen Betriebstätten tätigen Arbeitnehmer zugrunde gelegt. Dagegen bestehen nach der Sachlage keine rechtlichen Bedenken, denn die Lasten einer Gemeinde werden in der Regel weitgehend durch das Wohnen der Arbeitnehmer und ihrer Angehörigen begründet (vgl. z. B. das Urteil des BFH I B 240, 241/62, a. a. O.). Die OFD hat dann aber bei dem Vergleich der Arbeitnehmerzahl der Hauptbetriebstätte die Gesamtzahl der in den auswärtigen Betriebstätten beschäftigten Arbeitnehmer gegenübergestellt und daraus den Schluß gezogen, die Bfin. erhalte einen ungebührlich großen Zerlegungsanteil. Diese Würdigung kann nicht gebilligt werden. Die OFD durfte nicht die Arbeitnehmer der auswärtigen Betriebstätten zusammenzählen und die in den auswärtigen Gemeinden insgesamt erwachsenen Lasten werten, als ob sie nur einer Gemeinde entstanden wären. Vielmehr hätte sie für jede einzelne Gemeinde prüfen müssen, ob dieser durch die Betriebstätte offensichtlich so große Lasten erwachsen sind, daß ein die Zerlegung nach einem anderen als dem Regelmaßstab rechtfertigender Ausnahmefall angenommen werden muß. So betrachtet sieht der Senat im Streitfall keinen Anlaß, vom Regelmaßstab des § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG abzuweichen. Die Belastung der einzelnen Städte durch die Arbeitnehmer überschreitet nicht offensichtlich das Maß, das nach der gesetzlichen Regelung in Kauf genommen werden muß. Von einer Unbilligkeit von erheblichem Gewicht kann nicht gesprochen werden. Daß die auswärtigen Betriebstätten als solche besonders hohe Lasten verursachten, ist weder behauptet noch ersichtlich.
Die Vorschrift des § 33 GewStG ist nicht schon ohne weiteres anzuwenden, wenn eine Betriebstättengemeinde bei der Anwendung des Regelmaßstabs unberücksichtigt bleibt; aus § 28 GewStG läßt sich nicht entnehmen, daß jeder Betriebstättengemeinde unbedingt ein Anspruch auf Beteiligung an dem Gewerbesteuermeßbetrag zusteht. Das gilt sowohl für die Zerlegung nach Arbeitslöhnen in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 GewStG (vgl. Beschlüsse des BFH I B 49/58 U vom 13. Mai 1958, BFH 67, 275, BStBl III 1958, 379, und I B 387/62 U vom 5. Oktober 1965, BFH 83, 468, BStBl III 1965, 668) wie auch für die hier in Betracht kommende Zerlegung nach den Betriebseinnahmen (vgl. Beschluß des BFH I B 99/62 S vom 18. September 1962, BFH 75, 682, BStBl III 1962, 515).
Die Vorschrift des § 33 GewStG ermöglicht auch nicht, einen gesetzlichen Regelmaßstab grundsätzlich wegen unbilliger Ergebnisse außer Betracht zu lassen. Wenn die Behauptung einiger der beteiligten Gemeinden zutrifft, daß die Zerlegung nach den Betriebseinnahmen in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG dem Zerlegungszweck nicht mehr gerecht wird, weil im Zuge der Automation die Einnahmen immer mehr der Betriebszentrale unmittelbar zufließen und dadurch die Filialgemeinden benachteiligt werden, so ist es Sache des Gesetzgebers, gegebenenfalls das Zerlegungsverfahren durch Gesetz zu ändern. Die Vorschrift des § 33 GewStG dient dazu, Unbilligkeiten in einzelnen Ausnahmefällen abzuhelfen. Die Gerichte haben zwar nach § 1 Abs. 2 StAnpG bei der Auslegung der Steuergesetze die Entwicklung der Verhältnisse zu berücksichtigen; dies bedeutet aber nicht, daß sie bei der Zerlegung den Regelfall nach einer Ausnahmevorschrift anstatt nach der für den Regelfall aufgestellten Norm behandeln dürften.
Ausgleichsbeträge, die eine Betriebstättengemeinde für auswärts wohnende Angestellte an die Wohngemeinde zu zahlen hat, können bei der Zerlegung nicht berücksichtigt werden. Wie der Senat im Beschluß I B 170/54 vom 28. Februar 1956 (StRK, Gewerbesteuergesetz, § 30, Rechtsspruch 4) näher dargelegt hat, besteht zwischen den Ausgleichszuschüssen und der Zerlegung kein Zusammenhang (vgl. auch Beschluß des BFH I B 321/61 vom 27. Februar 1963, StRK, Gewerbesteuergesetz, § 30, Rechtsspruch 13).
Da FA und OFD rechtlich unzutreffend die Vorschrift des § 33 Abs. 1 Satz 1 statt § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG angewendet haben, sind die Beschwerdeentscheidung und die Zerlegungsbescheide aufzuheben. Das FA wird neue Zerlegungen nach dem Verhältnis der Betriebseinnahmen vornehmen. Soweit die Steuerpflichtige genaue zahlenmäßige Angaben dafür nicht liefern kann, ist Schätzung geboten.
Die Kosten trägt nach dem Rechtsgedanken des § 135 Abs. 1 FGO das FA (vgl. Urteil des BFH I B 240, 241/62, a. a. O.).
Fundstellen
Haufe-Index 67870 |
BStBl II 1968, 185 |
BFHE 1968, 52 |