Leitsatz (amtlich)
Ein nach dem 31. Dezember 1976 ergangener Einkommensteuerbescheid wird mit dem Inhalt, mit dem er bekanntgegeben wird, auch dann wirksam, wenn er nicht mit der Aktenverfügung des FA übereinstimmt.
Normenkette
AO 1977 § 124 Abs. 1 S. 2
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zusammenveranlagte Eheleute.
Im Streitjahr 1967 betrieb der Kläger zunächst eine Apotheke in A. Er gab diese zum 3. Oktober 1967 auf und eröffnete am 28. Oktober 1967 eine Apotheke in B.
Der Kläger hatte in den Vorjahren die Vergünstigung des nicht entnommenen Gewinns gemäß § 10 a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Anspruch genommen. Der begünstigte Betrag wurde für die Jahre 1964 bis 1966 mit insgesamt 59 254 DM festgestellt. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) führte für diesen Betrag im Streitjahr aufgrund einer Betriebsprüfung eine Nachversteuerung nach § 10 a Abs. 2 EStG durch, weil die Mehrentnahmen (Entnahmen abzüglich Gewinn und Einlagen) 158 667,08 DM betrügen und damit den oben genannten besonders festgestellten Betrag der drei Vorjahre überstiegen.
Mit dem Einspruch begehrten die Kläger, die bei der Gründung der Apotheke in B aufgewandten Mittel von 137 746,09 DM als entnahmemindernde Einlage zu behandeln und demgemäß die nachzuversteuernde Mehrentnahme auf (158 667,08 DM ./. 137 746,09 DM =) 20 920,99 DM festzusetzen. Ferner beantragten sie, auf diese Mehrentnahme den ermäßigten Steuersatz gemäß §§ 10 a Abs. 2 Satz 3, 34 Abs. 1 EStG anzuwenden. Das FA gab nur dem zweitgenannten Antrag statt, indem es den gesamten gesondert festgestellten Betrag von 59 254 DM der Nachversteuerung zum halben Steuersatz unterwarf.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, die Nachversteuerung sei auf einen Betrag von 20 920,99 DM zu beschränken, da bei der Ermittlung der Mehrentnahmen die Aufwendungen bei der Gründung der neuen Apotheke abzuziehen seien. Bei der Berechnung der Mehrentnahme i. S. von § 10 a Abs. 2 EStG seien nicht nur Einlagen i. S. von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG in Abzug zu bringen, sondern auch die in diesem Veranlagungszeitraum für die Neugründung eines Betriebs aufgebrachten Mittel.
Mit der Revision des FA wird im wesentlichen vorgetragen, der Begriff "Einlage" sei in § 4 Abs. 1 EStG eindeutig als Zufuhr von Mitteln im Laufe eines Wirtschaftsjahrs definiert. Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Anfechtungsklage als unbegründet abzuweisen und dem Revisionsbeklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Die Kläger tragen vor, das FA habe mit berichtigtem Einkommensteuerbescheid vom 10. Februar 1977 ihrem Antrag voll entsprochen. Das Einspruchsverfahren sei damit erledigt. Eine Gegenäußerung zur Revisionsbegründung oder eine mündliche Verhandlung erübrigten sich.
Die Kläger beantragen, die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen, weil das Verfahren durch den Berichtigungsbescheid 1967 vom 10. Februar 1977 erledigt sei oder das Urteil des FG zu bestätigen.
Entscheidungsgründe
Die Hauptsache ist erledigt.
Die Vorentscheidung ist damit gegenstandslos geworden.
1. Im vorliegenden Fall haben im Revisionsverfahren die Kläger als Revisionsbeklagte die Hauptsache für erledigt erklärt, während das FA als Revisionskläger dem widerspricht.
In einem solchen Fall bewirkt die einseitige Erledigungserklärung der Kläger, daß sich der Rechtsstreit auf die Erledigungsfrage beschränkt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. Mai 1976 I R 154/74, BFHE 119, 219, BStBl II 1976, 785). Stellt das Gericht die Erledigung fest, dann entscheidet es hierüber durch Urteil und über die Kosten nach § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) - nicht § 138 Abs. 1 FGO - (vgl. BFH-Urteil vom 19. Januar 1971 VII R 32/69, BFHE 101, 201, BStBl II 1971, 307; damit übereinstimmend die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - und des Bundesgerichtshofs - BGH -).
2. Im vorliegenden Fall ist die Hauptsache erledigt, weil das FA während des Revisionsverfahrens einen dem Sachantrag der Kläger entsprechenden Bescheid erlassen hat, der auch wirksam geworden ist.
a) Der Bescheid vom 10. Februar 1977 ist ein Steuerbescheid. Er ist auf dem für Steuerbescheide vorgesehenen Vordruck ausgefertigt und mit dem nach § 157 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) für einen Steuerbescheid notwendigen Inhalt versehen, nämlich Steuerfestsetzung, Angabe des Steuerschuldners und Rechtsmittelbelehrung. Die Besteuerungsgrundlagen müssen nicht darin enthalten sein. Gleichwohl enthält der den Klägern zugegangene Bescheid auch insoweit verständliche Angaben, weil er sich auf das FG-Urteil vom 8. Dezember 1976 bezieht, in welchem die Besteuerungsgrundlagen zusammengefaßt enthalten sind.
Als Abrechnungsbescheid kann der Bescheid nach seinem objektiven Erklärungsinhalt nicht angesehen werden. Er enthält wesentlich mehr als eine Abrechnung des Steuerkontos, auch mehr als eine bloße Zahlungsaufforderung. Er ist als Berichtigungsbescheid gekennzeichnet und enthält Verweisungen auf den früheren Steuerbescheid in Form der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung.
b) Der Bescheid ist auch mit seinem Inhalt als Steuerbescheid wirksam. Nach § 124 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 kommt es hierfür auf den den Klägern zugegangenen Bescheid an, nicht auf die Aktenverfügung, so daß offenbleiben kann, was das FA verfügt hat. Nach der jetzt maßgebenden Gesetzesfassung ist Steuerbescheid i. S. des Gesetzes der dem Steuerpflichtigen bekanntgegebene Verwaltungsakt, nicht die in den Akten enthaltene Verfügung (vgl. dazu im einzelnen Tipke-Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 155 AO 1977 Tz. 7). Die bisherige Rechtsprechung zu dieser Frage ist nach den Vorschriften der Abgabenordnung nicht mehr anwendbar.
Entgegen der Meinung des FA läßt sich auch daraus, daß die Revision aufrechterhalten wurde, kein anderer Erklärungsinhalt für den Bescheid herleiten. Der Bescheid wurde erst bekanntgegeben, nachdem das FA seine Revision eingelegt und begründet hatte. Es bestand danach immer die Möglichkeit, daß das FA dem Sachantrag der Kläger stattgab. Allein darauf kommt es für den Erklärungsinhalt an.
c) Das FA konnte - entgegen der von ihm jetzt vorgebrachten Auffassung - auch noch jederzeit den angefochtenen Steuerbescheid ändern. § 132 AO 1977 läßt dies für die Dauer des finanzgerichtlichen Verfahrens ausdrücklich zu, wobei zum finanzgerichtlichen Verfahren - anders als das FA meint - auch das Revisionsverfahren gehört.
3. Die Kostenentscheidung ist aus § 135 Abs. 1 FGO zu entnehmen, weil das FA im Rechtsstreit unterlegen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 73198 |
BStBl II 1979, 606 |
BFHE 1979, 20 |