Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag gem. § 68 FGO nach Bestandskraft des Änderungsbescheids (Einspruchsentscheidung)
Leitsatz (amtlich)
Der Antrag nach § 68 FGO kann auch dann noch wirksam gestellt werden, wenn der Änderungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung bestandskräftig geworden ist.
Orientierungssatz
1. Ein nach Ablauf der Klagefrist gegen einen Änderungsbescheid gestellter Antrag nach § 68 FGO verstößt nicht gegen die Grundsätze von Treu und Glauben. Die bloße Ausschöpfung der dem Steuerpflichtigen zustehenden Rechte stellt keinen Rechtsmißbrauch durch illoyal verspätete Rechtsausübung dar. Dies gilt auch dann, wenn das FA den Kläger wiederholt auf die Möglichkeit hingewiesen hat, den Antrag nach § 68 FGO zu stellen.
2. Der Antrag nach § 68 FGO ist nicht fristgebunden. Der Änderungsbescheid --auch der bestandskräftige-- kann bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung (bei Entscheidungen ohne solche bis zur Beschlußfassung des Gerichts) zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemacht werden (vgl. BFH-Rechtsprechung). Dies gilt auch dann, wenn der Änderungsbescheid nicht durch Verstreichenlassen der Einspruchsfrist, sondern deshalb bestandskräftig wird, weil der gegen ihn eingelegte Einspruch zurückgewiesen wird und der Steuerpflichtige es hierbei bewenden läßt.
Normenkette
FGO §§ 68, 90
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) machte in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1979 bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung einen Werbungskostenüberschuß von 32 436 DM geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte im Einkommensteuerbescheid für 1979 die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung jedoch mit Null DM an.
Während des Klageverfahrens über diesen Bescheid änderte das FA die Einkommensteuerfestsetzung 1979 nach § 175 Abs.1 Nr.1 und § 165 Abs.2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) mit Bescheid vom 5.Januar 1987. Es erkannte nunmehr einen Werbungskostenüberschuß von 12 097 DM an. Gegen diesen Änderungsbescheid legte der Kläger erfolglos Einspruch ein. Die Einspruchsentscheidung wurde bestandskräftig.
In der nachfolgenden mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) beantragte der Kläger, den Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens über den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für 1979 zu machen.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab und begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt:
Dem Kläger fehle für die Fortführung der gegen den ursprünglichen Steuerbescheid gerichteten Klage das Rechtsschutzinteresse. Der Änderungsbescheid des FA sei nach Erlaß der Einspruchsentscheidung bestandskräftig geworden, so daß der ursprüngliche Steuerbescheid keine Wirkung mehr entfalte und der Kläger deshalb nicht in seinen Rechten verletzt sei.
Der Antrag nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) könne keine verfahrensrechtliche Wirkung mehr haben, denn sein Regelungsbereich ende im Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung des § 68 FGO.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es hält den Antrag nach § 68 FGO wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben für unzulässig.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO).
Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil das FG zu Unrecht den Antrag nach § 68 FGO wegen der Bestandskraft des Änderungsbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung für wirkungslos erachtet hat.
Dem Antrag, den Änderungsbescheid zum Gegenstand des gegen den ursprünglichen Bescheid anhängigen Rechtsmittelverfahrens zu machen, steht der Erlaß einer Einspruchsentscheidung zum Änderungsbescheid nicht entgegen (vgl. das Senatsurteil vom 13.Februar 1990 IX R 334/87, BFHE 160, 295, BStBl II 1990, 694). Zwar soll § 68 FGO dem Steuerpflichtigen in erster Linie die Durchführung eines weiteren außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens ersparen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8.November 1971 GrS 9/70, BFHE 103, 549, BStBl II 1972, 219, und BFH-Urteil vom 20.November 1973 VII R 33/71, BFHE 111, 13, BStBl II 1974, 113 unter Nr.2), was hier nicht mehr möglich ist. Es entspricht jedoch dem Sinn und Zweck dieser Regelung und der Prozeßökonomie, mehrere Verfahren über ein und denselben Veranlagungszeitraum betreffende Bescheide möglichst zu vermeiden. Ist während des Rechtsstreits über den ursprünglichen Steuerbescheid zu dem Änderungsbescheid --wie hier-- eine Einspruchsentscheidung ergangen und hat sich der Sach- und Streitstand nicht verändert, erübrigt sich bei Anwendung des § 68 FGO die Durchführung eines weiteren Klageverfahrens über den Änderungsbescheid und ggf. ein weiteres Revisionsverfahren.
Der Wirksamkeit des Antrags nach § 68 FGO steht die Bestandskraft der Einspruchsentscheidung nicht entgegen. Der Antrag nach § 68 FGO ist nicht fristgebunden. Der Änderungsbescheid --auch der bestandskräftige-- kann bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung (bei Entscheidung ohne solche bis zur Beschlußfassung des Gerichts) zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemacht werden (Beschluß in BFHE 103, 549, BStBl II 1972, 219; BFH-Urteil vom 19.Juli 1972 I R 167/70, BFHE 106, 576, BStBl II 1972, 958; Senatsbeschluß vom 8.März 1985 IX R 60/83, nicht veröffentlicht, und Senatsurteil vom 16.September 1986 IX R 61/81, BFHE 148, 104, 108, BStBl II 1987, 435; BFH-Urteil vom 10.Juni 1988 III R 48/87, BFH/NV 1988, 778). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Änderungsbescheid nicht durch Verstreichenlassen der Einspruchsfrist (vgl. BFH in BFHE 103, 549, BStBl II 1972, 519), sondern deshalb bestandskräftig wird, weil der gegen ihn eingelegte Einspruch zurückgewiesen wird und der Steuerpflichtige es hierbei bewenden läßt. Bestandskräftig wird auch in diesem Fall der Änderungsbescheid - in der Gestalt, die er durch die Einspruchsentscheidung gefunden hat (vgl. § 44 Abs.2 FGO). Die Einspruchsentscheidung hat nicht die Rechtskraftwirkung eines gerichtlichen Urteils. Daß der Änderungsbescheid infolge des Ablaufs der Klagefrist bestandskräftig geworden ist, läßt keine andere Beurteilung zu. Der Antrag nach § 68 FGO ist ein gesetzlich geregelter Fall der Klageänderung. Das bedeutet, daß für die Klage gegen den ursprünglichen Bescheid grundsätzlich alle Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen müssen (vgl. Senatsurteil in BFHE 148, 104, BStBl II 1987, 435, m.w.N.), also auch die Klagefrist gegen den ursprünglichen Bescheid gewahrt sein muß. Auf die Einhaltung der Klagefrist gegen den Änderungsbescheid kommt es nicht an.
Der nach Ablauf der Klagefrist gegen den Änderungsbescheid gestellte Antrag nach § 68 FGO verstößt --entgegen der Auffassung des FA-- nicht gegen die Grundsätze von Treu und Glauben. Die bloße Ausschöpfung der dem Steuerpflichtigen zustehenden Rechte stellt keinen Rechtsmißbrauch durch illoyal verspätete Rechtsausübung dar. Dies gilt auch für den Streitfall, obgleich das FA den Kläger wiederholt auf die Möglichkeit hingewiesen hat, den Antrag nach § 68 FGO zu stellen.
Durch den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 15.September 1987 gestellten Antrag ist der Einkommensteuerbescheid für 1979 vom 5.Januar 1987 Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Die auf fehlendes Rechtsschutzinteresse des Klägers gestützte Klageabweisung war rechtsfehlerhaft.
Die Streitsache ist nicht spruchreif. Sie wird an das FG zurückverwiesen, damit dieses nunmehr in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht über das Begehren des Klägers auf Ansatz eines höheren Werbungskostenüberschusses bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung entscheidet.
Fundstellen
Haufe-Index 63236 |
BFH/NV 1990, 69 |
BStBl II 1990, 865 |
BFHE 160, 415 |
BFHE 1991, 415 |
BB 1990, 1763 (LT1) |
HFR 1990, 638 (LT) |
StE 1990, 317 (K) |