Leitsatz (amtlich)
Unter "Geschäften" im Sinne von § 108 Abs. 1 und 2 FlurbG vom 14. Juli 1953 (BGBl III 7815 - 1) sind nicht nur Rechtsgeschäfte, sondern auch tatsächliche Handlungen zu verstehen, die in unmittelbarer Erfüllung eines Rechtsgeschäftes vorgenommen werden.
Vorgänge, die eine Beförderungsteuerpflicht begründen, können "Geschäfte" im Sinne von § 108 FlurbG sein.
Es besteht kein Rechtsgrundsatz, wonach Steuerbefreiungsvorschriften eng auszulegen sind. Es
Normenkette
FlurBG § 108; BefStG § 1/1/1/b
Tatbestand
Streitig ist, ob bei Werkfernverkehr, der zur Anlieferung der Güter bei ihrem Abnehmer dient, die Vorschrift des § 108 Abs. 2 des Flurbereinigungsgesetzes (FlurbG) vom 14. Juli 1953 (BGBl 1953 I S. 591) anzuwenden ist.
Der Bf. lieferte im Werkfernverkehr Grenzsteine an Flurbereinigungsbehörden und Teilnehmergemeinschaften. Die Flurbereinigungsbehörden versicherten nach den Feststellungen des Finanzgerichts gemäß § 108 Abs. 2 FlurbG, daß es sich bei den Lieferungen um Geschäftsvorgänge handele, die der Durchführung der Flurbereinigung dienten. Der Bf. war daher der Auffassung, daß die Beförderung der Steine beförderungsteuerfrei sei. Er meldete deshalb diese Werkfernverkehrsfahrten nicht zur Versteuerung an. Das Finanzamt, das als Beförderungsteuerstelle der Oberfinanzdirektion anläßlich einer Betriebsprüfung von diesem Sachverhalt Kenntnis erlangte, stellte sich auf den Standpunkt, daß der Unternehmer in derartigen Fällen an die Teilnehmergemeinschaft unmittelbar nur eine Lieferung, aber keine Beförderungsleistung erbringe. Im Werkfernverkehr durchgeführte Beförderungen fielen daher nicht unter § 108 FlurbG. Zusammen mit weiteren - nicht streitigen - Beförderungen führte diese Rechtsansicht des Finanzamts für die Jahre 1954 bis 1957 zu einer Beförderungsteuer-Nachforderung von ... DM, wovon eine Steuer von ... DM auf Werkfernverkehrsfahrten zur Auslieferung von Grenzsteinen an Flurbereinigungsbehörden und Teilnehmergemeinschaften entfiel.
Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht führte in seiner in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 1961 Nr. 442 S. 385 wiedergegebenen Entscheidung im wesentlichen folgendes aus: Die Beförderungsteuer werde durch den tatsächlichen innerbetrieblichen Vorgang der Beförderung begründet. Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift des § 108 FlurbG, die auf § 139 der Reichsumlegungsordnung (RUO) vom 16. Juni 1937 (RGBl 1937 I S. 629) zurückgehe, und aus der Gegenüberstellung der Begriffe "Geschäfte" und "Verhandlungen" folge, daß durch § 108 FlurBG nur rechtsgeschäftliche Vorgänge erfaßt werden. Bei der gebotenen engen Auslegung von Ausnahmevorschriften seien im Streitfall die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nicht erfüllt, zumal keine Gründe für die Annahme vorlägen, daß der Gesetzgeber auch Vorgänge begünstigen wollte, die nur den Zwecken der Unternehmer dienen, die für die Flurbereinigung Waren liefern oder Leistungen erbringen. Im übrigen sei auch die Nachprüfung der Voraussetzungen der Befreiungsvorschrift durch das Finanzamt nicht zu beanstanden, da das Finanzamt nur an die Bescheinigung der Zweckdienlichkeit des bescheinigten Vorgangs für die Flurbereinigung, nicht aber an die rechtliche Würdigung der Voraussetzungen der Befreiungsvorschrift durch die Flurbereinigungsbehörden gebunden sei. Schließlich verstoße die Nachforderung der Steuer auch nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, da der Bf. sich für die Frage, ob ein Beförderungsvorgang steuerfrei sei, nicht auf die Auskunft einer anderen als einer Finanzbehörde verlassen dürfe.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist begründet.
Wie auch der Bf. nicht bestreitet, besteht die Steuerforderung zu Recht, wenn im Streitfall nicht auf Grund von § 108 FlurbG Steuerfreiheit zu gewähren ist. Nach Abs. 2 der Vorschrift ist u. a. die Steuerfreiheit von der zuständigen Behörde ohne Nachprüfung anzuerkennen, wenn die Flurbereinigungsbehörde versichert, daß ein Geschäft oder eine Verhandlung der Durchführung der Flurbereinigung dient.
Nach der ständigen Rechtsprechung von Reichsfinanzhof und Bundesfinanzhof zu der ähnlich lautenden Bestimmung des § 29 Abs. 2 des Reichssiedlungsgesetzes - RSiedlG - (BGBl III 2331 - 1) bindet eine nach § 29 Abs. 2 RSiedlG abgegebene Versicherung die Finanzbehörden nur in tatsächlicher, nicht auch in rechtlicher Hinsicht (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs II 201/51 S vom 2. November 1951, BStBl 1951 III S. 234, Slg. Bd. 55 S. 578; V 31/53 S vom 26. November 1953, BStBl 1954 III S. 43, Slg. Bd. 58 S. 341; II 84/57 U vom 17. Dezember 1958, BStBl 1959 III S. 100, Slg. Bd. 68 S. 255; II 16/56 vom 6. Juli 1960, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1961 Nr. 34 S. 32; II 30/59 U vom 14. Dezember 1960, BStBl 1961 III S. 105, Slg. Bd. 72 S. 281, und III 64/60 vom 16. November 1962, HFR 1963 Nr. 341 S. 357). Dies gilt auch für die hier zu beurteilende Vorschrift des § 108 FlurbG. Wenn in den Versicherungen der zuständigen Behörde bescheinigt ist, daß die Lieferung von Grenzsteinen zur Durchführung der Flurbereinigung dient, so kann daher von den Finanzbehörden, wie das Finanzgericht nicht verkannt hat, nicht mehr selbständig geprüft werden, ob die Steine geliefert worden sind und ob sie unmittelbar der Flurbereinigung dienten. Dagegen haben die Finanzverwaltungsbehörden und Steuergerichte u. a. darüber zu befinden, ob die Bescheinigungen über die Lieferungen der Flursteine die Beförderungsvorgänge mitumfassen und ob diese Vorgänge gegebenenfalls Geschäfte oder Verhandlungen im Sinne von § 108 Abs. 2 FlurbG darstellen. Den Akten und den Feststellungen des Finanzgerichts ist der Wortlaut der Bescheinigungen nicht zu entnehmen. Da ohne diese Kenntnis nicht entschieden werden kann, ob die Bescheinigungen die Beförderungsvorgänge mitumfassen, mußte die Vorentscheidung wegen mangelnder Sachaufklärung aufgehoben werden.
Die Sache ist spruchreif. Auf Grund der dem Senat nunmehr zustehenden Möglichkeit zur selbständigen Beweiserhebung hat der Vorsitzende des Senats von dem Bf. einige Bescheinigungen angefordert. Aus diesen, im Wortlaut im wesentlichen übereinstimmenden Versicherungen des Vorstehers des zuständigen Amtes für Flurbereinigung und Siedlung ergibt sich, daß der Zweckdienlichkeit der Lieferung "frei vorgenannter Flurbereinigung für ... Stück Hartbasaltlava-Grenzsteine" bescheinigt worden ist. Aus der Wendung "frei vorgenannter Flurbereinigung" in den Rechnungen an die Teilnehmergemeinschaften folgt, daß der Bf. vertraglich verpflichtet war, die Steine der Teilnehmergemeinschaft nicht nur zu übereignen, sondern sie auch anzuliefern. Die Bescheinigungen umfassen somit auch die Beförderungsvorgänge.
Die Befreiungsvorschrift ist daher im Streitfall anzuwenden, falls der Gegenstand der Besteuerung im Beförderungsteuerrecht als Geschäft im Sinne des § 108 Abs. 1 FlurbG anzusehen ist.
Gegenstand der Besteuerung nach den hier maßgebenden Beförderungsteuergesetzen von 1926 und 1955 ist der Beförderungsvorgang unter den vom Gesetz näher bestimmten Voraussetzungen, nicht etwa der Beförderungsvertrag. Derartige tatsächliche Vorgänge können ein Geschäft im Sinne der Befreiungsvorschrift darstellen. Der Auffassung der Vorinstanz, daß unter einem Geschäft nur Rechtsgeschäfte, Rechtsvorgänge und rechtsgeschäftliche Handlungen zu verstehen seien, kann nicht gefolgt werden. Hätte der Gesetzgeber den Kreis der begünstigten Vorgänge so stark einengen wollen, so hätte er dafür mit Sicherheit den im juristischen Sprachgebrauch allgemein üblichen Begriff des "Rechtsgeschäfts" verwendet. Daß er diesen bekannten Begriff nicht gebrauchte, sondern statt dessen den in der juristischen Terminologie wenig gebräuchlichen Begriff des "Geschäfts" verwendet hat, spricht nach der überzeugung des Senats dafür, daß nicht nur rechtsgeschäftliche Vorgänge, sondern auch sonstige Vorgänge, die eine Steuerpflicht begründen, in den Genuß der Steuerfreiheit kommen sollen.
Das Finanzgericht ist möglicherweise deshalb zu seiner die Steuerpflicht bejahenden Entscheidung gekommen, weil es rechtsirrtümlich angenommen hat, Ausnahmebestimmungen seien eng auszulegen. Schon der Reichsfinanzhof hat im Urteil II 11/44 vom 23. November 1944 (inhaltlich insoweit wiedergegeben von Kluckhohn in Rechts- und Wirtschaftspraxis-Blattei - Forkel-Verlag -, 14 Steuer-R D Kapitalverkehrsteuer VII (A) I, 2 im vorletzten Absatz) ausgesprochen, daß die Befreiungsvorschriften Teile der Steuergesetze sind; bei ihrer Auslegung sind daher, wie auch sonst, der Zweck und die wirtschaftliche Bedeutung zu berücksichtigen. Diese beiden Gesichtspunkte sind daher mit maßgebend für die Entscheidung der Frage, ob eine Befreiungsvorschrift eng oder weit auszulegen ist, wobei allerdings einer einengenden Auslegung Schranken durch den notwendigen Schutz des Vertrauens des Staatsbürgers auf den Wortlaut des Gesetzes gesetzt sind.
Bei Anwendung dieser Grundsätze besteht keine Veranlassung, alle Beförderungsvorgänge von der Steuerbefreiung auszunehmen, wie es geschehen müßte, wenn unter "Geschäften" nur rechtsgeschäftliche Vorgänge verstanden werden könnten. Das Finanzgericht hat, von seinem Standpunkt aus nicht ganz folgerichtig, zu erkennen gegeben, daß es in Fällen, in denen die Beförderungen auf Grund eines Vertrages mit einem Dritten im Güterfernverkehr ausgeführt werden, die Anwendung der Befreiungsvorschrift nicht für ausgeschlossen hält, da die Beförderungen in diesen Fällen auf Grund eines Rechtsgeschäftes ausgeführt werden. Dieser Meinung ist zuzustimmen. Das gleiche gilt aber auch, wenn ein Unternehmer sich der Teilnehmergemeinschaft oder der zuständigen Behörde gegenüber vertraglich außer zur Lieferung oder Leistung auch zu einer Beförderung der der Flurbereinigung dienenden Gegenstände verpflichtet. Dagegen kann für rein tatsächliche, innerbetriebliche Vorgänge die Steuerbefreiung nicht gewährt werden, denn der Begriff "Geschäft" besagt, daß nur solche Lieferungen, Leistungen oder sonstige Handlungen von der Steuer befreit sein sollen, die entweder selbst ein Rechtsgeschäfts darstellen oder die in Erfüllung von solchen rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen ausgeführt werden, die unmittelbar der Flurbereinigung dienen. Beförderungen, die auf Grund einer der Teilnehmergemeinschaft oder Flurbereinigungsbehörde gegenüber eingegangenen Verpflichtung zur Beförderung bestellter Gegenstände ausgeführt werden, sind aber entgegen der Ansicht der Vorinstanz keine rein innerbetrieblichen Vorgänge. In derartigen Fällen beruht die Beförderung nämlich nicht nur auf einer nur internen Anordnung, sondern sie erfolgt - und zwar unmittelbar - in Erfüllung eines Rechtsgeschäfts, das der Flurbereinigung dient. Da nicht bezweifelt werden kann, daß die Grenzsteine zur Durchführung der Flurbereinigung erforderlich sind und daß diese Steine, um ihren Zweck erfüllen zu können, auf den der Flurbereinigung unterworfenen Grund und Boden gebracht werden müssen, hat auch die Beförderung der Grenzsteine unmittelbar der Flurbereinigung gedient.
Nach alledem war der Bf. von der nachgeforderten Beförderungsteuer, soweit sie auf die oben erwähnten Beförderungen entfällt, freizustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 411273 |
BStBl III 1964, 446 |
BFHE 1964, 579 |