Leitsatz (amtlich)
1. Die Abfertigung eines Kraftfahrzeugs zur vorübergehenden Zollgutverwendung stellt keine Bewilligungsverfügung im Sinn von § 96 AO oder von § 55 Abs. 2 ZG dar.
2. Ist zu entscheiden, ob ein im Ausland beheimatetes Kraftfahrzeug entgegen der vom BdF ausgesprochenen allgemeinen Bewilligung nicht vorübergehend im Zollgebiet verwendet wurde, kann es nicht dahingestellt bleiben, ob die Person, für denn Beförderung es verwendet wurde, Ihren gewöhnlichen Wohnort im Zollgebiet hat.
Normenkette
ZG § 55 Abs. 7-8, § 58 Abs. 1 S. 2; AZO § 64; BdF-Erlaß vom 18. April 1963 (BZBl 1963, 305) Abschn. A I 1 (nunmehr Zoll-DA Anhang 24 Abschn. A I 1, II 1 e)
Tatbestand
Der Kläger, ein britischer Staatsangehöriger, ist seit 24. Juli 1952 in Berlin-West polizeilich gemeldet und hat seit 1954 eine Wohnung und Büroräume in einer gemieteten Villa in Berlin. Am 28. Juni 1963 reiste er mit einem in England zugelassenen PKW Jaguar über das Zollamt (ZA) Emmerich in die Bundesrepublik Deutschland (BRD) ein. Der PKW gehörte nach seinen Angaben dem englischen Unternehmen, bei dem er beschäftigt war. Das Hauptzollamt (HZA) – Beklagter – forderte vom Kläger die Eingangsabgaben für den PKW mit der Begründung, daß der PKW für Inlandsfahrten und daher zweckwidrig verwendet worden sei, und berief sich hierzu auf den Erlaß des Bundesministers der Finanzen (BdF) vom 18. April 1963 (BZBl 1963, 305). Der Einspruch blieb erfolglos.
Mit der Berufung machte der Kläger geltend, daß er den PKW nur vorübergehend im Zollgebiet, sonst aber ständig auf Reisen außerhalb des Zollgebiets verwendet habe. In Berlin habe er sich auf Durchreisen nur kurzfristig aufgehalten. Die vorübergehende Verwendung von Zollgut könne nicht danach gemessen werden, ob ein Ausländer in Deutschland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die maßgebenden Zollvorschriften seien auf das Zollgut und nicht auf die Person des Zollbeteiligten abgestellt. Auch die Höhe der Eingangsabgaben sei nicht gerechtfertigt, weil der PKW bei der Einfuhr bereits stark abgenutzt gewesen sei, das HZA aber den Zollwert nach dem Neuwert des PKW festgestellt habe.
Die Berufung hatte Erfolg. Die Vorinstanz führte aus, daß der PKW bei der Einreise zur vorübergehenden Zollgutverwendung abgefertigt worden sei. Dadurch sei verbindlich festgestellt worden, daß die Voraussetzungen hierfür gegeben waren, wobei es unerheblich sei, ob dem Abfertigungsbeamten die genauen Einzelheiten der tatsächlichen Verhältnisse damals bekannt waren.
Mit der nunmehr als Revision zu behandelnden Rechtsbeschwerde macht das HZA geltend, die Vorinstanz verkenne, daß § 24 Abs. 1 Nr. 4 ZG noch nicht die Abgabenfreiheit regle, sondern lediglich den BdF ermächtige, durch Rechtsverordnung eine Regelung über die Zollfreiheit zu treffen. Ob im Ausland beheimatete Kraftfahrzeuge vorübergehend zollfrei im Zollgebiet verwendet werden dürfen, könne daher nur aus § 64 der Allgemeinen Zollordnung (AZO) entnommen werden. Danach reiche aber die Tatsache, daß Zollgut vorübergehend im Zollgebiet verwendet und später wieder ausgeführt werden solle, nicht für die Anerkennung der Zollfreiheit aus. Es sei auch erforderlich, daß das Zollgut unter zollamtlicher Überwachung im Zollgebiet verwendet werde. Die Voraussetzungen der Zollfreiheit seien auch nicht, wie die Vorinstanz meine, bereits dann gegeben, wenn das Zollgut zu einem Verwendungsverkehr abgefertigt worden sei. Dies ergebe sich aus § 55 Abs. 2 in Verbindung mit § 58 Abs. 1 Satz 2 ZG. Danach bedürfe die Zollgutverwendung der Bewilligung. Liege diese nicht vor und werde nicht zollfreies Zollgut dennoch zur Zollgutverwendung abgefertigt, so entstehe für dieses Zollgut gemäß § 68 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Nr. 2 ZG eine Zollschuld.
Der dem Verfahren beigetretene BdF beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er regt an, zu prüfen, ob der Vorsteher des HZA berechtigt sei, Rechtsmittel einzulegen. Eine Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Art. 20 Abs. 2 und 3 und Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) sei beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) unter dem Aktenzeichen 2 BvL 10/64 anhängig.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg.
1. Die Bedenken des Klägers hinsichtlich der Befugnis des HZA-Vorstehers, Rechtsmittel einzulegen, erscheinen dem Senat nicht begründet. Angesichts der engen Verknüpfung seines Amtes mit seiner Befugnis, das HZA zu vertreten, kann es nicht zweifelhaft sein, daß prozessuale Erklärungen, welche er in einem finanzgerichtlichen Verfahren unter der Bezeichnung seiner amtlichen Stellung abgibt, namens des von ihm geleiteten HZA und kraft seiner gesetzlichen Vertretungsmacht erfolgen sollen.
2. Die Vorinstanz hat bereits die Abfertigung des PKW zur vorübergehenden Zollgutverwendung als eine endgültige Entscheidung des ZA über die Zollfreiheit angesehen, an die die Verwaltung gebunden sei. Diese Auffassung der Vorinstanz ist nicht frei von Rechtsirrtum. Die Abfertigung zur vorübergehenden Zollgutverwendung stellt wie jede Zollabfertigung keine Bewilligungverfügung im Sinn von § 96 AO oder im Sinn von § 55 Abs. 2 ZG dar, weil sie nicht konstitutiv wirkt und der Abfertigungsbefund nur deklaratorisch ist (siehe Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – VII 141/61 vom 14. Mai 1963, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1964 S. 63 – HFR 1964, 63 –). Nimmt der Abfertigungsbeamte bei der Abfertigung irrigerweise an, die Voraussetzungen einer bewilligten vorübergehenden Zollgutverwendung lägen vor, und fertigt er die Ware zu diesem besonderen Zollverkehr ab, so hat dies die Folge, daß auf Grund der besonderen Regelung in § 58 Abs. 1 Satz 2 ZG mit der Überlassung des Zollguts die Zollschuld entsteht, wie wenn die Ware zum freien Verkehr abgefertigt worden wäre und das Zollgut vor der Bekanntgabe des Zollbescheids nach § 38 Abs. 2 ZG freigegeben worden wäre.
Die Vergünstigung der zollfreien vorübergehenden Verwendung eingeführter Waren ist in § 24 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ZG in Verbindung mit § 64 AZO gergelt. Danach sind Waren nur dann zollfrei, wenn sie unter zollamtlicher Überwachung im Zollgebiet vorübergehend verwendet und dann wieder ausgeführt werden. Die zollamtliche Überwachung wird dadurch sichergestellt, daß die Waren zu einem Zollgutverwendungsverkehr abgefertigt werden müssen. Unter welchen Voraussetzungen Zollgut im Zollgutverwendungsverkehr mit der Folge der Zollfreiheit verwendet werden darf, ist im § 55 ZG in Verbindung mit §§ 117 ff. AZO geregelt. Nach § 55 Abs. 2 ZG bedarf jede Zollgutverwendung einer Bewilligung der zuständigen Zollbehörde im Einzelfall oder des BdF im allgemeinen. Für den Streitfall kommt nur die allgemeine Bewilligung durch den BdF-Erlaß vom 18. April 1963 (BZBl 1963, 305) in Betracht. Für eine besondere Bewilligung etwa seitens des Abfertigungsbeamten ist daneben kein Raum, da in § 117 Abs. 1 AZO bestimmt ist, daß nur der BdF die vorübergehende Verwendung bewilligen kann, und in dem vorgenannten BdF-Erlaß von dieser Befugnis auch Gebrauch gemacht wurde. Im Abwinken des Beamten kann schon deshalb keine Einzelbewilligung liegen, weil eine solche nur schriftlich erteilt werden kann (§ 117 Abs. 3 AZO).
In Abschn. A I 1 dieses Erlasses ist die vorübergehende Verwendung allgemein für außerhalb des Zollgebiets beheimatete Kraftfahrzeuge bewilligt, die dazu verwendet werden, Personen oder Waren im grenzüberschreitenden Verkehr zu befördern (Abs. a) oder Personen zu befördern, die ihren gewöhnlichen Wohnort (Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen) nicht im Zollgebiet haben (Abs. b). Diese Bewilligung schränkt die materielle Vorschrift über die Zollfreiheit in § 64 AZO nicht in unzulässiger Weise ein. Denn nach § 64 AZO können Waren im Zollgebiet nur unter zollamtlicher Überwachung vorübergehend verwendet und danach wieder ausgeführt werden, soweit die Verwendung wesentliche Vorteile für den Verwender erwarten läßt und Nachteile für andere durch den Zoll geschützte Wirtschaftskreise nicht zu befürchten sind oder sowiet die Vorteile gegenüber den Nachteilen erheblich überwiegen. Wird ein ausländisches Kraftfahrzeug im Zollgebiet von einer Person verwendet, die im Zollgebiet den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat, so ist die Annahme nicht von der Hand zu weisen und daher sachgerecht, daß der inländische Verwender das Kraftfahrzeug nicht nur vorübergehend verwendet und daß zu befürchten ist, daß die unverzollte Verwendung des ausländischen PKW andere Inländer, welche gleichartige ausländische Fahrzeuge verzollen müssen, und auch die inländische Autoindustrie, die durch den Zoll geschützt werden soll, im Wettbewerb benachteiligen kann. Da es dem Zollbeteiligten unbenommen bleibt, eine Einzelbewilligung zu beantragen, ist bei der für den Streitfall in Betracht kommenden allgemeinen Bewilligung ein Mißbrauch zur Durchsetzung sachfremder oder auf gesetzlichem Wege nicht erreichbarer Zwecke nicht zu befürchten (siehe Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts I, 9. Aufl. 1966, S. 209). Die Einrichtung der allgemeinen Bewilligung hat lediglich den Zweck, viele Einzelbewilligungen und damit verbundene förmliche Abfertigungen zu vermeiden und eine solche dann als erteilt anzunehmen, wenn die in der Bewilligung geforderten Voraussetzungen vorliegen.
Nimmt der Abfertigungsbeamte dann, wenn keine Einzelbewilligung vorgelegt wird, auf Grund der äußeren Umstände, wie im Streitfall auf Grund des ausländischen Kennzeichens, an, daß die Voraussetzungen der allgemeinen Bewilligung vorliegen, und fertigt er den PKW in der Weise formlos zur vorübergehenden Zollgutverwendung ab, daß er ihn ohne weitere Abfertigungshandlungen etwa durch bloßes Abwinken passieren läßt, so liegt darin eine fehlerhafte Abfertigung, wenn die Voraussetzungen der Bewilligung nicht gegeben sind. Dies hat die zollschuldrechtliche Wirkung, daß die Zollschuld nach § 58 Abs. 1 Satz 2 ZG entsteht. Für die Entscheidung, ob die Anforderung der Eingangsabgaben im Streitfall rechtmäßig war, kommt es daher darauf an, festzustellen, ob der Kläger im einschlägigen Zeitraum seinen gewöhnlichen Wohnort im Zollgebiet hatte.
Diese Feststellung ist nicht etwa deshalb entbehrlich, weil auch eine Zollschuld nach § 55 Abs. 8 Satz 1 ZG entstanden sein kann, wie dies vom ZA im Steuerbescheid angenommen wurde. Eine zweckwidrige Verwendung des PKW im Sinn von § 55 Abs. 7 Satz 1 ZG läge nur dann vor, wenn dessen vorübergehende Verwendung durch Abs. a der allgemeinen Bewilligung nach § 117 Abs. 1 AZO gedeckt gewesen wäre und der PKW entgegen der Bewilligung verwendet worden wäre. Dies wäre der Fall gewesen, wenn der PKW zur Beförderung von Personen oder Waren im grenzüberschreitenden Verkehr hätte dienen sollen, aber für Fahrten im Inland benutzt worden wäre. Ein solcher Sachverhalt ist aber weder vom Kläger behauptet noch von der Vorinstanz festgestellt worden. Da der Kläger seit 1952 in Berlin polizeilich gemeldet ist und seit 1954 dort eine Villa für Wohn- und Bürozwecke gemietet hat, dürfte ein grenzüberschreitender Verkehr bei einem Grenzübergang in Emmerich nur ausnahmsweise in Betracht kommen. In diesem Fall hätte der PKW allenfalls vom Kläger für die Fahrt nach Berlin benutzt werden dürfen und ohne jede weitere Verwendung im Inland wieder ausgeführt werden müssen, wenn der Kläger seinen gewöhnlichen Wohnort in Berlin haben sollte. Eine darüber hinausgehende Verwendung des PKW im Inland würde nur dann keine Zollschuld zur Folge haben, wenn der Kläger seinen gewöhnlichen Wohnort nicht im Zollgebiet hat. Denn dann ist die Verwendung des Kraftfahrzeugs nach Abs. b allgemein bewilligt. Dient demnach ein im Ausland beheimatetes Kraftfahrzeug der Beförderung einer Person, die ihren gewöhnlichen Wohnort nicht im Zollgebiet hat, so kommt es nicht mehr darauf an, ob das Kraftfahrzeug im grenzüberschreitenden Verkehr oder darüber hinaus auch im Inland verwendet wird. Hat diese Person jedoch ihren gewöhnlichen Wohnort im Zollgebiet, so kann das Kraftfahrzeug nur im grenzüberschreitenden Verkehr nach Abs. a der allgemeinen Bewilligung verwendet werden. Zur Entscheidung der Frage, ob ein im Ausland beheimatetes Kraftfahrzeug entgegen der allgemeinen Bewilligung nicht vorübergehend im Zollgebiet verwendet wurde, kann es daher nicht dahingestellt bleiben, ob die Person, für deren Beförderung es verwendet wurde, ihren gewöhnlichen Wohnort im Zollgebiet hat. Dies gebieten auch die verschiedenen zollschuldrechtlichen Folgen; Wird das (im Ausland beheimatete) Kraftfahrzeug zur Beförderung einer Person mit gewöhnlichem Wohnort im Zollgebiet verwendet, so entsteht die Zollschuld bereits bei der erstmaligen Grenzabfertigung nach § 58 Abs. 1 Satz 2 ZG, weil es zu einem nicht bewilligten besonderen Zollverkehr abgefertigt worden ist. Dient jedoch das Kraftfahrzeug der Beförderung von Personen im grenzüberschreitenden Verkehr, gleich ob sie ihren gewöhnlichen Wohnort im Zollgebiet haben oder nicht, so ist erst die darüber hinausgehende Verwendung im Zollgebiet zweckwidrig im Sinne von § 55 Abs. 7 Satz 1 ZG, so daß die Zollschuld nach § 55 Abs. 8 Satz 1 ZG entsteht. Eine solche Verwendung ist jedoch wiederum dann nicht zweckwidrig, wenn die betreffende Person ihren gewöhnlichen Wohnort im Zollausland hat.
3. Da die Vorinstanz es infolge ihrer abweichenden Rechtsauffassung unterlassen hat, Feststellungen über den gewöhnlichen Wohnort des Klägers zu treffen, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache war an das FG zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Ermittlungen nachholt und unter Beachtung der vorstehenden rechtlichen Beurteilung erneut entscheidet. Für den Fall, daß eine Eingangsabgabenschuld entstanden ist, wird die Vorinstanz auch noch zu prüfen haben, ob das ZA bei der Feststellung des Zollwerts berücksichtigt hat, daß es sich um ein gebrauchtes Fahrzeug gehandelt hat. Die Angabe im Steuerbescheid „geschätzt nach § 217 AO anhand von Marktberichten” deutet darauf hin, daß das ZA den Neuwert angenommen hat, obwohl es den PKW als gebraucht bezeichnet hat.
Fundstellen
Haufe-Index 514758 |
BFHE 1969, 243 |