Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur einkommensteuerlichen Behandlung Verschollener in der Zeit bis zur Rechtskraft des Beschlusses über den Todestag.
Normenkette
StAnpG § 3 Abs. 4
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin (Bfin.) ist eine KG, an der drei persönlich haftende Gesellschafter beteiligt sind. Einer von diesen Gesellschaftern ist seit dem letzten Krieg verschollen. Er wurde im Aufgebotsverfahren für tot erklärt. Hierbei wurde der 31. Dezember 1945 als Zeitpunkt des Todes festgestellt. Der dies aussprechende Beschluß wurde am 11. Februar 1953 rechtskräftig.
Bei der KG fand eine Betriebsprüfung statt. Auf Grund dieser Betriebsprüfung wurden für die Streitjahre (1946 bis 1951) Berichtigungsbescheide erlassen. Gegenstand der Rechtsbeschwerde ist folgende Frage.
Gemäß § 3 Abs. 4 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) gilt bei Verschollenen, soweit es sich um Entstehung, Umfang und Beendigung einer Steuerschuld handelt, der Tag als Todestag, mit dessen Ablauf das Ausschlußurteil rechtskräftig wird. Es handelt sich um die Auslegung dieser Vorschrift. In dem Gesellschaftsvertrag der Bfin. vom 23. Dezember 1935 ist nach ihrer Darstellung im Berufungsverfahren in § 5 bestimmt, daß durch den Tod eines Gesellschafters die Gesellschaft nicht aufgelöst wird. Die Einlagen des verstorbenen Gesellschafters werden von den übrigen Gesellschaftern übernommen. Die Erben des verstorbenen Gesellschafters haben lediglich das Recht, den auf die Einlage des verstorbenen Gesellschafters entfallenden Betrag als Barzahlung zu verlangen. Sie haben nicht das Recht, an Stelle des verstorbenen Gesellschafters in die Gesellschaft einzutreten.
Nach Ansicht der KG ist deshalb der verschollene, nunmehr für tot erklärte Gesellschafter mit Wirkung vom 31. Dezember 1945 aus der KG ausgeschieden. Sein Kapitalanteil stellt nach ihrer Ansicht lediglich ein Darlehen dar, das zu verzinsen ist.
Im Gegensatz dazu sind das Finanzamt und das Finanzgericht der Ansicht, daß bis zur Rechtskraft der Todeserklärung steuerlich der Verschollene als Gesellschafter der KG zu behandeln sei. Die einheitlichen Gewinnfeststellungen wurden entsprechend durchgeführt. Das Finanzgericht stützt sich bei seiner Auffassung auch auf das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 305/53 U vom 17. Dezember 1953, Slg. Bd. 58 S. 435, Bundessteuerblatt (BStBl) 1954 III S. 78. Der Verschollene solle steuerlich bis zur Rechtskraft des Beschlusses so angesehen werden, als lebte er noch. Wollte man den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften folgen, müßten die bei Erlaß des Todeserklärungsbeschlusses längst erledigten Steuerfälle wieder aufgerollt werden. Oftmals wäre aber das Wiederaufrollen eines Steuerfalles im Ergebnis nicht mehr möglich, zumal bei der allgemeinen Verschollenheit nach dem Verschollenheitsgesetz eine Todeserklärung überhaupt erst frühestens nach 10jähriger Verschollenheit zulässig sei.
Die Rechtsbeschwerde vertritt die Ansicht, daß § 3 Abs. 4 StAnpG lediglich in subjektiver Hinsicht unterstelle, daß der Verschollene bis zur Rechtskraft der Todeserklärung noch gelebt habe. Unberührt blieben die sachlichen Auswirkungen der Todeserklärung. Dem steuerlichen Tatbestand müsse der durch das bürgerliche Recht geschaffene Tatbestand zugrunde gelegt werden. Im Streitfalle sei der Verschollene bürgerlich-rechtlich mit Wirkung vom 31. Dezember 1945 als Gesellschafter ausgeschieden. Seine Witwe sei Darlehnsgläubigerin geworden.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Rechtsbeschwerde ergibt folgendes:
Das Steuerrecht unterstellt, daß der Verschollene erst mit Rechtskraft der Todeserklärung verstorben ist. Es erkennt also die Rückwirkung der Todeserklärung nach dem bürgerlichen Recht nicht an. Das hat aber nicht nur Bedeutung hinsichtlich der Lebensvermutung des Verschollenen, sondern auch hinsichtlich des Tatbestandes, der der Berechnung seines Einkommens bis zum Zeitpunkt des nach § 3 Abs. 4 StAnpG angenommenen Todestages unterstellt wird. Es wird bis zur Rechtskraft der Todeserklärung der Veranlagung der Tatbestand zugrunde gelegt, wie er von dem Verschollenen, d. h. von seinem Vertreter in der Zeit der Verschollenheit tatsächlich gestaltet worden ist, wobei stets davon auszugehen ist, daß diese Einkünfte vom Verschollenen, nicht von seinen Erben bezogen werden. Wurde also im vorliegenden Falle der Verschollene in der Zeit der Verschollenheit noch als Gesellschafter betrachtet, sind also keinerlei neue Vereinbarungen als Auswirkung der Verschollenheit von dem Vertreter des Verschollenen und den übrigen Gesellschaftern in der Zeit bis zur Rechtswirksamkeit der Todeserklärung getroffen worden, so wird steuerlich der Verschollene in diesen Veranlagungsabschnitten als Gesellschafter angesehen. Es soll in der Zeit bis zur Rechtskraft der Todeserklärung der Veranlagung der Tatbestand zugrunde gelegt werden, wie er tatsächlich gegeben war. Hat der Vertreter des Verschollenen in der Zeit der Verschollenheit mit den übrigen Gesellschaftern vertragliche Vereinbarungen getroffen, die der Tatsache der Verschollenheit Rechnung tragen, etwa dahingehend, daß die Mitunternehmerschaft in ein Darlehen umgewandelt wird, so ist dieser neu geschaffene Tatbestand mit Wirkung für die Zukunft bei der Veranlagung zu beachten, jedoch mit der Unterstellung, daß der Verschollene steuerlich noch gelebt hat und Bezieher der jeweiligen Einkünfte gewesen ist.
Außer Betracht bleiben vertragliche Vereinbarungen, deren Wirkung von der Rechtskraft der Todeserklärung abhängt, wie dies im Streitfalle bei den Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag von 1935 hinsichtlich der Folgen des Todes eines Gesellschafters der Fall ist. Derartige Vereinbarungen wirken steuerlich erst von dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Todeserklärung ab, sie wirken also nicht zurück. Es ist eine ähnliche Rechtslage gegeben wie bei Verträgen, die bürgerlich-rechtlich mit Rückwirkung geschlossen werden. Siehe hierzu im einzelnen Reichsabgabenordnung, Komm. von Hübschmann-Hepp-Spitaler, StAnpG § 3 Anm. 4, sowie die Entscheidungen des Reichsfinanzhofs VI A 181/32 vom 20. April 1932, Reichssteuerblatt (RStBl) 1932 S. 1063; I A 68/32 vom 18. April 1934, Slg. Bd. 36 S. 64, RStBl 1934 S. 840; I A 106/31 vom 15. Mai 1934, RStBl 1934 S. 835. Siehe auch § 49 Abs. 1 des Verschollenheitsgesetzes.
Die Auswirkungen der Todeserklärung, insbesondere die bürgerlich-rechtlichen Folgen sind ein steuerlicher Tatbestand des Jahres 1953. Sie können für dieses Jahr zu Gewinnen und Verlusten führen. Die Regelung in § 3 Abs. 4 StAnpG hat also zur Folge, daß als Auswirkung der Todeserklärung weder rechtskräftige Veranlagungen neu aufzurollen sind, noch der Tatbestand verschieden zu beurteilen ist, je nachdem Veranlagungen vor oder nach der rechtskräftigen Todeserklärung durchgeführt werden.
Es besteht die Möglichkeit, daß das Finanzgericht bei seiner Würdigung der Tatsache der Verschollenheit in Verbindung mit § 3 Abs. 4 StAnpG von abweichenden Auffassungen ausgegangen ist. Die Vorentscheidung wird deshalb aufgehoben und die Sache an das Finanzamt zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 408546 |
BStBl III 1956, 310 |
BFHE 1957, 296 |
BFHE 63, 296 |