Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendbarkeit der NacherhebungsVO - Voraussetzungen der Anrechnung von aus einem offenen Zollager entnommenen Waren auf einen Plafond - Verhältnis von Präferenzzollsatz und Drittlandszollsatz im Zeitpunkt der Auslagerung von Waren aus einem offenen Zollager - Tatsachenfeststellung durch Bezugnahme auf Akteninhalt
Leitsatz (amtlich)
1. Wird eine nach § 46 Abs.3 Satz 3 ZG abgegebene Zahlungsanmeldung von der Zollstelle nicht unbeanstandet übernommen, so handelt es sich bei dem darauf erlassenen Zollbescheid um die erstmalige Festsetzung des Zolls; Art.2 Abs.1 Satz 1 NacherhebungsVO ist nicht anwendbar.
2. Zu den Zollvorschriften in § 45 Abs.6 Satz 4 ZG gehören auch die Bestimmungen über die Zollsätze. Ein im Zeitpunkt der Auslagerung einer Ware aus einem offenen Zollager gültiger Präferenzzollsatz verdrängt als speziellere Regelung den Drittlandszollsatz nur dann, wenn der Zollbeteiligte alle Voraussetzungen für dessen Inanspruchnahme erfüllt hat.
3. Die Anrechnung auf Kontingente oder Plafonds setzt nach den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts regelmäßig die Mitwirkung einer Zollstelle voraus. Es ist daher sachgerecht und mit den Vorgaben und Zielen des Gemeinschaftsrechts vereinbar, daß der nationale Gesetzgeber für die Anrechnung von aus einem offenen Zollager entnommenen Waren auf einen Plafond den Zeitpunkt der Abgabe einer schriftlichen Meldung bei der Zollstelle als maßgeblich bestimmt hat.
Orientierungssatz
1. Nach Art. 2 Abs. 1 NacherhebungsVO sind Eingangsabgaben nachzuerheben, die für solche Waren zu Unrecht nicht angefordert worden sind, "die zu einem Zollverfahren angemeldet wurden, das die Verpflichtung zur Zahlung derartiger Abgaben beinhaltet". Unter Anmeldung zu einem Zollverfahren ist nicht die "Zollanmeldung" im technischen Sinne des deutschen Zollrechts zu verstehen. Vielmehr ist nach Sinn und Zweck der NacherhebungsVO eine "unzulängliche Abgabenerhebung nachträglich zu heilen; die Abgaben sind dabei für davon betroffene Waren nachzuerheben (vgl. BFH-Urteil vom 3.5.1990 VII R 71/88)
2. Die Aufhebung eines Präferenzzollsatzes wegen Erschöpfung eines zolltarifären Plafonds bewirkt lediglich den Wegfall einer speziellen Zollsatzregelung, mit der Folge, daß dann auch für die Waren, die bislang die Voraussetzungen der speziellen Regelung erfüllten, der normale Drittlandszollsatz anzuwenden ist. Hingegen setzt die Zollsatzänderung i.S. des § 97 Abs. 2 AZO die Erhöhung oder Absenkung gerade des einen konkret anzuwendenden Zollsatzes (z.B. des Drittlandszollsatzes) voraus. Dabei darf ein Präferenzzollsatz, weil er von der Erfüllung besonderer Voraussetzungen abhängig ist, nicht mit dem allgemeinen Drittlandszollsatz verglichen oder in Relation gesetzt werden.
3. Zur Tatsachenfeststellung genügen Bezugnahmen des FG auf bei den Akten befindliche Schriftstücke, wenn der Gegenstand der Bezugnahme genau bezeichnet ist, wobei die tatsächliche Erwähnung des betreffenden Schriftstücks im Urteil ausreicht. Es gilt dann der gesamte Inhalt des Schriftstücks als festgestellt. (vgl. BFH-Rechtsprechung)
Normenkette
AO 1977 § 150 Abs. 1 S. 2, § 155 Abs. 1 S. 1, § 167 Abs. 1 S. 1, § 168 S. 1; ZG § 36 Abs. 3, § 45 Abs. 6 Sätze 1, 4, § 46 Abs. 3 Sätze 1, 3; AZO § 97 Abs. 2; DZTV § 1 Anl 1 Nr. 5 Buchst. e, c UAbs. 3; EWGV 3569/83 Art. 15 Abs. 2; EWGV 3017/84; EWGRL 74/69 Art. 10 Abs. 1; EWGV 1697/79 Art. 2 Abs. 1 S. 1; FGO § 118 Abs. 2
Verfahrensgang
FG Hamburg (Entscheidung vom 31.10.1988; Aktenzeichen IV 56/86 H) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) entnahm im Oktober 1984 ihrem offenen Zollager verschiedene Waren der Tarifst.85.15 A III b mit Ursprung Malaysia. Für diese Waren sah die Verordnung (EWG) Nr.3569/83 des Rates vom 16.Dezember 1983 zur Anwendung allgemeiner Zollpräferenzen für bestimmte gewerbliche Waren mit Ursprung in Entwicklungsländern im Jahr 1984 --VO Nr.3569/83-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 362/1) zur Zeit der Entnahme eine vollständige Zollaussetzung in Form eines zolltarifären Plafonds vor. Mit Zahlungsanmeldung vom 12.November 1984, die bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt --HZA--) am folgenden Tag einging, meldete die Klägerin unter den laufenden Nummern 2 bis 21 und 23 die im Oktober ausgelagerten streitbefangenen Waren und die dafür nach ihrer Ansicht allein zu entrichtende Einfuhrumsatzsteuer an.
Inzwischen war durch die Verordnung (EWG) Nr.3017/84 (VO Nr.3017/84) der Kommission vom 26.Oktober 1984 (ABlEG L 285/7) der Zoll für die betreffenden Waren mit Wirkung ab 2.November 1984 wiedereingeführt worden. Das HZA beanstandete deshalb die Zahlungsanmeldung und erhob mit "Steueränderungsbescheid" vom 22.November 1984 Zoll in Höhe von ... DM "nach". Den Einspruch der Klägerin gegen diesen Bescheid wies das HZA zurück.
Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin Aufhebung dieser Bescheide. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und ließ die Revision zu. Wegen der Begründung wird auf das in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1989, 378 veröffentlichte Urteil des FG Hamburg vom 31.Oktober 1988 IV 56/86 H Bezug genommen.
Ihre Revision begründet die Klägerin im wesentlichen wie folgt:
Die angefochtenen Bescheide und das Urteil des FG verstießen gegen § 45 Abs.6 Satz 4 des Zollgesetzes --ZG-- und gegen Art.10 Abs.1 der Richtlinie des Rates vom 4.März 1969 zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Zollager --Lagerrichtlinie-- (69/74/EWG - ABlEG L 58/7). Diese Vorschriften kollidierten mit den hier angewendeten Bestimmungen der Zolltarif-Verordnung (ZTVO), wobei unzulässigerweise dem nationalen Verordnungsrecht der Vorrang vor dem nationalen Gesetzesrecht und dem Gemeinschaftsrecht gegeben worden sei. Im Zeitpunkt der streitigen Auslagerungen habe die VO Nr.3017/84, eine Zollvorschrift im Sinne des § 45 Abs.6 Satz 4 ZG, noch nicht gegolten und dürfe daher auch nicht auf diese angewendet werden.
Die Klägerin beantragt, das finanzgerichtliche Urteil abzuändern und den Steueränderungsbescheid des HZA sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat im Ergebnis zu Recht erkannt, daß die Klägerin für die aus ihrem Lager entnommenen Waren den angeforderten Zoll schuldet.
1. Rechtsgrundlage dafür ist freilich nicht, wie das FG annimmt und wovon ersichtlich auch das HZA ausgeht, die Verordnung (EWG) Nr.1697/79 des Rates vom 24.Juli 1979 --NacherhebungsVO-- (ABlEG L 197/1) --dort Art.2 Abs.1--, weil es sich bei dem "Steueränderungsbescheid" um die erstmalige Festsetzung von Abgaben (hier des Zolls) handelte.
Nach Art.2 Abs.1 NacherhebungsVO sind Eingangsabgaben nachzuerheben, die für solche Waren zu Unrecht nicht angefordert worden sind, "die zu einem Zollverfahren angemeldet wurden, das die Verpflichtung zur Zahlung derartiger Abgaben beinhaltet". Unter Anmeldung zu einem Zollverfahren ist nicht die "Zollanmeldung" im technischen Sinne des deutschen Zollrechts zu verstehen. Vielmehr ist nach Sinn und Zweck der NacherhebungsVO eine "unzulängliche Abgabenerhebung" (vgl. Abs.1 der Erwägungsgründe) nachträglich zu heilen; die Abgaben sind dabei für davon betroffene Waren nachzuerheben (vgl. Art.1 Abs.1 NacherhebungsVO; Senatsurteil vom 3.Mai 1990 VII R 71/88, BFHE 161, 260, 265 m.w.N.).
Im vorliegenden Fall lag vor Erlaß des angegriffenen "Steueränderungsbescheids" jedenfalls hinsichtlich des Zolls eine Abgabenerhebung (hier in Form einer Zollfreistellung) noch nicht vor. Das ergibt sich aus folgendem: Die aus einem offenen Zolllager entnommenen Waren hatte der Lagerinhaber nach dem im Jahre 1984 anzuwendenden § 46 Abs.3 Satz 3 ZG bis zum 15.Tage des auf die Entnahme folgenden Kalendermonats unter Berechnung des Zolls anzumelden und den Zoll zu zahlen. Die hiernach erforderliche förmliche (vgl. § 97 Abs.1 Satz 1 der Allgemeinen Zollordnung --AZO--) Zahlungsanmeldung ist eine Steueranmeldung im Sinne der Abgabenordnung (AO 1977), § 150 Abs.1 Satz 2 AO 1977. Sie steht gemäß § 168 Satz 1 AO 1977 nur dann einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich, wenn die Steuerbehörde sie unbeanstandet übernommen hat; andernfalls ist gemäß § 167 Abs.1 Satz 1 AO 1977 eine Festsetzung der Steuer durch Steuerbescheid nach § 155 Abs.1 Satz 1 AO 1977 --hier Zollbescheid gemäß § 36 Abs.3 ZG-- erforderlich (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl., § 167 AO 1977 Tz.1; Bail/Schädel/Hutter, Kommentar Zollrecht, 41.Lfg., B/42-46 Rz.49, B/36 Rz.7; zu dem vor dem 1.Januar 1977 die Sachlage in gleicher Weise regelnden § 46 Abs.3 Satz 4 ZG, der durch Art.33 Nr.8 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung --EGAO 1977-- vom 14.Dezember 1976, BGBl I, 3341, 3363, aufgehoben worden ist, vgl. das Senatsurteil vom 5.Mai 1982 VII R 28/80, BFHE 136, 8, 11).
Die Zahlungsanmeldung der Klägerin für die Entnahmen des Monats Oktober vom 12.November 1984, die am folgenden Tag beim HZA eingegangen ist, ist nicht ungeprüft und unbeanstandet geblieben. Auf der Rückseite der Zahlungsanmeldung findet sich in Feld 9 (Vermerke der Zollstelle) mit Datum vom 22.November 1984 folgender Befund: "Anmeldung vollständig geprüft; Pos.2 bis 21 u. Pos.23 Präferenz am 2/11. 1984 erloschen. Ansonsten keine Beanstandungen". Am selben Tag wurde mit "Steueränderungsbescheid" der Zoll für die unter den genannten Positionen aufgeführten Waren festgesetzt. Das FG hat diese Tatsachenfeststellung (Beanstandung durch das HZA) in seinem Urteil zwar nicht ausdrücklich erwähnt. Dem Senat ist es aber nicht verwehrt, bei Würdigung der für die Revisionsentscheidung verbindlichen Tatsachenfeststellungen insoweit auch den Inhalt der vom FG erkennbar herangezogenen, in den Akten befindlichen Schriftstücke zu berücksichtigen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) genügen zur Tatsachenfeststellung Bezugnahmen des FG auf bei den Akten befindliche Schriftstücke (§ 155 AO 1977 i.V.m. § 313 Abs.2 der Zivilprozeßordnung --ZPO--), wenn der Gegenstand der Bezugnahme genau bezeichnet ist, wobei die tatsächliche Erwähnung des betreffenden Schriftstücks im Urteil ausreicht. Es gilt dann der gesamte Inhalt des Schriftstücks als festgestellt (BFH-Urteil vom 20.August 1986 I R 87/83, BFHE 147, 521, BStBl II 1987, 75; Senatsurteil vom 26.November 1985 VII R 148/81, BFH/NV 1986, 134 m.w.N.). Da die Zahlungsanmeldung der Klägerin ersichtlich Grundlage des finanzgerichtlichen Urteils war, gilt auch die Tatsache der Beanstandung als festgestellt. Mithin handelt es sich bei dem am 22.November 1984 erlassenen "Steueränderungsbescheid" um die erstmalige Festsetzung des Zolls durch Zollbescheid gemäß § 36 Abs.3 ZG. Eine Nacherhebung im Sinne der NacherhebungsVO liegt nicht vor.
2. a) Rechtsgrundlage für die Erhebung des Zolls ist § 46 Abs.3 Satz 1 erster Halbsatz ZG. Mit den Entnahmen der streitbefangenen Waren im Laufe des Monats Oktober 1984 aus dem offenen Zollager sind jeweils Zollschulden in der Person der Klägerin als Inhaberin des Zollverkehrs (§ 46 Abs.3 Satz 2 ZG) entstanden. Für die Bemessungsgrundlagen dieser Zollschulden gilt nach § 46 Abs.3 Satz 1 zweiter Halbsatz ZG die Vorschrift des § 45 Abs.6 Satz 4 ZG entsprechend. Damit sind für Entnahmen aus dem offenen Zollager in den zollrechtlich freien Verkehr --abweichend von den üblichen Grundsätzen bei der Überführung in den freien Verkehr-- Menge, Beschaffenheit und Zollwert der Waren zum Zeitpunkt der ersten Überführung in das Lagerverfahren maßgebend, und für die Anwendung der Zollvorschriften kommt es auf den Zeitpunkt der Auslagerung an. Zum Sinn und Zweck der genannten Regelung vor dem Hintergrund ihrer Entstehungsgeschichte und dem gemeinschaftsrechtlichen Anknüpfungspunkt in Art.10 Abs.1 Lagerrichtlinie hat der Senat bereits mehrfach Stellung bezogen (Urteile in BFHE 136, 8, 14; vom 18.März 1986 VII R 34/83, BFHE 146, 291, 292; vom 21.Februar 1989 VII R 165/85, BFHE 156, 46, 49, BStBl II 1989, 491; vgl. auch Olbertz in Regul, Gemeinschaftszollrecht, S.1087 ff., 1123 ff.). Wesentlicher Regelungsgegenstand dieser Vorschrift ist, wie auch das FG zutreffend bemerkt hat, daß die Zölle und die anderen Abgaben gemeinschaftsweit nach den im Zeitpunkt der Auslagerung geltenden Sätzen oder Beträgen zu erheben sind, ein Kompromiß, den die Bundesrepublik eingehen mußte, um für die übrigen Bemessungsgrundlagen weiterhin den Einlagerungszeitpunkt (d.h. den Zeitpunkt, in dem diese Bemessungsgrundlagen zollamtlich festgestellt werden konnten) als Voraussetzung dafür beibehalten zu können, den Lagerinhabern die Möglichkeit der jederzeitigen Auslagerung ohne zollamtliche Mitwirkung zu erhalten.
b) An der Vereinbarkeit des § 45 Abs.6 Satz 4 ZG mit Art.10 Abs.1 Lagerrichtlinie fehlt es nicht deshalb, weil er "für die Anwendung der Zollvorschriften" den Zeitpunkt der Auslagerung als maßgebend bestimmt; denn zu den Zollvorschriften gehören auch die hier in Rede stehenden Bestimmungen über die Zollsätze. Hiernach sind zwar die im Oktober 1984 (Zeitpunkt der Auslagerungen) gültigen Zollvorschriften und gültigen Zollsätze anwendbar. Ob sie aber im Streitfall tatsächlich zur Anwendung kommen, hängt, worauf das HZA mit Recht hinweist, davon ab, daß auch die tatbestandlichen Voraussetzungen der in Frage kommenden Zollvorschriften oder Bestimmungen über die Zollsätze jeweils erfüllt sind.
Im Oktober 1984 galt zwar für Waren der Tarifst.85.15 A III b aus Malaysia der Präferenzzollsatz "frei", allerdings nur aufgrund des Plafonds gemäß Art.1 Abs.1 i.V.m. Anhang A der VO Nr.3569/83. Der Präferenzzollsatz durfte also nur dann für die Entnahmen angewandt werden, wenn alle Voraussetzungen der VO Nr.3569/83 erfüllt waren; nur dann verdrängte er, wie das HZA zutreffend ausgeführt hat, als speziellere Regelung den Drittlandszollsatz. Waren allerdings die Voraussetzungen nicht erfüllt, war der normale Drittlandszollsatz in Höhe von 14 % anzuwenden.
c) Die Voraussetzungen der VO Nr.3569/83 sind im Streitfall nicht erfüllt. Der Senat teilt dabei im Ergebnis die Auffassung des FG. Dabei kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, daß die nach Art.1 Abs.3 und Art.15 Abs.1 und 2 VO Nr.3569/83 erforderlichen Ursprungszeugnisse (hier Formblatt A) bereits bei der Einlagerung der Waren vorgelegt worden sind (vgl. Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung --VSF-- Z 42 12 Abs.15) und damit die Gewährung des Präferenzzollsatzes nicht bereits an der fehlenden Vorlage derselben innerhalb der Gültigkeitsdauer des Plafonds, also vor der Wiedereinführung des normalen Zollsatzes durch die VO Nr.3017/84 ab 2.November 1984, scheitert (vgl. Urteil des EuGH vom 27.Oktober 1983 Rs.321/82, EuGHE 1983, 3355).
Nach Art.15 Abs.2 VO Nr.3569/83 erfolgt die tatsächliche Anrechnung auf den Plafond "nach Maßgabe der Gestellung dieser Waren bei der Zollstelle mit einer Anmeldung zur Abfertigung zum zollrechtlich freien Verkehr nach dem Zollwert der genannten Waren". Aus dieser für das gemeinschaftliche Zollkontingentsrecht typischen Formulierung folgt, daß nur solche Waren anrechnungsfähig sind, die der Zollstelle mit einer Anmeldung zur Abfertigung zum zollrechtlich freien Verkehr gestellt werden (vgl. auch den achtzehnten Erwägungsgrund dieser Verordnung). Damit hat das Gemeinschaftsrecht den in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen vorkommenden Standardfall vor Augen, daß der Übergang von Waren in den freien Verkehr aufgrund einer der Zollstelle gegenüber abzugebenden Willenserklärung des Beteiligten unter gleichzeitiger Vorführung der Waren erfolgt. Das Gemeinschaftsrecht hatte jedenfalls nach dem damaligen Stand keinen Anlaß, auf nationale zollverfahrensrechtliche Besonderheiten einzelner Mitgliedstaaten beim Übergang in den freien Verkehr einzugehen. Das gilt auch für die damals allein in der Bundesrepublik eröffnete Möglichkeit der Entnahme von Waren in den freien Verkehr aus einem offenen Zollager ohne Zollabfertigung, d.h. ohne Gestellung und ohne Mitwirkung der Zollstelle.
Die Klägerin hat bis zur Wiedereinführung des Zollsatzes am 2.November 1984 keine Anmeldung zur Abfertigung zum zollrechtlich freien Verkehr bei der Zollstelle abgegeben und damit schon aus diesem Grund die in der VO Nr.3569/83 vorgeschriebenen Bedingungen einer Anwendung des Präferenzzollsatzes nicht erfüllt.
d) Allerdings ist davon auszugehen, daß das Gemeinschaftsrecht einem nach nationalem Zollverfahrensrecht zulässigen und nicht im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht stehenden vereinfachten Verfahren für die Anwendung von Präferenzen und Kontingenten nicht jegliche Anerkennung versagen wollte. Hierfür sprechen schon die überragende Bedeutung des Systems allgemeiner Zollpräferenzen für die Entwicklungsländer und das Gebot eines gleichen und kontinuierlichen Zugangs aller Importeure der Gemeinschaft zu den Kontingenten und Plafonds (vgl. den zweiten und den achtzehnten Erwägungsgrund der VO Nr.3569/83 sowie das Urteil des EuGH vom 10.Juni 1982 Rs.231/82, EuGHE 1982, 2259, 2267, insbesondere Abs.7 der Entscheidungsgründe). Das bedeutet aber, daß die VO Nr.3569/83, wie im übrigen auch alle anderen entsprechenden Verordnungen der Gemeinschaft in diesem Bereich, hinsichtlich des Übergangs speziell von Zollagerwaren in den freien Verkehr mittels vereinfachter Verfahren eine Lücke aufweist, die zu füllen der nationale Gesetzgeber berufen ist.
Nr.5 Buchst.e i.V.m. Nr.5 Buchst.c dritter Unterabsatz der Allgemeinen Vorschriften zum Deutschen Teil-Zolltarif in der Anlage zu § 1 dieser Verordnung --ZTVO-- (BGBl II 1968, 1044) in der für das Jahr 1984 maßgeblichen Fassung (BGBl II 1983, 738) erfüllen diese Aufgabe. Die Vorschriften sind u.a. auf § 77 Abs.5 ZG gestützt und dienen im Einklang mit dieser Ermächtigung, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, dazu, notwendige nationale Ergänzungen des zolltarifären Gemeinschaftsrechts vorzunehmen, insbesondere solche, die nationale Verfahrensvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht verknüpfen (vgl. auch Bail/Schädel/Hutter, a.a.O., B/77 Rz.18). Die genannten Vorschriften regeln u.a. den hier vorliegenden und vom Gemeinschaftsrecht offen gelassenen Fall, wie eine Anrechnung auf einen Zollplafond zu erfolgen hat, wenn Waren aus einem offenen Zollager ohne Zollabfertigung in den freien Verkehr übergeführt werden. Maßgebend für die Anrechnung ist hiernach nicht der Zeitpunkt des tatsächlichen Übergangs der Ware in den freien Verkehr, sondern der (spätere) Zeitpunkt der Abgabe einer schriftlichen Meldung bei der Zollstelle. Eine solche Meldung hat die Klägerin bei der Zollstelle innerhalb der Geltungsdauer des Plafonds (bis einschließlich 1.November 1984) nicht abgegeben. Eine Anrechnung auf den Plafond und damit die Gewährung des Präferenzzollsatzes scheidet somit aus.
e) Anhaltspunkte, wonach die in den genannten Vorschriften getroffene Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht oder dem nationalen Gesetzesrecht kollidieren könnte, sieht der Senat im Gegensatz zur Klägerin nicht. Eine Kollision mit Art.10 Lagerrichtlinie oder § 45 Abs.6 Satz 4 ZG scheidet, wie ausgeführt, schon deshalb aus, weil es im Streitfall an der Erfüllung aller tatbestandlichen Voraussetzungen der anzuwendenden Normen fehlt. Eine Kollision mit der VO Nr.3569/83 liegt deshalb nicht vor, weil diese Verordnung gerade für den hier geregelten Fall eine Lücke aufweist. Die Art und Weise, wie der nationale Gesetz- bzw. Verordnungsgeber diese Lücke geschlossen hat, ist nicht zu beanstanden. Er hat für die Anrechnung auf den Plafond einen Zeitpunkt gewählt, der nicht willkürlich ist, alle Importeure gleichermaßen betrifft und im übrigen mit den Vorgaben und Zielen des Gemeinschaftsrechts übereinstimmt.
Das Gemeinschaftsrecht knüpft hinsichtlich der Anrechnung auf Plafonds, wie Art.15 Abs.2 VO Nr.3569/83 beispielhaft belegt, nicht so sehr an den tatsächlichen Übergang der Einfuhrwaren in den zollrechtlich freien Verkehr an als vielmehr an die dabei erforderliche Mitwirkung einer Zollstelle, die die Ordnungsmäßigkeit der Anrechnung sicherstellen soll (vgl. auch Lux, Die Neufassung der Anweisung C zum Deutschen Gebrauchs-Zolltarif, Automatisiertes Überwachungsverfahren --AÜV-- zum 1.Juli 1982, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern --ZfZ-- 1982, 234 ff., 258 ff., 258). Es ist daher sachgerecht, wenn der nationale Verordnungsgeber in den Fällen, in denen die Ware ohne Zollabfertigung in den freien Verkehr tritt, den Zeitpunkt der Abgabe einer schriftlichen Meldung bei der Zollstelle als maßgeblichen Zeitpunkt für die Anrechnung auf einen Plafond bestimmt hat. Die Mitwirkung der Zollstelle erst gewährleistet die ordentliche Verwaltung des Plafonds. Wie das FG zu Recht aus den Erwägungsgründen und einzelnen Artikeln der VO Nr.3569/83 geschlossen hat, kommt es bei der Plafondverwaltung auf eine zeitnahe und zügige Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission an, weil nur dadurch die Kommission in die Lage versetzt wird, jederzeit den Stand der Anrechnung auf den Plafond zu verfolgen und ggf. geeignete Maßnahmen für die Wiedereinführung der Zollsätze zu treffen. Dieses mit dem Verwaltungsverfahren erstrebte Ziel schließt es aus, nach nationalem Recht einen Anrechnungszeitpunkt festzulegen, der u.U. lange vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Zollstelle überhaupt Kenntnis von der betreffenden Entnahme in den freien Verkehr erhält.
Der Einwand der Klägerin, die Bundesrepublik hätte bei der gegebenen Sachlage für Lagerentnahmen von Präferenzwaren abweichend von § 46 Abs.3 Satz 3 ZG eine zeitnahe Anmeldung vorschreiben müssen, geht fehl. Eine solche Schutzmaßnahme zugunsten des Lagerinhabers ist jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn der Gesetzgeber, wie hier, dem Lagerinhaber lediglich eine zusätzliche Option für den Übergang von Lagerwaren in den zollrechtlich freien Verkehr anbietet. Der Klägerin hätte es danach freigestanden, die streitbefangenen Waren jederzeit im Laufe des Oktobers 1984 durch Gestellung und Einzelanmeldung bei der Zollstelle in den zollrechtlich freien Verkehr zu bringen (§ 45 Abs.6 Satz 1 und 4 ZG), um sich somit rechtzeitig vor Wiedereinführung des normalen Zollsatzes den Genuß des Präferenzzollsatzes zu sichern. Wenn die Klägerin die Zahlungsvorteile des § 46 Abs.3 Satz 3 ZG erlangen wollte, mußte sie zwangsläufig das Risiko in Kauf nehmen, dadurch aus zeitlichen Gründen die Inanspruchnahme der Vorteile des Plafonds zu verpassen.
f) Die Wiedereinführung des Zollsatzes durch die VO Nr.3017/84 zum 2.November 1984 stellt im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin auch keine Zollsatzänderung dar. Wie ausgeführt, bewirkt die Aufhebung eines Präferenzzollsatzes wegen Erschöpfung eines Plafonds lediglich den Wegfall einer speziellen Zollsatzregelung, mit der Folge, daß dann auch für die Waren, die bislang die Voraussetzungen der speziellen Regelung erfüllten, der normale Drittlandszollsatz anzuwenden ist. Hingegen setzt die Zollsatzänderung i.S. des § 97 Abs.2 AZO die Erhöhung oder Absenkung gerade des einen konkret anzuwendenden Zollsatzes (z.B. des Drittlandszollsatzes) voraus. Dabei darf ein Präferenzzollsatz, weil er von der Erfüllung besonderer Voraussetzungen abhängig ist, nicht mit dem allgemeinen Drittlandszollsatz verglichen oder in Relation gesetzt werden.
3. Der Senat ist in Anwendung der Grundsätze des Urteils des EuGH vom 6.Oktober 1983 Rs.283/81 (EuGHE 1982, 3415) nicht nach Art.177 Abs.3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH verpflichtet. Der Senat hält die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts im vorliegenden Fall für offenkundig; er ist davon überzeugt, daß für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und für den EuGH die gleiche Gewißheit bestünde.
Fundstellen
Haufe-Index 63724 |
BFHE 167, 244 |
BFHE 1992, 244 |
BB 1992, 851 (L) |
HFR 1992, 544 (LT) |
StE 1992, 248 (K) |