Leitsatz (amtlich)
Einkünfte, die ein freiberuflich tätiger Markscheider als Sachverständiger für Bergschäden und markscheiderische Erfassung von Lagerstätten nutzbarer Mineralien bezieht, sind als Einkünfte aus einer praktischen Berufstätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG nach § 34 Abs. 4 EStG nicht begünstigt.
Normenkette
EStG §§ 18, 34 Abs. 4
Tatbestand
Für die Veranlagungszeiträume 1963 bis 1965 ist streitig, ob der Kläger für seine Einkünfte als öffentlich bestellter Sachverständiger für Bergschäden und markscheiderische Erfassung von Lagerstätten nutzbarer Mineralien den ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 4 EStG beanspruchen kann.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Dipl.-Ing.; er übt den selbständigen Beruf eines konzessionierten und amtlich bestellten Markscheiders aus. Am 22. April 1963 wurde er von der Regierung auch als Sachverständiger für Bergschäden und markscheiderische Erfassung von Lagerstätten nutzbarer Mineralien öffentlich bestellt. In seinen Steuererklärungen für die Streitjahre begehrte der Kläger für seine Einkünfte aus seiner Tätigkeit als Sachverständiger als Nebeneinkünfte aus wissentschaftlicher Tätigkeit die Steuerermäßigung des § 34 Abs. 4 EStG. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) lehnte die Steuerermäßigung ab und rechnete die Einkünfte aus der Sachverständigentätigkeit zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit.
Nach erfolglosen Einsprüchen gegen die Einkommensteuerveranlagungen 1963 bis 1965 beantragte der Kläger mit der Klage, für seine Einkünfte als Sachverständiger die Steuerermäßigung für außerordentliche Einkünfte nach § 34 Abs. 4 EStG zu gewähren.
Das FG wies die Klage als unbegründet ab.
Mit der Revision beantragt der Kläger, unter Aufhebung der Vorentscheidung das FA zu verpflichten, für die Einkünfte aus der Tätigkeit als öffentlich bestellter und beeidigter Sachverständiger für Bergschäden und markscheiderische Erfassung von Lagerstätten nutzbarer Mineralien den ermäßigten Steuersatz des § 34 Abs. 4 EStG zu gewähren.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet:
Tarifbegünstigte Nebeneinkünfte i. S. des § 34 Abs. 4 EStG sind die Einkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit, soweit diese Einkünfte
a) neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit oder einer freien Berufstätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG bezogen werden,
b) nicht zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören und von den Einkünften aus der freien Berufstätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG abgrenzbar sind und
c) die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder (und) der freien Berufstätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG die übrigen Einkünfte überwiegen.
Im vorliegenden Fall geht der Rechtsstreit um die Frage der Abgrenzbarkeit.
Unter welchen Voraussetzungen das Erfordernis der Abgrenzbarkeit als erfüllt anzusehen ist, läßt der Wortlaut des Gesetzes nicht direkt erkennen. Nach der Gesetzesbegründung bezweckt § 34 Abs. 4 EStG, einen steuerlichen Anreiz zur Erzielung eines höheren Einkommens durch zusätzliche, nicht in den Beruf fallende Arbeiten auf wissenschaftlichem, künstlerischem oder schriftstellerischem Gebiete zu geben (s. Drucksache 892/1949 des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes). Danach kann die Abgrenzbarkeit nicht nur hinsichtlich der Erzielung der Einkünfte erforderlich sein; aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes ergibt sich vielmehr, daß bei einem freiberuflich Tätigen, der eine Berufstätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausübt, nur die wissenschaftliche Tätigkeit begünstigt werden soll, der sich der Steuerpflichtige außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit, entweder auf einem anderen rein wissenschaftlichen Zweige desselben Fachgebietes oder überhaupt auf einem anderen wissenschaftlichen Fachgebiet widmet.
Dazu kommt ein weiteres Erfordernis, das zwar im allgemeinen nicht unter dem Merkmal der Abgrenzbarkeit i. S. des § 34 Abs. 4 Nr. 2 EStG behandelt wird, aber begrifflich dazu gehört. Die Nebeneinkünfte, die nach § 34 Abs. 4 EStG begünstigt werden sollen, dürfen nicht nur keine Einkünfte der betreffenden freiberuflichen Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG darstellen, aus der der Steuerpflichtige die Haupteinkünfte bezieht, sondern dürfen überhaupt nicht aus einer typischen, in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG namentlich genannten freien Berufstätigkeit bezogen werden. Auf den Begriff der Abgrenzbarkeit bezogen bedeutet dies, daß die begünstigten Nebeneinkünfte von den Einkünften jeder typischen freien Berufstätigkeit, wie sie in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführt sind, abgrenzbar sein müssen. Das gilt auch für den nichtselbständig Tätigen. Die Rechtsprechung gibt für dieses Erfordernis auch eine besondere Begründung. Sie besagt, daß die praktische Berufsarbeit bei den in dem Katalog des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG namentlich aufgeführten typischen freien Berufen in der Regel nicht der wissenschaftlichen Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG i. V. mit § 34 Abs. 4 EStG gleichgestellt werden kann, selbst wenn diese auf wissenschaftlicher Grundlage und Vorbildung beruhen (vgl. dazu Entscheidung des BFH vom 20. Juni 1962 IV 359/61 U, BFHE 75, 325, BStBl III 1962, 385 und die dort angeführte Rechtsprechung). Diese Auslegung des § 34 Abs. 4 EStG hat auch das BVerfG unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsgleichheit der typischen freien Berufe gebilligt (vgl. Beschluß des BVerfG vom 3. Januar 1973 1 BvR 508/72 StRK, Einkommensteuergesetz, § 34 Abs. 4 - ab 1955 -, Rechtsspruch 43). Typische Fälle für das Fehlen der Abgrenzbarkeit im letzteren Sinne (Abgrenzung von jeder typischen freien Berufstätigkeit i. S. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, also eines praktischen Katalogberufes) sind der beamtete Baurat, der nebenbei für Baufirmen statische Berechnungen anfertigt, oder der Rechtsanwalt, der auch Notar ist.
Um die dargelegten Kriterien der Abgrenzbarkeit der Nebeneinkünfte auf den Fall des Klägers anwenden zu können, muß zuerst geklärt werden, welche der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG namentlich aufgeführten freien Berufstätigkeiten der Kläger ausgeübt hat. Die Vorinstanz hat sich zwar zu dieser Frage nicht geäußert. Da es sich aber insoweit um eine rechliche Würdigung auf Grund festgestellter Tatsachen handelt, kann der BFH diese Einordnung selbst vornehmen.
Die im Katalog des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführten freien Berufe stellen teilweise Berufsgruppen dar. Zu einer dort aufgeführten Berufsgruppe können also verschiedene Fachrichtungen gehören; z. B. gehören zur Gruppe der Ärzte verschiedene Fachrichtungen der Medizin oder zur Gruppe der Ingenieure alle Arten von freien Ingenieurberufen, soweit sie in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht gesondert genannt sind. Gesondert aufgeführt sind die Vermessungsingenieure. Zu ihnen gehören nicht nur die Landmesser, sondern auch die freiberuflich tätigen Markscheider, also die Vermessungsingenieure, denen im Bergbau alle Vermessungen über und unter Tage obliegen, die zur Erwerbung, Begrenzung und Sicherung des Berwerkseigentums und seiner Zubehöre sowie bei der Gewinnung der Mineralien und dem Betrieb der Bergwerke erforderlich sind (siehe § 2 der in Hessen geltenden ehemaligen Preußischen Markscheiderordnung vom 23. März 1923 in Heller/Lehmann, Deutsche H. W. Berggesetze, Textsammlung mit Anmerkungen und Hinweisen HE 151 c; § 5 der Markscheiderordnung für den Freistaat Braunschweig vom 20. Oktober 1928 in Heller/Lehmann, a. a. O., NS 214b; und Markscheiderordnung für Nordrhein-Westfalen vom 27. Juni 1968 i. d. F. vom 12. Juni 1972 in Heller/Lehmann, a. a. O. NW 303d). Aus der Beschreibung der Tätigkeiten der freien Markscheider vor allem in § 2 der Markscheiderordnung vom 23. März 1923 (a. a. O.) ergibt sich, daß die Anfertigung und Nachtragung der Grubenbilder nicht die einzige Arbeit ist, die zum Beruf des freiberuflich tätigen Markscheiders gehört, wenn sie auch die wichtigste amtliche Arbeit des Markscheiders darstellt.
Damit steht fest, daß - wie der Name schon sagt - Vermessungen zur markscheiderischen Erfassung von Lagerstätten nutzbarer Mineralien, die der Kläger als öffentlich bestellter Sachverständiger vornimmt, im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG zur Berufsarbeit des Katalogberufes eines Vermessungsingenieurs mit dem Fachgebiet Markscheiderkunde gehört. Eine derartige Sachverständigentätigkeit, die zur Berufstätigkeit eines "Katalogberufes" gehört, kann - wie eingangs dargelegt - schon wegen dieser Zugehörigkeit nicht nach § 34 Abs. 4 EStG begünstigt sein. Ob der Kläger diese Arbeiten als öffentlich bestellter Sachverständiger ausführt oder außerhalb seiner Sachverständigeneigenschaft im Rahmen seiner sonstigen beruflichen Praxis, ist für die steuerrechtliche Einordnung nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ohne Bedeutung.
Für die Tätigkeit des Klägers als Sachverständiger für Bergschäden gilt im Ergebnis dasselbe. Der Kläger bestreitet zwar, daß die Vermessungen zur Erfassung und Vorausberechnung von Bergschäden infolge der durch den fortschreitenden Abbau verursachten Bodenbewegungen zum Berufsbild bzw. zur beruflichen Arbeit des Markscheiders gehören, obwohl z. B. im Lexikon des Bergbaues von Lueger (Stichwort Markscheider) "die Erfassung und Vorausberechnung der durch den fortschreitenden Abbau verursachten Bodenbewegungen an der Tagesoberfläche sowie die Bearbeitung aller sich aus diesem Zusammenhang ergebenden Entschädigungsansprüche und Sicherungsmaßnahmen zur weitgehenden Abwendung großer Schäden" zum Aufgabenbereich des Markscheiders gerechnet werden und dasselbe auch aus der Berufsdefinition des Markscheiders in § 2 der Markscheiderordnung vom 23. März 1923 entnommen werden kann. Für das Gericht kann diese Frage unentschieden bleiben. Denn zumindest stellt die Arbeit des Sachverständigen für Bergschäden schon nach der Art der Tätigkeit eine freie Berufstätigkeit dar, die im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG zur Gruppe der Vermessungsingenieure oder der mit diesen ähnlichen Berufe gehört. Der Beruf des öffentlich bestellten Sachverständigen für Bergschäden und markscheiderische Erfassung von Lagerstätten nutzbarer Mineralien ist also ebenso eine freie Berufstätigkeit im Sinne eines Katalogberufes nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, wie der Beruf eines selbständigen Ingenieurs als gerichtlich bestellter Sachverständiger für Kraftfahrzeuge oder für Hoch- und Tiefbauten. Ob eine selbständige Sachverständigentätigkeit allein ausgeübt wird oder neben anderen freiberuflichen Arbeiten, ist dabei ohne Bedeutung. Es wäre auch nach dem oben wiedergegebenen Zweck der Steuervergünstigung des § 34 Abs. 4 EStG kein Grund ersichtlich, warum die Sachverständigentätigkeit des Klägers, die wie seine anderen Arbeiten als Markscheider zu seinen laufenden Berufsarbeiten gehört, steuerlich begünstigt werden sollte. Da also diese Sachverständigentätigkeit zur praktischen Berufstätigkeit eines in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG namentlich aufgeführten Katalogberufes, nämlich eines Vermessungsingenieurs oder eines diesem ähnlichen Berufes, gehört, sind die daraus erzielten Einkünfte als Einkünfte aus einer praktischen Berufstätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG keine Nebeneinkünfte im Sinne des § 34 Abs. 4 EStG. Auf die behauptete Abgrenzbarkeit der Arbeitsgebiete des amtlichen Markscheiders einerseits und der des Sachverständigen für Bergschäden und markscheiderische Erfassung von Lagerstätten nutzbarer Mineralien im praktischen Fall des Klägers, über die das FG nach Meinung des Klägers eine Stellungnahme des Bayerischen Oberbergamtes hätte einholen sollen, kommt es daher nicht an.
Der Kläger kann demnach - wie das FG im Ergebnis zutreffend entschieden hat - für seine Einkünfte als Sachverständiger für Bergschäden und markscheiderische Erfassung von Lagerstätten nutzbarer Mineralien die Steuervergünstigung des § 34 Abs. 4 EStG nicht beanspruchen, da es sich um keine Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit handelt, sondern um Einkünfte aus einer in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG namentlich genannten Berufstätigkeit, nämlich der des Vermessungsingenieurs oder eines diesem ähnlichen Berufes.
Fundstellen
Haufe-Index 71271 |
BStBl II 1975, 290 |
BFHE 1975, 331 |