Leitsatz (amtlich)
1. Die Anwendung der landesrechtlichen bremischen Vorschriften über die Kirchensteuer und der auf diesen beruhenden kirchenrechtlichen Vorschriften unterliegt der Nachprüfung durch den BFH im Revisionsverfahren.
2. Die kirchenrechtlichen Vorschriften bedürfen zur Rechtswirksamkeit nicht der Verkündung in einem staatlichen Verkündungsorgan; es genügt die Verkündung in einem kirchlichen Verkündungsorgan.
2. Erlischt die Kirchensteuerpflicht vor dem Ende des Veranlagungszeitraums, so darf bei der Ermittlung der Einkommensteuer als Bemessungsgrundlage für die Kirchensteuer nur das während der Zeit des Bestehens der Kirchensteuerpflicht bezogene Einkommen zugrunde gelegt werden. Die als Bemessungsgrundlage in Betracht kommende Einkommensteuer ist auf dieser Grundlage als Jahreseinkommensteuer zu ermitteln und gegebenenfalls zu schätzen.
Normenkette
FGO § 118 Abs. 1 Sätze 2, 1
Tatbestand
I. Sachverhalt und Entscheidung des FG
1. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war als Alleinerbin ihres verstorbenen Ehemannes vom 25. April bis 30. September 1968 Inhaberin der Großhandlung X in Bremen. Am 10. Juni 1968 erklärte sie der Bremischen Evangelischen Kirche ihren Austritt. Am 30. September 1968 stellte sie ihren Gewerbebetrieb ein, veräußerte die beweglichen Anlagegüter und überführte das Betriebsgrundstück in ihr Privatvermögen. Nach dem Einkommensteuerbescheid 1968 entfielen auf den Veräußerungsgewinn 358 669 DM und auf die übrigen Einkünfte 4 804 DM Einkommensteuer. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) wendete § 4 Abs. 2 des Gesetzes der Bremischen Evangelischen Kirche über den Austritt aus der Evangelischen Kirche (Austrittsgesetz) vom 23. Februar 1961 (Amtsblatt der Evangelischen Kirche in Deutschland 1961 S. 128 - ABlEKD 1961, 128 -, Amtsblatt der Bremischen Evangelischen Kirche "Gesetze, Verordnungen und Mitteilungen - GVM -" 1961 Nr. 1 Z. 1) i. d. F. des Kirchengesetzes vom 9. Juni 1966 (ABlEKD 1966, 337, GVM 1966 Nr. 1 Z. 6) an, der bestimmt, daß die rechtlichen Wirkungen der Austrittserklärung einschließlich der Befreiung von der Kirchensteuerpflicht mit dem Ende des zweiten auf die Abgabe der Austrittserklärung folgenden Monats eintreten. Das FA nahm dementsprechend an, daß die Klägerin seit dem 1. September 1968 der Kirchensteuer nicht mehr unterlag, und setzte für das Streitjahr 1968 die Kirchensteuer auf 8/12 von 8 % der Jahreseinkommensteuer - einschließlich der auf den Veräußerungsgewinn entfallenden Einkommensteuer-, d. h. auf 19 385,20 DM fest.
2. Das FG setzte auf die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage die Kirchensteuer auf 256,10 DM herab. Es führte u. a. aus: Für Streitigkeiten in Kirchensteuerangelegenheiten sei im Lande Bremen nach § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO i. V. m. Art. 6 des Gesetzes zur Ausführung der Finanzgerichtsordnung (AGFGO) vom 23. Dezember 1965 (Sammlung des bremischen Rechts - SabreR - 35-a-1) der Finanzrechtsweg gegeben. Die Klägerin sei seit dem 1. September 1968 nicht mehr kirchensteuerpflichtig. Zwar bestehe keine ausdrückliche gesetzliche Regelung über die Bemessung der Kirchensteuer in den Fällen des Kirchenaustritts im Laufe eines Veranlagungszeitraums. Nach § 2 Abs. 1 der Steuerordnung für die Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen vom 9. November 1922 i. d. F. der Verordnung vom 3. März 1932 (SabreR 61-d-1) seien jedoch auf die Veranlagung der Kirchensteuer die für die Einkommensteuer jeweils geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden. Eine entsprechende Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 1 EStG ergebe, daß das während der Dauer der Kirchensteuerpflicht bezogene Einkommen zugrunde zu legen sei, wenn die Kirchensteuerpflicht nicht während des vollen Veranlagungszeitraums bestanden hat.
II. Revision des FA und Stellungnahme des Senators für Finanzen in Bremen.
1. Mit der Revision trägt das FA u. a. vor: Das FG übersehe, daß Bemessungsgrundlage für die Kirchensteuer nicht das Einkommen, sondern die Einkommensteuer, und daß diese eine Jahressteuer sei. Eine entsprechende Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 1 EStG sei deshalb nicht möglich. Wenn eine für das Kalenderjahr festzusetzende Steuer Bemessungsgrundlage sei, so könne diese Bemessungsgrundlage bei einer verkürzten Steuerpflicht hinsichtlich der anderen Steuer nur entsprechend aufgeteilt werden. Die Kirchensteuer dürfe nicht nach der Bemessungsgrundlage festgesetzt werden.
2. Der Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen ist dem Verfahren nach § 122 Abs. 2 FGO beigetreten. In seiner Stellungnahme führt er u. a. aus: Der Finanzrechtsweg (einschließlich der Anrufung des BFH) sei seit dem Inkrafttreten der FGO durch Art. 6 AGFGO eröffnet. Nach dieser Vorschrift sei der Finanzrechtsweg auch gegeben in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten, soweit die Abgaben der Gesetzgebung des Bundes nicht unterliegen und durch Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Die Zuständigkeit der Landesfinanzbehörden bei der Verwaltung der evangelischen Kirchensteuer in Bremen gehe zurück auf den Erlaß des RdF vom 13. Februar 1923 - III B-60 -, der aufgrund des § 2 Abs. 1 der Steuerordnung ergangen sei. Die Verwaltungskompetenz der Landesfinanzbehörden sei auch nach Inkrafttreten des Bremischen Abgabengesetzes vom 15. Mai 1962 (BStBl II 1962, 168) bestehengeblieben (§ 3 i. V. m. § 10 Abs. 5 des Bremischen Abgabengesetzes). Ab 1. Januar 1975 bestimme sie sich nach den Vorschriften des Gesetzes über die Erhebung von Steuern durch Kirchen, andere Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften in der Freien Hansestadt Bremen (Kirchensteuergesetz - KiStG -) vom 18. Dezember 1974 (Bremisches Gesetzblatt S. 345, BStBl I 1975, 172). Die ebenfalls auf § 2 Abs. 1 der Steuerordnung beruhende Anordnung im Erlaß des RdF vom 13. Februar 1923, nach der der Rechtsmittelzug beim FG enden sollte, sei schon seit dem Inkrafttreten des Bremischen Abgabengesetzes überholt. Dessen § 2 habe u. a. die AO in der jeweiligen Fassung, deren §§ 228 ff. eine Beschränkung des Rechtszuges auf die FG nicht vorgesehen hätten, für anwendbar erklärt.
Das Kirchensteuerrecht in Bremen unterliege auch der Nachprüfung durch den BFH im Revisionsverfahren (§ 118 Abs. 1 Satz 2 FGO). Die in Kirchensteuersachen ergehenden Verwaltungsakte stellten einen erheblichen Eingriff in die Rechtssphäre des Steuerpflichtigen dar, der einen ausreichenden Rechtsschutz durch die Gerichte gebiete. Der Grundsatz des Art. 19 Abs. 4 GG wäre verletzt, wenn bei der Kirchensteuer - anders als bei allen übrigen durch die Landesfinanzbehörden verwalteten Steuern - eine Überprüfung einer in erster Gerichtsinstanz ergangenen Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit durch ein übergeordnetes Gericht ausgeschlossen würde. Der Grundgesetzartikel als übergeordnete Verfassungsnorm greife aber nur dann ein, wenn das angestrebte Ergebnis nicht bereits im Wege verfassungskonformer Auslegung gefunden werden könne. Der mögliche Wortsinn des § 118 Abs. 1 Satz 2 FGO und dessen Zweck sowie die Zielsetzung der FGO und des dazu ergangenen landesrechtlichen bremischen Ausführungsgesetzes ließen eine Auslegung dahin zu, daß die Revisibilität des bremischen Kirchensteuerrechts gegeben sei. Seit dem Inkrafttreten des Bremischen Kirchensteuergesetzes vom 18. Dezember 1974 am 1. Januar 1975 lasse sich die Revisibilität zusätzlich aus § 7 Abs. 1 KiStG ableiten. Die Vorschrift sei bereits auf anhängige Verfahren anzuwenden, weil die Entscheidung grundsätzlich nach dem im Zeitpunkt der Entscheidung gültigen Recht zu treffen sei.
§ 4 Abs. 2 des (kirchlichen) Austrittsgesetzes lasse die rechtlichen Wirkungen der Austrittserklärung, z. B. das Erlöschen der Kirchensteuerpflicht, in der Regel früher eintreten als die (staatliche) Steuerordnung (nach deren § 3 Abs. 2 Satz 2 erlösche die Kirchensteuerpflicht mit Ablauf des Kalenderjahres durch eine spätestens drei Monate vorher abgegebene Austrittserklärung). Die Wirkung des Kirchenaustritts auf die Kirchensteuerpflicht liege im wesentlichen im staatlichen Bereich, so daß insoweit die abweichende Regelung des kirchlichen Gesetzes gegenüber der staatlichen Steuerordnung grundsätzlich zurückzutreten hätte. Andererseits erscheine es aber unproblematisch, daß die Kirche durch ihre kirchliche Regelung nicht in vollem Umfang von der ihr vom staatlichen Gesetz eingeräumten Möglichkeit der Erhebung einer Kirchensteuer auch für nach der Beendigung der kirchlichen Mitgliedschaft liegende Zeiträume Gebrauch mache. Insoweit weder die Regelungsfreiheit der Kirche durch das staatliche Gesetz nicht eingeengt; einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung für eine derartige Regelung habe es nicht bedurft. Ab 1. Januar 1975 bestimme sich der Kirchenaustritt nach § 11 des Bremischen Kirchensteuergesetzes vom 18. Dezember 1974.
Die landesrechtlichen Rahmenvorschriften würden des weiteren ergänzt durch das von der Bremischen Evangelischen Kirche erlassene Gesetz betreffend Erhebung einer Kirchensteuer im Gebiet der Bremischen Evangelischen Kirche vom 2. März 1932 (GVM 1932 Nr. 2 Z. 1) i. d. F. der kirchlichen Änderungsgesetze vom 26. Februar 1954 (GVM 1954 Nr. 1 Z. 2), vom 1. März 1957 (GVM 1957 Nr. 1 Z. 1) und vom 28. November 1958 (GVM 1958 Nr. 3 Z. 7). Die auf der Grundlage und zur Ausführung der (staatlichen) Steuerordnung vom 9. November 1922 mit den späteren Änderungen ergangenen kirchlichen Gesetze der Bremischen Evangelischen Kirche seien in dem kirchlichen Amtsblatt (GVM) veröffentlicht worden. Im Kirchenrecht dieser Kirche gebe es keine Bestimmungen darüber, wie kirchliche Gesetze und Verordnungen bekanntzumachen seien. Auch die (staatliche) Steuerordnung enthalte keine einschlägigen Vorschriften. Weder das (kirchliche) Kirchensteuergesetz vom 2. März 1932 mit seinen Änderungen noch das Austrittsgesetz seien in einem amtlichen staatlichen Verkündungsblatt veröffentlicht. Zweifel an der Gültigkeit der kirchlichen Gesetze im staatlichen Bereich seien nicht begründet. Zu dieser Schlußfolgerung berechtigten jedenfalls die Urteile des BVerfG vom 14. Dezember 1965 1 BvR 586/58 (BStBl I 1966, 200) zum bremischen Kirchensteuerrecht und noch klarer 1 BvR 571/60 (BStBl I 1966, 201) zum hamburgischen Kirchensteuerrecht. Im letzteren Urteil habe das BVerfG gegen die Wirksamkeit der Kirchensteuerordnung keine Bedenken erhoben und demgemäß die Verfassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen, obwohl die dem angegriffenen Steuerbescheid zugrunde liegende Kirchensteuerordnung in keinem Verkündungsblatt der Freien und Hansestadt Hamburg veröffentlicht gewesen sei. Dem weitgehenden Selbstverwaltungsrecht der Kirche (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung, Art. 59 der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen) müsse auch bei der Veröffentlichung von Rechtsvorschriften Rechnung getragen werden. Die Bekanntmachung in einem kirchlichen Amtsblatt sei demgemäß ausreichend.
III. Entscheidung des Senats
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist zulässig, jedoch nicht begründet.
1. Der Finanzrechtsweg ist durch Art. 6 AGFGO i. V. m. § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO eröffnet. Im Lande Bremen werden die Kirchensteuern i. S. des Art. 6 AGFGO durch Landesfinanzbehörden verwaltet, wie der Senator für Finanzen dargelegt hat.
2. Die Anwendung der landesrechtlichen Vorschriften über die Kirchensteuer und der auf diesen beruhenden kirchenrechtlichen Vorschriften unterliegt der Nachprüfung durch den BFH im Revisionsverfahren. Zwar ergibt sich dies noch nicht ohne weiteres aus der Eröffnung des Finanzrechtswegs (BFH-Beschluß vom 24. Juni 1969 II B 2/68, BFHE 96, 155, BStBl II 1969, 663). Die Revisibilität folgt jedoch aus § 7 Abs. 1 des bremischen KiStG vom 18. Dezember 1974, das nach seinem § 13 am 1. Januar 1975 in Kraft getreten ist. Für den Umfang der materiellen Revisionsprüfung ist nicht der im Zeitpunkt der Revisionseinlegung, sondern der im Zeitpunkt der Entscheidung geltende Rechtszustand maßgebend (Entscheidung des BGH vom 15. Oktober 1953 III ZR 21/53, BGHZ 10, 368; BFH-Urteil vom 22. Oktober 1971 II R 104/70, BFHE 103, 541, BStBl II 1972, 183). Die Übergangsvorschriften des § 12 KiStG sehen insoweit keine Ausnahme von dem allgemeinen Zeitpunkt des Inkrafttretens vor. Nach § 7 KiStG sind auf die Kirchensteuer vom Einkommen die für die Einkommensteuer geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit sich aus diesem Gesetz oder aus der Kirchensteuerordnung nichts anderes ergibt. In § 8 KiStG finden sich abweichende Vorschriften nur für den Fall der Verwaltung der Kirchensteuer durch die Kirchen. Im Streitfall war die Verwaltung der Kirchensteuer den Landesfinanzbehörden übertragen. Nach § 9 Abs. 1 letzter Satz KiStG gilt die Verwaltung als übertragen, soweit die Kirchensteuern beim Inkrafttreten des Kirchensteuergesetzes von den Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Der Senator für Finanzen hat in seiner Stellungnahme dargelegt, daß die Verwaltung bereits durch einen Erlaß des RdF vom 13. Februar 1923 auf die Landesbehörden übertragen worden war. Zu den für die Einkommensteuer geltenden Vorschriften (§ 7 Abs. 1 KiStG) gehört auch § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO, der Bundesrecht schlechthin für revisibel erklärt. Zu einer solchen Regelung war die Freie Hansestadt Bremen bereits aufgrund des Art. 99 GG befugt (vgl. Urteil des BFH vom 20. Oktober 1972 VIR 56/69, BFHE 107, 349, BStBl II 1973, 170; Beschluß des BFH II B 2/68). Es kann dahingestellt bleiben, ob aus § 6 AGFGO, wie der Senator für Finanzen meint, die Erklärung i. S. des § 118 Abs. 1 Satz 2 FGO hergeleitet werden kann, daß das Landeskirchensteuerrecht im Revisionsverfahren nachgeprüft werden kann.
3. Nach § 12 KiStG sind die Kirchensteuerordnungen bis zum Ablauf des Kalenderjahres 1975 den Erfordernissen dieses Gesetzes anzupassen oder neu zu schaffen. Bis dahin gelten unbeschadet des (hier nicht in Betracht kommenden) Abs. 2 die bisherigen kirchenrechtlichen Regelungen weiter. Hieraus folgt, daß für das Streitjahr 1968 weiterhin die Vorschriften der (staatlichen) Steuerordnung vom 9. November 1922 mit späteren Gesetzesänderungen sowie die darauf beruhenden Vorschriften des (kirchlichen) Kirchensteuergesetzes vom 2. März 1932 mit späteren Änderungen gelten. Aus der Tatsache, daß die kirchlichen Kirchensteuergesetze nur in kirchlichen Verkündungsblättern, nicht aber in einem amtlichen staatlichen Verkündungsblatt veröffentlicht worden sind, lassen sich Bedenken gegen die Rechtsgültigkeit nicht herleiten. Nachdem der Kirche das Recht zur Erhebung einer Kirchensteuer durch staatliches Gesetz verliehen worden ist, konnte die Bremische Evangelische Kirche von dem ihr verliehenen Recht im Rahmen ihres allgemeinen Selbstverwaltungsrechts Gebrauch machen; dieses erforderte aber keine Verkündung in einem staatlichen Verkündungsorgan. Zutreffend weist der Senator für Finanzen darauf hin, daß auch das BVerfG in seinen Entscheidungen 1 BvR 586/58 und 1 BvR 571/60 keine Bedenken gegen die Rechtsgültigkeit erhoben hat. Diese Überlegungen gelten auch für das (kirchliche) Austrittsgesetz vom 23. Februar 1961 i. d. F. vom 9. Juni 1966.
4. Der Senat tritt dem Senator für Finanzen darin bei, daß der günstigeren Regelung des (kirchlichen) Austrittsgesetzes (§ 4 Abs. 2) der Vorrang vor der ungünstigeren Regelung der (staatlichen) Steuerordnung (§ 3 Abs. 2 Satz 2) gebührt. Die Kirche war nicht verpflichtet, den vollen Rahmen der staatlichen Regelung (Erlöschen der Kirchensteuerpflicht mit Ablauf des Kalenderjahres aufgrund einer spätestens drei Monate vorher abgegebenen Austrittserklärung) voll auszuschöpfen, jedenfalls soweit - wie bei der Kirchensteuererhebung - allein ihre Interessen berührt werden. Sie konnte vielmehr bereits, wie auch der Senator für Finanzen annimmt, zu einem früheren Zeitpunkt, nämlich mit dem Ende des zweiten auf die Abgabe der Austrittserklärung folgenden Monats, auf ihre Rechte zur Kirchensteuererhebung verzichten. Es ist demnach mit dem FA und dem FG davon auszugehen, daß im Streitfall die Kirchensteuerpflicht mit dem Ablauf des 31. August 1968 endete.
5. Nach § 1 des (kirchlichen) KiStG erhebt die Bremische Evangelische Kirche eine jährliche Kirchensteuer nach den Bestimmungen der (staatlichen) Steuerordnung. In § 2 dieses KiStG ist vorgeschrieben, daß die Steuer in Form eines Zuschlages zur Reichseinkommensteuer erhoben wird. Die Vorschrift des § 2 Abs. 1 der (staatlichen) Steuerordnung, nach der auf die Veranlagung der Steuer die für die Einkommensteuer jeweils geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden sind, ist vom FG zutreffend als Ausgangspunkt für die materiell-rechtliche Beurteilung zugrunde gelegt worden.
Die Kirchensteuer ist kraft ausdrücklicher kirchengesetzlicher Vorschrift ebenso wie die veranlagte Einkommensteuer (vgl. § 25 Abs. 1 EStG) eine Jahressteuer. Im Kirchensteuerrecht sind die Rechtsfolgen, wenn die Kirchensteuerpflicht nicht während des ganzen Jahres bestanden hat, nicht ausdrücklich geregelt. Das FG hat deshalb mit Recht die Vorschrift des § 25 Abs. 2 Satz 1 EStG entsprechend angewendet, nachder bei der Einkommensbesteuerung nur das während der Dauer der Steuerpflicht bezogene Einkommen zugrunde gelegt wird, wenn die Steuerpflicht nicht während des vollen Veranlagungszeitraums bestanden hat. Hiernach darf bei Begründung der (unbeschränkten) Einkommensteuerpflicht erst im Laufe des Veranlagungszeitraums oder bei Beendigung der Steuerpflicht, z. B. durch Aufgabe des Wohnsitzes vor Ende des Veranlagungszeitraums, das vorher oder nachher bezogene Einkommen nicht im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht besteuert werden. Ferner ist es anerkanntes Recht, daß Einkünfte, die vor Begründung oder nach Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht während des Kalenderjahres bezogen worden sind und die der beschränkten Steuerpflicht unterliegen, in einer gesonderten Veranlagung, die neben der Veranlagung für die unbeschränkt steuerpflichtigen Einkünfte durchzuführen ist, zur Einkommensbesteuerung herangezogen werden (vgl. Kommentar zum Einkommensteuergesetz von Blümich-Falk-Steinbring-Uelner, 10. Aufl. 1972, § 25 Anm. 3 und 4). Die während der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht bezogenen Einkünfte und die gegebenenfalls nur beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte werden daher jeweils so besteuert, als wenn es sich um die Einkünfte des gesamten Veranlagungszeitraums handelt. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, daß unbeschränkt steuerpflichtige und beschränkt steuerpflichtige Einkünfte während desselben Veranlagungszeitraums angefallen sind.
Eine entsprechende Anwendung dieser Grundsätze für die Veranlagung der Kirchensteuer ergibt nach Auffassung des Senats, daß Einkommensteuern, die nach dem Ende der Kirchensteuerpflicht anfallen, in die Bemessungsgrundlage für die Kirchensteuer nicht einbezogen werden dürfen. Eine Einbeziehung ist auch nicht in der vom FA angewandten Form (Zwölftelung der Jahreseinkommensteuer) zulässig; denn auch hierbei würde die Kirche eine Steuer erlangen, zu deren Erhebung sie nicht berechtigt ist. Die Tatsache, daß lediglich eine Einkommensteuer auf der Grundlage des Einkommens des gesamten Kalenderjahres ermittelt wird, daß also im normalen Veranlagungsverfahren eine auf die Zeit der Kirchensteuerpflicht beschränkte Einkommensteuer nicht ermittelt wird, vermag eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Ist ein Betrag an Einkommensteuer als Bemessungsgrundlage nicht vorhanden, so muß ein solcher gesondert ermittelt und gegebenenfalls nach § 217 AO geschätzt werden. Bei der Ermittlung des Einkommensteuerbetrages darf dann nur das Einkommen zugrunde gelegt werden, das der Steuerpflichtige während der Zeit der Kirchensteuerpflicht bezogen hat. Die als Bemessungsgrundlage in Betracht kommende Einkommensteuer ist auf dieser Grundlage als Jahreseinkommensteuer zu ermitteln und der Berechnung der Kirchensteuer zugrunde zu legen.
Nach diesen Grundsätzen hat das FG zutreffend den erst nach dem Ende der Kirchensteuerpflicht angefallenen Veräußerungsgewinn bei der Ermittlung der Kirchensteuer außer Betracht gelassen. Zu der Frage, ob sich über die vom FG vorgenommene Ermäßigung der Kirchensteuer hinaus eine weitere Ermäßigung dadurch ergeben würde, daß auch die normalen, nach dem Ende der Kirchensteuerpflicht angefallenen Einkünfte bei der Berechnung der Bemessungsgrundlage für die Kirchensteuer nicht mitberücksichtigt werden dürfen, hatte der Senat nicht Stellung zu nehmen, da nur das FA, nicht aber die Klägerin Revision eingelegt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 71704 |
BStBl II 1976, 101 |
BFHE 1976, 331 |