Entscheidungsstichwort (Thema)
Streikunterstützungen nicht steuerbar
Leitsatz (amtlich)
Streikunterstützungen unterliegen nicht der Einkommensteuer (Abweichung von den BFH-Urteilen vom 30.Oktober 1970 VI R 273/67, BFHE 100, 504, BStBl II 1971, 138; vom 30.März 1982 III R 150/80, BFHE 135, 488, BStBl II 1982, 552).
Orientierungssatz
1. Streikunterstützungen sind weder Arbeitslohn noch Gegenleistung für eine Leistung nach § 22 Nr. 3 EStG noch eine Entschädigung in der Form des Ersatzes entgangener Einnahmen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG.
2. Der Begriff der Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG setzt voraus, daß der Steuerpflichtige, der selbst an der Herbeiführung des Einnahmenausfalls mitgewirkt hat, unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck gehandelt hat (vgl. BFH-Rechtsprechung).
3. Leistung i.S. des § 22 Nr. 3 EStG ist jedes Tun, Unterlassen und Dulden, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrags sein kann und um dessen Entgelts willen erbracht wird (vgl. BFH-Rechtsprechung).
4. Es gibt keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Inhalts, daß sämtliche durch einen Werbungskostenaufwand veranlaßten Vorteile Einnahmen in der Einkunftsart sein müßten, für die der Abzug geltend gemacht wird.
5. Beiträge an Berufsverbände ―u.a. Gewerkschaften― sind schon dann als Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten abziehbar, wenn die Ziele des Verbands geeignet sind, den Betrieb bzw. den Beruf zu erhalten und zu fördern (vgl. BFH-Urteil vom 18.9.1984 VIII R 324/82), unabhängig davon, ob im Einzelfall die beabsichtigte Förderung eintritt.
6. Ein Vorteil wird dann "für" eine Beschäftigung gewährt, wenn er nur mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis eingeräumt wird und sich im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist (vgl. Urteile vom 11.3.1988 VI R 106/84 und vom 2.2.1990 VI R 15/86). Wird der Vorteil dem Arbeitnehmer nicht von seinem Arbeitgeber, sondern von einem Dritten zugewendet, ist Arbeitslohn nur dann anzunehmen, wenn "zwischen der Zuwendung des Dritten und der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers eine innere Verknüpfung besteht und der Dritte nicht gegen den Willen und die Interessen des Arbeitgebers handelt"; die Zuwendung ist "nicht durch das Dienstverhältnis veranlaßt, wenn sie auf eigenen, unmittelbaren rechtlichen oder wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Dritten beruht" (vgl. Urteil vom 10.9.1982 VI R 175/79).
Normenkette
EStG § 2 Abs. 1 Nr. 4, § 19 Abs. 1, § 22 Nr. 3, § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 4 Abs. 4, § 9 Abs. 1 Nr. 3; LStDV 1978 § 2 Abs. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Der Kläger (Ehemann) ist als Arbeiter bei der B-AG beschäftigt. Er ist Mitglied der Industriegewerkschaft (IG) Metall.
Die IG Metall führte 1984 einen Schwerpunktstreik bei der B-AG durch, an dem der Kläger teilnahm. Der Kläger bezog von der IG Metall Streikunterstützung in Höhe von 2 041 DM. Ihm entstanden Aufwendungen in Höhe von 155,80 DM für Fahrten zur regelmäßigen Meldung im Streiklokal und für Mehrverpflegung wegen der Teilnahme an Streikversammlungen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) veranlagte die Kläger für 1984 gemäß § 46 Abs.2 Nr.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zur Einkommensteuer. Dabei erfaßte er die Streikunterstützung als Einnahme aus nichtselbständiger Arbeit und berücksichtigte die o.a. Aufwendungen als Werbungskosten. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ab (Urteile vom 30.Oktober 1970 VI R 273/67, BFHE 100, 504, BStBl II 1971, 138; vom 30.März 1982 III R 150/80, BFHE 135, 488, BStBl II 1982, 552).
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung des § 24 Nr.1 Buchst.a EStG und des Art.9 Abs.3 des Grundgesetzes (GG).
Sie beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit um 2 041 DM zu mindern, hilfsweise, die Streikunterstützung mit dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs.1 und 2 EStG zu besteuern.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren trotz Aufforderung nicht beigetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, des angegriffenen Steuerbescheids und der Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. Die dem Kläger gewährte Streikunterstützung zählt weder zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 2 Abs.1 Nr.4, § 19 Abs.1 EStG) noch ist sie eine Entschädigung für entgangene Einnahmen gemäß § 24 Nr.1 Buchst.a EStG. Sie ist auch keine Einnahme aus einer Leistung i.S. des § 22 Nr.3 EStG. Andererseits entfällt der Werbungskostenabzug der streikbedingten Aufwendungen.
2. Der VI.Senat des BFH in BFHE 100, 504, 509, BStBl II 1971, 138 und der III.Senat des BFH in BFHE 135, 488, 489, BStBl II 1982, 552 haben entschieden, daß Streikunterstützungen nicht Arbeitslohn im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sind (§ 19 Abs.1 Nr.1 EStG i.V.m. § 2 Abs.1 Nr.4 EStG, § 2 Abs.1 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung ―LStDV―). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Sie wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß der VI.Senat nach Ergehen der o.a. Entscheidungen den Arbeitslohnbegriff neu gefaßt hat und seither unter Arbeitslohn jeden geldwerten Vorteil versteht, der durch das individuelle Dienstverhältnis veranlaßt ist (Urteil vom 17.September 1982 VI R 75/79, BFHE 137, 13, 17, BStBl II 1983, 39 und die folgende Rechtsprechung).
Nach § 19 Abs.1 Nr.1 EStG gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 2 Abs.1 Nr.4 EStG Löhne, Gehälter, Gratifikationen, Tantiemen und andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um laufende oder einmalige Bezüge handelt, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht und unter welcher Bezeichnung oder Form sie gewährt werden (§ 2 Abs.1 Satz 3 LStDV). Auch die neuere Rechtsprechung des VI.Senats erachtet einen Vorteil lediglich dann "für" eine Beschäftigung gewährt, wenn er nur mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis eingeräumt wird und sich im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist (Urteile vom 11.März 1988 VI R 106/84, BFHE 153, 324, 329 f., BStBl II 1988, 726; vom 2.Februar 1990 VI R 15/86, BFHE 159, 513, BStBl II 1990, 472 m.w.N.). Wird der Vorteil dem Arbeitnehmer nicht von seinem Arbeitgeber, sondern von einem Dritten zugewendet, ist Arbeitslohn nur dann anzunehmen, wenn "zwischen der Zuwendung des Dritten und der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers eine innere Verknüpfung besteht und der Dritte nicht gegen den Willen und die Interessen des Arbeitgebers handelt"; die Zuwendung ist "nicht durch das Dienstverhältnis veranlaßt, wenn sie auf eigenen, unmittelbaren rechtlichen oder wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Dritten beruht" (Urteil vom 10.September 1982 VI R 175/79, nicht veröffentlicht ―NV―).
Der erkennende Senat hält diese Rechtsgrundsätze für zutreffend. Dem steht nicht entgegen, daß § 19 Abs.1 Nr.1 EStG nur eine beispielhafte Umschreibung der Einkünfte i.S. des § 2 Abs.1 Nr.4 EStG enthält (Kirchhof in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 2 Rdnr.A 75; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 9.Aufl. 1990, § 19 Anm.2; Lang, Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft ―DStJG― Bd.9, 1986 S.15, 72). Denn die seit dem EStG 1934 im wesentlichen unverändert fortgeltende Aufzählung (zur Rechtsentwicklung vgl. Giloy in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 19 Rdnrn.A 44 ff.) ist außerdem als eine typisierende Festlegung dieser Einkunftsart anzusehen ―mit der Folge, daß andere Einnahmen, die in diesem Katalog nicht aufgeführt sind, den ausdrücklich genannten in ihrem Kern entsprechen, d.h. im weitesten Sinne Gegenleistungscharakter aufweisen müssen. Es genügt nicht, daß ―wie dies zum Teil in der Literatur vertreten wird (Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 19 EStG Anm.400, Stichwort "Streikgelder"; Lang, a.a.O., S.52, 72)― ein sachlicher Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit besteht (wie hier Herrmann in Festschrift für Claus Arndt, 1987, S.49; derselbe in Frotscher, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 19, Rdnr.262 a; ferner Crezelius, DStJG Bd.9, 1986, S.85, 113).
Streikunterstützungen sind auch im weitesten Sinne nicht Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des streikenden Arbeitnehmers. Sie werden nach § 23 der Satzung der IG Metall mit Genehmigung des Vorstands bei einem beschlossenen Streik von der IG Metall an Mitglieder gezahlt, beginnend vom ersten Werktag des Ausstands; grundsätzlich muß das unterstützte Mitglied bei Beginn der vorangehenden Urabstimmung mindestens drei Monate der Gewerkschaft angehört und während dieser Zeit satzungsgemäße Beiträge gezahlt haben. Die Streikunterstützungen haben sonach ihre Rechtsgrundlage in der Mitgliedschaft des Arbeitnehmers bei der Gewerkschaft. Die Gewerkschaft gewährt die Unterstützung zur Durchsetzung ihrer gewerkschaftlichen Ziele. Der von ihr initiierte Streik als Mittel des kollektiven Arbeitskampfs soll nicht daran scheitern, daß die Mitglieder infolge des Ausfalls ihrer Arbeitsbezüge in soziale Not geraten. Der Arbeitgeber ―ansonsten Vertragspartner des (nicht streikenden) Arbeitnehmers― hat mit der Unterstützungsleistung nichts zu tun; Streik und Streikunterstützungen richten sich vielmehr gegen seine Interessen.
Die mittelbare betragsmäßige Anbindung der Streikunterstützung an den Arbeitslohn (Gewerkschaftsbeiträge abhängig vom Bruttoverdienst, Streikunterstützung abhängig von den Gewerkschaftsbeiträgen ―vgl. § 5 Nr.2, § 23 Nr.3 der Satzung der IG Metall―) schafft allenfalls einen äußeren Zusammenhang. Dies zeigt sich auch darin, daß die Höhe der Unterstützungsleistung vor allem durch die Dauer der Mitgliedschaft des Arbeitnehmers in der Gewerkschaft bestimmt wird (§ 23 Nr.2 der Satzung der IG Metall).
Die Abziehbarkeit der Gewerkschaftsbeiträge als Werbungskosten gemäß § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.3 EStG (BFH-Urteil vom 28.November 1980 VI R 193/77, BFHE 132, 431, BStBl II 1981, 368) spricht nicht für die Steuerbarkeit der von der Gewerkschaft gezahlten Streikunterstützungen. Es gibt keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Inhalts, daß sämtliche durch einen Werbungskostenaufwand veranlaßten Vorteile Einnahmen in der Einkunftsart sein müßten, für die der Abzug geltend gemacht wird. Beiträge an Berufsverbände ―u.a. an Gewerkschaften― sind schon dann als Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten abziehbar, wenn die Ziele des Verbands geeignet sind, den Betrieb bzw. den Beruf zu erhalten und zu fördern (BFH-Urteil vom 18.September 1984 VIII R 324/82, BFHE 142, 251, BStBl II 1985, 92), unabhängig davon, ob im Einzelfall die beabsichtigte Förderung eintritt. Derartigen Zielen dient auch die IG Metall, die nach § 2 ihrer Satzung wirtschaftliche, soziale, berufliche und kulturelle Interessen ihrer Mitglieder fördern soll. Erreicht sie beispielsweise Lohnerhöhungen ―mit oder ohne Arbeitskampf―, sind diese Arbeitslohn. Im übrigen kann sie die Belange ihrer Mitglieder auch anders in vielfältiger Weise fördern, ohne daß die erlangten Vorteile Arbeitslohn sein müßten: u.a. Fortbildungsmaßnahmen, Erteilung von Rechtsauskünften, Gewährung von Rechtsschutz. Gleiches gilt für die Streikunterstützungen.
3. Streikunterstützungen sind keine Entschädigung in der Form des Ersatzes entgangener Einnahmen (Arbeitslohn) i.S. des § 24 Nr.1 Buchst.a EStG. Der erkennende Senat weicht insoweit von den Urteilen des VI.Senats in BFHE 100, 504, BStBl II 1971, 138 und des III.Senats in BFHE 135, 488, BStBl II 1982, 552 ab. Der Senat kann dahingestellt sein lassen, ob sich die Auffassung der beiden Senate mit der Ansicht vereinbaren läßt, die ausdrücklich auch der VI.Senat in BFHE 100, 504, 510, BStBl II 1971, 138 vertritt, daß § 24 Nr.1 EStG keine selbständige Einkunftsart neben den Einkunftsarten des § 2 Abs.1 EStG bildet. Auch wenn im Hinblick auf die Erwähnung des § 24 EStG in § 2 Abs.1 EStG und den Gebrauch des Wortes "auch" in den Eingangsworten des § 24 EStG anzunehmen wäre, daß § 24 EStG eine Ausweitung der Steuerpflicht gegenüber § 2 Abs.1 Nr.4, § 19 Abs.1 EStG begründet, wären die Streikunterstützungen nicht nach dieser Vorschrift zu erfassen. Sie sind jedenfalls keine Entschädigung i.S. des § 24 Nr.1 Buchst.a EStG.
Der Begriff der Entschädigung setzt voraus, daß der Steuerpflichtige, der wie hier selbst an der Herbeiführung des Einnahmenausfalls mitgewirkt hat, unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck gehandelt hat (BFH-Urteile vom 20.Juli 1978 IV R 43/74, BFHE 125, 271, BStBl II 1979, 9; vom 27.Juli 1978 IV R 149/77, BFHE 126, 158, BStBl II 1979, 66; vom 20.Oktober 1978 VI R 107/77, BFHE 126, 408, BStBl II 1979, 176; vom 26.Februar 1988 III R 241/84, BFHE 153, 33, 37, BStBl II 1988, 615). Dies bedeutet: Der Steuerpflichtige darf das schadenstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben; der Ausfall der Einnahmen muß von dritter Seite veranlaßt worden sein.
Diesem Erfordernis liegt die Überlegung zugrunde, daß die Steuerermäßigung nach § 34 Abs.1, Abs.2 Nr.2 EStG nur in den Fällen gerechtfertigt ist, in denen sich der Steuerpflichtige in einer Zwangssituation befindet und sich dem zusammengeballten Zufluß der Einnahmen nicht entziehen kann; im allgemeinen kommt hinzu, daß die Entschädigung hinter einem vollen Ausgleich der entgangenen oder der entgehenden Einnahmen zurückbleibt (BFH-Urteil vom 17.Dezember 1959 IV 223/58 S, BFHE 70, 195, BStBl III 1960, 72).
Maßgeblich ist danach, welcher Sphäre das schadenstiftende Ereignis zuzuordnen ist. Aus diesem Grund wird z.B. weder die eigene Krankheit (BFH-Urteil vom 5.Februar 1987 IV R 121/83, BFH/NV 1987, 571) noch die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nach Eheschließung (BFH-Urteil vom 21.Juni 1990 X R 46/86, BFHE 161, 370, BStBl II 1990, 1020) als Zwangslage i.S. des § 24 Nr.1 Buchst.a EStG beurteilt. Eine Zwangslage entfällt auch, wenn der Steuerpflichtige in seiner Sphäre freiwillig eine Ursachenkette in Gang setzt, die ihm später keinen Entscheidungsspielraum mehr beläßt.
Im Streitfall ist der Druck, dem der Kläger nach dem Streikbeschluß aus rechtlichen, wirtschaftlichen und tatsächlichen Gründen ausgesetzt war und der ihn zur Mitwirkung an den Streikmaßnahmen nötigte, in seiner Sphäre begründet. Der Kläger ist aus freien Stücken der Gewerkschaft beigetreten und hat mit dem Beitritt deren Satzung gebilligt. Damit hat er vorweg auch die generelle Bereitschaft bekundet, satzungsgemäß beschlossene Kampfmaßnahmen der Gewerkschaft mitzutragen und zu befolgen und zwar unabhängig davon, wie er später im konkreten Fall bei einer Urabstimmung votiert.
Der III.Senat hat demgegenüber in Zweifel gezogen, ob der Arbeitnehmer das schadenstiftende Ereignis des Streiks selbst herbeigeführt habe; entscheidender Akt der Streikwillensbildung sei nicht die Urabstimmung der Arbeitnehmer, sondern die Genehmigung des Streiks durch den Vorstand der Gewerkschaft (im Anschluß an Kruse, Steuer und Wirtschaft ―StuW― 1981, 15). Davon abgesehen, sei das einzelne Gewerkschaftsmitglied einem erheblichen wirtschaftlichen bzw. tatsächlichen Druck deswegen ausgesetzt, weil die zwischen den Tarifvertragsparteien geführten Verhandlungen in eine ausweglose Situation geführt hätten; auch fühle sich das einzelne Mitglied in aller Regel den satzungsgemäß gefaßten Beschlüssen der Gewerkschaftsorgane verpflichtet, weil das Kollektiv von ihm Solidarität erwarte (im einzelnen BFHE 135, 488, 494 f., BStBl II 1982, 552 unter 3. e). Der Senat vermag diesen Ausführungen nicht zu folgen.
Es trifft zu, daß der Streik einen Beschluß des Gewerkschaftsvorstandes voraussetzt (§ 22 Nr.1 der Satzung der IG Metall). Erforderlich ist indessen auch ―jedenfalls nach § 22 Nr.2 Abs.2 der Satzung der IG Metall― eine Urabstimmung; der Streikantrag muß abgelehnt werden, wenn nicht mindestens 75 v.H. der Mitglieder der Arbeitseinstellung zustimmen. Ergibt die Urabstimmung entgegen dem Votum des Mitglieds das Streikquorum von 75 v.H. und beschließt der Vorstand den Streik, hat auch das bei der Urabstimmung unterlegene arbeitswillige Mitglied den Streik mit herbeigeführt. Es hat sich, wie dargelegt, mit dem Erwerb der Mitgliedschaft den Abstimmungsregeln der Gewerkschaft unterworfen.
Es mag sein, daß einzelne Gewerkschaftsmitglieder die Situation nach Abbruch der Tarifverhandlungen als ausweglos empfinden und den Streik lediglich aus Solidarität mit dem Kollektiv der anderen Gewerkschaftsmitglieder mittragen. Hierauf kommt es indessen ebensowenig an wie auf das Verhalten des einzelnen Mitgliedes bei der Urabstimmung; denn die Mitglieder, die sich durch den Streik beschwert fühlen, haben die Ursache hierfür in ihrer Sphäre dadurch mit gesetzt, daß sie freiwillig der Gewerkschaft beitraten und sich mit deren satzungsgemäß beschlossenen Maßnahmen von vornherein einverstanden erklärten.
Die Abweichung von den Urteilen des VI.Senats in BFHE 100, 504, BStBl II 1971, 138 und des III.Senats in BFHE 135, 488, BStBl II 1982, 552 erfordert keine Anrufung des Großen Senats gemäß § 11 Abs.3 FGO oder Anfragen gemäß § 2 Abs.2 der BFH-Geschäftsordnung bei diesen Senaten. Der erkennende Senat ist gemäß BFH-Geschäftsverteilungsplan 1990 "A. Sachliche Zuständigkeit der Senate. X.Senat Nr.3 a" für die Entscheidung der Rechtsfrage ausschließlich zuständig (dazu Beschluß des Großen Senats vom 15.November 1971 GrS 1/71, BFHE 103, 433, 436, BStBl II 1972, 68).
4. Schließlich ist die Streikunterstützung auch nicht Gegenleistung für eine Leistung nach § 22 Nr.3 EStG. Leistung i.S. des § 22 Nr.3 EStG ist jedes Tun, Unterlassen und Dulden, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrags sein kann und um dessen Entgelts willen erbracht wird (BFH-Urteile vom 25.September 1979 VIII R 34/78, BFHE 129, 128, BStBl II 1980, 114; vom 21.September 1982 VIII R 73/79, BFHE 137, 251, BStBl II 1983, 201; vom 28.November 1984 I R 290/81, BFHE 143, 38, BStBl II 1985, 264; vom 9.August 1990 X R 140/88, BFHE 161, 531, BStBl II 1990, 1026). Die Streikunterstützung wird nicht als Gegenleistung für die Teilnahme am Streik gewährt. Das einzelne Mitglied nimmt nicht am Streik teil, um die Streikunterstützung zu erhalten (Seuffert, Deutsches Steuerrecht 1979, 395, 399).
5. Da mit dem Wegfall des Ansatzes der Streikunterstützung die Voraussetzungen für eine Einkommensteuerveranlagung gemäß § 46 Abs.2 Nr.1 EStG entfallen, sind die Vorentscheidung, der Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Das FA wird nunmehr den von den Klägern beantragten Lohnsteuer-Jahresausgleich durchzuführen und dabei auch die Konsequenzen aus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 12.Juni 1990 1 BvL 72/86 (BStBl II 1990, 664) zu ziehen haben (vgl. BMF-Schreiben vom 24.September 1990, BStBl I 1990, 624, Abschn.III 3.) Die dem Kläger durch die Teilnahme am Streik entstandenen Aufwendungen in Höhe von 155,80 DM können nicht gemäß § 9 Abs.1 Satz 1 EStG als Werbungskosten abgezogen werden, da sie nach den vorstehenden Ausführungen nicht mit steuerbaren Einnahmen im Zusammenhang stehen.
Fundstellen
Haufe-Index 63483 |
BFH/NV 1991, 10 |
BStBl II 1991, 337 |
BFHE 162, 329 |
BFHE 1991, 329 |
BB 1991, 117 |
BB 1991, 117-118 (LT) |
DB 1991, 259-260 (LT) |
DStR 1991, 115 (KT) |
DStZ 1991, 214 (K) |
HFR 1991, 197 (LT) |
StE 1991, 18 (K) |