Entscheidungsstichwort (Thema)
Bauten auf fremdem Grund und Boden
Leitsatz (NV)
1. Es gibt keinen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, daß ein Mieter oder Pächter, der auf einem gemieteten oder gepachteten Grundstück ein Gebäude auf eigene Rechnung errichtet und für Zwecke seines Unternehmens nutzt, die Verfügungsmacht an dem Gebäude weiter überträgt. Vielmehr kommt es auf die Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls an.
2. Liefert der Mieter oder Pächter das von ihm errichtete Gebäude unmittelbar an den Grundstückseigentümer weiter, ist die Gebäudelieferung nicht nach § 4 Nr.9 Buchst. a UStG 1973 steuerfrei.
3. Liegt das Entgelt für die Gebäudelieferung unmittelbar in der Nutzungsüberlassung des bebauten Grundstücks, kann der Wert des Entgelts (der Nutzungsüberlassung) nicht im Rahmen einer Schätzung mit den Herstellungskosten des Gebäudes berücksichtigt werden; vielmehr sind die Vorschriften der §§ 13 ff. BewG zu berücksichtigen.
Normenkette
UStG 1973 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1, 4, § 4 Nr. 9 Buchst. a, § 10 Abs. 3 S. 2; BewG § 13 ff.
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Inhaber eines Fleischgroßhandelsgeschäfts. 1976 überließ ihm die Stadt Z im Schlachthofbereich eine Fläche zur Errichtung eines Kühl- und Zerlegeraumes. Hierüber gibt es zwei Miet- und Gestattungsverträge, nämlich vom 23. Juli 1976 und vom 27. Juni 1978. Der Vertrag vom 23. Juli 1976 sah eine Vertragsdauer von 20 Jahren, der Vertrag vom 27. Juni 1978 eine Vertragsdauer von 30 Jahren vor. Nach beiden Verträgen waren sich die Vertragsparteien darüber einig, daß ,,die Gebäude" unmittelbar in das Eigentum der Stadt Z übergingen. Für die vertraglich festgelegten Fälle vorzeitiger Vertragsauflösung war eine Entschädigung des Klägers auf der Basis des Herstellungswertes des Gebäudes vereinbart, der sich für jedes Jahr der Mietzeit um 5 bzw. 3,3 v.H. verringern sollte. Im Vertrag vom 27. Juni 1978 einigten sich die Vertragsparteien auf einen Herstellungswert von . . . DM.
Die vereinbarte Jahresmiete sollte nach beiden Verträgen 3 v.H. des Verkehrtswertes der vermieteten Fläche betragen. Für die Zeit nach Vertragsende war dem Kläger bzw. seinen Erben ein Vormietrecht zu den üblichen Konditionen eingeräumt worden. Der Kläger war ferner verpflichtet, das Grundstück samt Gebäude nur für eigenbetriebliche Zwecke und fast ausschließlich zur Verarbeitung von Fleisch zu verwenden, das aus Schlachtungen im Schlachthof stammte. Eine Untervermietung bedurfte der Genehmigung der Vermieterin. Die Kosten der Versorgung des Neubaus mit Strom, Kalt- und Warmwasser sowie die Kosten für die Reparatur und Instandhaltung der vom Kläger eingebauten betrieblichen Anlagen und Einrichtungen gingen zu seinen Lasten. Die Energiekosten für die Kühlaggregate sowie die Kosten für die Reparatur und Instandhaltung des Gebäudes sollte die Vermieterin tragen. Diese hatte auch alle für die Gebäulichkeiten anfallenden Steuern und öffentlichen Abgaben zu zahlen.
Der Kläger errichtete das in den Verträgen genannte Gebäude in den Jahren 1976 und 1977. Es besteht aus einem Kühl- und Zerlegungsraum sowie aus einem kleinen Büro- und Abstellraum; es ist durch einen überdachten Verbindungsgang mit dem städtischen Schlachthof verbunden. In den Bilanzen für die Jahre 1976 bis 1980 wurde es vom Kläger aktiviert und entsprechend einer dreißigjährigen Nutzungsdauer abgeschrieben.
Im Anschluß an eine Betriebsprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Auffassung, daß zwar der Vorsteuerabzug des Klägers aus den Bauaufwendungen nicht zu beanstanden sei, der Kläger aber die Weiterlieferung des Gebäudes an den Grundstückseigentümer (Stadt Z) zu versteuern habe. Das Entgelt für die Lieferung bestehe im Verzicht der Vermieterin auf den Pachtzins und entspreche den aufgewendeten Herstellungskosten; aus dieser Bemessungsgrundlage ergebe sich eine Umsatzsteuer von . . . DM. Dementsprechend änderte das FA die Umsatzsteuerveranlagung des Klägers für 1977 (auf § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 - gestützter Änderungsbescheid vom 27. April 1982).
Einspruch und Klage gegen diesen Bescheid hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1987, 525 zum Teil veröffentlicht ist, ging von einer Lieferung des Gebäudes an die Stadt gegen ein Entgelt in Höhe von . . . DM aus. Es verneinte die Steuerfreiheit der Lieferung gemäß § 4 Nr.9 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1973), meinte aber, die Steuerfestsetzung ändere sich nicht, wenn die Gebäudelieferung steuerfrei sei, da dann der Vorsteuerabzug in gleicher Höhe entfalle.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts. Er macht geltend, er habe der Stadt Z das Gebäude nicht weitergeliefert.
Das FA ist der Revision entgegengetreten. Es sieht einen Unterschied zu sonstigen Fällen mit Mieter(ein)bauten, bei denen die Finanzverwaltung keine Weiterlieferung an den Grundstückseigentümer annimmt, in folgenden Umständen: Die Stadt Z sei nicht nur bei vertragswidrigem Gebrauch des Grundstücks durch den Kläger, sondern auch bei entstehendem Eigenbedarf zur Kündigung berechtigt. Eine Untervermietung bedürfe der Genehmigung durch die Stadt. DieEnergieversorgung gehe zu Lasten der Stadt, ebenso die Kosten für Reparaturen und Instandhaltung des Gebäudes. Bei vorzeitiger Beendigung des Mietverhältnisses müsse die Stadt den sodann entfallenden Mietverzicht durch Zahlung des Gebäudewerts abgelten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Nach § 126 Abs. 3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Aufgrund des vom FG festgestellten Sachverhalts ist die zutreffende Ermittlung der Bemessungsgrundlage für den besteuerten Umsatz nicht möglich.
1. Nach den Feststellungen des FG hat der Kläger im Streitjahr 1977 das Gebäude entgeltlich an die Stadt gemäß § 1 Abs. 1 Nr.1, § 3 Abs. 1 und 4 UStG 1973 geliefert.
Gemäß § 1 Abs. 1 Nr.1 UStG 1973 unterliegen die Lieferungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt, der Umsatzsteuer. Lieferungen eines Unternehmers sind u.a. Leistungen, durch die er den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht, § 3 Abs. 1 UStG 1973). Als Lieferung gilt auch eine Werklieferung i.S. des § 3 Abs. 4 UStG 1973. Die Verschaffung der Verfügungsmacht setzt die Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag voraus; sie ist in der Regel mit dem bürgerlich-rechtlichen Eigentumsübergang verbunden (vgl. Bundesfinanzhof - BFH -, Urteile vom 24. April 1969 V 176/64, BFHE 95, 410, BStBl II 1969, 451; vom 24. Juli 1969 V R 9/66, BFHE 97, 196, BStBl II 1970, 71; vom 6. Dezember 1979 V R 87/72, BFHE 129, 425, BStBl II 1980, 279, und vom 29. September 1987 X R 13/81, BFHE 151, 469, BStBl II 1988, 153).
1.1 Das FG hat ohne Rechtsverletzung ausgeführt, daß die Stadt bereits mit der Errichtung des Gebäudes auf ihrem Grund und Boden Eigentümerin des Gebäudes wurde (§ 94, § 946 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Es konnte ohne Verstoß gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze aus den vertraglichen Vereinbarungen auf den Willen des Klägers schließen, das Gebäude auch für die Zeit nach Beendigung des Mietverhältnisses der Stadt Z als Grundstückseigentümerin zu überlassen. Dementsprechend war das Gebäude wesentlicher Bestandteil des Grundstücks der Stadt Z (§ 94 BGB), nicht Scheinbestandteil gemäß § 95 BGB.
1.2 Allerdings bewirkt ein Eigentumsübergang nicht immer die Übertragung von Verfügungsmacht. Die Errichtung eines Gebäudes auf fremdem Grund und Boden ist nicht zwangsläufig mit der Weiterlieferung des Gebäudes an den Grundstückseigentümer verbunden. Nach der Auffassung des Senats gibt es keinen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, daß ein Mieter oder Pächter, der auf dem gemieteten oder gepachteten Grundstück ein Gebäude auf eigene Rechnung errichtet und für Zwecke seines Unternehmens nutzt, die Verfügungsmacht an dem Gebäude weiter überträgt. Es kommt vielmehr auf die Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalles an.
Im Streitfall durfte das FG aufgrund des Inhalts des Miet- und Gestattungsvertrages das Vorliegen einer Weiterlieferung des Bauwerks annehmen. Das FG hat aus dem Vertrag geschlossen, daß die Verfügungsmacht an dem Gebäude auf die Stadt Z überging. Maßgebend hierfür war, daß der Kläger nicht das Recht hatte, das Gebäude während der Dauer der Nutzung in der Substanz zu ändern, daß nicht er, sondern die Stadt verpflichtet war, die Reparaturen und die Instandhaltung des Gebäudes zu tragen, daß der Stadt für den Fall eines im öffentlichen Interesse liegenden Eigenbedarfs oder einer vertragswidrigen Nutzung des Grundstücks durch den Kläger ein Kündigungsrecht eingeräumt war und daß die Gebäudeerrichtung nicht nur im Interesse des Klägers, sondern auch im dem der Stadt lag, die eine langjährige Bindung eines Großschlächters an die Stadt erreichte. Das FG schloß hieraus, der Miet- und Gestattungsvertrag regele nicht nur die Überlassung einer Grundstücksfläche, sondern enthalte auch bezüglich des Gebäudes konkrete Nutzungsbestimmungen. Das FG hielt es deshalb unabhängig von der Bezeichnung des Vertrages für gerechtfertigt, das Rechtsverhältnis als Mietvertrag gemäß § 535 BGB über das Grundstück mit errichtetem Gebäude zu qualifizieren.
Diese Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen bindet das Revisionsgericht (§ 118 Abs. 2 FGO); denn sie ist möglich; zwingend braucht sie nicht zu sein (vgl. zur Auslegung vertraglicher Vereinbarungen und zum Umfang der dadurch herbeigeführten Bindung des Revisionsgerichts BFH-Urteil vom 6. Oktober 1988 V R 124/83, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1989, 156 m.w.N.).
Aus der Qualifizierung des Miet- und Gestattungsvertrages als Mietvertrag über das bebaute Grundstück folgt, daß der Vermieter die Verfügungsmacht über das Gebäude erlangt hat, aufgrund derer er es durch Vermietung nutzt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 129, 425, BStBl II 1980, 279, UR 1980, 73 mit Anmerkung Weiß). Nach den Grundsätzen des BFH-Urteils in BFHE 97, 196, BStBl II 1970, 71 liegt in solchen Fällen eine entgeltliche Lieferung des Gebäudes durch den Bauherrn an den Grundstückseigentümer vor (ähnlich für Mietereinbauten und -umbauten das nicht veröffentlichte BFH-Urteil vom 15. September 1983 V R 154/75).
2. Zutreffend hat das FG ferner entschieden, daß die Gebäudelieferung nicht gemäß § 4 Nr.9 Buchst. a UStG 1973 steuerfrei ist. Nach dieser Vorschrift sind die Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) fallen, steuerfrei. Aufgrund des § 1 Abs. 2 GrEStG Bayern unterliegen der Grunderwerbsteuer auch Rechtsvorgänge, die es ohne Begründung eines Anspruchs auf Übereignung einem anderen rechtlich oder wirtschaftlich ermöglichen, ein inländisches Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten. Gebäue auf fremdem Boden stehen dem Grundstück gleich (§ 2 Abs. 2 Nr.3 GrEStG Bayern). Der Mieter oder Pächter, der auf dem vermieteten oder gepachteten Grundstück ein Gebäude errichtet und es unmittelbar an den Grundstückseigentümer weiterliefert, hat keine Verwertungsbefugnis an dem Gebäude im grunderwerbsteuerrechtlichen Sinne erlangt. Er ist vielmehr mit einem Bauunternehmer zu vergleichen, der für den Grundstückseigentümer ein Gebäude errichtet. Er verschafft zwar dem Grundstückseigentümer die Verfügungsmacht am Gebäude; die Verschaffung der Verfügungsmacht fällt aber nicht unter das GrEStG (BFH-Urteile in BFHE 95, 410, BStBl II 1969, 451 und in BFHE 97, 196, BStBl II 1970, 71).
3. In Fällen der vorliegenden Art kann das Entgelt für die Gebäudelieferung darin liegen, daß der Grundstücksmieter dem Grundstückseigentümer das Gebäude gegen Ersatz der (tatsächlichen) Baukosten oder zu einem sonst vereinbarten Preis liefert; ein solches Entgelt kann durch Verrechnung mit dem vereinbarten Mietzins für das bebaute Grundstück getilgt werden. Das Entgelt für die Gebäudelieferung kann aber auch unmittelbar in der Nutzungsüberlassung des bebauten Grundstücks bestehen; dann liegt ein tauschähnlicher Umsatz i.S. des § 3 Abs. 12 Satz 2 UStG 1973 vor. Diese Vorschrift regelt nicht nur den Fall, daß das Entgelt für eine sonstige Leistung in einer Lieferung besteht, sondern auch den umgekehrten Fall.
Das FG wird im zweiten Rechtsgang zu prüfen haben, welche Vereinbarungen im Streitfall getroffen worden sind. Kommt das FG wiederum zur Bejahung eines tauschähnlichen Umsatzes, ist der Wert des Entgelts (der Nutzungsüberlassung) der Besteuerung zugrunde zu legen (§ 10 Abs. 3 Satz 2 UStG 1973). Dieser kann nicht im Rahmen einer Schätzung unmittelbar mit den Herstellungskosten des Gebäudes gleichgesetzt werden. Vielmehr sind die Vorschriften der §§ 13 ff. des Bewertungsgesetzes zu berücksichtigen.
Dies hat das FG bei seiner Entscheidung übersehen. Es hat deshalb die zur Anwendung der oben zitierten Vorschriften erforderlichen Feststellungen unterlassen.
Fundstellen