Leitsatz (amtlich)
1. Auch das Viermächte-Abkommen vom 3. September 1971 und die damit in Verbindung stehenden Protokolle, Noten und Briefe (Beilage zum BAnz Nr. 174 vom 15. September 1972, S. 44 ff.) haben nichts daran geändert, daß die Besatzungsstreitkräfte bzw. deren Mitglieder im Lande Berlin steuerrechtlich als exterritorial anzusehen sind mit der Folge, daß Waren solange nicht den deutschen Abgaben unterliegen, als sie sich als Besatzungsgut im Bereich der Streitkräfte befinden.
2. Überträgt ein in Berlin stationiertes Mitglied der Streitkräfte einem Nichtbesatzungsangehörigen den unmittelbaren Besitz und damit die tatsächliche Gewalt an Besatzungsgut, so wird es mit dem Eintritt in den Wirtschaftsverkehr in sinngemäßer Anwendung der §§ 1 und 5 ZG Zollgut, das gemäß § 6 Abs. 1 ZG vom Besitzer gestellt werden muß. Darauf, ob der Nichtbesatzungsangehörige Eigenbesitz oder Fremdbesitz erlangt, kommt es nicht an.
3. Von einem in Berlin stationierten Mitglied der Streitkräfte erworbenes und in Besitz genommenes Freigut wird Besatzungsgut.
Normenkette
ZG §§ 1, 5-6, 57
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt – HZA –) forderte von der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) für eine Stereoanlage und 30 Schallplatten amerikanischer Herkunft insgesamt 413 DM Eingangsabgaben. Stereoanlage und Schallplatten waren der Klägerin von dem in Berlin stationierten amerikanischen Soldaten B in der Zeit von Juli bis November 1972 in ihre Wohnung gebracht und zur vorübergehenden Verwahrung und Benutzung überlassen worden. Eigentümer der Stereoanlage war der ebenfalls in Berlin stationierte amerikanische Soldat K, der sie vor seinem Urlaubsantritt B überlassen hatte und auch mit der Verbringung in die Wohnung der Klägerin einverstanden war. Das HZA stützte seinen Bescheid darauf, daß die der Klägerin leihweise überlassenen Gegenstände Zollgut geworden seien, das die Klägerin erstmals der zollamtlichen Überwachung vorenthalten habe; dadurch sei sie Zollschuldnerin geworden.
Den von der Klägerin eingelegten Einspruch wies das HZA zurück. Es ließ dabei dahingestellt, ob die Stereoanlage, wie die Klägerin vorgetragen hatte, von einem amerikanischen Armeeangehörigen in einem deutschen Geschäft gekauft worden war; denn auch die in Berlin (West) von Angehörigen der Streitkräfte gekauften und in den Besatzungsbereich überführten Waren würden mit dem Verbringen aus dem Besatzungsbereich und der Rückführung in das Zollgebiet zum Zollgut.
Mit ihrer dagegen erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, daß die vorübergehende Aufbewahrung von Waren, die den in Berlin stationierten amerikanischen Soldaten gehörten, diese noch nicht zum Zollgut machten. Sie habe weder gewußt noch wissen müssen, daß sich in ihrer Wohnung Zollgut befunden habe.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit der Begründung statt, daß die Klägerin weder als Erstschuldnerin noch als weitere Zollschuldnerin, in Anspruch genommen werden könne. Es treffe zwar zu, daß der in § 5 Abs. 1 des Zollgesetzes (ZG) angesprochene Einfuhrvorgang im Lande Berlin auch dadurch verwirklicht weiden könne, daß Waren (Besatzungsgut) der nach wie vor als exterritorial zu behandelnden Besatzungsmächte aus dem Besatzungsbereich in den Bereich des deutschen Zollgesetzes gelangten. Im Streitfalle sei jedoch die Warenbewegung über die Grenze, d. h. der Austritt der Ware aus dem Besatzungsbereich bei gleichzeitigem Eintritt in das Zollgebiet, noch nicht vollzogen worden mit der Folge, daß die streitigen Gegenstände noch nicht zum Zollgut im Sinne des § 5 ZG geworden seien. Die Klägerin sei deshalb nicht Zollschuldnerin im Sinne des § 57 ZG geworden. Stereoanlage und Schallplatten seien nach dem Willen von B, K und der Klägerin nur zur vorübergehenden Benutzung in deren Wohnung verbracht worden. Auch das HZA behaupte nicht, daß diese Gegenstände der Klägerin geschenkt oder verkauft worden seien. Die sich für die Zollverwaltung ergebenden Schwierigkeiten, in tatsächlicher Hinsicht herauszufinden, zu welchem Zeitpunkt erstmals ein Nichtbesatzungsangehöriger über eine aus dem Besatzungsbereich herausgetretene Ware so verfüge, als wenn diese im freien Verkehr wäre, beruhten u. a. auch auf der politischen Entscheidung, daß das Truppenzollgesetz (TrZG) vom 17. Januar 1963 (BGBl I 1963, 51) und die Truppenzollordnung (TrZO) vom 1. Juli 1963 (BGBl I 1963, 451) im Lande Berlin keine Gültigkeit hätten.
Das FG ließ die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen grundsätzlicher Bedeutung zu.
Mit seiner Revision rügt das HZA die Verletzung der §§ 5, 6, 57 ZG, des § 133 der Allgemeinen Zollordnung (AZO) sowie der §§ 1, 11 und 21 des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Zur Begründung trägt es vor, daß die Klägerin die Stereoanlage und die Schallplatten von Besatzungsangehörigen übernommen und damit den unmittelbaren Besitz erlangt habe. Dadurch sei Besatzungsgut aus dem Bereich der Besatzungsmacht getreten, d. h. eingeführt und somit gemäß § 5 Abs. 1 ZG Zollgut geworden. Diese Rechtsfolge ergehe sich aus Entscheidungen des Obersten Finanzgerichtshofs –OFH (vom 23. Juni 1948 II z 5/48 S; vom 30. September 1948 II z. 7/48 und II z 14/48 sowie vom 30. August 1949 II z 12/49 U, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1949 S. 158, 156, 157 und 316 – ZfZ 1949, 158, 156, 157 und 316 –) sowie zwei nicht veröffentlichten Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 9. Februar 1953 V z 118/52 bzw. vom 28. Mai 1953 V z 124/52. Insbesondere nach den BFH-Entscheidungen sei ausschlaggebend für die Frage, ob und wann eine Ware aus dem Besatzungsbereich austrete, allein das äußere Merkmal des Übergangs der tatsächlichen Gewalt, d. h. des unmittelbaren Besitzes. Besatzungsgut sei stets dann aus dem Bereich der Besatzungsmacht getreten, wenn ein Nichtbesatzungsangehöriger unabhängig von Eigentums- oder sonstigen Rechtsverhältnissen oder vom Verfügungsrecht unmittelbarer Besitzer des Gutes werde.
Das HZA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, daß bei der Entscheidung der Frage, ob sie Zollschuldnerin geworden sei, nicht auf den bloßen zivilrechtlichen Besitzübergang abgestellt werden könne. Entscheidend müsse sein, ob dem Besitzer ein dauernder Vorteil im Sinne eines Eigentumsübergangs durch Kauf, Tausch oder Schenkung gewährt werde oder nicht.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß im Lande Berlin der besatzungsrechtliche Status weiter gilt. Das Truppenzollgesetz vom 17. Januar 1963, das sich unter Heranziehung von Vorschriften des Zollgesetzes 1961 über die Zollgutverwendung u. a. mit der Einfuhr von Waren durch die ausländischen Streitkräfte bzw. ihre Mitglieder befaßt und auch die mögliche Entstehung von Abgabenschulden behandelt, ist im Lande Berlin nicht anwendbar (§ 10 TrZG). Auch das Viermächte-Abkommen vom 3. September 1971 (Beilage zum Bundesanzeiger –BAnz– Nr. 174 vom 15. September 1972, S. 44 ff.) und die damit in Verbindung stehenden Protokolle, Noten und Briefe haben am besatzungsrechtlichen Status Berlins nichts geändert (vgl. Zivier, Der Rechtsstatus des Landes Berlin, 2. Aufl., S. 40 ff. – 46, 53 –). Die Fortgeltung des besatzungsrechtlichen Status, wie sie insbesondere in der Präambel zum Abkommen, in der Anlage IV A zum Abkommen und im Schreiben der drei Botschafter der Westmächte an den Bundeskanzler zum Ausdruck kommt, bedeutet, daß die zum Besatzungsstatut entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung des OFH und des BFH für das Land Berlin weiterhin Geltung beanspruchen. Danach sind die Besatzungstruppen der drei Westmächte völkerrechtlich exterritorial mit der Folge, daß Waren solange nicht den deutschen Abgaben unterliegen, wie sie sich in der Hand der Besatzungsstreitkräfte bzw. deren Mitglieder befinden. Besatzungsgut wurde nach der zitierten Rechtsprechung nicht mit dem Eingang über die Zollgrenze, sondern erst mit dem Austritt aus dem Bereich der Besatzung innerhalb des Zollgebiets zollhängig. Mit dem damit sich vollziehenden Eintritt in den Wirtschaftsverkehr des Inlands entstanden die Abgabenschulden in der Person dessen, der das Besatzungsgut übernahm und es nicht gestellte (§§ 6, 13, 45 ZG 1939; vgl. Urteile des OFH II z 5/48 S, II z 14/48, II z 7/48 und II z 12/49 U, ferner, unter Bezugnahme auf das OFH-Urteil II z 5/48 S; Urteil des BFH vom 13. November 1952 V 20/52 S, BFHE 57, 70, BStBl III 1953, 26).
Im Ergebnis beinhaltet diese den völkerrechtlichen Status der Stadt Berlin berücksichtigende Rechtsprechung die Fiktion, daß Waren in der Hand der Besatzungsstreitkräfte bzw. ihrer Mitglieder als außerhalb des Zollgebiets befindlich, also als exemt, anzusehen sind. Jeder Besatzungsangehörige wird, wie es der Senat in seinem n. v.-Urteil vom 28. Oktober 1969 VII R 43/67 ausgedrückt hat, als von einer fiktiven Zollgrenze umgeben angesehen.
Der Senat sieht nach eingehender Prüfung auch unter der Geltung des Zollgesetzes 1961 keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzurücken. Er teilt insbesondere nicht die Auffassung des FG, daß im Streitfall die Warenbewegung über die Grenze, d. h. der Austritt der Ware aus dem Besatzungsbereich bei gleichzeitigem Eintritt in das Zollgebiet, noch nicht vollzogen worden sei. Er kann auch der Auffassung der Klägerin nicht folgen, daß es für die Entscheidung der Frage, ob Besatzungsgut aus dem Bereich der Besatzungsstreitkräfte bzw. ihrer Mitglieder ausgeschieden und in den Wirtschaftsverkehr des Inlands (hier Berlins) eingetreten sei, darauf ankomme, daß dem übernehmenden inländischen Besitzer ein dauernder Vorteil im Sinne eines Eigentumsübergangs gewährt werden müsse.
Die sinngemäße Anwendung der §§ 1 und 6 ZG 1961, das auch im Land Berlin gilt – eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschriften kommt nach den vorstehenden Ausführungen wegen des Fehlens einer räumlich nachvollziehbaren Zollgrenze nicht in Betracht – gebietet es, Besatzungsgut schon dann als in das Zollgebiet verbracht und damit als eingeführt anzusehen, wenn es von einem Besatzungsangehörigen einem Nichtbesatzungsangehörigen übergeben wird, dieser also den unmittelbaren Besitz (§ 854 BGB) erlangt. Der Rechtsgrund für die Erlangung der tatsächlichen Gewalt ist dabei zollrechtlich ohne Bedeutung. Entscheidend ist allein, daß Besatzungsgut über die fiktive Zollgrenze in das Zollgebiet verbracht worden und damit Zollgut geworden ist. Der Sachverhalt kann zollrechtlich nicht anders gewürdigt werden, als es bei der normalen Einfuhr von Waren in das Zollgebiet über die Zollgrenze der Fall ist. Auch dabei kommt es für die Begründung der die Gestellungspflicht auslösenden Zollguteigenschaft nicht darauf an, ob Waren in Erfüllung eines Kaufvertrags oder z. B. eines Miet- oder Leihvertrages eingeführt werden, ob also Eigenbesitz oder Fremdbesitz gegeben ist.
Die Klägerin hat danach, da sie von Mitgliedern der Streitkräfte übernommene und damit Zollgut gewordene Waren – Freigut im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 ZG i. V. m. § 6 AZO liegt nicht vor – entgegen § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZG nicht der zuständigen Zollstelle gestellte, diese erstmals der zollamtlichen Überwachung vorenthalten; sie ist damit Zollschuldnerin geworden (§ 57 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 ZG). Die von der Klägerin als eingeführt anzusehenden Waren sind ganz offensichtlich nicht zollfrei, was die Entstehung der Eingangsabgaben ausschließen würde (§ 57 Abs. 1 Salz 1 letzter Satzteil ZG). Eine außertarifliche Zollfreiheit im Sinne des § 24 ZG i. V. 111. §§ 32 ff. AZO ist nicht erkennbar und auch nicht geltend gemacht worden; insbesondere trifft § 64 AZO nicht zu. Eine Abfertigung zur vorübergehenden Verwendung ist nur unter zollamtlicher Überwachung zulässig. Dies setzt die Gestellung des Zollguts voraus. Ob die Klägerin von der Zollguteigenschaft der ihr leihweise übergebenen Waren und von der ihr obliegenden Gestellungspflicht gewußt hat, ist für die Entstehung der Zollschuld (bzw. der Einfuhrumsatzsteuerschuld) ohne Bedeutung (vgl. Schwarz/Wockenfoth, Zollgesetz vom 14. Juni 1961, § 57 Rdnr. 1).
Die Klägerin hat geltend gemacht, Eingangsabgaben könnten bezüglich der Stereoanlage schon deshalb nicht entstanden sein, weil der amerikanische Soldat, der ihr die Anlage geliehen habe, diese in einem Berliner Geschäft gekauft habe. Dieser Einwand geht fehl. Wie der Senat in seinem bereits erwähnten Urteil VII R 43/67 entschieden hat, gelten die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die zollrechtlichen Folgen der Weitergabe von Besatzungsgut an Nichtbesatzungsangehörige auch für solche Waren, die zunächst Freigut waren und danach (z. B. durch Kauf) in den Besatzungsbereich gelangt sind. Solche Waren sind als ausgeführt anzusehen mit der Folge, daß sie bei anschließender Weitergabe an ein Nichtbesatzungsmitglied Zollgut werden und gestellt werden müssen. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Denn die zollrechtliche Bedeutung der fiktiven Zollgrenze, die jeden Besatzungsangehörigen umgibt, kann nicht einseitig nur auf den Fall beschränkt werden, daß Besatzungsgut aus dem Besatzungsbereich hinausgelangt. Das Vorhandensein der fiktiven Zollgrenze muß notwendigerweise auch dazu führen, daß von Besatzungsangehörigen erworbenes und in Besitz genommenes Freigut Besatzungsgut wird. Es braucht deshalb nicht aufgeklärt zu werden, ob der amerikanische Soldat, der der Klägerin die Stereoanlage leihweise übergab, diese in einem deutschen Geschäft erworben hat.
Fundstellen
Haufe-Index 510502 |
BFHE 1977, 559 |