Leitsatz (amtlich)
Das allgemeine politische Risiko eines bestimmten Marktes kann bei der Anteilsbewertung nach dem Stuttgarter Verfahren nicht berücksichtigt werden.
Normenkette
BewG 1965 § 11 Abs. 2; VStR Abschn. 76 ff.
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), deren alleinige Gesellschafterin die Beigeladene ist, exportiert Maschinen und Anlagen in den ostasiatischen Raum. Durch Bescheide vom 22. Juli 1974 (§ 222 AO) stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) den gemeinen Wert der Anteile an der Klägerin für 100 DM des Stammkapitals auf den 31. Dezember 1968 und auf den 31. Dezember 1969 fest. Die Klägerin ist der Ansicht, das politische Risiko ihrer Geschäfte müsse durch einen besonderen Abschlag von 30 v. H. berücksichtigt werden. Mit der Sprungklage beantragte sie, den gemeinen Wert der Anteile dementsprechend niedriger festzustellen.
Das FG wies die Klage ab. Es führte im wesentlichen aus, das FA habe den Wert der Anteile - da er sich nicht aus Verkäufen ableiten lasse - zu Recht entsprechend den in Abschn. 76 ff. VStR aufgestellten Regeln nach dem Stuttgarter Verfahren geschätzt. Besondere Umstände i. S. des § 79 Abs. 3 VStR, die den begehrten Abschlag rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. Eine in Zahlen greifbare Wertminderung sei nicht dargelegt worden. Es habe deshalb auch nicht festgestellt werden können, daß ein gedachter Erwerber die geschilderten Risiken durch Abschläge berücksichtigt hätte. Zwar seien Geschäfte mit Vietnam und Kambodscha offenkundig mit einem hohen politischen Risiko belastet; die Lieferungen dorthin hätten aber nur 2 v. H. und 3,5 v. H. betragen. Dagegen habe der Anteil des Japan-Geschäfts, für das keine besonderen Risiken ersichtlich seien, zwischen 30 v. H. und 50 v. H. gelegen. Auch für die Geschäfte mit Formosa, Korea und Taiwan könne ein besonderes politisches Risiko nicht anerkannt werden. Die Klägerin habe für den hier streitigen Zeitraum nicht ein einziges Geschäft genannt, dessen Abwicklung aus politischen Gründen Schwierigkeiten bereitet habe. Die Berufung auf eine allgemein unsichere Lage im fernen Osten rechtfertige angesichts der erwirtschafteten Ergebnisse keinen besonderen Abschlag.
Unter einem politischen Risiko verstehe die Klägerin ohnehin in erster Linie nur die Gefahr, daß Aufträge aus dem ostasiatischen Raum zu einem Zeitpunkt storniert würden, in dem die Klägerin bereits eigene Aufträge an Lieferanten erteilt habe. Die Klägerin habe aber eingeräumt, daß es für die Jahre 1968 bis 1970 nicht zu ähnlich hohen Stornierungen gekommen sei, wie sie im Jahr 1974 eingetreten sein sollen. Im übrigen stehe dahin, ob und inwieweit es bei den Geschäften der Klägerin mit ihren Lieferanten tatsächlich zu Ausfällen gekommen sei.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Sie macht geltend, das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß nur für die Geschäfte in Vietnam und Kambodscha ein politisches Risiko anzuerkennen sei. Es habe nicht geprüft, inwiefern hinsichtlich der übrigen in Betracht kommenden Länder ein politisches Risiko nicht vorliege. Unzutreffend sei auch die Annahme, daß die Klägerin unter einem politischen Risiko nur die Gefahr der Auftragsstornierung zu einem Zeitpunkt verstehe, in dem sie bereits entsprechende Aufträge weitervergeben habe. Dabei handele es sich allenfalls um eines der denkbaren Kriterien. Das politische Risiko sei nicht so exakt erfaßbar, wie das FG dies versucht habe. Eine direkte Auswirkung auf den Vermögens- oder Ertragswert sei nicht berechenbar; es handle sich um ein latentes Risiko, das nur als Abschlag vom gemeinen Wert erfaßt werden könne. Das beste Beispiel für die Auswirkungen politischer Trends auf die Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften seien die Aktienkurse an den deutschen Aktienbörsen. Daraus folge, daß ein gedachter Erwerber trotz guter Ergebnisse wegen der allgemeinen und latent unsicheren Lage in Ostasien einen Abschlag vom Kaufpreis machen würde. Der Abschlag sei auf 30 v. H. zu schätzen.
Zu beanstanden sei auch die Annahme des FG, daß in der Kürzung des Durchschnittsertrags um 30 v. H. bereits ein außergewöhnlicher Risikoabschlag liege. Dabei sei unberücksichtigt geblieben, daß die Klägerin als Organgesellschaft ihre Gewinne voll an die Muttergesellschaft abzuführen habe, ausschüttungsfähige Gewinne also nicht vorhanden seien. Gehe man aber fiktiv davon aus, daß eine Organschaft nicht vorliege, so diene der vorgenommene Abschlag von 30 v. H. lediglich der Umrechnung auf den ausschüttungsfähigen Ertrag (Abschn. 78 Abs. 3 VStR).- Schließlich könne für den gemeinen Wert der Anteile auch die Frage bedeutsam sein, ob die Klägerin ohne die Muttergesellschaft bei einem derart geringen Eigenkapital überhaupt Gewinne in der vorhandenen Größenordnung hätte erzielen können.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung und Abänderung der angefochtenen Bescheide bei der Feststellung des gemeinen Werts der Anteile auf den 31. Dezember 1968 und 31. Dezember 1969 einen besonderen Abschlag in Höhe von 30 v. H. zuzulassen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene hat keine Anträge gestellt.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist nicht begründet.
1. Wie das FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt hat, ist der gemeine Wert der Anteile an der Klägerin entsprechend den in Abschn. 76 ff. VStR aufgestellten Regeln nach dem Stuttgarter Verfahren geschätzt worden. Die Schätzung des gemeinen Werts der Anteile nach dem Stuttgarter Verfahren wird, wenn wie hier eine Ableitung aus Verkäufen nicht möglich ist, dem Gesetzesbefehl des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG 1965 gerecht. Dies ist ständige Rechtsprechung des Senats (Urteile des BFH vom 24. Januar 1975 III R 4/73, BFHE 115, 58, BStBl II 1975, 374; vom 17. Mai 1974 III R 156/72, BFHE 112, 510, BStBl II 1974, 626, mit weiteren Nachweisen). Eine Abweichung von diesem Verfahren ist mit Rücksicht auf die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nur zulässig, wenn es aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles ausnahmsweise zu nicht tragbaren, d. h. zu offensichtlich unrichtigen Ergebnissen führt (Urteil des BFH III R 156/72).
Daß ein derartiger Ausnahmefall hier vorliege, wird auch von der Klägerin nicht geltend gemacht. Soweit sie in der Revisionsbegründungsschrift die Auffassung geäußert hat, es könne für den gemeinen Wert der Anteile bedeutsam sein, ob sie wegen ihres geringen Eigenkapitals auch ohne die Muttergesellschaft die erzielten Gewinne habe erwirtschaften können, handelt es sich nicht um einen erheblichen Einwand. Gemäß Abschn. 83 Abs. 2 Satz 1 VStR ist der gemeine Wert der Anteile am Organ nach Abschn. 77 bis 79 VStR zu ermitteln. Abschn. 79 Abs. 3 Satz 2 ff. VStR sieht die Berücksichtigung eines Abschlags bei kapitalintensiven Gesellschaften, nicht aber für den hier angesprochenen umgekehrten Fall vor. Die Klägerin hätte deshalb im einzelnen darlegen müssen, inwiefern die angesprochenen Umstände den gemeinen Wert der Anteile beeinflussen. Dies ist nicht geschehen.
2. Zu Recht hat es das FA abgelehnt, einen besonderen Abschlag wegen politischen Risikos gemäß Abschn. 79 Abs. 3 VStR zuzulassen.
a) Die Prüfung dieser Frage ist dem BFH nicht gemäß § 118 Abs. 2 FGO verwehrt. Zwar enthalten Wertansätze für bestimmte Vermögensgegenstände weitgehend Tatsachenfeststellungen (vgl. auch BFH-Urteile vom 12. Dezember 1975 III R 30/74, BFHE 118, 66, BStBl II 1976, 238, und vom 25. Oktober 1974 III R 128/73, BFHE 113, 531, BStBl II 1975, 83). Die Frage, ob im Rahmen des Wertansatzes ein bestimmter Abschlag oder Zuschlag zu machen ist, betrifft jedoch die Anwendung eines Bewertungsmaßstabes und damit eine Frage des materiellen Rechts, bei deren Überprüfung der BFH grundsätzlich keinen Beschränkungen unterliegt (Urteil III R 30/74).
b) Die Gewährung des begehrten Abschlags setzt nach Abschn. 79 Abs. 3 Satz 1 VStR das Vorliegen besonderer Umstände voraus, die in der Berechnung des gemeinen Werts noch nicht zum Ausdruck gekommen sind. Dabei ist, wie die in Abschn. 79 Abs. 3 Satz 2 ff. VStR aufgeführten Beispiele zeigen, insbesondere an Korrekturen zu denken, die aufgrund der bevorzugten Berücksichtigung des Vermögenswerts nach dem Stuttgarter Verfahren erforderlich werden. Ob und inwieweit ein politisches Risiko - zumal wenn es nur die Geschäftsbeziehungen der Gesellschaft betrifft -überhaupt einen besonderen Abschlag rechtfertigen kann, braucht der Senat nicht allgemein zu entscheiden. Vietnam und Kambodscha, bei denen eine konkrete Beeinträchtigung der Geschäftstätigkeit der Klägerin zu erwarten gewesen sein könnte, hatten als Abnehmerstaaten kaum Bedeutung für die Klägerin, so daß insoweit schon aus diesem Grunde ein besonderer Abschlag nicht zu gewähren ist. Die im Hinblick auf die übrigen Abnehmerstaaten geltend gemachten Umstände können jedenfalls ihrer Art nach nicht berücksichtigt werden. Bei der Anteilsbewertung sind nur objektive Umstände zu berücksichtigen, nicht aber allgemeine, auf Unwägbarkeiten beruhende Erwartungen oder Befürchtungen (vgl. BFH-Urteile vom 14. Oktober 1966 III 281/63, BFHE 87, 218, BStBl III 1967, 82 a. E.; vom 9. September 1966 III 263/63, BFHE 87, 108, BStBl III 1967, 43; vom 6. April 1962 III 261/59 U, BFHE 74, 682, BStBl III 1962, 253; vom 19. Dezember 1960 III 396/58 S, BFHE 72, 241, BStBl III 1961, 92; Offerhaus, Steuerliche Betriebsprüfung 1968 S. 150). Insbesondere rechtfertigen allgemeine politische Erwägungen keinen besonderen Risikoabschlag (vgl. BFH-Urteile III R 30/74, III 281/63 und III 396/58 S). Darum handelt es sich hier. Die Klägerin hat im Hinblick auf die politische Lage in ihren Abnehmerstaaten nur allgemeine Ausführungen gemacht. Sie hat das mit dem Export in jene Länder verbundene Risiko als latent bezeichnet und eine ziffernmäßige Erfassung beim Vermögenswert oder den Ertragsaussichten ausdrücklich für nicht möglich erachtet. Konkrete Auswirkungen der politischen Lage oder einer zu befürchtenden Entwicklung auf die Geschäfte der Gesellschaft hat sie nicht dargelegt.
Zu Unrecht glaubt die Klägerin, aus den Auswirkungen politischer Trends auf die an den Börsen notierten Aktienwerte herleiten zu können, daß allgemeine politische Risiken bei der Bewertung nichtnotierter Anteile berücksichtigt werden müßten. Der Senat hat im Urteil III R 30/74 auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen Kurswerten notierter Aktien und der Bewertung nichtnotierter Anteile nach dem Stuttgarter Verfahren hingewiesen. Er hat dies u. a. mit den Auswirkungen von Spekulationen auf die Höhe der Börsenwerte begründet. Hieran hält der Senat fest. Die Bewertung hat im Gegensatz zu der - Haussen und Baissen unterliegenden - Börsenentwicklung nach Gleichmäßigkeit und Stetigkeit zu streben (BFH-Urteil III 396/58 S; Offerhaus, a. a. O.).
3. Zu Recht hat das FG einen besonderen Abschlag auch insoweit abgelehnt, als der Geschäftsbetrieb der Klägerin dadurch mit Risiken belastet sein soll, daß nach Weitervergabe von Aufträgen Stornierungen aus den Abnehmerstaaten eingehen und die Klägerin sich gegen derartige Risiken nicht voll absichern kann. Nach den Feststellungen des FG hat die Klägerin nicht behauptet, auf diese Weise größere Einbußen erlitten zu haben, sondern eingeräumt, daß es in den Streitjahren nicht zu ähnlich hohen Stornierungen gekommen sei, wie sie im Jahre 1974 eingetreten sein sollen. Daraus ist zu entnehmen, daß die Klägerin überhaupt keine konkreten Vorgänge der bezeichneten Art für die Streitjahre vorgetragen hat. Soweit aber doch Ausfälle bei der Klägerin eingetreten sein sollten, kann davon ausgegangen werden, daß diese sich im Geschäftsergebnis und damit im Ertragshundertsatz niedergeschlagen haben (vgl. Gürsching-Stenger, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, 6. Aufl., § 11 BewG Anm. 118); für einen besonderen Abschlag ist dann kein Raum mehr.
4. Ist nach alledem ein besonderer Abschlag wegen politischen Risikos gemäß Abschn. 79 Abs. 3 VStR zu Recht nicht gemacht worden, so kann dahingestellt bleiben, ob die Bemerkung des FG zutrifft, mit der Kürzung der Durchschnittserträge um 30 v. H. sei hier bereits ein besonderes Risiko berücksichtigt worden (vgl. dazu Abschn. 83 Abs. 2 Sätze 1 bis 2 VStR; BFH-Urteil III R 128/73). Da der zusätzlich begehrte Abschlag bereits aus den vorstehenden Erwägungen (unter 2 und 3) zu verneinen ist, kommt es auch nicht darauf an, ob das FG - wie die Klägerin ausführt - die Entscheidung zusätzlich darauf stützen wollte, daß bereits ein besonderer Abschlag gewährt worden sei.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Der Streitwert des Revisionsverfahrens ist auf 24 430 DM festzusetzen. Dies entspricht der Vermögensteuerauswirkung der gestellten Anträge für die Streitjahre; eine Verdoppelung kommt wegen der zum Ende jedes Kalenderjahres durchzuführenden Bewertung nicht in Betracht (vgl. auch BFH-Urteil vom 30. Januar 1976 III R 74/74, BFHE 118, 234, BStBl II 1976, 280 unter 2).
Fundstellen
Haufe-Index 72276 |
BStBl II 1977, 404 |
BFHE 1977, 512 |