Entscheidungsstichwort (Thema)
Mehraufwendungen eines ledigen Arbeitnehmers wegen auswärtiger Beschäftigung ohne Umzugsbereitschaft
Leitsatz (NV)
1. Ein lediger Arbeitnehmer, der keinen doppelten Haushalt führt, kann Aufwendungen für ein möbliertes Zimmer am Beschäftigungsort als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG geltend machen, wenn er seine mit Möbeln eingerichtete Wohnung am bisherigen Wohnort beibehält, bis ihm ein Umzug in eine nach objektiven Maßstäben angemessene Wohnung möglich ist.
2. Das gilt jedoch nicht, wenn er von vornherein aus privaten Gründen nicht umzugsbereit ist und deshalb auf die Suche nach einer angemessenen Wohnung verzichtet.
Normenkette
EStG 1977 § 9 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der im Streitjahr 1977 unverheiratete Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist von Beruf Maschinenbautechniker. Er war bis 30. September 1974 bei der Firma A im Werk F als Arbeitnehmer tätig. Ab 1. Oktober 1974 war er bei der Firma B in G beschäftigt. Seit dem 1. April 1979 arbeitet er im Stammwerk des Unternehmens in C. Er ist seit 1973 Miteigentümer eines Zweifamilienhauses in D, wo er die größere, 118 qm große Wohnung bewohnt.
In der Zeit vom 1. Oktober 1974 bis zum 31. März 1979 hatte der Kläger in G ein möbliertes Zimmer gemietet, das er von montags bis freitags benutzte. Er machte bei der Einkommensteuerveranlagung 1977 u. a. Fahrtkosten zwischen D und G und Aufwendungen für die Zimmermiete in G als Werbungskosten geltend.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) ließ diese Ausgaben im Einkommensteuerbescheid 1977 nicht zum Abzug zu. In der Einspruchsentscheidung erkannte das FA die Fahrtkosten zwischen D und G als Werbungskosten an.
Die Klage, mit der der Kläger weiterhin die Berücksichtigung der Zimmermiete als Werbungskosten begehrte, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte u. a. aus:
Bei ledigen Arbeitnehmern befinde sich der örtliche Mittelpunkt der Lebensinteressen zwar regelmäßig am Ort der Wohnung, von der aus er sich überwiegend zur Arbeitsstelle begebe. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 20. Dezember 1982 VI R 123/81 (BFHE 137, 474, BStBl II 1983, 269) gebe es Ausnahmen von diesem Grundsatz. Denn die Rechtsprechung müsse nach dem vorgenannten Urteil der steigenden Zahl von Arbeitslosen ,,insoweit Rechnung tragen, als sie die Bereitschaft von Arbeitnehmern, auswärts - vielleicht auch nur auf beschränkte Zeit - eine neue Stellung anzunehmen, nicht aus steuerlichen Gründen erschwert". Aufwendungen für die Miete am Arbeitsort seien daher auch bei einem ledigen Arbeitnehmer, der eine langfristige Beschäftigung aufgenommen habe, als Werbungskosten zu berücksichtigen, solange ihm ein Umzug an den Beschäftigungsort nicht zuzumuten sei.
Im Streitfall sei die Miete für das aus beruflichen Gründen bezogene möblierte Zimmer in G als Werbungskosten abziehbar, da es dem Kläger nicht zuzumuten gewesen sei, den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen von D nach G zu verlegen. Er habe sich in den Jahren 1977 und 1978 um eine Versetzung nach C bemüht und sei auf einer innerdienstlichen Bewerberliste geführt worden. Die Ernsthaftigkeit seiner Bestrebungen werde durch die Umsetzung im Frühjahr 1979 belegt. Da er im Streitjahr die begründete Hoffnung habe hegen können, in absehbarer Zeit in der Nähe seiner Vierzimmerwohnung eine Arbeitsstelle zu erhalten, sei ihm die Aufgabe dieser Wohnung und ein Umzug nach G nicht zuzumuten gewesen, zumal eine vorübergehende Vermietung der Wohnung in D nur mit Schwierigkeiten möglich gewesen wäre.
Das FA legte gegen das Urteil Revision ein. Es ist der Ansicht, die Vorentscheidung verletze die §§ 9 und 12 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Ledige Arbeitnehmer, die - wie der Kläger - keinen doppelten Haushalt führen, weil sie nicht mit von ihnen finanziell abhängigen Angehörigen zusammenleben, können Aufwendungen für ein möbliertes Zimmer am Beschäftigungsort nicht nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG mit Erfolg als Werbungskosten geltend machen (vgl. BFH-Urteil vom 10. Februar 1983 VI R 51/79, BFHE 138, 212, BStBl II 1983, 515). Der BFH hat jedoch ledige Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen verheirateten Arbeitnehmern, die einen doppelten Haushalt führen, gleichgestellt und deshalb Aufwendungen für die Unterkunft am Beschäftigungsort für einen gewissen Zeitraum nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG als Werbungskosten zum Abzug zugelassen (vgl. z. B. Urteil vom 23. Juli 1976 VI R 228/74, BFHE 119, 561, BStBl II 1976, 795).
Ist ein lediger Arbeitnehmer - wie der Kläger - auswärts beschäftigt, da er bei einem neuen Arbeitgeber einen Arbeitsplatz gefunden hat, so kann er, wenn er seine mit eigenen Möbeln eingerichtete Wohnung am bisherigen Wohnort beibehält, die Aufwendungen für ein möbliertes Zimmer am Beschäftigungsort für eine gewisse Übergangszeit als Werbungskosten geltend machen, bis ihm ein Umzug in eine nach objektiven Maßstäben angemessene Wohnung möglich ist. Die zuzubilligende Übergangszeit zum Finden einer angemessenen Wohnung am Beschäftigungsort endet in Fällen dieser Art mit der Durchführung des Umzugs in eine derartige Wohnung (vgl. BFH-Urteile vom 17. Februar 1961 VI 32/60 U, BFHE 72, 461, BStBl III 1961, 169; vom 19. November 1971 VI R 132/69, BFHE 103, 533, BStBl II 1972, 155, und in BFHE 119, 561, BStBl II 1976, 795).
Nach dem Urteil des Senats vom 11. März 1983 VI R 65/80 (BFHE 139, 32, BStBl II 1983, 629) kann ein lediger Arbeitnehmer in Fällen dieser Art Aufwendungen für die Unterkunft am neuen Beschäftigungsort auch für eine Übergangszeit nicht als Werbungskosten absetzen, wenn er wegen fehlender Umzugsbereitschaft von vornherein auf die Suche nach einer angemessenen Wohnung verzichtet. Die Gewährung einer gewissen Übergangszeit zum Finden einer angemessenen Wohnung beruht auf der Erwägung des Senats, daß die Suche nach einer derartigen Wohnung in der Regel längere Zeit in Anspruch nimmt und daher ein alsbaldiger Umzug nicht möglich ist. Dabei wird vorausgesetzt, daß der Arbeitnehmer den Wohnungsmarkt erkundet und sich auf die Suche nach einer Wohnung begibt. Verzichtet er aber hierauf von vornherein aus privaten Gründen, so kann er einem Wohnungssuchenden nicht gleichgestellt werden.
Entgegen diesen Grundsätzen, an denen der Senat festhält, hat das FG im Streitfall die Kosten der Zimmermiete des Klägers in G als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit für das Jahr 1977 anerkannt. Wie der Kläger im Klageschriftsatz vom 21. April 1980 auf S. 2 hervorhob, hat er von vornherein einen etwaigen Umzug mit Verlegung seines Hausstandes nach G deshalb nicht angestrebt, weil er einen Arbeitsplatz im Stammwerk C suchte. Es kann dahingestellt bleiben, ob er sich von Anfang an mündlich um eine solche Versetzung bemüht hat oder ob er damit erst mit seiner schriftlichen innerbetrieblichen Bewerbung um Versetzung am 24. Januar 1977 begonnen hat. Da dem Kläger jedenfalls bei Aufnahme seiner Arbeit am 1. Oktober 1974 und auch im Streitjahr 1977 eine Versetzung ins Stammwerk C vom Arbeitgeber nicht zugesagt worden war, ist der von vornherein bestehende Verzicht auf die Suche nach einer angemessenen Wohnung seinem privaten Lebensbereich zuzurechnen. Die Aufwendungen für die Zimmermiete in G können daher für das Streitjahr 1977 nicht als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG anerkannt werden.
Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Da das FA im Einkommensteuerbescheid 1977 vom 8. Februar 1979 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. April 1980 die Aufwendungen für die Zimmermiete in G zu Recht nicht als Werbungskosten berücksichtigt hat, ist die Klage als unbegründet abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 415644 |
BFH/NV 1988, 630 |