Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine zustimmungsfreie Übertragung des Kinderfreibetrages bei fehlender Unterhaltspflicht
Leitsatz (NV)
Ist ein Elternteil nicht zur Leistung von Unterhalt verpflichtet, so kann der ihm zustehende Kinderfreibetrag nicht nach § 32 Abs.6 Satz 4 Alternative 1 EStG 1990 auf den anderen Elternteil übertragen werden. Auf einen etwa erbrachten Naturalunterhalt kommt es somit nicht mehr an (Anschluß an das BFH-Urteil vom 25. Juli 1997 VI R 107/96, BFHE 184, 60, BStBl II 1998, 329).
Normenkette
EStG 1987 § 32 Abs. 6 S. 4; EStG 1990 § 32 Abs. 6 S. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beigeladene und Revisionsklägerin (Beigeladene) und der am Revisionsverfahren als Kläger Beteiligte (Kläger) sind geschieden. Aus ihrer Ehe ging eine 1970 geborene Tochter hervor. Sie besuchte bis zum 30. Juni 1990 ein Gymnasium und studierte seit dem 1. Oktober 1990 auswärts. Bis zum 30. September 1990 lebte sie im Haushalt der Beigeladenen und erhielt von ihr ein Taschengeld von 30 DM wöchentlich. Dann richtete sie sich in B eine Studentenwohnung ein, fuhr aber an den Wochenenden zur Beigeladenen. Der Kläger zahlte für seine Tochter monatlich 533 DM Barunterhalt. Daneben erhielt sie Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) lehnte es bei der Einkommensteuerveranlagung des Klägers für die Streitjahre 1989 und 1990 ab, den Kinderfreibetrag und den Ausbildungsfreibetrag für seine Tochter gemäß §§ 32 Abs.6 Satz 4, 33a Abs.2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf den Kläger zu übertragen. Das FA ging dabei davon aus, die Beigeladene habe ihre Unterhaltsverpflichtung durch Pflege und Erziehung der Tochter im eigenen Haushalt erfüllt. Mit seiner Klage beantragte der Kläger u.a., den Kinderfreibetrag und den Ausbildungsfreibetrag für die Tochter auf ihn zu übertragen. Die Beigeladene sei gegenüber der Tochter mangels eigener Mittel nicht unterhaltspflichtig gewesen und deshalb ihrer Unterhaltsverpflichtung nicht nachgekommen. Die Betreuung könne wegen Volljährigkeit der Tochter nicht mehr dem Barunterhalt gleichgestellt werden.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage des Klägers in dem umstrittenen Punkt mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 74 veröffentlichten Urteil statt. Die Beigeladene sei gegenüber der volljährigen Tochter mangels eigener Einkünfte nicht barunterhaltspflichtig gewesen. Ihr tatsächlich erbrachter Betreuungsunterhalt sei nicht als Erfüllung der Unterhaltspflicht anzusehen.
Mit ihrer Revision rügt die Beigeladene Verletzung des § 32 Abs.6 Satz 4 EStG. Sie trägt vor, sie habe ihrer Unterhaltsverpflichtung gegenüber ihrer Tochter durch Gewährung von Naturalunterhalt genügt. Deshalb stehe ihr der Kinderfreibetrag und der Ausbildungsfreibetrag zu.
Die Beigeladene beantragt, die Vorentscheidung dahingehend abzuändern, daß ihr der Kinderfreibetrag sowie der Ausbildungsfreibetrag hälftig zugerechnet wird.
Der Kläger beantragt, die Revision der Beigeladenen zurückzuweisen.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beigeladenen ist begründet. Das FA hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, den Kinderfreibetrag und den Ausbildungsfreibetrag, die der Beigeladenen für ihre Tochter zustehen, auf den Kläger zu übertragen. Nach § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG in den in den Streitjahren maßgebenden Fassungen (EStG i.d.F. vom 27. Februar 1987, BGBl I, 617, BStBl I, 274, und vom 7. September 1990, BGBl I, 1898, BStBl I, 453; EStG 1987/EStG 1990) darf auf Antrag eines Elternteils der Kinderfreibetrag des anderen Elternteils nur dann auf ihn übertragen werden, wenn der andere Elternteil seiner Unterhaltsverpflichtung nicht oder nur zu einem unwesentlichen Teil (EStG 1987) oder seiner Unterhaltsverpflichtung nicht im wesentlichen (EStG 1990) nachkommt. Der erkennende Senat legt dabei für das Streitjahr 1990 den Wortlaut des § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG zugrunde, den die Vorschrift durch Art. 1 Nr. 26 Buchst. a, bb des Gesetzes vom 25. Juli 1988 ―Steuerreformgesetz 1990― (BGBl I, 1093, 2074, BStBl I, 224) erhalten hat. Der hiervon ―wie vom EStG 1987― abweichenden Verwendung des Wortes "Unterhaltspflicht" anstelle von "Unterhaltsverpflichtung" in § 32 Abs.6 Satz 4 EStG in der Bekanntmachung der Neufassung des Einkommensteuergesetzes vom 7. September 1990 (BGBl I, 1898, BStBl I, 453 - EStG 1990) liegt weder ein späterer Gesetzesbeschluß zugrunde noch war diese Änderung erforderlich, um Unstimmigkeiten zu beseitigen (vgl. § 52 Abs. 4 Nr. 2 EStG 1987) wie die Verwendung des Wortes "Unterhaltsverpflichtung" in § 32 Abs. 1 Satz 2 EStG 1990 zeigt. Der Senat geht allerdings davon aus, daß sich aus der Verwendung des Wortes Unterhaltspflicht in der Bekanntmachung der Neufassung des EStG 1990 keine inhaltliche Änderung ergäbe, weil in Verbindung mit dem Verb "nachkommen" hinreichend deutlich wird, daß die konkrete Verpflichtung Unterhalt zu leisten entscheidend ist.
Die Übertragung des Kinderfreibetrages setzt danach eine Unterhaltsverpflichtung des anderen Elternteils voraus. Einer Unterhaltsverpflichtung nachkommen kann nur, wer unterhaltspflichtig ist. Besteht keine Verpflichtung, Unterhalt zu leisten, z.B. weil der andere Elternteil mangels ausreichender eigener Mittel nicht leistungsfähig ist oder das Kind über eigene Einkünfte in ausreichender Höhe verfügt, ist eine Abweichung vom Halbteilungsgrundsatz nicht gerechtfertigt. Der Senat folgt nicht der Rechtsansicht der Vorinstanz, die überwiegend auch in Rechtsprechung und Schrifttum vertreten wird (FG Münster, Urteil vom 30. Januar 1990 XII 8737/88 E, EFG 1991, 127; FG Bremen, Urteil vom 20. September 1994 193073K 3, EFG 1995, 216; FG Köln, Urteil vom 12. August 1994 3 K 405/93, EFG 1995, 217; Hessisches FG, Urteil vom 22. März 1995 11 K 5447/92, EFG 1995, 887; Müller/Traxel, Betriebs-Berater 1997, 442; Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 32 EStG Anm. 185 a.E.; Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 15. Aufl., § 32 Rz. 67; wohl auch Kubesch, Deutsche Steuer-Zeitung 1987, 532; Abschn. 181a Abs. 2 Satz 4 der Einkommensteuer-Richtlinien ―EStR― 1987 bzw. Satz 6 EStR 1990; wie hier: FG Düsseldorf, Urteil vom 20. Oktober 1994 14 K 207/90 E, EFG 1995, 218 bei fehlender Unterhaltsberechtigung; Niedersächsisches FG, Urteil vom 1. Februar 1996 XI 14/93, EFG 1996, 547; FG München, Urteil vom 28. Juni 1994 2 K 722/93, EFG 1997, 747; Friederike Grube, Deutsches Steuerrecht 1997, 810).
Eine vom Gesetzeswortlaut abweichende Auslegung ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten. Zwar soll der Kinderfreibetrag Eltern wegen der Aufwendungen, die ihnen durch die Pflege und Betreuung ihrer Kinder oder durch Barunterhalt entstehen, steuerrechtlich entlasten, so daß es unter dem Blickwinkel der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit gerechtfertigt sein könnte, den Elternteil, der die kindbedingten Aufwendungen wegen fehlender Unterhaltspflicht des anderen Teils allein zu tragen hat, auch allein zu entlasten. Der Gesetzgeber hat jedoch den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum nicht überschritten, wenn er sich für eine andere Lösung entschieden hat, nämlich, es bei dem Halbteilungsgrundsatz zu belassen, wenn nur einer der Eltern unterhaltspflichtig ist. Auch der Elternteil, der nicht unterhaltspflichtig ist, kann ―wie der Streitfall zeigt― (freiwillige) Aufwendungen für das Kind haben. Es wäre dann unbillig, ihm den Kinderfreibetrag nur deshalb zu nehmen, weil er zivilrechtlich nicht unterhaltspflichtig ist. Es ist zudem zu bedenken, daß die Gewährung von Kinderfreibeträgen ohnehin nicht stets von einer Minderung der Leistungsfähigkeit der Eltern durch Unterhaltszahlungen abhängt. Auch Eltern, die beide nicht unterhaltspflichtig sind oder zwar unterhaltspflichtig sind, aber keinen Unterhalt leisten, erhalten die Kinderfreibeträge.
Schließlich steht es den Eltern in Härtefällen frei, die Übertragung des Kinderfreibetrages durch Zustimmung zu erreichen (§ 32 Abs. 6 Satz 4 Alternative 2 EStG). Zu dieser Zustimmung kann der andere Elternteil in Fällen, in denen nur einer der Eltern Unterhalt trägt, auf familienrechtlicher Grundlage verpflichtet sein (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 3. April 1996 XII ZR 86/95, Neue Juristische Wochenschrift 1996, 1894).
Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den Streitfall kann das Urteil der Vorinstanz keinen Bestand haben. Die Klage des Klägers ist auch in bezug auf die Freibeträge für die Tochter unbegründet. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat mangels zulässiger und begründeter Revisionsrügen gebunden ist (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―), war die Beigeladene gegenüber ihrer Tochter nicht unterhaltspflichtig. Eine Übertragung des Kinderfreibetrages auf den Kläger kommt deshalb nicht in Betracht. Entsprechendes gilt für den Ausbildungsfreibetrag (§ 33a Abs. 2 Satz 1 EStG).
Fundstellen
Haufe-Index 424878 |
BFH/NV 2000, 553 |